Mein Mandant ist Rechtsanwalt, der sich als Urheber- und Wettbewerbsrechtler berufsbedingt auf der Gegenseite keine Freunde macht.
Es ist nicht selten, daß sich die Gegner gegen die von ihm erhobenen Ansprüche seiner Mandanten mit einer Strafanzeige „wehren“. Das hatte der Kollege in den meisten Fällen bisher erstaunlich gut im Griff gehabt; die gegen ihn eingeleiteten Verfahren wurden sämtlichst nach seiner kurzen Stellungnahme wieder eingestellt.
Diesmal ist der Fall jedoch etwas komplexer: Es gibt komplizierte Rechtsverhältnisse und mehrere Beteiligte. Deswegen mach der Anwalt das einzig Richtige: Er läßt die Finger von einer Selbstverteidigung und beauftragt einen Strafverteidiger; das bin nun ich.
Bei uns startet zunächst das Standardprogramm: Ich zeige bei der Staatsanwaltschaft an, daß mich der Kollege mit seiner Verteidigung beauftragt hat, und beantrage Akteneinsicht.
Nach ein paar Wochen habe ich noch einmal an das unerledigte Akteneinsichtsgesuch erinnert. Die Staatsanwaltschaft schreibt mir per Briefpost:
Es wird mitgeteilt, dass die Ermittlungen noch andauern.
Vier Monate nach meiner Verteidigungsanzeige liegt heute Morgen die Ermittlungsakte in meinem Fach. Allerdings nicht in einem Umschlag der Staatsanwaltschaft. Sondern die Original-Akte steckte in einem Umschlag des Mandanten!
Die Geschäftsstelle hat nicht aufgepaßt und die Anwälte verwechselt; die Mitarbeiterin hat dem beschuldigten, statt dem verteidigenden Rechtsanwalt die Akte übersandt. Und zwar auf einfachem Postweg.
Der Kollege hat selbstverständlich der Versuchung widerstanden, die Akte in den Schredder zu stecken. Ob der Akteninhalt dann wieder hätte rekonstruiert werden können, glaube ich eher nicht. Das hätte dann – wenn auch nach einigen Querelen – zur sicheren Einstellung des Verfahrens geführt. Statt dessen hat der Kollege die Akte an seinen Verteidiger weitergeleitet.
Was mache ich als Verteidiger nun aus dieser Situation?
Soll ich den zuständigen Oberstaatsanwalt auf den Fehler hinweisen? Dieser „Verrat“ hätte mit großer Sicherheit ein Riesentheater für die Mitarbeiterin zur Folge. Der Fehler der Geschäftsstelle könnte andererseits aber auch dem Mandanten nützen, der sich trotz der großen Versuchung immerhin vollkommen korrekt verhalten hat.
Ich habe das Problem an unsere Referendarin weiter gegeben. Mag sie die Entscheidung treffen. Hilft ihr jemand? :-)
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Bild: © Kurt Michel / pixelio.de
Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Auch bei einem Verteidiger können Fehler auftreten. Also etwas Großzügigkeit oder Größe wird daher der richtige Weg sein. Eventuell nur die Mitarbeiterin telefonisch vom Fehler unterrichten, wer weiß, wobei es mal hilft. Man begegnet sich schließlich öfter im Leben.
Dürften wir bei Fehlern auf Nachsicht der Justiz hoffen? Siehste!
Referendarin? Akte? Welche Akte? Wann?
Das Vernichten von Urkunden, dann noch als RA, sollte wohl nicht zum Handlungsspektrum gehören. Abgesehen vom Straftatbestand sollte der berufliche Ethos (und das Berufsrecht) dagegen sprechen. Natürlich verschwindet so vieles auf dem Postweg, aber wer sonst so hohe Maßstäbe anlegt, sollte wohl diesen Weg nicht wählen. Üblicherweise kann man sowieso Akten rekonstruieren.
Es muss schon sehr schlecht um eine Verteidigung stehen, wenn man zu solchen Mitteln als Verteidiger greift…
Könnte es sein, dass Sie sich das mit dem Mandanten Urheberrecht nur ausgedacht haben?
Ein erfahrener FA für Urheberund Medienrecht (Äusserungsrecht) würde doch wohl eher, wenn er sich bei einer Strafanzeige nicht selbst verteidigt, dann doch wohl,auf eine Kanzlei / FÄ zurückgreifen, die sowohl auf Urheber/Medienrecht wie auch auf Strafrecht spezialisiert ist. Wie z. Bsp Kanzlei Dr.König/ Eisenberg oder auch andere.
Die Chance ist doch bereits vertan, die einzige sinnvolle Reaktion wäre gewesen, die Akte zu schreddern.
Wenn Sie den Anwalt auf diesen Zustellungsfehler hinweisen, welche Auswirkung soll das haben? Bekommt halt jemand einen Anschiss. Da gibt es viele schmerzfreie Mitarbeiter, denen ist das einfach nur egal.
Die Alternative, die Akte kommentarlos an die Staatsanwaltschaft zurückzuschicken, bringt doch auch nichts. Wird sie halt erneut zugestellt.
Also was soll’s. Der Fehler ist bereits getan. Die Akte existiert noch.
Ich würde mich auf das wesentliche konzentrieren und die Akte lesen und danach, wenn angezeigt, eine Stellungnahme verfassen. Aber ich bin auch nicht der mandatierte Verteidiger.
Eigentlich ist die Frage recht einfach zu beantworten: Schadet es dem Mandanten, wenn man es nicht mitteilt bzw. hilft es ihm sogar, wenn man es mitteilt. Fall ja, dann ja, sonst nein.
Ich würde versuchen die Geschäftstelle dabei zu unterstützen, den Prozess des Aktenversendens qualitativ zu optimieren. Dazu muss die Geschäftstelle bzw. die zuständige Mitarbeiterin von ihrem Fehler Kenntnis erlangen. Also den Vorgang (inklusive des Wohlverhaltens des Mandanten) über einen geeigneten Kanal melden verbunden mit der Bitte, auch die Mitarbeiterin über das von ihr begangene Missgeschick zu informieren..
Es besteht wohl die Chance dass der Beschuldigte durch sein Verhalten Vorteile hätte, also auf jeden Fall melden. Denn der Anwalt ist dem Mandanten verpflichtet und nicht der Geschäftsstelle.
Als Kompromiss könnte man natürlich die zuständige Mitarbeiterin zumindest vorwarnen, damit sie sich auf den etwaigen Ärger zumindest einstellen kann.
Beamten und Mitarbeitern der StA passiert eher selten wirklich was außer vielleicht einem kleinen Anpfiff, wenn sie Mist gebaut haben, schon gar nicht, wenn der Mist letztlich folgenlos blieb. Außerdem besteht sowieso eine nicht unerhebliche Chance, dass es bei Aktenrücklauf auffällt, denn das Anschreiben mit dem falschen Adressaten ist ja in der Akte. Natürlich würde ich mich nicht förmlich beschweren, aber in der Stellungnahme beiläufig erwähnen, dass der Mandant die Akte natürlich bei Entdeckung des Versehens unverzüglich an den Verteidiger weitergeleitet hat würde ich schon, rückt den Mandanten in ein positives Licht. Selbst wenn eine unbedingte Freispruchverteidigung angestrebt wird, so dass dieses Wohlverhalten nicht für die Strafzumessung relevant wäre, hat es u.U. einen positiven psychologischen Effekt (der Mandant hat es nicht nötig, vermeintliche Beweismittel zu vernichten, obwohl ihm die Gelegenheit dazu auf dem Silbertablett serviert wird, denn er weiß, dass die Vorwürfe sowieso unberechtigt sind).
Na ja, es lässt sich ja bei der StA ggf. rekonstruieren, wenn die Akte an den falschen RA verschickt wurde…Und dann wäre Schreddern ggf. mit so unangenehmen Dingen wie Verdunkelungsgefahr (sehr sehr unangenehm) oder Urkundenunterdrückung, Gewahrsamsbruch oder wenigstens Sachbeschädigung verbunden (weniger unangenehm…, aber auch mit einer Mitteilung an die Rechtsanwaltkammer oder die Generalstaatsanwaltschaft verbunden bei einem beschuldigten RA). Ob es also einen Bonus bringt, wenn man mitteilt, dass man mit der Akte nichts Schlimmes gemacht hat, obwohl man gekonnt hätte, weiß ich nicht.
Geschäftsstellen anschwärzen muss nicht sein.Ebenso wenig wie man ReNos/ReFas bei einem (einmaligen) Fehler runterbügeln muss.
… in einigen Tagen lesen wir:
[*] Hausdurchsuchung in KANZLEI und Wanne
[*] Akte nicht aufgefunden
[*] Schutzbehauptung: „ist auf Postweg zurück“
[*] Spezialgerät trifft ein, Aktensuche unterm Parkett und im Gemäuer geht weiter
[*] Akten treffen per Post bei StA ein
[*] KANZLEI soll gefälligst alle Kosten tragen, hat schließlich mit seinem provokanten Blog maßgeblich und überhaupt zu allem beigetragen…
@RABammel: Die Akte wurde auf dem einfachen Postweg übersandt. Angeblich verliert die Post doch ab und zu mal was.
Ich bin da eher für die vermittelnde Variante:
1. die Geschäftsstelle darauf hinweisen
2. den Faux-Pas und das löbliche Verhalten des Mandanten dokumentieren
3. wenn es zur Sache geht und es dem Mandanten nützt (letztes Argument, um eine Einstellung zu bekommen oder hin zu einem Strafbefehl statt Anklage etc. etc.), dann nutzen
@ RA Bammel: Sind Sie wirklich Rechtsanwalt? Dann sollten Sie eigentlich wissen, dass bei einer Versendung eines Schriftstücks per einfacher Post ein Zugangsnachweis regelmäßig nicht möglich ist, jedenfalls nicht allein durch die Tatsache, dass die Post versendet wurde und nicht zurückgekommen ist. Das gilt auch und erst recht im Strafverfahren. Wenn der beschuldigte Kollege sich doof gestellt hätte und behauptet hätte, dass die Akte bei ihm nie angekommen ist, dann ist nichts mit einer Bestrafung wegen Urkundenunterdrückung etc. oder mit Anschwärzen bei der Kammer. Durchsuchung macht auch wenig Sinn, da hierfür die Wahrscheinlichkeit bestehen müsste, Beweismittel aufzufinden – und die besteht nicht, wenn der RA behauptet hat, die Akte nie erhalten zu haben, er müsste dann ja schon mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn er die doch zugegangene Akte nicht beseitigt hat. Aus Verdunklungsgefahr wird erst recht nichts, U-Haft ist nämlich nicht eine Bestrafung dafür, dass eine Verdunklungshandlung begangen wurde, sondern ein Mittel, um die Gefahr weiterer Verdunklungshandlungen zu beseitigen. Wenn ein Beschuldigter die ihm versehentlich zugesandte Akte verschwinden lässt, ist nicht ersichtlich, was er dann denn künftig noch weiter verdunkeln soll.
Hallo zusammen,
Mein Vorschlag:
1. Korrekte Orthographie in der Überschrift herstellen
2. Gegenüber der Staatsanwaltschaft ersteinmal nicht weiter auf den Umstand eingehen. Man weiß ja nie, ob es nicht irgendwann zu einem Gerichtsverfahren kommt und man einen Richter darauf hinweisen kann, dass der Angeklagte im Schuldfall doch nicht so blöde gewesen wäre, ein Verfahren zu riskieren, dass er mit verschwindenlassen der Akte hätte abwenden können.
3. Espresso trinken. Auf jeden Fall Espresso trinken.
Schöne Grüße,
Hend
Auf die wichtigste Frage wurde gar nicht eingegangen.
Was hätte dem Mandanten gedroht, wenn er die Akte geschreddert hätte?
§ 295 StGB ?
ups, da bin ich wohl im Land etwas zu weit südlich gerutscht.
RA Bammel ist kein Rechtsanwalt.
@RA Ullrich
Klar kann sich der Beschuldigte doof stellen , aber ab und an gibt es jemanden, der sich verplappert, unzufriedene Angestellte, Ehefrauen, Zufallsfunde in der Papiertonne etc. Oder – vielleicht nicht in Berlin – ein Durchsuchungsbeschluss kommt recht schnell, nachdem die StA die Akte beim Verteidiger zurückfordert und die Kanzlei mitteilt, dass bei ihnen keine Akte ist . Shit happens. Als Verteidiger würde ich es mir aber zweimal überlegen, den Mandanten den „Tip“ zu einer Straftat zu geben. Auch das kann irgendwann nach hinten los gehen.
Sauber bleiben, sicherster Weg und „cover your arse“ praktiziert Herr Hoenig ja zB auch, wenn der schlaue Mandant möchte, dass man die Rechnng für das Anwaltshonorar an eine GmbH des Mandanten stellt…
Klar kann der Beschuldigte sich schlau anstellen, aber dass sie ganz schlau seien und niemand sie erwischt haben auch viele Leute gedacht, die im Knast sitzen.
@ Kai / 18:
Nur, wenn er die Akte anstatt dem Schredder seinem Hund zum fressen gegeben haette :-).
Ich nehme mal an, die Akte wurde per Paket verschickt. Somit muss der Empfänger unterschreiben.
@ Kai
Dann waere die ganze Diskussion hier ja hinfaellig. Dazu auch crh:
„[…]Sondern die Original-Akte steckte in einem Umschlag des Mandanten!“
und
„Die Geschäftsstelle hat […] die Akte übersandt. Und zwar auf einfachem Postweg.“
Also nichts mit Unterschrift.
Warum verschickt eine Behörde eine derart wichtige Akte wie eine Ermittlungsakte in einer Strafsache, von der es auch noch kein Duplikat gibt, per einfacher Post?
Um Porto zu sparen?