Einschluss oder Ausschluss

Eine interessante Fallkonstellation, die massive Auswirkungen haben kann auf die Gestaltung des Vollzugs von Freiheitsstrafen, liegt zur Zeit auf einem Tisch in Karlsruhe.

Zwei Strafvollzugsbediensteten wird eine fahrlässige Tötung vorgeworfen.

Nach den Feststellungen des Landgerichts hatten die beiden Strafvollzugsbediensteten entschieden, einen bereits mehrfach wegen Verkehrsdelikten vorbestraften Strafgefangenen in den offenen Vollzug zu verlegen und ihm dort weitere Lockerungen zu gewähren. Der Strafgefangene hatte sodann während eines Ausgangs ein Fahrzeug geführt, ohne im Besitz der notwendigen Fahrerlaubnis zu sein, war in eine Polizeikontrolle geraten und geflüchtet; bei seiner Flucht stieß er mit dem Fahrzeug einer 21jährigen Frau zusammen, die ihren tödlichen Verletzungen erlag. Der Strafgefangene ist wegen dieser Tat bereits u. a. wegen Mordes rechtskräftig zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden.

Das Landgericht hat in den Entscheidungen der Angeklagten, den Strafgefangenen in den offenen Vollzug zu verlegen und ihm Vollzugslockerungen zu gewähren, ein pflichtwidriges Handeln der Angeklagten gesehen, durch welches sie den Tod der Geschädigten fahrlässig mitverursacht hätten.

Das Landgericht Limburg hat die beiden Wachtmeiser zu neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurden (Urteil vom 7. Juni 2018 – 5 KLs 3 Js 11612/16). Nun wird im Herbst der 2. Senat des Bundesgerichtshofs darüber entscheiden, ob das Urteil in Ordnung geht (2 StR 557/18).

Ich meine, dass allein schon das Verfahren bis hierher dazu führen wird, dass die Entscheidung über Lockerungen im Strafvollzug eher nicht „pro libertate“ getroffen werden. Sondern aus Risikoausschlussgründen dem Einschluss der (geschlossene) Vorzug gegeben wird.

Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 103/2019 vom 02.08.2019

Dieser Beitrag wurde unter Knast, Vollstreckung veröffentlicht und mit den Begriffen verschlagwortet.

14 Antworten auf Einschluss oder Ausschluss

  1. 1
    raddi says:

    Ein „Justizwachtmeister“ entscheidet darüber, wer in den offenen Vollzug darf? Jetzt nich wirklich oder?

    raddi

  2. 2
    Bernd says:

    @raddi
    Zwei Klicks zum Urteil sind da äußerst erhellend.

  3. 3
    Hydl says:

    @ raddi
    Genau , nicht wirklich und deswegen steht da auch „Strafvollzugsbediensteten“ .

  4. 4
    WPR_bei_WBS says:

    Puh, starker Tobak. Ich kenne ja die Details nicht. Aber hier gilt doch eigentlich auch, was immer oder meistens im Strafvollzug gilt: Raus kommt er eh, also besser mal auf das Leben draussen vorbereiten (u. a. mit offenem Vollzug Richtung Ende der Haftstrafe).

    Was hier soviel heißt wie: Ich laß den Mann doch lieber gegen Ende der Haft in den offenen Vollzug, wo er sich von 8:00 – 18:00 Uhr (oder was immer seine Zeiten waren) daran gewöhnen kann (und Abends noch sowas wie ein „Sicherheitsnetz“ hat), mit dem Bus durch die Gegend zu gondeln, als ihn von jetzt auf gleich auf die Menschheit loszulassen, wo er viel eher in die Gefahr reinläuft.

    Ich meine, offensichtlich wurde keine Sicherheitsverwahrung verhängt – und jetzt fordert das LG von der JVA quasi sowas wie eine „kurzzeitige Sicherheitsverwahrung“?

  5. 5
    Schnorchel says:

    Also dann lebenslanger Freiheitsentzug, damit man nicht selbst dran ist.

  6. 6
    busy says:

    In letzter Zeit wird Mord immer öfter im Zussammenhang mit Verkehrsunfällen behauptet, was sich meiner Meinung nach schon im Wortlaut wiederspricht und auch in der Tatvoraussetzung, genauso wie der Vorsatz wenn man an Blitzern abbremst. Man nimmt es allenfalls billigend in Kauf. Die Ankläger weichen hier nur auf einfallslose Krückenlösungen aus, dabei wäre es technisch sicher auch weitgehend machbar, dass man sich identifizieren muss (z.B. Fingerabdruck wie am Laptop) und der Führerschein abgefragt wird (direkt oder online), bevor ein Auto startet. Eine Wegfahrsperre gibt’s ja auch.
    Ich hoffe aber dass hier nicht wieder das Schnittmengendenken greift und verallgemeinert wird, sondern es als solches gesehen wird was es ist, nämlich ein sehr unglücklicher/tragischer Einzelfall was auch die Beamten niemals voraussehen konnten.

  7. 7
    Der wahre T1000 says:

    @busy: Das Thema „Mord durch Unfall im Strassenverkehr“ wird in der Tat umstritten diskutiert.

    Die Frage ist doch, ob man „nur“ fahrlaessig zu schnell faehrt, was jedem passieren kann, oder wissentlich/willentlich durch extremes Rasen, Autorennen und ignorierte Ampeln vorhersehbar den Tod von Menschen inkauf nimmt.

    Bei zweiterem finde ich eine verurteilung wegen Mord gar nicht sooo falsch.

    Was ich allerdings falsch finde, ist die bei Mord zwingend vorgegebene Rechtsfolge, naemlich lebenslanglich. Aber das ist ein anderes Thema.

  8. 8
    BGH says:

    @T1000, die „Rechtsfolgenlösung“ des BGH über § 49 I StGB bei atypischen Mordfällen ist bekannt?

    https://www.juracademy.de/recht-interessant/article/rechtsfolgenloesung-bgh

  9. 9
    Rudi says:

    Aber sicher, der Umstand, dass der BGH im Hinblick auf BVerfGE 45, 187 in absoluten Ausnahmefällen entgegen dem Wortlaut des Gesetzes eine lediglich zeitige Freiheitsstrafe für geboten hält, ändert nur nichts an der grundsätzlichen Richtigkeit der Aussage von 1000.

  10. 10
    A.S. says:

    @T1000: Ich denke nicht, dass ein Raser bewusst den Tod von Menschen in Kauf nimmt. Genau diesen Aspekt, was alles schief gehen kann, blenden diese Personen (unterbewusst) aus. Der Kick, das Rasen ist doch das Ziel. Und es wird sich wohl eher selten (bis gar nicht) belegen lassen, dass derjenige sich vor dem durchtreten des Gaspedals erstmal überlegt hat „hmm, da könnten jetzt aber Menschen sterben … egal“.

    Die Mordmerkmale laufen doch eigentlich alle darauf hinaus, dass man jemanden töten *will*. Bewusst. Alles andere ist Totschlag, oder nicht?

    Wenn einer sein Auto in eine Menschenmenge steuert, kann man schon annehmen, dass eine Tötungsabsicht gegeben ist. Wenn einer einfach nur unfassbar rücksichtslos fährt und dabei aufgrund von Selbstüberschätzung in einer Menschenmenge landet kann von Vorsatz mMn keine Rede sein … auch wenn so jemand dennoch eine extrem hohe Strafe verdient hat.

  11. 11
    Andreas says:

    Es ist durchaus erleuchtend, einen Blick in das Urteil der Vorinstanz zu werfen – wenigstens diagonal, denn es ist lang. Dieser Fall ist imho überhaupt nicht geeignet, um „grundsätzliche“ Fragen zu diskutieren, denn er ist dafür viel zu extrem. Insofern hoffe ich auch stark, dass die von crh im letzten Absatz geäußerten Befürchtungen nicht eintreten. Dieser Fall taugt nicht als Vorbild.

    Der Freigänger K hat es auf stolze 26 Vorstrafen über einen Zeitraum von rund 30 Jahren gebracht. Bis auf wenige Ausnahmen sind das alles Delikte rund um Fahren ohne Fahrerlaubnis, mal mit Diebstahl, mal mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort, Verstöße rund um Pflichtversicherung, Kfz-Steuer, gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, Trunkenheit. Zwischendurch ist er mal „nur“ wegen Betrugs verurteilt worden. Passt aber trotzdem: Es ging um den Verkauf eines Autoradios.

    Er hat dafür insgesamt in Etappen 14 Jahre gesessen. Das muss man erst einmal schaffen, wenn man nie wegen eines „großen“ Delikts verurteilt wird.

    K hat also während seines offenen Vollzugs wieder einmal ein Fahrzeug geführt. Nicht überraschend. Er ist dabei wieder einmal der Polizei begegnet, wenn auch die Umstände eher zufällig waren. Er wollte sich einer Kontrolle entziehen – das hat er auch in der Vergangenheit schon versucht. Dass Verfolgungsjagden gewaltig schief gehen können, hat er auch schon selbst erfahren. Er ist dann auf der Flucht auf einer Bundesstraße mit getrennten Richtungsfahrbahnen in den Gegenverkehr gefahren, war dort als Falschfahrer unterwegs bis es zum Unfall kam, in dessen Folge dann die 21-jährige Unfallgegnerin verstarb. Den Sicherheitsgurt hat die Dame übrigens nicht angelegt.

    Theorien mit fahrlässigen Rasern, Kick durch Autorennen oder ähnlichem sind also Quark. Dass unter dem Erfahrungsschatz des K für die Tötung bedingter Vorsatz unterstellt wird, ist wenig überraschend. Das Mordmerkmal findet man auch eher leicht …

    Dass nun auf der Führungsebene der JVA noch Verurteilungen wegen fahrlässiger Tötung folgen, ist auch ein Extremfall. Das LG Limburg hat einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen den Lockerungen für K und der Tötung erkannt – bei einem zeitlichen Abstand von fast 5 Monaten!

    Das Führungspersonal hat an dieser Kuriosität aber auch hart mitgearbeitet. Kontrollen auf ein wirklich absehbares Fehlverhalten? Gab es nicht. Fahrzeugschlüssel, die K mitgeführt hat, wurden im Freigängerhaus nie bemerkt. Er hat Fahrzeuge gekauft und zugelassen – hat niemand bemerkt oder interessiert.

    Bei einer Begutachtung wurde K zunächst attestiert, dass er weiß, was man dem Gutachter erzählen muss, im nächsten Satz erhält er eine günstige Prognose. Ohne Begründung, warum er nicht auch hier nur den Gutachter verarscht. Das wurde nie hinterfragt.

    Bei mehreren Gelegenheiten hat K geäußert, dass er das FoFE nicht als Straftat sieht. Versuche, auf diese Einstellung außer durch weitere Verurteilungen einzuwirken? Fehlanzeige. Es wurde ihm nur immer wieder gute Führung bestätigt und durch seine berufliche Qualifikation wurde wohl davon ausgegangen, dass er sich draußen genauso brav verhalten würde.

    Der dritte Angeklagte, der freigesprochen wurde, war von der Idee mit dem offenen Vollzug nicht begeistert. Irgendjemand hat irgendwann seine kritischen Anmerkungen in diversen Dokumenten einfach durchgestrichen. Er war’s wohl nicht. Es ging bei seinen Bedenken auch um die Belegungssituation im Freigängerhaus (dort herrschte bereits Vollbelegung und er wollte eine eigentlich rechtswidrige Doppelbelegung vermeiden) und ähnlich unerfreuliche Dinge. Ging dann halt gegen seinen Willen und der junge Beamte (war zu Haftantritt des K noch in Ausbildung!) wurde danach auch fleißig versetzt …

    Ich hoffe doch stark, dass ein derartiges Maß an Pflichtverletzung nicht typisch ist. Genau deshalb auch meine anfängliche Hoffnung: Diese Geschichte ist hoffentlich für niemanden ein Maßstab.

  12. 12
    Der wahre T1000 says:

    @A.S. #11:

    Es wird vom Buerger erwartet, dass er ALLE Vorschriften kennt und umsetzt. Unwissenheit schuetzt nicht vor Strafe. Schonmal gehoert?
    Wer die Steuererklaerung unterschreibt, die der Steuerberater gemacht hat, der muss dafuer einstehen, selbst wenn er gar nicht verstanden hat, was er unterschrieb. Das verhaelt sich so in allen Rechtsbereichen. Das „habe ich nicht gewusst, habe ich nicht gewollt“ schuetzt nicht vor Knoellchen. Nur im Strafrecht stellt sich die Frage nach dem Vorsatz.

    Jeder Autofahrer muss (s)einen Fuehrerschein in der Fahrschule machen. Man wird umfangreich unterwiesen. Man lernt die Regeln und vor allem die Gefahren. Das faengt beim Bremsweg an und hoert beim geplatzten Reifen auf.
    Die Ausrede bei exzessivem Rasen oder gar Rennen, man habe gar nicht daran gedacht es koenne was passieren, ist eine billige und offenkundig falsche Schutzbehauptung. JEDER Verkehrsteilnehmer weiss, dass Rasen lebensgefaehrlich ist, fuer sich und andere: insbesondere innerhalb von Ortschaften. Zumindest MUSS er es wissen und sich somit zurechnen lassen.

    Jedenfalls macht es erkennbar einen Unterschied, ob man auf der Autobahn statt 120 mal 160 faehrt (gerade meinem Bruder versehentlich passiert, er ist Polizist) oder ob man mit 120 durch die Ortschaft brettert. Da ist der Vorsatz doch wohl sonnenklar, das passiert einem nicht versehentlich. Ein Gericht wird den Unterschied je nach Sachverhalt (hoffentlich) schon richtig beurteilen koennen.

  13. 13
    busy says:

    Ich behaupte dennoch, dass sich niemand vornimmt die Geschwindigkeitsbeschränkung zu überschreiten sondern das Fahrgefühl/den Rausch zu bekommen und ein Rennfahrer/Sieger sein zu wollen. Klar ist das total bekloppt aber ein präventiver, psychologisch- abschreckender Ansatz, wäre für die Allgemeinheit vermutlich sinnvoller als (Achtung Ironie) Kuschel-Knastandrohung. Alleine eine Tonaufnahme von Schreien eines Verunfallten oder z.B. der Angehörigen, würden sicher viel mehr in der Psyche von angehenden Rasern verursachen. Nicht mit dem Zeigefinger, sondern als Fakten dargestellt. Außerdem
    finde ich Fahrsicherheitstrainigs sinnvoller als Geschwindigkeitsbeschränkungen. Wäre schön wenn es die kostenlos oder für sehr wenig Geld gäbe. Ich hatte 3, regelmäßig von meiner letzten Firma bezahlt.

  14. 14

    26 Vorstrafen, in 30 Jahren, mit 14 Jahren Inhaftierung?
    Dann noch offener Vollzug?

    Da fällt einem eine der dunkelsten Dunkelnormen des deutschen Rechtswesens ein, nämlich der Straftatbestand der Rechtsbeugung. Oder vielleicht Beihilfe zu dem einen oder anderen Verkehrsdelikt, vielleicht sogar Mittäterschaft. Ob die finale Geisterfahrt, ein krasser Exzess, nun in irgendeiner Weise vorhersehbar war, ist allerdings zweifelhaft.

    Man sollte auch nicht vergessen, dass bei Triebtätern dieser Couleur nur relativ wenige Verstöße tatsächlich entdeckt werden, so dass man davon ausgehen kann, dass auf eine Fahrt ohne Führerschein zehn oder hundert weitere kommen, die nie entdeckt worden sind.