Wenn Zivilisten verteidigen

In einer mittleren Wirtschaftsstrafsache hat mich die bereits Angeklagte mit ihrer Verteidigung beauftragt. Und zwar aus der Untersuchungshaft heraus.

Hintergrund war das „Unternehmen in der Krise“ – auf dem Deckel standen die Klassiker: Nichtabführen von Sozialabgaben, Umsatz- und Lohnsteuerhinterziehung sowie Insolvenzverschleppung. Eigentlich nichts wirklich Bösartiges, für das man bei einer verständigen Verteidigung in den Knast müßte. Die bisher nicht bestrafte Mandantin saß aber eben genau dort.

Die Staatsanwaltschaft hatte das Ermittlungsverfahren aufgrund einer Strafanzeige eingeleitet, ein wenig ermittelt und dann vorübergehnd nach § 205 StPO eingestellt. Der Mandantin konnte nämlich irgendwann keine Post mehr zugestellt werden, Anfragen bei den Meldebehörden führten zu keinem Ergebnis und weitere in der Akte vermerkte Recherchen der Staatsanwaltschaft blieben erfolglos.

Eigentlich mehr aus Neugier beauftragte die Mandantin ihren langjährigen Familienanwalt mit der Akteneinsicht. Der Kollege, auf seinem Gebiet sicher ein Spezialist, meldete sich bei der Staatsanwaltschaft:

In der Strafsache
gegen Frollein F.
Aktenzeichen 999 Js 666/16
bestelle ich mich unter Vorlage anliegender anwaltlich beglaubigter Kopie einer
Vollmachtsurkunde vom 29.99.2017 für die derzeit in Taschkent befindliche F.

Uuuund zack:
Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlaß eines Haftbefehls wegen Flucht, § 112 II 1 StPO, dem der überforderte Ermittlungsrichter unbesehen stattgab, weil er den Staatsanwalt als stets zuverlässig arbeitend und persönlich kennt. Quasi parallel dazu erfolgte die Zustellung der Anklage an den insoweit zustellungsbevollmächtigten Rechtsanwalt.

Was – um Himmels Willen – bringt einen Anwalt dazu, ohne Kenntnis der Akte (der er die Brisanz der Nichterreichbarkeit seiner Mandantin problemlos hätte entnehmen können) ihren Aufenthalt im nicht-europäischen Ausland zu verraten (sic!).

Die Mandantin war nicht auf der Flucht, sondern aus geschäfltichen Gründen in Usbekistan, um sich wieder auf wirtschaftlich stabile Füße zu stellen. Was ihr auch gelungen wäre, wenn sie nicht bei ihrer Einreise nach Deutschland verhaftet worden wäre.

Warum hat er nicht schlicht geschrieben:

… zeige ich an, daß mich Frollein F. mit ihrer Verteidigung beauftragt hat und beantrage Akteneinsicht …

Fertig. Mehr muß nicht sein.

Nun aber eine Haftsache, die keine Haftsache hätte werden müssen, wie sich bei der mündlichen Haftprüfung dann auch herausstellte.

Augen auf bei der Verteidigerauswahl!

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Bild (CC0): Tumisu / via Pixabay

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14 Antworten auf Wenn Zivilisten verteidigen

  1. 1

    Das sind immer die dramatischsten Geschichten, die Verteidiger erleben.

    – Verteidigung durch den Anwalt, der doch damals die Scheidung so toll gemacht hat.

    – Verteidigung durch Papas Firmenanwalt

    Und ich frage mich: ist das einfach nur die Gier nach ein paar tausend Euro mehr Honorar, die diesen Kollegen das Hirn wegfrisst, obwohl sie auf ihren „Königsgebieten“ doch wohl genug verdienen dürften?!

    PS: ich bin mir gewiss nicht zu fein, z. B. Scheidungen und Bausachen an zwei sehr geschätzte und höchst kompetente Kollegen abzugeben. Weil sie es einfach viel besser können, als ich! Dafür bekomme ich von ihnen stets die Strafmandate.

  2. 2
    § 203 StGB says:

    Ist die Mitteilung des Aufenthaltsortes der Mandantin kein Verstoß gegen § 203 StGB? Muss jetzt der Ex-Anwalt ins Gefängnis?

    • Mit dem § 203 StGB sind Sie auf der richtigen Spur. Gefängnis halte ich in der vorliegenden Konstellation für unwahrscheinlich. crh
  3. 3
    BV says:

    Ich verstehe das auch nicht, zumal es ja auch nur Nachteile, aber keine Vorteile bringt. Warum denn nicht unter schlichter Versicherung der Bevollmächtigung einfach nur kommentarlos Akteneinsicht beantragen?!

    Und der Hinweis „Schuster bleib bei Deinen Leisten!“ ist nicht nur legitim, sondern sehr wichtig. Ich finde es in Ordnung, als Nicht-Strafverteidiger Akteneinsicht zu beantragen, um überhaupt erst einmal zu erfahren, worum genau es geht und eventuell für eine erste Einschätzung, ob da überhaupt irgendwas dran sein kann. Aber spätestens wenn diese Frage mit „ja“ zu beantworten oder man sich unsicher ist, muss der Fachmann ran.

  4. 4
    WPR_bei_WBS says:

    Vollmacht einfach mal so mit dabei? Und ich dachte schon, ich waere mittlerweile der Einzige, bei dem das Anwalt so einen Bockmist gebaut hat.

  5. 5

    Ich bin ein halbwegs brauchbarer Arbeitsrechtler. Alles andere mache ich nicht und verweise an mir bekannte Kollegen.

  6. 6
    Caron says:

    Pff, glaube das ist keine Frage des Fachgebietes.
    Ein Verkehrsrechtler hat bei mir neulich bei einer Parkscheibenvertragsstrafensache aus „Herr Caron zahlt nicht, er ist nicht Ihr Vertragspartner, weil er nicht gefahren ist“ gemacht „Herr Caron zahlt nicht, er ist nicht Ihr Vertragspartner, weil seine Lebensgefährtin gefahren ist“.
    Danach haben wir erstmal das Klingelschild geändert …

  7. 7

    @BV Und wie wollen Sie als Nichtstrafrechtler eine sachgerechte/vernünftige erste Einschätzung abgeben können, wenn Sie von Strafrecht keine Ahnung haben?

  8. 8
    Der wahre T1000 says:

    @Caron #6: Und Sie finden es gut sich (bzw. Ihre Lebenspartnerin) so aus einem verbockten Knöllchen herauszuwinden? Mit Anwalt und Klingelschild verstecken? Weia.

    Es wäre vermutlich weit einfacher nicht zu reagieren und zuzuschauen, was dann passieren wird: nämlich nichts. Im schlimmsten Fall muss man noch ein paar Bettel-/Drohbriefe von einer Inkassobude wegwerfen.

    Diese „Vertragsstrafen“ können faktisch nie durchgesetzt werden und das wissen die Fordernden auch. Es scheitert an der Darlegung der Passivlegitimierung (einfach bestreiten) und/oder an unwirksamen AGB. Die ziehen wegen der paar Euro nicht vor Gericht. Und wenn, dann holen sie sich regelmäßig eine blutige Nase. Dafür braucht es weder ein verstecktes Klingelschild noch einen Anwalt; nur einen Dreizeiler – falls nötig.

  9. 9
    Caron says:

    @T1000
    Warum soll ich mit RSV riskieren, da was falsch zu machen (ADAC und co sind da durchaus vorsichtig)?
    Oder gar das Banditenpack mit unklaren Schildern auch noch bazahlen?

  10. 10
    Der wahre T1000 says:

    @Caron
    Weil es keinen Sinn ergibt Anwaltskosten zu verursachen, die weit höher als der strittige Betrag sind, nur weil man eine RSV hat. Das ist schlecht für die Versicherungsprämien und egoistisch.

    Außerdem ist es dumm, denn die RSV darf nach jeder Inanspruchnahme kündigen. D.h. wer zwei oder drei solche Vorfälle hat, der steht oft auf einmal ohne RSV da und bekommt aufgrund der „zahlreichen Vorschäden“ auch keine mehr. Zumindest keine mit bezahlbarer Prämie. Und wenn dann mal etwas wirklich schwerwiegendes passiert, steht man dumm da.

  11. 11
    Berti says:

    Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren nach § 205 StPO eingestellt? Liegt da nicht der eigentliche Aufreger? ;)

  12. 12
    Thomas says:

    Der Kollege kennt § 154f StPO. Passiert beim tippen schon mal.

    • ;-) crh
  13. 13
    Patrick says:

    Immer mehr kommt es zu solchen Situationen, weil eben Menschen nicht genug informiert sind.

  14. 14
    BV says:

    @ RA W. K. R. Siebers, # 7:
    Mit der nötigen Vorsicht. Manchmal sind Vorwürfe ja erkennbar Quatsch. Außerdem liegen Strafanzeigen mitunter auch zivilrechtliche Sachverhalte zugrunde, mit denen der Zivilrechtler befasst und die er schnell geraderücken kann, weil der Anzeigende belegbar Falsches behauptet. Wie ich aber schon schrieb, sollte man sich bei Zweifeln lieber nicht an die Sache wagen.