Denn sie wissen nicht, was sie tun

Zu welch absurden Kapriolen eine Staatsanwaltschaft imstande ist, zeigt dieser Fall aus dem Hessischen.

Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage und beantragt die Eröffnung des Verfahrens vor dem Strafrichter.

Mit der Entscheidung, den Strafrichter mit der Sache zu beschäftigen, signalisiert der Dezernent der Staatsanwaltschaft (vor dem Hintergrund des § 25 GVG), er erwarte maximal eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren.

Nach der Beweisaufnahme beantragt der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft – ein erfahrener Ermittler, den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten zu verurteilen.

Der Strafrichter verurteilt den Angeklagten zu zwei Jahren.

Gegen das Urteil wird Berufung eingelegt. Von wem? Ausschließlich von der Staatsanwaltschaft, mit dem Ziel einer höheren Strafe!

Wieso verwundert es nicht, dass reichlich zunehmend Menschen den Glauben an das angeblich faire Verfahren, das die objektivste Behörde der Welt eigentlich garantieren soll, verloren haben. Meiner Ansicht nach völlig zur Recht.

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12 Antworten auf Denn sie wissen nicht, was sie tun

  1. 1
    Berti says:

    Inwiefern wird das Verfahren denn durch Einlegung eines Rechtsmittels unfair?

    Abgesehen davon erscheint das Vorgehen, rein nach der obigen Schilderung, tatsächlich schwer nachvollziehbar. Handelt es sich möglicherweise um eine nach RiStBV, nicht nach formellem Gesetz unzulässige Sperrberufung? Wie war denn der Antrag der Verteidigung? Freispruch?

  2. 2
    Zivilunke says:

    Evtl haben sich in der Hauptverhandlung strafschärfende Umstände ergeben. Schwierig, das ohne Aktenkenntnis und ohne Teilnahme an der Hauptverhandlung zu beurteilen.

  3. 3
    Max says:

    @Zivilunke:
    Strafschärfende Umstände in der Hauptverhandlung dürften wohl nicht der Grund gewesen sein, schließlich hatte die StA ja bereits selbst im Schlussantrag eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten beantragt…

  4. 4
    Willi says:

    Hallo,

    Variante 1:
    Da gab es in der HV Umstände die eine höhere Strafe angemessen erscheinen lassen. Unwahrscheinlich, denn dann hätte am Ende der Verhandlung von der StA ja 2 Jahre als das maximal mögliche beantragt werden müssen.

    Variante 2:
    Antrag der StA 1J8M, Urteil 2J
    Fazit der StA: Da geht noch was

    Variante 3:
    Der Anwalt des Angeklagten ist bekannt dafür eine Berufung erst zum spätestmöglichen Zeitpunkt, 2 Minuten vor Mitternacht am letzten Tag der Frist einzulegen. Deshalb einfach mal vorsorglich Berufung einlegen, sicher ist sicher. (Die kann man doch später eh noch zurückziehen, oder?)

    Gruß

    Willi

  5. 5
    Berti says:

    @Willi

    zu Variante 1: Der StA hätte als maximal Mögliches 4 Jahre auch beim Strafrichter beantragen können.

  6. 6
    WPR_bei_WBS says:

    Die einzig logische Erklärung, bzw. eine ohne psychiatrische Symptomatik auf Seiten des Staatsanwalts, ist wohl Willis Variante 3.

  7. 7
    Jurist says:

    Variante 4:
    Was ist mit Bewährung? Falls er „mit“ bekommen hat, will die StA vielleicht „ohne“…

  8. 8
    steward says:

    Variante 184: Die ungenannteStrafnorm bzw. das Delikt um das es geht ist so verwerflich, dassdie StA die Todesstrafe fordern wollen würde.
    Vielleicht kann der Autoretwas dazu nachtragen.

  9. 9
    Schuland says:

    Variante 5
    Der Abteilungsleiter hat noch eine Rechnung offen

  10. 10
    Dorfrichter says:

    Man muss nicht gleich an der Welt verzweifeln, wenn der Abteilungsleiter alle Jubeljahre mal von seiner (ansonsten eher auf dem Papier stehenden) Befugnis Gebrauch macht, gegen den Sitzungsvertreter ein bestimmtes Ergebnis durchzudrücken. Dafür sind Vorgesetzte nunmal da.

    • Es mag ja sein, dass es für Euch Richter und Staatsanwälte in tausenden Fällen einmal passiert und so ein Vorgehen aus dieser Perspektive nicht weiter erwähnenswert erscheint. Passiert halt, nicht?
       
      Aber bitte kommt doch mal raus aus Eurem Elfenbeinturm und versetzt Euch in die Lage desjenigen, für den dieser Fall der erste und einzige ist. Aus seinem Blickwinkel betrachtet ist der beschriebene Fall schlichtweg nicht nachvollziehbar, im konkreten Fall gar eine Katastrophe, die ihn an einem rechtsstaatlichen Verfahren zweifeln läßt.
       
      Von ihm wurde und wird verlangt, sich an seine Versprechen und Zusagen zu halten; und jetzt erlebt er eine Justiz, die genau das nicht tut. Wenn man sich als Bürger da von dem Herrn Staatsanwalt böse verarscht vorkommt, kann ich jedenfalls nachvollziehen.
       
      Und jetzt komme mir keiner mit dem Schein-Argument, der Sitzungsvertreter habe ja nichts zugesagt oder versprochen und es stehe alles im Gesetz.
       
      Sorry, lieber Dorfrichter, wenn Sie es hier jetzt abbekommen, aber Ihr Kommentar ist symptomatisch für die Betriebsblindheit von vielen (nicht allen!) Ihrer Kollegen und Staatsanwälten, die einfach verlernt haben, dass ihr Job eben keine Fließband- und Routinearbeit ist. Jeder Angeklagte und Verurteilte ist ein ganz besonderer Einzelfall, Art. 1 GG. crh
  11. 11
    HugoHabicht says:

    Gibt noch eine Möglichkeit. Der Fall lief lange unter dem Radar, alle machen Dienst nach Vorschrift und dann sitzt da plötzlich diese Bildzeitungsreporterin in der Verhandlung. Und am nächsten Tag steht irgendwas im Stile von „wo sind unsere Kinder eigentlich noch sicher in der Zeitung“. Und dann denkt der StA halt nochmal nach.

  12. 12
    RA Ullrich says:

    Bei einer amtsgerichtlichen Verhandlung war der Sitzungsvertreter der StA mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht der Sachbearbeiter des Falles, der über das Rechtsmittel zu entscheiden hatte. Beim Amtsgericht stehen nämlich an einem Tag meist mehrere Fälle auf dem Sitzungsplan und die StA schickt EINEN Vertreter für alle Fälle hin. Insofern gäbe es noch Variante 5: In der Hauptverhandlung sind strafschärfende Aspekte bekannt geworden, der Sachbearbeiter war der Meinung, dass der Sitzungsvertreter und das Gericht diese nicht hinreichend gewürdigt haben.

    Allerdings kann ich Herrn Hönig nur zustimmen: Es ist für den Normalbürger nur schwer verständlich und nur schwer erträglich, dass A ein Richter eine höhere Strafe verhängt, als der Staatsanwalt fordert (wobei das sich noch mit der richterlichen Unabhängigkeit und dem staatlichen Strafanspruch halbwegs plausibel begründen lässt, der Richter ist hier quasi auch ein Wächter gegen mögliche Speziwirtschaft bei der weisungsabhängigen StA) und B dann die StA dagegen auch noch Rechtsmittel einlegen kann mit dem Ziel einer noch höheren Strafe, als sie selbst beantragt hatte. In keinem anderen Gerichtszweig, weder Zivil- noch Sozial- noch Verwaltungsgerichtsbarkeit kann man ein Urteil anfechten und sich darüber beschweren, dass der Richter einem gegeben hat, was man selbst – wirksam und im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte – beantragt hat.
    Der einzige Trost: Der Angeklagte kann das auch, man kann eine Freispruchberufung führen, auch wenn man in erster Instanz eine milde Bewährungsstrafe beantragt und erhalten hatte.