Es ist schon etwas länger her, dass in der Geschäftsbeziehung zwischen meinem Mandanten und einem großen Reiseunternehmen etwas schief gegangen war. Jedenfalls wird er seit dieser Zeit von den Strafverfolgungsbehörden gesucht.
Nachdem es der Vorverteidigerin gelungen war, die Dauer der Verjährungsfrist um 5 Jahre zu verlängern, lief nun eine andere Frist zeitnäher ab: Die Dauer der Gültigkeit des Reisespasses, die – anders als die Verjährungsfrist – in diesem Fall nicht verlängerbar ist, § 7 Abs. 1 Ziff. 2 PassG.
Dies war der Anlass (Gründe gab es andere) für den Wunsch des Mandanten, sich nun dem Strafverfahren in Deutschland zu stellen.
Es ist gelungen, die Fahndung auf den innereuropäischen Bereich zu begrenzen, so dass die Selbststellung nicht im außereuropäischen Ausland erfolgen muss. Wer sich einmal z.B. mit dem asiatischen Auslieferungsverfahren beschäftigt hat, wird wissen, dass man das unbedingt vermeiden sollte.
Das Öffnen eines solchen Fensters zur Ausreise ist jedoch keine triviale Angelegenheit, was man allein schon daran erkennt, dass die Staatsanwaltschaften dafür Spezialabteilungen eingerichtet und mit besonders ausgebildeten Staatsanwälten besetzt haben. Ferner gibt es eine Aufgabenteilung zwischen dem LKA des betreffenden Landes, dem Bundeskriminialamt und den Kontaktbeamten im jeweiligen Ausland. Alles in Allem eine aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nur schwer überschaubare Sache.
Die Einreise hingegen ist recht unkompliziert. Vorausgesetzt, es gibt einen Direktflug, so dass ein Umsteigen in dem Gebiet, in dem die Fahndung noch läuft, nicht erforderlich ist. Anderenfalls findet die Festnahme und eine anschließende vieltägige, manchmal wochenlange Verschubung statt, die man auch innerhalb Deutschlands keinem Menschen wirklich wünschen will.
Der einreisewillige Festzunehmende teilt seine konkreten Reisedaten mit und verabredet sich – über den Verteidiger – mit dem Empfangskomitee am Flughafen.
Hier muss man wissen: Die Polizeibeamten achten darauf, dass dem Selbststeller nichts mehr bleibt außer den Sachen, die er am Leib trägt. In einigen Fällen nimmt man ihm auch die Schnürsenkel und den Gürtel weg.
Besonders spannend finden die Beamten dabei Barmittel und Kostbarkeiten, die man später zur Finanzierung der Prozesskosten nutzen oder bei der Vermögensabschöpfung verwerten kann.
Sinnvoll hingegen ist eine Tasche mit dem Gepäck, das die Kontrolle bei der Einweisung in die Untersuchungshaftanstalt überlebt. Dafür gibt es Packlisten (pdf), die die Haftanstalten zusammengestellt haben.
Sinnvoll ist auch, an geeigneter Stelle einen kleineren Geldbetrag zu deponieren, der dann möglich kurzfristig nach der Einweisung in die JVA auf das Haftkonto eingezahlt oder überwiesen werden kann. Sonst wird das nichts mit dem Einkauf im Knastladen, um sich mit den dortigen Luxusartikeln versorgen zu können.
Auch wenn der Verteidiger seinem Mandanten all diese Informationen zur Verfügung stellt und die Selbststellung gut vorbereitet ist, bleibt ein Kribbeln im Bauch, was der Mandant so schnell nicht vergessen wird.
Was wiederum meine Erfahrung bestätigt, dass die Beschäftigung mit Strafrecht – egal aus welcher Perspektive – einen sehr hohen Unterhaltungswert hat.
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Das expizite Verbot von BIC Feurzeugen wundert erstmal.
Das man daraus aber eine Feile basteln kann, hat schon was von McGyver.
@1: Ich vermute, dass es auch eher darum gehen würde, dass man nicht „versehentlich“ die Matratze anzündet.
Zitat aus den Packlisten:
„ohne W-LAN, Infrarotschnittstelle, Bluetooth, keine
Internetfähigkeit“
also: ohne keine Internetfähigkeit, also nur mit Internetfähigkeit. Oder sehe ich da was falsch?
:-)
Vielen Dank für die Tipps … aber das ist mir doch alles viel zu kompliziert. Wo soll ich hierzulande an Schnürsenkel kommen, die man mir abnehmen könnte? Reisepass … paßt eh nicht unter mein Baströckchen, da bleib ich doch lieber an meinem Strand und ernähre mich unredlich.
@Dagaz
Das mit der Feile ist ernst gemeint: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8566618.html
Zitat:
Der Grund für die Vorsichtsmaßnahme: Auf der Reibfläche eines jeden Bic-Feuerzeugs klebte ein aufgespulter Draht, dessen rauhe Oberfläche gewöhnlich aus dem Feuerstein Funken schlägt. Findige Knackis entdeckten jedoch eine weitere Möglichkeit, den Metallfaden zu nutzen: Vorsichtig abgespult und mit weiteren Drähten verzwirbelt, lassen sich mit dem unauffälligen Utensil auch Gitterstäbe durchsägen.
Ist „Gameboy“ nur ein Sammelbegriff? Könnte es also beispielsweise ein „Nintendo DS“ oder eine „Switch“ sein oder gilt echt nur der Gameboy von 1990?
@Stefan: „ohne W-LAN, Infrarotschnittstelle, Bluetooth, keine Internetfähigkeit“ dürfte auch für den Gameboy gelten. DS älteren Modells vielleicht schon. Switch sicher nicht.
„Gültigkeit des Reisespasses“
Reisespass? Den kann man doch verlängern, die nötigen Mittel vorausgesetzt :-)
Zur Packliste und der damit einhergehenden Internet-Abneigung: Zukünftig werden alle Geräte internetfähig sein, und die JVA muss diese entweder selbst modifizieren lassen oder komplett drauf verzichten.
Der UNHCR-Menschenrechtsrat hat das Internet zu einem Menschenrecht erklärt. Wahrscheinlich bedarf es eines höchstrichterlichen Urteils, um in deutschen JVAs eine Kurskorrektur zu bewirken. Technisch könnte man über eine restriktiv konfigurierte Firewall quasi ein jedes unerwünschte Verhalten blocken, es fehlt aber wohl am Willen, Sachverstand, Personal und Budget.
@ Dagaz
Und das wäre mit anderen Einwegfeuerzeugen nicht möglich?
@#89 Michael K, das dürfte nicht an Willen, Sachverstand und CO scheitern sondern schlicht technisch nicht machbar sein.
Was ist bitte ein „unerwünschtes Verhalten“ und wie soll man das blocken können? Das dürfte nur gehen wenn man a) sämtliche Verschlüsselungen gebrochen bekommt und b) in Echtzeit den Datenverkehr analysiert und ggf unterbrochen bekommt.
Nur woher soll / will man wissen das das Bibelzitat das ich täglich per Mail geschickt bekomme heute das Signal zu meiner Befreiung ist?
@ Michael K.:
Diese Argumentation ist auf so vielen Ebenen unsinnig, da weiß man ja fast garnicht, wo man anfangen soll…:
– Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte (ebenso wie die EMK) enthält auch eine Recht auf Freiheit. Trotzdem ist noch niemenad ernsthaft auf die Idee gekommen, dass freiheitsentziehende Maßnahmen gegen die Menschenrechte verstoßen
– Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte (durch die UN-Vollversammlung) ist eine rechtlich *nicht* bindende Resolution der UN-Generalversammlung. Da würde also auch kein höchstrichterliches Urteil drauf basieren.
– Der UN-Menschenrechtsrat kann die allgemeine Erklärung der Menschenrechte nicht ändern oder erweiteren, bzw. allgemein die Menschenrechte definieren. Er ist ein Arbeits- und Beratungsorgan der Generalversammlung und kann als solches maximal Vorschläge erarbeiten.
– Es gibt keinen UNHCR-Menschenrechtsrat. Entweder sagt man UN-Menschenrechtsrat, oder UNHCR. UNHCR-Menschenrechtsrat macht ungefähr genausoviel Sinn wie UN-Menschnrechtsrat-Menschenrechtsrat.
> UNHCR-Menschenrechtsrat
Der UNHCR-Menschenrechtsrat der vereinten UN-Nationen? Der hat schon länger nichts von sich hören lassen, weil der Vorsitzende seine persönliche PIN-Nummer zur Identifikation verlegt hat.
[…] Einreisebestimmungen bei der Selbststellung, […]
@WPR_bei_WBS: Das, was Sie mir als unsinnige Argumentation vorwerfen, habe ich so nicht geschrieben. Ich möchte meinen Post so verstanden wissen, dass die rechtlich nicht bindenden Resolutionen in den nächsten Jahrzehnten die Gesetzgebung und vor allem die Rechtsprechung – auch die des EuGH – beeinflussen werden. Und es bedarf in der Tat eines fernen Tages eines höchstrichterlichen Urteils, damit ein wie auch immer gearteter Zugang zum Internet in JVAs erzwungenermaßen Realität wird. Das wird als logischer Schritt kommen und als Ingenieur lässt mich die technische Umsetzbarkeit auch völlig kalt, selbstverständlich gibt es entsprechende Lösungen für solche Applikationen.
Nun reiten Sie darauf rum, dass es keinen UNHCR-Menschenrechtsrat gibt – ja, das stimmt, es muss UN-Menschenrechtsrat oder kurz UNHCR heißen.
Wenn Sie diese sprachliche Präzision weiter ausbauen, werden Sie den Pförtner korrekt als IHK-geprüfte Werkschutzfachkraft bezeichnen und den Gabelstaplerfahrer als Flurförderzeugbediener. Ein Blick aus dem Fenster führt zu der Einlassung: „Oh, was für ein Niederschlag!“
@ Michael K.:
– Ich habe bewußt die Namensgebung ganz als letztes geschrieben, vom wichtigen zum nicht so wichtigen. Aber in Bezug auf meiner anderen Kritikpunkte an Ihrem Post war es für mich trotzdem ein erheblicher Punkt, da er in meinen Augen eine gewisse… Unbefangenheit (in Ermangelung anderer Worte) Ihrereseits mit dem ganzen Thema unterstreicht
– Warum genau denken Sie, dass so ein Arbeitsgemium in den nächsten Jahrzehnten die Rechtssprechung signifikant beeinflussen wird?
– dass es eines (höchstrichterlichen) Urteils bedarf (sollte der Gesetzgeber es nicht von sich aus machen), um Internetzugang für alle Häftlinge zu ermöglichen ist natürlich eine Binsenweisheit. Aber warum genau sollte ein Gericht zu diesem Urteil kommen? Und warum soll das auch noch gleich ein logischer Schritt sein?
– Warum sollte ein angebliches Grundrecht auf Internet im Rahmen einer (mit den Grundrechten in einklang stehenden!) freiheitsentziehenden Maßnahme absoluter bewertet werden, als das Recht auf Freiheit selbst?
– Das einen Ingenieur das Internet kalt läßt (bzw. des Eigenheiten) wundert mich jetzt nicht – Sicherheitstechnische Maßnahmen werden aber immer so nah wie möglich „am Prinzip“ betrieben – das Prinzip ist hier, dass der Datenfluß Probleme verursacht / verursachen kann. Anstelle irgendwie zu filtern (und nebenbei: Es ist Prinzipenbedingt UNmöglich, alle relevanten Inhalte zu filtern), wird also der Datenfluß als solchen unterbunden.