Verteidiger will Knast für eigenen Mandant

Am Ende einer Beweisaufnahme stehen die Schlußvorträge der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung. Diese Plädoyers schließen in der Regel mit den Anträgen, wie das Gericht auf das festgestellte Verhalten der Angeklagten reagieren soll.

Nachvollziehbar ist es, wenn die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe fordert, wenn der Angeklagte aus deren Sicht die ihm zur Last gelegte (schwere) Tat begangen hat.

Was den Antrag der Verteidigung betrifft, habe ich so meine Problem damit. In der taz vom 26.04.2018 heißt es:

Der eigene Verteidiger, dem die Mandantin über die lange Zeit des Verfahren vertraut hat, beantragt am Ende für sie eine langjährige Freiheitsstrafe.

Muß das so sein?
Ich finde: Nein.

Zum einen bleibt es dem Verteidiger unbenommen, schlicht keinen Antrag zu stellen. Zum anderen, macht das Gericht sowieso, was es will – höflich formuliert: Die Anträge der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung binden das Gericht nicht.

Der Schlußvortrag des Verteidigers sollte einen Antrag entbehrlich machen. Es reicht doch völlig, wenn die Zuhörer verstehen, was Ziel der Verteidigung ist und wie sie das Ergebnis der Beweisaufnahme sieht. Es schmeckt schal, wenn ein Verteidiger seinen Mandanten in den Knast schicken will.

Ich beschränke mich in meinen Plädoyers daher in der Regel auf den Antrag, eine Strafaussetzung zur Bewährung auszurteilen oder den Haftbefehl aufzuheben bzw. außer Vollzug zu setzen, wenn diese Ziel im Bereich des Möglichen liegen. Wenn nicht, schließe ich meinen Vortrag ab mit den Worten: „Ein konreter Antrag der Verteidigung ist daher entbehrlich.“

Obiter dictum:
Dieses – auch für manchen Mandanten – unübliche Verhalten des Verteidiger muß vorher abgesprochen sein. Damit der Mandant nicht denken muß, nur wegen des fehlenden Antrags seines Verteidiger zu einer hohen Haftstrafe verurteilt worden zu sein.

Wie sieht die Gemeinde das? Darf der Verteidiger eine Freiheitsstrafe für seinen Mandanten fordern?

Sollte der Verteidiger einen Schluß-Antrag stellen?


     

 

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(Anm.: Ich habe bewußt die Variante „Es kommt drauf an!“ weggelassen; bitte entscheiden Sie sich zwischen den beiden Altenativen. Auch der grobe Unfug: „Ich beantrage eine milde Strafe.“ steht nicht zur Wahl. )

Dieser Beitrag wurde unter Mandanten, Strafverteidiger veröffentlicht.

21 Antworten auf Verteidiger will Knast für eigenen Mandant

  1. 1

    Aber es kommt doch nun einmal darauf an! Und: Ankertheorie analog. Wenn eine Verurteilung unumgänglich ist, kann, zumindest bei Schöffen, eine Erklärung, warum „jedenfalls nicht mehr als 3 Jahre und 9 Monate“ durchaus etwas auslösen.

  2. 2
    Hans Adler says:

    Aus Presseberichten und den Plädoyers der Nebenklage schließe ich, dass das alles wohl kein gewöhnlicher Prozess war, sondern eher ein politischer Schauprozess, bei dem nun mal besondere Bedingungen gelten. (Die ganzen verstrickten „Verfassungsschützer“ müssen geschützt werden. Dazu möglichst noch ein Signal nach rechts, gefälligst ein bisschen vorsichtiger zu sein. Und dem Rest der Bevölkerung signalisieren, dass man alles voll im Griff hat.) Demnach ist das Ergebnis wohl schon längst ausgehandelt, und für das Wohlverhalten der Verteidigung, zu dem auch die Beantragung einer Haftstrafe in passender Höhe gehört, wird es wohl eine Belohnung geben. Z.B. Vollstreckung in einem Knast mit hoher Nazidichte im Vollzugspersonal.

  3. 3
    egal says:

    Gefühlsmäßig ist das zwar verständlich, es soll ja zudem auch Fälle gegeben haben, in denen das Gericht unter den „Forderungen“ der StA und der Verteidigung geblieben ist, was dann besonders peinlich für die Verteidigung ist. Deswegen beziehen sich manche Verteidiger auf generell eine „milde Bestrafung“.

    Allerdings finde ich das gänzliche Auslassen der Mitteilung eher fachlich schwierig, wenn man nicht gerade im Kap-Bereich agieren muss (wie bei Tschäpe & Co), denn gerade im unteren Bereich ist es ja typisch, dass das Gericht irgendwas zwischen Verteidigung und StA nimmt und wenn man da nicht seinen „Ankerpunkt“ setzt und nur die StA ne Zahl nennt, kann man noch soviel reden wie man will, aber Zahlen haben ne eigene Wirkung (und stehen zumeist auch im Protokoll, während der Schlussvortrag – wenn überhaupt nur verkürzt widergegeben wird).

    Es soll auch Richter geben, die einen Verteidiger als Organ der Rechtspflege nicht ernstnehmen können, wenn der nur als Verteidiger und nicht als unabhängiges Organ auftritt. Als unabhängiges Organ, also auch losgelöst vom reinen Parteivertreter, solle er dann seine fachliche Ansicht mitteilen, welche Bestrafung er für angemessen hält. Klingt etwas unterwürfig, ist aber wohl in Fällen, in denen man auf gerichtliche Einsicht und Milde angewiesen ist (Wiederholungstäter, Bewährungsfragen) manchmal aber sinnvoll, je nach Stimmung und Ergebnis des Verfahrens.

  4. 4
    Mirko Laudon says:

    Ich schließe mich dem Kollegen Werner Siebers an. Manchmal will man auf einen minder schweren Fall hinaus, dann sollte man m.E. unbedingt eine gut begründete Zahl in den Raum stellen. Außerdem muss manchmal die unsinnige Einsatzstrafe der Staatsanwaltschaft korrigiert werden und schon spricht man über Zahlen. Kein Antrag ist bei mir eher die Ausnahme.

  5. 5
    Rechtsanwalt Jörg Jendricke says:

    Was Werner Siebers #1 geschrieben hat.

  6. 6
    Martin Overath says:

    Bei einem positiven Schuldinterlokut sollte ein schuldangemessener engerer Strafrahmen beantragt werden, damit die Schöffenden eine Argumentationshilfe in die Beratung mitnehmen.

  7. 7
    RA Ullrich says:

    Es ist psychologisch erwiesen, dass die widerstreitenden „Angebote“ der Beteiligten bei einer Zumessungsentscheidung, bei der die anzuwendenden Kriterien nicht zu einem eindeutig definierten Ergebnis führen, tendenziell Einfluss auf den Entscheider ausüben, sich irgendwo zwischen den beiden in den Raum gestellten Zahlen anzusiedeln – und zwar selbst dann, wenn er eine oder beide dieser Zahlen für abwegig oder irrelevant hält (sicher nicht bei allen Menschen und nicht in allen Fällen, aber häufig)! Wenn daher offensichtlich weder Freispruch noch bewährungsfähige Strafe in Betracht kommen, dann beantrage ich auch die Haftstrafe für den eigenen Mandanten – und setze die Zahl so niedrig, dass ich dabei billigend in Kauf nehme, belächelt zu werden. Die Strafe wird gewiss nicht höher ausfallen, nur weil der Verteidiger in den Augen des Richters absurd niedrig geboten hat, schlimmstenfalls hat der Antrag eben nichts bewirkt. Aber bestenfalls hat es den Richter indirekt beeinflusst, vom Antrag der Staatsanwaltschaft doch noch ein gutes Stück runter zu gehen, während er ohne Alternativzahl womöglich nur den Antrag der StA im Blick gehabt hätte und zu dem Ergebnis gekommen wäre „Na ja, ist doch eine ganz angemessene Zahl, können wir übernehmen.“

  8. 8
    WPR_bei_WBS says:

    Ich kann mir schon vorstellen, dass das auch eine gewisse unterbewusste Konditionierung der Richter (vor allem der Schoeffen) in die Richtung „Er / Sie ist ja einsichtig und bereut, das muss auch honoriert werden“ hat, wenn man mit einer konkreten Strafforderung um die Ecke kommt.

    Gleichzeitig wird es wohl dem unterbewussten Effekt „Na, an der Forderung der Staatsanwaltschaft wird dann ja was dran sein, wenn der Verteidiger schon keine Gegenmeinung dazu hat.“ vorbeugen.

    Und gerade im Fall Zshaepe kann ich mir jetzt schon vorstellen, dass der Gedankengang der Verteidigung ist „um Gottes willen Lebenslang, Sicherungsverwahrung und besondere schwere der Schuld vermeiden – da ist man dann naemlich defakto nur noch dem Goodwill der Richter in der Zukunft ausgeliefert“.

  9. 9
    WPR_bei_WBS says:

    @ Hans Adler

    Unsere taegliche Verschwoerungstheorie gib uns heute…

    Auch wenn’s Sie vermutlich nicht interssiert, hier ein paar Fakten:

    – Ausgerechnet die „Vertrauensverteidiger“ des Appeasements zu bezichtigen ist schon irgendwie Realsatire

    – Eine nicht astrein dokumentierte Absprache wuerde in Karlsruhe schneller zur Aufhebung des Urteils fuehren, als man in Muenchen „Revisionsgrund“ sagen kann – warum sollten sich Goetzl & Kollegen (und auch die Staatsanwaltschaft) das antun?

  10. 10

    Bei mir gibt es aus guten Gründen nur zwei Anträge: „Freispruch“ oder „milde Strafe“, nur ganz selten „kein Antrag“. Dafür aber gibt es regelmäßig Ausführungen dazu, aus welchen Gründen im Einzelnen das von der StA gewählte Strafmaß zu hoch gewählt ist.

    Was man von mir auch nie hört: „Zulasten des Angeklagten spricht…“ – wer bin ich, dass ich so etwas plädieren dürfte/sollte?

  11. 11
    Organ der Rechtspflege says:

    @RA Thorsten Hein,

    Sie sind ein unabhängiges Organ der Rechtspflege, § 1 BRAO.

  12. 12
    Schnoffel says:

    Ankertheorie, sehe ich ähnlich. Wenn gänzlich ausgeschlossen ist, dass der Mandant einen Freispruch oder eine Bewährungsstrafe erhält, vielmehr die lebenslange Freiheitsstrafe im Raum steht mit besonderer Schwere der Schuld oder Sicherungsverwahrung, dann finde ich das schon sinnvoll, weil der Verteidiger damit signalisiert, in gewisser Hinsicht realistisch zu sein. Die Chance, dass man vom Richter ernst(er) genommen wird, steigt dadurch. Vielleicht. Womöglich.

    Eindeutig finde ich jedoch, dass der Verteidiger das ausschließlich dann machen darf, wenn der Mandant damit einverstanden ist. Ist das nicht abgesprochen, sehe ich darin eine grobe Verletzung des Mandantenverhältnisses.

  13. 13
    Senior says:

    ich finde die Überlegungen von Udo Vetter dazu gar nicht so blöd….

  14. 14
    Kassandra says:

    Langjährige Freiheitsstrafe?
    In Anbetracht der Tatvorwürfe ist eine von der Verteidigung geforderte Haft von 10 Jahren ja wohl sehr milde. Auch angesichts dessen, dass die Angeklagte schon seit mehreren Jahren in U-Haft sitzt, was beim Urteil natürlich angerechnet wird. da wäre sie also schon nach wenogen Jahren wieder frei.
    Die Verteidigung will die Sache wohl vor allem revisionsfest machen.

  15. 15
    Ankereffekt says:

    Ja, richtig, der Ankereffekt ist empirisch erwiesen und findet sich in jedem wissenschaftlichen Lexikon der Psychologie. Nur: Das ist kein Geheimwissen. Auch Berufsrichter können lesen und auch Berufsrichter kennen diesen Effekt. Zu glauben, man könne dadurch einen Richter beeinflussen, ist eher Wunschdenken. Und was bitte haben denn ehrenamtliche Richter tatsächlich zu melden? Der/die Berufsrichter norden sie ein und fertig.

  16. 16
    Kai says:

    Kurze Off Topic Frage an WPR_bei_WBS.
    Darf man erfahren, was ihr Namenskürzeln bedeutet?
    Haben Sie etwas mit der Kölner Kanzlei Wilde Beuger Solmecke zu tun?

  17. 17
    HugoHabicht says:

    Hier wird der Sachverhalt aber arg verkürzt dargestellt. Die Verteidiger haben mitnichten „zehn Jahre“ gefordert, sondern „*höchstens* zehn Jahre“. Das ist doch schon ein erheblicher Unterschied.

    Dass Zschäpe nicht ohne Haftstrafe davon kommt, ist nach ihrem eigenen Geständnis („besonders schwere Brandstiftung“ = minimum fünf Jahre) unumgänglich. Da gerade diese Verteidiger (gegen den öffentlich erklärten Willen der „Altverteidiger“) Zschäpe auf Geständniskurs gebracht haben, wäre es ziemlich aberwitzig, jetzt davon abzurücken. Verteidiger, die zum Strafmaß so gar nix beizutragen haben, empfinde ich immer als etwas unsoverain, wenn eine Freispruchverteidigung unrealistisch ist.

  18. 18
    WPR_bei_WBS says:

    @ Kai

    Kein Problem :-). Aber nein mit der Kanzlei hat das nichts zu tun, so stark bin ich dann formal bzw. beruflich doch nicht in der Juristerei.

    Bezieht sich auf eine sehr gute (wenn auch berüchtigte) Lehrveranstaltung bzw. Fach meines Studiums und den entsprechenden Professor:

    *W*irtschafts*p*rivat*r*echt bei *W*olfgang *B*. *S*chünemann

    Also auch noch „Zivilist“ :-)

  19. 19
    HD says:

    Wer auf Grundlage des Ankereffekts argumentiert, scheint zu denken, dass das Gericht sich vor den Schlussvorträgen noch keine Gedanken zu Strafhöhen gemacht hat, also den Anker noch nicht selbst für sich gesetzt hat? Ist nicht überzeugend.

  20. 20
    RA Ullrich says:

    @ Ankereffekt: Wenn Sie glauben, dass allein das Wissen um diesen Effekt jemanden vor dessen Auswirkungen schützt, dann sollten Sie nochmal nachlesen. Der Ankereffekt wirkt unterbewusst. Wenn ich den Effekt kenne, kann ich zwar versuchen, rational gegenzusteuern und meine Überlegungen zu überprüfen, das geht aber nur begrenzt bei einer Entscheidung die wirklich im Ergebnis so wachsweich ist wie die Strafzumessung, denn Sie haben die Zahlen bereits im Kopf und der Effekt ist da, während es zugleich im Graubereich der tatsächlich einigermaßen angemessenen Strafe kein streng rationales Korrektiv gibt. Man kann zwar bei der Begründung der Strafzumessung sehr viel revisionsträchtig falsch machen, aber selten ist das Ergebnis eindeutig falsch. Wenn ich bei einem Delikt einen Strafrahmen von 5-15 Jahren habe, dann kann ich mit exakt denselben Strafzumessungserwägungen für denselben Fall ohne Weiteres sowohl 9 Jahre als auch 11 Jahre begründen.

    @ HD: Die Richter (zumindest der Berichterstatter, der in der Schlussberatung den Vorschlag machen muss) haben während der Verhandlung sicher schon eine ungefähre Vorstellung, was denn da – wenn sich der Sachverhalt nach Aktenlage bestätigen sollte – als Strafe herauskommen könnte, was den Ankereffekt in der Tat deutlich abmildert. Untereinander ausdiskutiert haben Sie es hingegen im Regelfall noch nicht, schon gar nicht mit den Schöffen, und sie haben auch nicht vor den Plädoyers schonmal das fertige Urteil als Entwurf in der Schublade (das sehen Sie z.B. auch schon daran, dass es nur äußerst selten vorkommt, dass Gerichte höhere Strafen ausurteilen als der Staatsanwalt beantragt). Insofern können die Anträge durchaus noch einen gewissen psychologischen Effekt haben.

  21. 21