Sprachliche Sensibilitäten

Die Staatsanwaltschaft München I schickt meinem Mandanten die nach § 163a StPO vorgesehene Anhörung.

Ihnen liegt zur Last … bla

Soweit, so üblich. Dann folgt bereits der erste Satz, der mir auffällt. Er klingt irgendwie anders, als das, was ich an der Uni gelernt habe, wenn der Beschuldigte sich schriftlich zu den Tatvorwürfen äußern soll.

Die Bayern so:

Nach § 163 a der Strafprozessordnung haben Sie ein Recht darauf, zu der gegen Sie erhobenen Beschuldigung gehört zu werden.

Das Gesetz so:

… daß ihm Gelegenheit gegeben wird, sich […] zu äußern.

Vielleicht bin ich zu spitzfindig. Ein Recht zu haben … ist das nicht für den Durchschnitts-Michel die Aufforderung, dieses Recht auch möglichst zu nutzen? Aber nicht Gelegenheit muß man nutzen. Wirklich nur wieder ein gespaltenes Haar?

Im weiteren Verlauf der Anhörung verstärkt sich mein Gefühl noch, der Beschuldigte soll an dieser Stelle des Verfahrens möglichst zur Äußerung veranlaßt werden.

Sollten Sie sich innerhalb der Frist nicht äußern, wird davon ausgegangen, dass Sie von Ihrem Recht, sich zu der gegen Sie erhobenen Beschuldigung zu äußern, keinen Gebrauch machen wollen.

Uiuiui. Der Beschuldigte und ein Verzicht auf sein Recht? Und dann folgt auch noch die überall (also nicht nur in München) übliche Drohung mit dem empfindlichen Übel, nach Aktenlage entscheiden zu wollen, wenn keine Äußerung erfolgt.

Ich habe zurück geschrieben:

… macht Herr Gottfried von Gluffke vorläufig von seinem Recht Gebrauch, sich durch Schweigen zu verteidigen und sich nicht zur Sache einzulassen. Nach der Akteneinsicht komme ich auf die Sache zurück.

Zur Diskussion stehen also das „Recht, sich zur Sache einzulassen“ und das „Recht, sich durch Schweigen zu verteidigen“.

Subtile Unterschiede in der Formulierung ein und am Ende desselben Rechts deuten auf die unterschiedlichen Intensionen der Formulierenden hin. Die Sprache ist nicht nur das Handwerkszeug der Juristen, sie ist manchmal auch verräterisch.

Der Gesetzgeber hat es neutraler formuliert: Die Strafverfolger sollen dem Beschuldigten die Gelegenheit geben, sich zu äußern. Der Beschuldigte kann diese Gelegenheit nutzen. Oder – besser – erst einmal nicht.

Aber nun noch ein Zitat aus der Anhörung zur Ehrenrettung der bayerischen Strafverfolger, die auf weitere wesentliche Rechte hinweisen:

Es steht Ihnen jedoch nach dem Gesetz frei (§ 136 Abs. 1 StPO), ob Sie sich zu der Beschuldigung äußern wollen oder nicht. Auch können Sie jederzeit einen von Ihnen zu wählenden Verteidiger befragen und einzelne Beweiserhebungen beantragen. Unter den Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 und Abs. 2 StPO (d .h. insbesondere bei einer besonderen Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage oder bei einer Straferwartung von mehr als einem Jahr) können Sie die Bestellung eines Pflichtverteidigers beanspruchen.

Der frühe Hinweis auf das Recht, sich an einen Verteidiger zu wenden, ist nicht nur richtig, sondern auch gesetzlich zwingend vorgeschrieben.

Dann aber hat der staatsanwaltliche Textbaustein zugunsten des Beschuldigten übertrieben: Die Bestellung eines Pflichtverteidiger bereits im Ermittlungsverfahren kommt äußerst selten vor. Daß dennoch darauf hingewiesen wird, beweist, daß nicht alles, was eine Staatswaltschaft schreibt, schlecht sein muß. ;-)

An dieser Stelle aber noch einmal die eisenharte Regel:

Erst die Aktensicht. Dann die Stellungnahme.
Niemals, NIEMALS!, in umgekehrter Reihenfolge.

Detaillierte Infos und Einzelheiten zu dem Thema „Wie reagiert man am besten auf einen Strafvorwurf?“ gibt es hier, in unseren „Sofortmaßnahmen“.

Dieser Beitrag wurde unter Ratgeber Strafrecht, Staatsanwaltschaft, Strafrecht veröffentlicht.

11 Antworten auf Sprachliche Sensibilitäten

  1. 1
    OHG says:

    Das „Recht“ auf Beschuldigung setzt sich eben im Süden langsam durch :-P

  2. 2
    Bernd says:

    Nee, sie sind nicht zu spitzfindig. Das hat man sich dort „schön“ formuliert um den Prozentsatz derer zu erhöhen, die ihren Rat in falscher Reihenfolge arbarbeiten und damit dem Gegner in die Hände spielen.

  3. 3
    WPR_bei_WBS says:

    Ja, das (also die erste Formulierung) halte ich für zu spitzfindig von Ihnen. Ein Recht zu haben impliziert keineswegs, es auch zu nutzen müssen. Ich finde die Formulierung (wenn ich jetzt mal spitzfindig sein darf) sogar besser als die im Gesetz: Ein Recht zu haben, aktiv formuliert, ist (sprachlich) weitaus stärker, als wenn, passiv formuliert, im etwas gegeben wird. Aber kein Vorwurf dafür an Sie: Gebranntes Kind und so, erst recht wenn es um Bayern geht :-).

  4. 4
    Reiner says:

    Auf den ersten Blick mag das harmlos sein.
    Auf den zweiten Blick sträuben sich einem allerdings die Nackenhaare. Sie dürfen sich alleruntertänigst zur Sache äussern! Wenn Sie das nicht tun werden respektive müssen (wie soll ich „wird davon ausgegangen…“ denn sonst deuten?) wir das leider leider zu Ihrem Nachteil auslegen.

  5. 5
    Rechtsstaat says:

    Die Formulierung der Staatsanwaltschaft München I ist rechtsstaatlich bedenklich, weil es sich um Volljuristen handelt, die wissen, wie die Rechtslage eigentlich aussieht.

  6. 6
    Subsumtionsautomat says:

    Ich finde Sie sind da ein wenig zu kritisch, denn wenn im Gesetz steht, dass jemandem Gelegenheit gegeben werden soll, etwas zu tun, dann ist gerade das eben sein Recht! Genausowenig MUSS man von seinem Recht Gebrauch machen, wie man eine Gelegenheit nutzen MUSS, auch wenn einem die Werbung manchmal anderes suggeriert!

    Außerdem unterstellen sie, dass die Staatsanwaltschaft München ein Interesse daran hat, dass sich der Beschuldigte äußert: Das kann aber allerhöchstens dann der Fall sein, wenn die Äußerung auf ein vollständiges Geständnis hinausläuft, was aber nicht zwingend zu erwarten ist. Eine bestreitende Einlassung mit abweichender Sachverhaltsschilderung macht im Zweifel sehr viel mehr Arbeit, da sie ggf. dazu führt, dass man das Verfahren nicht mehr einfach mangels Tatverdachts einstellen kann, weil z.B. die Anwesenheit am Tatort eingeräumt wird, für eine Anklageerhebung bzw. später für eine Verurteilung aber den abweichenden Inhalt der Einlassung widerlegen muss. Die Frage, ob sich der Beschuldigte überhaupt äußert, dürfte durch die Staatsanwaltschaft daher zunächst einmal neutral betrachtet werden – auf den Inhalt kommt es an. Ich glaube daher nicht, dass sich irgendjemand bewusst Gedanken gemacht hat, wie man das Ganze formulieren kann, um die Einlassungsbereitschaft zu fördern.

    Und wenn der Beschuldigte ausdrücklich aufgefordert würde, nicht zu reagieren oder sich zumindest nicht ohne Rücksprache mit einem Rechtsanwalt und Einsichtnahme in die Akte zu äußern, würde das auch nicht ganz dem Gesetz und der Funktion der Staatsanwaltschaft entsprechen und – gerade bei Bagetellvorwürfen – unter Umständen zu vermeidbaren Kosten führen. Man kann durchaus erwarten, dass sich der Beschuldigte selbst um seine Interessen kümmert – wenn er krank ist, muss er ja auch selbst entscheiden, ob er einen Arzt aufsucht oder die Sache aussitzt.

    • Es ehrt einen Strafverteidiger, wenn ein Richter oder Staatsanwalt ihn für „ein wenig zu kritisch“ hält; diese kritische (sensible) Distanz gehört, wie ich meine, zu den Essentials einer engagierten Strafverteidigung.
       
      Wir sind uns einig darin, daß der Sachbearbeiter bei der Polizei in den Fällen, in denen eine Anhörung per Post verschickt wird, sich in der Regel nicht darüber ärgert, wenn der Beschuldigte sich nicht äußert – macht das doch, wie Sie zutreffend schreiben, deutlich weniger Arbeit (hier schlagen wieder meine Vorurteile durch. ;-) ). Aber – und das ist entscheidend – die Textbausteine, die der Beamte nutzt, sind in der „Teppich-Etage“ der Ermittlungsbehörde verfaßt und entwickelt worden. Deren Ductus verrät einiges über die Einstellung der Chefermittler zu den Schutzrechten der Beschuldigten. Ob sich tatsächlich „irgendjemand bewusst Gedanken gemacht“ hat, kann unter diesem Aspekt dahin gestellt bleiben. Das Unterbewußtsein ist verräterisch.
       
      Zur Funktion einer Staatsanwaltschaft rege ich dringend die Lektüre des § 160 II StPO an. ;-) Dazu gehört auch der deutliche(!) Hinweis an den Beschuldigten, sich zur Früherkennung zum „Arzt“ (aka: Strafverteidiger) zu begeben.
      crh
  7. 7
    Gast says:

    >> „Sofortmaßnahmen“.
    Sind die noch nach aktuell? Wurde da nicht kürzlich etwas an der SPO gedreht, dass man „Zeugen“-Vorladungen durch „beauftragte der Staatanwaltschaft“ Folge leisten muss? Da dürfte die Info, dass man Vorladungen durch die Polizei nicht Folge leisten muss, nicht mehr ganz aktuell sein.
    Wobei der Übergang zwischen Zeuge und Beschuldigter fließend sein kann. Und die würden sicher nie auf die Idee kommen, einen potetiell Tatverdächtigen als „Zeuge“ zu laden ;-)

    • Sie haben Recht, da muß nochmal dran gearbeitet werden. -> ToDoList crh
  8. 8
    ratlos says:

    Man wird doch hinterhältigerweise immer erst als Zeuge geladen. Selbst wenn man mit dem jetzigen Gegner allein im Wald war.

  9. 9
    quicker-easier says:

    [Hatte ich das nicht schonmal erwähnt? Ich mag gepflegte Umgangsformen.

    Auch Kritik und gegenteilige Ansichten kann man formulieren, ohne gleich ausfallend zu werden. Hier ist nicht das Heise-Forum. Schade um den schönen (nun gelöschten) Inhalt Ihres Kommentars. crh]

  10. 10
    -thh says:

    Dann aber hat der staatsanwaltliche Textbaustein zugunsten des Beschuldigten übertrieben:

    Keineswegs. Die Belehrungen sind in § 136 Abs. 1 StPO vorgeschrieben. Ja, auch die Belehrung über die „Beanspruchung“ eines Pflichtverteidigers, und mittlerweile auch der Hinweis darauf, dass der Beschuldigte die Kosten des Pflichtverteidigers zu tragen hat, wenn er verurteilt wird.

    Sie haben Recht, dass das wenig Sinn macht; gleichwohl hat es der Gesetzgeber vorgeschrieben. Möglicherweise im Gegensatz zu Ihnen kennt (und beachtet) die Staatsanwaltschaft – wahrscheinlicher: derjenige, der die Textbausteine erstellt hat … – die gesetzlichen Vorschriften der StPO. ;)

  11. 11
    quicker-easier says:

    @crh: das war schon zu ausfallend? Ganz schön eisiger Wind der Netiquette, der einem hier ins Gesicht bläst… Aber ok, ist Ihr Forum und der Käpten hat immer recht, deshalb:
    1. sorry, war überhaupt nicht als persönlicher Angriff gemeint;
    2. hier nochmal in freundlicher:

    Ihre Auslegung, die StA müsse einen Beschuldigten nach § 160 II StPO zum Anwalt schicken, halte ich für falsch. Die StA muss ihn über seine Rechte belehren (oder durch die Polizei belehren lassen), aber sie muss ihm keine taktischen Tipps geben, wie er sich am besten verteidigen sollte. Wenn jemand (nach ausreichender Belehrung!) bereit ist, ohne Anwalt ein Geständnis abzulegenoder sich sonst irgendwie um Kopf und Kragen zu reden, ist es sicher nicht Aufgabe der StA, ihn daran zu hindern. Ganz im Gegenteil: Man könnte sogar auf unangenehme Ideen wie Strafvereitelung im Amt kommen…

    • Na bitte, geht doch. Danke! crh