Retourkutschenfragen

Der Kollege, ein hervorragender Gesellschaftsrechtler, hatte Ärger mit einer seiner Mandantinnen. Es ging – wie meistens – um’s Geld und der Streit darum wurde vor Gericht ausgetragen. Am Ende unterlag die Mandantin des Kollegen, die dann die Pferde sattelte, um eine Retourkutsche zu fahren. Sie schrieb eine Strafanzeige.

Bei der Lektüre der Mitteilung, daß gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Urkundsdelikts geführt werde, leuchteten bei dem Kollegen ein paar rote Lampen auf. Urkundenfälschung, Untreue und Betrug – das sind für einen Rechtsanwalt massiv existenzbedrohende Vorwürfe.

Der Beschuldigte machte an dieser Stelle das einzig Richtige: Er beauftragte sofort einen Strafverteidiger.

Und dann begann erst einmal die Routine: Verteidigungsanzeige an die Polizei, Absage des Vernehmungstermins bei der Polizei und Akteneinsichtsgesuch.

Bereits nach der Einsicht in die recht überschaubare Akte war klar, an der Sache ist nichts dran. Die Verteidigungsschrift an die Staatsanwaltschaft bestand aus einem Standardtextbaustein:

Der Akteninhalt bestätigt den Tatvorwurf nicht, das Verfahren ist nach § 170 II StPO einzustellen. Ich bitte um Übersendung der Einstellungsnachricht

Drei Wochen später kam die erwartete Mitteilung, daß das Verfahren eingestellt wurde.

So, und wer jetzt meint, ich hätte die Akte einfach so schließen können, der kennt die Zivilrechtler unter den Juristen nicht. Der Kollege wollte nun seinerseits einen Vierspänner auf den Weg in Richtung seiner Mandantin schicken.

Die Anzeigende und alle Personen, die derartige Erfindungen als Anzeige gegenüber der Polizei äußern, halte ich für gesellschafts- und sozialschädigend – schlicht für bösartig. So etwas kann man doch nicht auf sich beruhen lassen.

Der Kollege erwog, mich nun damit zu beauftragen, eine Gegenanzeige wegen falscher Verdächtigung zu erstatten. Ich habe ihm die folgende Geschichte erzählt:

Der Staatsanwaltschaft war der gesamte Sachverhalt bekannt. Es ist davon auszugehen, daß die Anzeige auch unter dem Blickwinkel einer falschen Verdächtigung betrachtet wurde. Dennoch hat die Staatsanwaltschaft nichts weiter unternommen. Aus dieser Sicht und auf dieser Informationsbasis hat eine weitere Strafverfolgung wohl keine Aussicht auf „Erfolg“.

Wenn Sie mögen, können Sie weiteren Aufwand in die Geschichte investieren und die Staatsanwaltschaft zur Fortsetzung der Ermittlungen veranlassen. Das wird sie machen, wenn Sie ausreichend Material und Argumente liefern. Dann werden Sie noch einmal als Zeuge von der Polizei vernommen (persönlich oder schriftlich). Sollte die Staatsanwaltschaft dann Anklage erheben, wird das Gericht sie als Zeugen laden.

Sie erscheinen dann zum Hauptverhandlungstermin im Kriminalgericht und warten auf dem zugigen Gerichtsflur auf Ihre Vernehmung. Dann wird Ihnen mitgeteilt, daß Ihre Vernehmung heute ausfällt und Sie zu einem Folgetermin geladen werden, in dem Ihnen mitgeteilt wird, daß Ihre Aussage nicht mehr benötigt wird.

Die Angeklagte wird ohne Ihre Aussage verurteilt, sie geht ins Rechtsmittel und Sie erhalten dann vom Landgericht erneut eine Zeugenladung. Diesmal werden vernommen und von einem aggressiven Verteidiger auf Ihrem Zeugenstuhl gegrillt, weil Sie der Hauptbelastungszeuge sind und er mit einer Freispruchverteidigung beauftragt ist.

Wenn Sie auf die Zeugenentschädigung setzen, die Ihnen Ihren Aufwand ausgleichen soll, besorgen Sie sich bitte vorher eine Familienpackung Papiertaschentücher – für die bitteren Tränen, die Sie weinen werden, wenn Sie realisieren, welchen Wert die Jusitz Ihrem Aufwand beimißt.

Der Kollege hakte noch einmal nach und bat mich um meinen Rat:

Ernsthafte Frage und deswegen eine halbwegs ernsthafte Antwort: Ärgern Sie sich noch ein(!)mal, trinken Sie ein Glas Wein darauf und schicken Sie dann die ganze Geschichte auf den Weg alles Irdischen. Mehr ist die Sache nicht Wert.

Ich habe dann die Akte geschlossen und aus dem einen Glas Wein wurde eine ganze Flasche, die wir zusammen bei einem kleinen, feinen Italiener in Neukölln verkasematuckelt haben.

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Bild (CC0): Gellinger / via Pixabay

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12 Antworten auf Retourkutschenfragen

  1. 1
    Kater Karlo says:

    „verkasematuckeln“ gibt’s ja wirklich im Duden! Wow!

    „(in kurzer Zeit und größerer Menge) verkonsumieren“
    soso :P

  2. 2
    Fry says:

    In der Tat, vorbildliches Deutsch hier.

  3. 3
    Hoppel says:

    Hallo,

    „verkasematuckeln“ – ich habe mich heute früh beim Lesen vor Lachen gekringelt. Und den Begriff natürlich gleich auf Arbeit benutzt. Morgen kann ich dann dank dem Kater sogar den Duden als Beweis dafür anführen, daß ich noch nicht vollkommen verblödet bin.

    Ich war schon immer der Meinung, daß sich das Lesen des Blogs von chr lohnt.

    :-)

  4. 4
    Non Nomen says:

    Ich meine hingegen, ausschlaggebend war ausschließlich der Hinweis auf den zugigen Gerichtsflur. Zivilrechtler sollen ja empfindlich sein.

  5. 5
    JuraStudent says:

    Guten Tag Herr Hoenig, hat der Mandant einen Schadensersatzanspruch in Höhe Ihrer Vergütung? Ist dieser auf die RVG Gebühren begrenzt oder erstreckt sich auch auf Honorar aus einer Gebührenvereinbarung? mfG Ihr Jurastudent

  6. 6
    Der washre T1000 says:

    Vernunft ist nicht alles.

    Ich habe auch schon wegen vergleichsweise kleinen Beträgen, von denen ich vorher wusste sie nicht einbringen zu können, Titel erwirkt und dabei einige Kosten in kauf genommen. (Rational völliger Quatsch!) Nur um dann jemanden die Hände heben zu lassen. Und die Konten nebst Paypal pfänden zu lassen. Und beim Arbeitgeber zu pfänden. Wenn dann irgendwann die Privatinsolvenz kam, habe ich auf Feststellung geklagt, wonach die Forderung auf unerlaubter Handlung beruht, damit derjenige nicht einfach so davonkam. Dann verschleppt man das Verfahren nach Möglichkeit über Instanzen jahrelang und selbst wenn es am Ende nicht klappt (hat es aber dann doch auch mal) hat man jemandem mindestens ein Jahrzehnt seine finanziellen Lebens geklaut. Rache kann so befriedigend sein…

    Es ist einfach nicht richtig, dass die Bescheisser alle davonkommen, nur weil man sie aus Bequemlichkeit und Geiz ziehen lässt.

    Wer absichtlich (!) nicht korrekt ist, der muss dafür bezahlen. Auch wenn es am Ende Zeit, Kraft und einen vierstelligen Betrag kostet. Es geht ums Prinzip sich nicht bescheissen zu lassen. Wenn sich alle wehren würden, hätten wir weniger solcher üblen Mitmenschen.

  7. 7
    schneidermeister says:

    @jurastudent:
    Greifen Sie zu einem BGB-Kommentar und sehen Sie bei § 823 nach zum Thema: „Recht auf Irrtum“ nach.
    Mit Ausnahme frei erfundener Straftaten gibt es praktisch keine Haftung für Anzeigeerstatter, und auch mit der Leichtfertigkeit kommt man bei Laien meist nicht weit, die sind da oft etwas unbedarft, denn was eine Urkundenfälschung und was zB nur eine straflose schriftliche Lüge, ist den ebenso meisten unklar wie der Umstand, dass bloßes NIchtzurückzahlen von Geld weder eine Untreue noch eine Unterschlagung ist.
    Dieses Quasi-Haftungsprivileg greift wahrscheinlich auch – wie hier- auf etwaige (nach)vertragliche Pflichtverletzungen durch. Anders ist es allenfalls im Arbeitsrecht, da wird dann mit den Fürsorgepflichten argumentiert.
    Fazit.
    1. es wird wohl nichts zu holen sein.
    2. Der größte Feind des Anwalts ist der Ex-Mandant

  8. 8
    Der wahre T1000 says:

    @ Schneidermeister #7:

    „2. Der größte Feind des Anwalts ist der Ex-Mandant“.

    Ja, da ist was dran. Aber der Anwalt kann viel unternehmen, um das zu verhindern und auch künftig einen zufriedenen Mandanten zu haben. Das fängt damit an, dass man statt unkommentierter Urteile per Post zu verschicken den Mandanten zwecks Erläuterung einlädt.

    Oder dass man nicht nickeliger als nickelig ist. Klar, Vorkasse beim Strafverteidiger ist Pflicht. Aber wenn der Mandant schon 5-stellig (jedes Jahr) bezahlt hat, dann muss man nicht wegen 3-stellig einen Mahnbescheid schicken, nur weil der Mandant – wegen Weltreise – länger als 2 Monate im Verzug ist.

    Augenmaß ist gefragt. Anwälte sind Dienstleister. Als solche sollten sie ihre Leistung nicht nur erbringen, sondern auch verkaufen! Unglücklicherweise ist das Verkaufen nicht gerade eine Stärke von Juristen…

    Darüber hinaus gilt für Anwälte das Gleiche, wie für jeden anderen Berufsstand: 40% sind Nieten, 30% machen den Job nach erwartbarem Standard, 20% sind gut und 10% sind sehr gut. Das unterscheidet sie nicht von Klempnern, Mechatronikern oder Putzfrauen – jeder in seinem Feld. Wer eine Niete oder völlig überlastet ist, der muss sich nicht wundern, wenn die Kunden unzufrieden sind. Das hat rein gar nichts mit Mandanten zu tun, sondern mit dem Umstand, dass nicht jeder Vertrag für alle Parteien befriedigend ist.

  9. 9
    N.D. says:

    Vielen Dank für das „verkasematuckelt“. Mein Wortschatz ist um ein schönes Wort reicher.

    Eine Sache interessiert mich aber noch: Das kleine aber feine italienische Restaurant. Wären Sie wohl so freundlich, den Namen dieses Etablissements mit mir zu teilen?

  10. 10
    Patenter_Anwalt says:

    @N.D.:
    Soso, Herr Hoenig soll also in „Etablissements“ verkehren…
    ;-)

    Bitte jetzt keine Wörterbuch-Abhandlungen…

  11. 11
    DonJon says:

    Um Kosten zu sparen,kann man ja auch mal – als Retourkutsche – über § 469 Abs. 2 StPO nachdenken…

  12. 12