Der Beitrag von gestern zum Thema Zeithonorar motivierte die die Blog-Leserin Kristina, in einem Kommentar zu einer uns häufig gestellten Frage:
Vorneweg die knackige Antwort: Nein! Dieser Umkehrschluß ist falsch. Aus mehrerlei Gründen.
1. Beratungshilfe und Strafrecht
Die Beratungshilfe (BerH) ist im – na, wo? Richtig! – Beratungshilfegesetz (BerHG) geregelt. Nach § 1 BerHG gibt es finanzielle Unterstützung bei der Wahrnehmung von Rechten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens, und zwar in allen rechtlichen Angelegenheiten. Also grundsätzlich auch im Strafrecht. Allerdings mit einer Einschränkung (§ 2 Abs. 2 S. 3 BerHG):
In Angelegenheiten des Strafrechts und des Ordnungswidrigkeitenrechts wird nur Beratung gewährt.
Es gibt also keine strafrechtliche Vertretung (oder gar Verteidigung), sondern nur warme Worte. Mehr kann es tatsächlich nicht geben, weil zu einer fundierten Beratung im Strafrecht die Akteneinsicht gehört – ohne Ermittlungsakte kann ein Verteidiger keinen konkreten Rat erteilen, weil er nicht weiß, was die Ermittlungsbehörde weiß. Eine Beratung bezogen auf ein konkretes Problem nur auf der Basis von Informationen des Ratsuchenden zu liefern, funktioniert nicht.
Die Besorgung der Akteneinsicht durch den Rechtsanwalt wäre allerdings dann schon keine reine Beratung mehr; deswegen werden die Kosten dafür auch nicht von der Beratungshilfe übernommen (OLG Bamberg, Beschl. v. 08.02.2016 – 4 W 120/15).
Um die Frage von Kristina zu beantworten: Wir leisten dennoch Beratungshilfe und zwar hier und dort. Und das ganz ohne die Selbstbeteiliung des Ratsuchenden in Höhe von 15 Euro (§ 44 RVG iVm Ziffer 2500 VV) zu verlangen und ohne, daß sich der Ratsuchende sich mühsam den Beratungshilfeschein beim Amtsgericht (§ 4 BerHG) abholen muß.
2. Prozeßkostenhilfe und Strafrecht?
Die Prozesskostenhilfe (PKH) – früher als „Armenrecht“ bezeichnet – ist in § 114 ZPO geregelt, der bedürftigen Klägern oder Beklagten eine finanzielle Unterstützung gewährt. Dadurch soll gewährleistet werden, daß auch arme Menschen Verfahren vor den Zivil-, Verwaltungs-, Arbeits-, Finanz- und Sozialgerichten, dem Bundespatentgericht sowie dem Bundesverfassungsgericht führen können. Die PKH ist also eine Art Sozialhilfe im Bereich der (meist Zivil-)Rechtspflege.
Für das Strafrecht gibt es bis auf wenige Ausnahmen (Nebenklage, Adhäsion …) keine Prozeßkostenhilfe. Jedenfalls bisher noch nicht.
3. Notwendige Verteidigung / Pflichtverteidigung
Die sozialstaatlich gewährte PKH wird nicht selten mit der notwendigen Bestellung eines Pflichtverteidigers verwechselt (so auch von der Fragestellerin Kristina). Eine Verteidigung ist nicht nur schon allein deswegen notwendig, weil der Beschuldigte kein Geld für den Verteidiger hat. Notwenig kann hingegen eine Verteidigung auch dann sein, wenn der Beschuldigte Dagobert Duck heißt und im Geld schwimmt.
Notwendig ist eine Verteidigung regelmäßig dann, wenn der Beschuldigte mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr rechnen muß. Dies wäre zum Beispiel bei einem Ladendiebstahl oder einer leichten Körperverletzung regelmäßig nicht der Fall, wohl aber bei einem Raub. Geregelt ist das alles in § 140 Strafprozeßordnung (StPO). Dort sind weitere Fälle der notwendigen Verteidigung beschrieben.
Wer sich das Zitat in einem vertiefenden Zusammenhang anschauen möchte, kann sich – kostenlos – hier beraten lassen.
4. Übernahme von Pflichtverteidigungen
Ich unterstelle einmal, die Frage von Kristina lautet eigentlich:
Übernimmt die Kanzlei Hoenig auch Pflichtverteidigungen?
Auch dafür habe ich eine knackige Antwort: Na klar doch!
Es gehört zum Selbstverständnis eines Strafverteidigers auch den Menschen zur Seite zu stehen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens aufgewachsen sind.
TL;DR
- Beratungshilfe im Strafrecht ist sinnlos.
- Prozeßkostenhilfe im Strafrecht gibt’s nicht.
- Pflichtverteidigung ist keine Sozialhilfe. Sondern notwendig.
Das ist hinsichtlich der Kosten der Akteneinsicht durchaus nicht so klar; wird von vielen Gerichten anders gesehen als in Bayern, s. z. B. https://www.burhoff.de/burhoff/rvginhalte/1716.htm
Ich hätte gesagt, dass die Frage von Kristina spezifischer war und hätte lauten sollen:
„Übernimmt die Kanzlei Hoenig Pflichtverteidigungsfälle in Steuersachen (auch wenns aufwändig wird)?“
Keine Ahnung ob das die gleiche Antwort wäre, aber die generelle Antwort muss nicht zwingend auch für den speziellen Fall gelten…
Lieber Herr Hoenig,
diese Antwort verstehe ich nicht so ganz.
In Ihrem Beitrag oben haben Sie geschrieben:
„Notwendig ist eine Verteidigung regelmäßig dann, wenn der Beschuldigte mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr rechnen muß. …“
Dies ist doch ein Strafmaß, welches durchaus in einigen Steuerstrafverfahren erreicht werden kann (s. Herr Hoeneß).
Oder geht es Ihnen um eine strikte Trennung zwischen Steuersachen und Steuerstrafverfahren bzw. Strafverfahren, die aus den Steuersachen entstehen?