Am Ende der Beweisaufnahme des Strafprozesses gegen Beate Zschäpe und andere, nach den Schlußvorträgen und den letzten Worten der Angeklagten stellt Ina Krauß vom Bayerischen Rundfunk auf tagesschau.de fest:
Die stattliche Anzahl von 93 Nebenklägern war an dem Strafprozeß beteiligt. Ich stelle mir die Frage, ob ein Straf-Verfahren der richtige Ort ist, an dem die Opferfamilien hoffen können, dass sie irgendwann Antworten auf ihre Fragen bekommen.
Das Leid der Familien, die ihre Angehörigen verloren haben, läßt auch einen Strafverteidiger nicht unberührt. Sie haben selbstverständlich einen Anspruch auf Antworten. Sie müssen ihre Fragen stellen dürfen.
Aber schaut man sich einmal bei Lichte die Funktion eines Strafverfahrens an, geht es dort zuvörderst doch um Schuld und Sühne der Angeklagten und nicht um die Aufarbeitung erlittenen Unrechts.
Einem Angeklagten steht ein gewichtiges Recht für seine Verteidigung zur Seite: Nämlich das Recht sich (auch) durch Schweigen zu verteidigen. Ein Angeklagter darf (als einziger in dem Verfahren) sogar schwindeln, ohne daß ihm das einen Nachschlag beim Strafmaß einbringt. Er verzichtet allenfalls auf einen Bonus, den ihm ein Geständnis einbringen würde.
Die Nebenkläger sind – völlig zu Recht – enttäuscht, wenn sie am Ende des Verfahrens keine Antworten erhalten haben. Will man nun (deswegen?) das in der EMRK verankerte Schweigerecht des Angeklagten zugunsten des berechtigten Interesses der Geschädigten und Hinterbliebenen an der „Wahrheitsfindung“ aushebeln, bedeutete dies das sichere Ende eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens.
Basis für eine strafrichterliche Verurteilung ist allein die Überzeugung des Gerichts, daß der Angeklagte die ihm zur Last gelegt Tat begangen hat. Nicht mehr und nicht weniger. Der Strafprozeß ist keine Wahrheitsfindungskommission, sondern ein formeller Weg zur Überzeugungsbildung.
Ein Angeklagter kann auf diesem Weg Anworten auf Fragen (der Nebenkläger) geben. Er muß es aber nicht. Und das darf ihm nach den klassischen Regeln des Strafprozeßrechts nicht vorgeworfen werden.
Der Mammutprozeß vor dem OLG München hat für mein Empfinden sehr deutlich gezeigt, daß das Instrument der Nebenklage dem Strafprozeß eher schadet als daß es den Nebenklägern nützt.
Und aus Sicht der Strafverteidigung (in diesem Zusammenhang provokant) gefragt: Was nützt es einem Angeklagten, einen ihm zur Last gelegten Mord zu gestehen?
Das Gericht hat keine Möglichkeit, ein solches Geständnis strafmildernd zu berücksichten.
Wenn das Gericht am Ende überzeugt ist, lautet die Strafe für den geständigen Mörder genauso wie die Strafe für den bestreitenden oder schweigenden Angeklagten: Lebenslang.
Ein Schweigen oder Bestreiten der Tat birgt zumindest die mehr oder weniger große Chance, um dieses „LL“ herumzukommen; bei einem Geständnis steht es fest.
Auf welchem Weg die Hinterblieben und Geschädigten Antworten auf ihre berechtigten Fragen bekommen, sollte Gegenstand der Suche nach einer alternativen Verfahrensform werden. Der Strafprozeß ist die falsche Richtung, wie dieses NSU-Verfahren deutlich gemacht hat; das ist ein Holzweg.
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Bild: © ele-joe / pixelio.de
Das Dilemma habe ich vor knapp einem Jahr auch schonmal beschrieben.
Geschichte hat erst begonnen! Zum NSU-Prozess und was er nicht leisten konnte.
Sehr heikles Thema.
Um Fragen der nebenkläger beantworten zu können, mag die Nebenklage ja tatsächlich ein Holzweg sein. Ich denke aber dass das Konstrukt der Nebenklage als korrektiv gegenüber schlampiger Arbeit der Behörden durchaus eine Daseinsberechtigung hat (soll ja vorkommen, dass die Polizei oder die Staaatsanwaltschaft einfach keine Lust auf schwierigere Ermittlungen hat). Sozusagen als Überwachungsmöglichkeit für einen Fortgang der Ermittlungen und um weiterführende Anträge zu stellen. Gegebenenfalls sogatr um eigene Ermittlungsergebnisse ins Verfahren einzubringen.
Das Gericht hätte mehr aufklären können.
„Eine Akte soll für 120 Jahre unter Verschluss. “
http://www.sueddeutsche.de/politik/nsu-prozess-leise-rieselt-der-staub-1.3570171
Diese Kritik finde ich unausgegoren. Das Schweigerecht ist ein Verfahrensrecht, kein Zweifel. Deshalb dürfen Gericht und StA den Angeklagten das Schweigen nicht vorwerfen. Zugleich gibt es aber keinen _moralischen_ Anspruch darauf, zu schweigen – das heißt, die Forderung an die Angeklagten, sie sollten wenigstens zur Tat stehen, ist moralisch völlig legitim. Solange klar ist, dass das keine rechtlich fundierte Forderung des Staats ist. Und da ein Strafprozess auch und vor allem dem Rechtsfrieden dient, muss es möglich sein, dass die Verletzten ihre legitimen Forderungen auch in diesem Prozess artikulieren.
Heißt: ja, die Nebenkläger müssen es akzeptieren und aushalten, wenn ein Angeklagter von seinen prozessualen Rechten Gebrauch macht. Aber genauso müssen es die Angeklagten dann aushalten, mit den moralischen Vorwürfen der Betroffenen konfrontiert zu werden.
Und wenn dann eine Angeklagte – wie im Fall Zschäpe – diese Spannung nicht mehr aushält und das Gefühl hat, sie müsse doch irgendetwas sagen – dann ist das halt so.
Man sollte das nicht überdramatisieren. Der NSU-Prozess ist einzigartig in allen Dimensionen und zeigt die rein faktischen Grenzen eines Prozesses gut auf. Als Einzelfall ist er ein schlechtes Beispiel für die Praxis.
Im Alltag, losgelöst von einem „Jahrhundertprozess“, funktioniert Nebenklage doch recht gut, was Kompensation und Beteiligteneinbindung angeht. Das fällt dann umso mehr auf, wenn man im Jugendstrafrecht bis auf Ausnahmen nicht existiert. Dann ist der Geschädigter halt wirklich nur Beweismittel, egal wie schwer er dran war.
Natürlich macht es die Verteidigung nicht einfacher, wenn dann der Nebenkläger auch noch rumnervt mit seinen Forderungen, aber üblicherweise wird man ja in klaren Fällen als Geschädigter eh zivilrechtlich vorgehen. Ob das nun gleichzeitig mit dem Prozess oder zeitlich abgestuft passiert. Beim Strafprozess hat man wenigstens dann bei einem TAO bzw. Einigung vielleicht noch einen guten Verfahrensausgang.
Nebenklage sollte man also nicht gleich verteufeln…
Das deutsche Verfahrensrecht ist insgesamt nicht für solche Mammutverfahren gemacht. Wenn 93 Nebenkläger halbwegs ernsthaft mitmachen wollen (was in München nicht der Fall war), reicht alleine das, um den Prozeß faktisch unmöglich zu machen.
Allerdings darf man auch nicht den Fehler machen, das Prozeßrecht an solchen Großprozessen durchzudeklinieren, die nur alle Jahre mal vorkommen.
Gleichzeitig liefen hunderttausende andere Gerichtsverfahren, die den Alltag bilden und für die StPO in erster Linie taugen muss.
@3 h,
hätte es eben nicht. An die Akte kommt ein Gericht nicht ran. Kann man skandalös finden, ist aber die Rechtslage.
Wieso Holzweg? Die Nebenkläger hatten doch reichlich Medienaufmerksamkeit und wer diese nutzte hatte auch die Möglichkeit, die vielen unterm Tisch gehaltenen Beweise für ein weitaus grösseres Netzwerk als das angeklagte, zu erkennen.
@crh: Sie führen aus: „Wenn das Gericht am Ende überzeugt ist, lautet die Strafe für den geständigen Mörder genauso wie die Strafe für den bestreitenden oder schweigenden Angeklagten: Lebenslang.“
Das stimmt. Aber dennoch macht es für den Angeklagten Sinn, zu schweigen. Denn wenn es sich nicht aus weiteren Beweisen im Prozess es sich zwangsläufig ergibt, dass der Mörder gegenüber vergleichbaren Taten ein deutlich höheres Maß an Schuld auf sich geladen hat, wäre es fatal, wenn sich der Angeklagte mit Ausführungen zum Tathergang genau in diese Situation manövrieren würde.
Strafverteidiger würden dem Angeklagten dann wohl raten, die Klappe zu halten, wenn die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld wie ein Damoklesschwert über ihm schwebt, von einer Sicherungsverwahrung ganz zu schweigen.
Und so sehr man sich als betroffener Angehöriger auch „Antworten“ des Mörders wünscht – ich glaube nicht, dass diese für einen normalen „Geist“ geeignet sind, insbesondere beispielsweise bei z.B. grausamer Behandlung des Opfers.
Die Funktion der Nebenklage ist ja hinlänglich bekannt. Sie dient vorrangig dem Opferschutz indem Rechte zugestanden werden, die sonst nur der Staatsanwalt hat.
Das sehen Strafverteidiger natürlich nicht gerne, weil sie sich nun nicht nur mit dem Anklagevertreter auseinandersetzen müssen, sondern auch noch mit den Nebenklägervertretern.
Das Recht des Angeklagten zu schweigen besteht unabhängig davon, ob es Nebenkläger gibt oder nicht und ich denke es gibt niemanden, der das ändern möchte. Es steht über dem Recht der Opfer, Fragen auf ihre Antworten zu bekommen. Es macht daher m.E. wenig Sinn beides, die Nebenklage und das Schweigerecht des Angeklagten, miteinander zu verknüpfen insbesondere wird das Instrument der Nebenklage nicht dadurch überflüssig, dass Fragen der Opfer offen bleiben.
Bei Umfangsstrafverfahren könnte es Sinn machen, nicht jedem Opfer einen eigenen Vertreter zuzugestehen sondern deren Zahl zu begrenzen, schon aus Gründen der Waffengleichheit mit dem Angeklagten. Das dürfte aber nur in wenigen Verfahren überhaupt eine Rolle spielen.
@Sven (#9): ich glaube, Sie haben (ungeachtet der Richtigkeit Ihres posts) chr in dem Punkt mißverstanden. Ich habe das so verstanden, daß Schweigen nicht strafschärfend wirken darf, ein Geständnis jedoch strafmildernd zu berücksichtigen ist. Da § 211 aber nur ein einziges einheitliches Strafmaß kennt, ist eine Strafmilderung ausgeschlossen, der Geständige hat also gegenüber dem Schweigenden keine Vorteile (sondern, wie Sie selbst ausführen, ggf. sogar Nachteile).
Auch wenn es aus der Sicht der Verteilung angebracht ist, dass der Angeklagte schweigt, kann der Verteidiger über Beweisanträge andere über relevante Tatsachen zum Reden bringen. Darüber hinaus, darauf wurde oben bereits hingewiesen, droht die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld oder sogar Sicherungsverwahrung. Die Rechtsprechung zum Teilschweigen macht die Sache für den Verteidiger auch nicht einfacher.
[…] wird das NSU-Urteil nicht live im TV übertragen?, und Nebenklage. Ein Holzweg?, und dann noch mein Beitrag: NSU, NSU, NSU – ein paar Gedanken/Anmerkungen am Ende des […]