Eine eher seltene Verweisung nach oben

Regelmäßig ist es Sache der Staatsanwaltschaft, sich auszusuchen, welches Gericht über die Anklage verhandeln und später urteilen soll.

Je nach Vorstellung des Staatsanwalts, was am Ende hinten rauskommen soll, beantragt die Staatsanwaltschaft in Wirtschaftsstrafsachen die Eröffnung beim Amtsgericht (Strafrichter oder Schöffengericht) oder beim Landgericht (allgemeine oder Wirtschaftsstrafkammer).

Erwartet der Strafverfolger eine Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, wird er die Sache zum Strafrichter schicken. Sind es nach Wunsch und Vorstellung des Ankläger aber bis zu vier Jahre, klagt er zum Schöffengericht an. Alles, was in der Vorstellungswelt eines Staatsanwalts darüber hinaus gehen soll, schickt dieser zum Landgericht.

In den überwiegenden Fällen erfüllt das angerufene Gericht den Wunsch der Staatsanwaltschaft. Nur selten meint das Land- oder Schöffengericht, dass der Anklageverfasser übertreibt; dann eröffnet es beim Gericht eine Etage tiefer, § 209 Abs. 1 StPO.

Noch seltener passiert so etwas hier:

Der Staatsanwaltschaft reicht eigentlich die Strafkompetenz des Strafrichters von zwei Jahren. Hier meint der Strafrichter aber, das reiche nicht und schlägt gem. § 209 Abs. 2 StPO dem Schöffengericht vor, die Sache zu übernehmen, weil es ja auch bis zu vier Jahre werden könnten.

Das ist für den Angeschuldigten eine eher weniger erfreuliche Perspektive. Aber selbst dann, wenn das Schöffengericht das Verfahren „übernimmt“, sind noch nicht alle Messen gesungen; die Hoffnung auf eine Freiheitsstrafe unterhalb der „Bewährungsgrenze“ von zwei Jahren stirbt erst ganz zuletzt.

Ganz unberechtigt ist die Hoffnung in solchen Fällen nämlich nicht: Die Aus- bzw. Überlastung der Schöffengerichte eröffnet der Verteidigung durchaus weite Verhandlungsspielräume.

Richtig kritisch würde es erst, wenn es noch eine Etage höher – zur Strafkammer beim Landgericht – gehen sollte. Aber das – also eine Verweisung des Strafrichters in Wirtschaftsstrafsachen nach ganz oben – ist mir in über zwei Jahrzehnten noch nicht „passiert“.

Mein Mandant und ich warten aber erst einmal ab, was das Schöffengericht zu dem Vorlagebeschluss des Strafrichters zu sagen hat. Dann sehen wir weiter.

Nebenbei:
Die Verteidigung wird über die Ansicht des Strafrichters und seinen Beschluss lediglich informiert – mitreden (im Sinne des rechtlichen Gehörs nach § 33 StPO) darf sie bei der Entscheidung über die Zuständigkeit nicht.

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Bild: ©S. Hofschlaeger / pixelio.de

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4 Antworten auf Eine eher seltene Verweisung nach oben

  1. 1
    Marco says:

    Hmm, wenn meine Strafrechts- / strafprozessualen Kenntnisse nicht völlig verkümmert sind, hat der Strafrichter doch durchaus auch eine Strafkompetenz von 4 Jahren – sprich: Der StA klagt vor dem Strafrichter an, wenn er bis zu 2 Jahren erwartet, je nach Ergebnis des Verfahrens kann der Strafrichter trotzdem bis zu 4 Jahren verurteilen.

    Erinnere ich mich da richtig?

    Dann wundert mich dieser Beschluss umso mehr, weil „es könnten mehr als zwei / bis zu vier Jahre werden“ (das Gericht formuliert „kommt eine Straferwartung über zwei Jahren in Betracht“) eigentlich kein Grund ist, sondern „ich erwarte mehr als zwei Jahre“ (oder „liegt eine Straferwartung über zwei Jahren vor“) nötig wäre.

    Oder sehe ich das jetzt in der Formulierung zu eng?

    • Die Antwort Ihrer Frage ergibt sich aus §§ 24, 25 und 74 GVG. Differenzieren Sie zwischen den Verfahrensstadien „Zwischen- und Hauptverfahren“ bzw. „vor oder nach Erlass des Eröffnungsbeschluss'“. crh
  2. 2
    bla says:

    Welches Gericht nimmt sich denn noch freiwillig zusätzliche Arbeit für einen ersten Verhandlungstag im Jahre 2025 vor, wenn selbst die Staatsanwaltschaft der Meinung ist, dass ein Maximum von 2 Jahren schon passen wird?

  3. 3
    HugoHabicht says:

    Mit Blick auf den verfassungsrechtlich (eigentlich) hoch aufgehängten „gesetzlichen Richter“ ist es völlig unverständlich, dass es solche Gestaltungsmöglichkeiten der StA gibt.

    Disclaimer: Ich weiß, dass das vor dem Verfassungsgericht alles abgekaspert ist.

  4. 4
    Natriumdapflampe says:

    „Die Aus- bzw. Überlastung der Schöffengerichte eröffnet der Verteidigung durchaus weite Verhandlungsspielräume.“

    Das verbuche ich mal unter „offenherziges Benennen einer Schande.“