Der Mandant hat es selbst verbockt: Statt zu dem Hauptverhandlungstermin zu erscheinen, zog er es vor, sich um wichtigere Dinge zu kümmern. Arbeiten, Biertrinken, Urlaubmachen … was weiß ich.
Die Staatsanwaltschaft und das Gericht waren darüber nicht amüsiert. Deswegen hat der Staatsanwalt den Erlaß eines so genannten Sitzungshaftbefehls nach § 230 StPO beantragt.
Ich habe als Verteidiger in so einer Konstellation nur ganz eingeschränkte Möglichkeiten – der Mandant war schließlich nicht vor Ort, obwohl er ordnungsgemäß geladen war.
Das Gericht hat also den Haftbefehl erlassen und die Sache erst einmal an die Staatsanwaltschaft zurück geben, damit die sich um die Vollstreckung des Haftbefehls kümmern mag.
Meine Aufgabe bestand nun darin, dem Mandanten dieses Ergebnis mitzuteilen. Er hat auch seine Schlüsse daraus gezogen und seinen ständigen Aufenthaltsort vorübergehend verlegt.
Daß es wenig sinnvoll ist, sich auf Dauer – d.h. mindestens noch 5, im schlimmsten Fall noch 9 Jahre – dem Verfahren durch Flucht zu entziehen, hat er mich beauftragt, mir etwas einfallen zu lassen, um eine Inhaftierung doch noch zu vermeiden.
So ein Job ist nicht einfach, weil das Gericht und die Staatsanwaltschaft den Haftbefehl nicht wieder aufheben werden, nur weil der Verteidiger lieb darum bittet.
Andererseits hatte der Mandant auch keine Ambitionen, sich freiwillig zu stellen, um dann ein, zwei oder drei Monate in einer Haftanstalt auf den Gerichtstermin zu warten.
Also habe ich dem Gericht ein Angebot gemacht, das der Richter nicht ablehnen konnte. :-)
Wir verabreden einen Termin, zu dem der Mandant in meiner Begleitung bei Gericht erscheint. Der (robenlose) Richter wird ihm dann den Haftbefehl verkünden, ihn für 5 Minuten später zum Hauptverhandlungstermin laden und seine Robe überwerfen. Der Mandant verzichtet sodann auf die Einhaltung der Ladungsfristen und schon kann’s losgehen.
Das funktioniert aber nur, wenn er ein Rundrumkomplettgeständnis ankündigt (und ablegt), denn ansonsten würde auch die Staatsanwaltschaft nicht mitspielen. Außerdem müßten bei einer streitigen Verhandlung über mehrere Tage die zahlreichen Zeugen gehört werden.
Ein Win-Win-Win-Situation also: Der Mandant kassiert den Geständnisrabatt, der Staatsanwalt muß sich nicht auf die Hauptverhandlung vorbereiten und das Gericht kann die relativ komplizierte Wirtschaftsstrafsache an einem Vormittag erledigen.
Jetzt hofft der Mandant, daß es ihm gelingt, bis zu dem vereinbarten Termin nicht doch noch gepflückt zu werden … aber insoweit bin ich optimistisch.
Update:
Hat funktioniert, obwohl doch noch ein weiterer Hauptverhandlungstermin und Zeugenanhörung erforderlich geworden war. Der Haftbefehl wurde gegen Meldeauflage außer Vollzug gesetzt, nach Urteilsverkündung dann aufgehoben. Das Urteil ist nicht rechtskräftig geworden.
Wie ist eigentlich die Erwartung beim Strafrahmen? Wird nicht mal schnell bei höheren Haftstrafen unterstellt die Strafhöhe wäre ein Fluchtanreiz mit der Folge das der Mandant noch im Saal verhaftet wird? Und bei so einer Vorgeschichte dürfte man doch eher annehmen das da jemand untertauchen könnte.
Aber Sie denken durchaus in die richtige Richtung: Allerdings ist dazu schon eine höhere (nicht mehr bewährungsfähige) Strafe notwendig. Obwohl … sicher sein kann man sich heutzutage bei nichts mehr. ;-) crh
Was ist der Unterschied von einem robenlosen Richter, der den Haftbefehl verkündet zu einem mit Robe behangenen, der die Verhandlung führt? In welchen Räumlichkeiten hat der robenlose Richter den Haftbefehl verkündet; draußen auf dem Flur?
Und damit auch jeder weiß, in welchem Verfahrensstadium man sich befindet, trägt man die Robe oder nicht.
In solchen Fällen, in denen vom Haft- ins Hauptverfahren übergeht, findet die Haftsache auch im Saal statt. Ansonsten hat jedes Gericht so seine Rituale (in Moabit z.B. haben die Ermittlungsrichter eigene … naja … Säle (aka: Stuben, Zimmer, Räume). crh
§ 20 AGGVG Berlin:
„Rechtsanwälte, Berufsrichter und ehrenamtliche Richter (mit Ausnahme der Schöffen), Staatsanwälte, Amtsanwälte und Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tragen in Strafsachen während der Hauptverhandlung und im Erkenntnisverfahren nach der Zivilprozeßordnung in allen zur mündlichen Verhandlung und zur Verkündung einer Entscheidung bestimmten Sitzungen eine von der Senatsverwaltung für Justiz zu bestimmende Amtstracht. Satz 1 gilt nicht für Rechtsanwälte in allgemeinen Zivilverfahren bei dem Amtsgericht.“
@ BV
AGGVG – Was isn das ?
Allgemeines Grundsätzliches GleichbehandlungsVerhaftungsGesetz..?
Oder so was…?
Und: Was gibt’s denn ausser Schöffen noch für ehrenamtliche Richter?
Und hoffentlich vergisst der Richter nicht, das alles fein säuberlich zu protokollieren und in der HV dann mitzuteilen, damit er nicht gar schrecklich verfassungswidrig das gesetzgeberische Gesamtkunstwerk der Verständigungsregeln beschmutzt und ein Beruhen des Urteils auf dieser Missetat daher nicht ausgeschlossen werden kann.
@meine5cent #5, das liest sich für mich eher nicht nach einer offiziellen Verständigung. Eher nach einer informellen Absprache zum weiteren Verlauf des Verfahrens.
Der Mandant hat keine Lust unbestimmte Zeit in Haft auf die Verhandlung zu warten und das Gericht keine über mehrere Verhandlungstage hoffen zu müssen das der Angeklagte wieder erscheint.
Da wird einem als Angeklagtem wenig anderes bleiben als anzubieten am Tag X im Gericht zusein und ein Geständnis abzulegen in einer spontan terminierten Verhandlung.
@crh: Also bei den Amtsgerichten in Schleswig Holstein kann der Richter bis zu 4 Jahre austeilen. Da in Berlin zumindest die StPO gilt, unterstelle ich mal, dass in Berlin auch das GVG seine Anwendung findet.
Bei einer Straferwartung bis zwei Jahre ist der Strafrichter als Einzelrichter zuständig, ab zwei Jahren das Schöffengericht.
@Pirx: Auch das Schöffengericht ist beim Amtsgericht. Und der Einzelrichter am Amtsgericht hat eine Strafgewalt bis 4 Jahre.
Wenn bei Anklageerhebung eine Straferwartung von mehr als 2 Jahren (bis zu 4 Jahren) zur Rede steht, muß zum Schöffengericht eröffnet werden.
Wurde wegen der Straferwartung von bis zu 2 Jahren vor dem Strafrichter eröffnet (wegen § 25 Abs. 2 GVG) und stellt sich im weiteren Verlauf heraus, daß eine angemessene Strafe über 2 Jahre hinausgehen wird, steht dem Strafrichter die volle Strafgewalt des Amtsgerichts nach § 24 Abs. 2 GVG zu (OLG Düsseldorf 1 Ws 293/00 (NStZ 2002, 83)), eine Verweisung nach § 270 StPO wäre dann unzulässig.
Diese Ausnahme ist mir in den über 2 Jahrzehnten noch nicht untergekommen. In praxi ist die 2-Jahres-Grenze die Regel. crh
@Philipp @Pirx @crh
Um es noch komplizierter zu machen:
Wenn über ein Verbrechen und nicht „nur“ über ein Vergehen verhandelt wird (Grundtatbestand sieht Mindeststrafe von mind. einem Jahr vor), muss grundsätzlich zum Schöffengericht eröffnet werden. Das gilt also auch dann, wenn z. B. offensichtlich ein minderschwerer Fall oder sonstige gesetzliche Milderungsgründe vorliegen und eine bewährungsfähige Strafe so gut wie sicher ist. § 25 GVG sieht das ausdrücklich so vor.
In diesem Fall geht es aber um ein Wirtschaftsdelikt, und damit höchstwahrscheinlich um ein Vergehen.
@Häh:
In der Arbeitsgerichtsbarkeit gibt es ehrenamtliche Richter, aber keine Schöffen.