In einer schon gut angestaubten Geschichte hat die Staatsanwaltschaft den Erlass eines Strafbefehls beantragt. Der Richter hat das gemacht, was Richter immer machen, wenn die Staatsanwaltschaft einen solchen Antrag stellt: Er trägt ganz oben rechts auf dem Vordruck die Aktenzahl ein und unterschreibt ganz unten links den ansonsten schon vollständig fertigen Zettel. Alles andere hat die fleißige und stets zuverlässig arbeitende Staatsanwaltschaft schon vorbereitet.
Der Richter verfügt noch eben schnell die Zustellung an den Verteidiger und an die Beschuldigte, hat die Akte binnen weniger Minuten wieder vom Tisch und freut sich über die freie Zeit, die er nun auf dem Golfplatz verbringen kann.
Einen Einspruch und lange Monate später, die mit aktivem Nichtstun ausgefüllt waren, bekommen die Mandantin und ich die Ladung zum Hauptverhandlungstermin. Es war dem Richter nun doch ein wenig eilig geworden, weil zwischen der Tat, die der Mandantin zur Last gelegt wurde, und dem Ende der Verjährungsfrist nicht mehr allzu viel Luft war.
Zur Vorbereitung auf die Verteidigung im Termin habe ich noch einmal ergänzende Akteneinsicht beantragt. Und was soll ich sagen: Ich finde den Volltreffer auf Blatt 1031 der Akte.
Wer erkennt den Fehler und weiß, warum die Mandantin schonmal losgelaufen ist, um sich eine Flasche Schampus zu besorgen, den sie sich mit dem Richter teilen möchte?
Da haben Sie wohl keine Vollmachtsurkunde zur Akte gereicht, oder?
Ein bisschen weniger Polemik würde Ihre Beiträge oftmals wirkungsvoller erscheinen lassen.
Und wegen genau dieser Polemik lese ich die Beiträge so gerne. Sie sind unterhaltsam und informativ. Was will ich mehr erwarten, wenn ich auf der Suche nach Unterhaltung bin :)
Ich vermute ein Problem mit der wirksamen Zustellung des Strafbefehls und dem folgend mit der Verjährungsfrist. Hätte aber auch ohne Akteneinsicht auffallen können ;-)
Ich Laie kann mir noch nicht einmal vorstellen, wofür man beide Varianten von „nur eine Ausfertigung mit Belehrung, die andere ohne“ brauchen könnte. Aber schön, dass das Formular zweifelsfrei dokumentiert, was man hier wem zuzustellen versucht hat.
Ich vermute auch ganz stark, der Verteitiger ist garnicht EB (EmpfangsBevollmächtigter)?
Aber gegen den Strafbefehl ist doch Einspruch eingelegt. Somit ist ja seitens der Mandantin der Empfang doch dokumentiert. Nachdem der Einspruch ja sicherlich fristgerecht erfolgt ist schließt das doch einen fristgerechten Empfang ein.
Ich weiß, juristisch wahrscheinlich ok dass in dieser Konstellation das zugunsten der Mandantin ausgeht. Und damit vollkommen in der Aufgabe des Anwalts.
Aber – Vergleiche mit dem vorhergehenden Blogbeitrag nicht ganz zufällig – das hat was von Taschenspielertrick.
Die Zustellung (gegen EB) an den Verteidiger ist kein geeigneter Nachweis für die Zustellung an die Angeklagte. Das Gericht kann die Zustellung an die Angeklagte nicht nachweisen. Es sei denn, der Verteidiger verrät ein Mandatsgeheimnis. crh
Die Ausfertigungen unterscheiden sich? Mit Belehrung, ohne Belehrung? Sollten die nicht gleich sein?
Zustellung ohne Belehrung?
Die Beschuldigte hat überhaupt keinen Strafbefehl bekommen.
Wenn es kein Fall der absoluten Verjährung ist, würde ich den Schampus noch nicht kaltstellen…leider.
Hmm, der Verteidiger hat also ein Fahrverbot erhalten, die Mandantin nicht.
Drum bekommt der RA auch nix vom Schampus ab.
Vermute dasselbe wie die meisten Mitkommentatoren. Und wer einen „Taschenspielertrick“ vermutet (weil Einspruch eingelegt ja heißt Strafbefehl erhalten), dem gebe ich folgendes zu bedenken:
Dies ist kein Tennismatch zwischen Gleichberechtigten. In einem Strafprozess sagt der Staat, der die tatsächliche Macht hat, dem Einzelnen Unbill widerfahren zu lassen: „Ich glaube, du hast dich an dieser Stelle nicht exakt an die Regeln gehalten, und deshalb will ich dich bestrafen“. Wenn er das tut, so erwarte ich von ihm, dem Staat, dass er sich wenigstens selbst exakt an die Regeln hält, die er sich selbst gegeben hat.
@ bzgl. Taschenspielertrick:
Es ist doch ein erheblicher Unterschied, ob man es drauf anlegt und den „Gegner“ in eine selbst aufgestellte Fälle laufen lässt – also das, was man dem Gericht im vorigen Beitrag durchaus unterstellen könnte (wenn auch nicht muss)…. Oder ob man einfach den Fehler des „Gegners“ nutzt. Weiterhin hat diese Zustellregelungen der Gesetzgeber ja mal ‚aus Gründen‘ erlassen. Und gerade in diesem Fall sieht man auch warum: Der Mandant hat inhaltlich etwas anderes erhalten, als den „vollen“ Strafbefehl.
Außerdem möchte ich mich noch dem von SH geschriebenen anschließen.
Vielleicht sollte das BMVertdg. mal ein paar Euros aus seinem Beraterbudget an die Justiz abtreten. Ein klein bisschen Prozessberatung, und man wuerde diesen unnötig komplexen und daher fehleranfälligen (qed) Prozess entschlacken – einfach grundsätzlich immer sowohl an den Beschuldigten als auch den Verteidiger zustellen, und fertig.
Ich rate als völliger Laie mal mit:
Der Richter hat offensichtlich einen Vordruck, der die verschiedenen Möglichkeiten der Zustellungsmöglichkeiten abdeckt und verfügt: Zustellung des Strafbefehls zum Anwalt, Option 1.c.
Zustellung des formlosen Strafbefehls an Option 2.b.
Wer auch immer (ich vermute: die Geschäftsstelle des Gerichtes) das ganze nun auf den Weg brachte, hat nun aber die Optionen 1.a. und 2.a dokumentiert und vermutlich ausgeführt.
Wenn diese Konstellation nicht unüblich ist, fällt das dem Anwalt ja auch erst bei Akteneinsicht auf, weil der Strafbefehl durchaus zugestellt wurde, aber eben nicht so wie vom Richter verfügt, und damit „unordentlich“.
Ein Taschenspielertrick wäre das keineswegs: auch wenn Fehler menschlich sind, darf ein Fehler des Gerichtes nicht zu Lasten des Angeklagten gehen. Wenn das bedeutet, dass ein Schuldiger laufengelassen wird, müssen wir als Gesellschaft das tolerieren. Wir erkaufen uns damit nämlich das hohe Gut, der Justiz nicht willkürlich ausgeliefert zu sein.
Ich muss mein Vorposting korrigieren.
Dem RA wurde der Strafbefehl inkl. Belehrung und per Einschreiben zugesandt.
Der Beschuldigten wurde der Strafbefehl formlos, ohne Belehrung und mit der normalen Post zugesandt.
In der Regel liegt dem Gericht aber wohl eher keine Vollmacht vor.
Ich nehme in meinem laienhaften Rechtswissen an, dass sich damit die Hauptverhandlung erledigt hat, da der Strafbefehl schon nicht ordentlich zugestellt wurde und die Beschuldigte nicht belehrt wurde.
Soweit ich das erschnorcheln kann, war die Zustellung wirkungslos, weil es keine schriftliche Vollmacht in der Akte geben wird. Das Ganze läuft also in Richtung Verjährung.
@11: Warum sollte der Verteidiger keinen Schampus bekommen? Er hat ja das Fahrverbot, darf also gar nicht fahren, da kann er doch was trinken ;)
Vielleicht kommt der Richter ja auf die Idee, sich im Internet mal das Vollmachtsformular von Herrn Hoenig anzusehen ( http://www.kanzlei-hoenig.de/service/serv-formulare/straf-crh.pdf ). Da steht nämlich eine rechtsgeschäftliche Zustelluungsvollmacht drin.
Man darf halt nicht übersehen, dass neben der gesetzlichen Vollmachtsfiktion (deren Voraussetzungen in der Tat nicht vorliegen) nach der Rechtsprechung des BGH (3 StR 450/07) und aller Oberlandesgerichte auch eine rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht gegeben sein kann, die eben nicht schon vor der Zustellung zur Akte gereicht worden sein muss.
@Stefan
In der zitierten Entscheidung wurde eine Vollmacht zu den Akten gereicht. Dann ist auch klar, ab wann die Vollmacht gegeben wurde (was auch ein früherer Zeitpunkt sein kann).
Wurde hier irgendwann eine Vollmacht eingereicht? Wenn nicht, dann gibt es auch keine rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht.
Die rechtsgeschäftliche Vollmacht muss auch im Nachhinein nicht schriftlich in die Akte gelangt sein, ihre Existenz muss nur zur Überzeugung des Gerichts feststehen (vgl. etwa OLG Braunschweig, Beschluss vom 13. Mai 2013 · Az. 1 Ss (OWi) 83/13; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 20.04.2016 – 1 Ws 40/16; s. ferner KG, Beschluss vom 24.07.2014 – 3 Ws (B) 365/14 – 162 Ss 100/14; KG, Beschl. v. 17.6.2016 – 3 Ws (B) 217/16 – 162 Ss 55/16). Wenn sich das nicht schon aus dem Empfangsbekenntnis des Verteidigers ergibt, muss das Gericht den Verteidiger eben fragen (wie in OLG Saarbrücken aaO.); lügen wird er dann ja wohl nicht.
Anders liegt der Fall, wenn der Verteidiger in seiner Verteidigungsanzeige lediglich anwaltlich seine ordnungsgemäße Bevollmächtigung zur Verteidigung versichert und *keine* Vollmachtsurkunde beifügt. Dann gibt es keinen Anknüpfungspunkt für die fingierte Zustellungsbevollmächtigung.
Ob dann der Blick auf meine Website in den dort (noch) veröffentlichten Vollmachtstext für die Zustellungsvollmachtsfiktion ausreicht, prüfe ich gerade noch … ;-) crh
Keine Vollmacht iin der Akte = keine wirksame Zustellung des Strafbefehls = keine wirksame Zustellung der Anklage = ich sehe den Vorteil dennoch nicht, weil bereits der Erlass des Strafbefehls die Verjährung nach § 78c Abs. 1 Nr. 9 StGB unterbricht.
§ 78c Abs. 2 StGB stellt auf ein „Gelangen in den Geschäftsgang“ ab. Das dürfte mit dem Strafbefehl nach Unterzeichnung wohl geschehen sein. Ob man hier Honig aus der fehlerhaften Zustellung saugen kann, ergibt sich aus den Kommentierungen nicht.
Es ist sogar möglich, eine HV anzuberaumen. Hier müsste das Gericht auf den Fehler hingewiesen werden und das Gericht müsste dann nach § 265 Abs. 4 StPO reagieren.
Soweit meine Gedanken. Aber vielleicht gibt es doch irgendwo einen Kniff, den ich gerade nicht auf dem Schirm habe.
Auf den zweiten Blick: die Durchstreichung der Belehrung hätte unter Ziffer 1 der Verfügung erfolgen müssen.
So wurde der Strafbefehl an den Verteidiger mit Belehrung übermittelt, und an den Beschuldigten ohne. Fatale Folge: die Verjährung wird nicht unterbrochen, da überhaupt keine Zustellung an den Beschuldigten erfolgt ist, und damit ist möglicherweise der Fall erledigt und der Schampus kann aus dem Schrank geholt werden.
Grundsätzlich löst die Übermittlung eines Bescheids ohne Rechtsbehelfsbelehrung keine Fristen aus. Hier dürfte die Verjährungsfrist weiter gelaufen sein, weil ein Zustellungsmangel vorliegt. Dieser besteht in der fehlenden Belehrung des Beschuldigten, während ein Verteidiger aus naheliegenden Gründen normalerweise jedenfalls keine Rechtsbehelfsbelehrung benötigt.
Sehe ich ähnlich wie Kommentar Nr. 22. Bereits mit Erlass des Strafbefehls (Unterschrift des Richters), spätestens aber wenn der Strafbefehl in den Geschäftsgang gelangt, ist die Verjährung unterbrochen, § 78c Abs. 2 StGB. Anders ist es tatsächlich im Bußgeldrecht, dort ist die (ordnungsgemäße) Zustellung des Bußgeldbescheids Voraussetzung für die Unterbrechung der Verjährung. Tipp: Den Champagner trotzdem trinken. Zum Trost.
@Keller und @Rechtsanwalt Thorsten Hein
Und jetzt bitte mal § 78c III 2 StGB lesen und laut nachsprechen: „Der Blogautor ist gar nicht so blöd wie ich dachte.“
§ 283 StGB + § 78 III Nr. 4 StGB = 5 Jahre x § 78c III 2 StGB = 10 Jahre. Tatzeit 2009.
Na, watt is nu?
Okay, herzlichen Glückwunsch zur absoluten Verjährung. Konnte man nicht wissen, da Sie den Zeitpunkt der Beendigung der Tat nicht mitgeteilt hatten. Aber was hat das mit dem „Volltreffer“ zu tun, den Sie auf Bl. 1031 d. A. gefunden zu haben meinen?
Das Weglassen von Informationen (Bankrott + 2009) ist aber schon etwas unfair. ;)
Ja das ist dann natürlich einen Asbach Uralt wert.
Vielleicht noch ein kurzer Hinweis an die Kollegen. Bereits der Antrag auf Erlass des Strafbefehls steht der Anklageerhebung gleich und unterbricht die Verjährung nach § 78c I Nr. 6 StGB.
@Keller
Der Volltreffer ist, dass ohne wirksame Zustellung keine Hauptverhandlung stattfinden kann. Es muss also neu zugestellt werden und ein neuer Hauptverhandlungstermin gefunden werden. Wenn das Gericht schon auf Kante terminiert hat, wird das nichts mehr. So oder so ist aus dem Verfahren dann (wahrscheinlich) irgendwie die Luft raus.
@Jones
Auch das ist mE nicht richtig. Im Strafbefehlsverfahren tritt der Strafbefehl an die Stelle des Eröffnungsbeschlusses, für den anerkannt ist, dass er bereits mit seinem Erlass eine taugliche Grundlage für das weitere Verfahren bildet. Eine fehlende oder fehlerhafte Zustellung beeinträchtigt nicht die Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses. Sie kann lediglich dazu führen, dass die Hauptverhandlung unterbrochen oder ausgesetzt werden muss, wenn der Angeklagte nicht ausreichend informiert ist.
Davon kann hier im (analogen) Fall des Strafbefehls aber wohl nicht die Rede sein. Denn nicht nur kennt der Verteidiger den ihm (wenn auch fehlerhaft) zugestellten Strafbefehl; er hatte auch Akteneinsicht.
Ich erkenne das Missverständnis: Das „Ende der Verjährungsfrist“ hatte ich nicht als „Ende der absoluten Verjährungsfrist“ aufgefasst. Na denn, Prost! Und herzlichen Glückwunsch!
Der eigentliche Dreh scheint mir hier 412 StPO zu sein. Eine Verwerfung des Einspruchs bei Abwesenheit ist nur möglich, wenn die wirksame Zustellung des SB nachgewiesen werden kann.
Der Grund für den Schampus ist offensichtlich. Ich verstehe jedoch nicht, warum die Gerichte nicht _standardmäßig_ 2x rechtlich wirksam zustellen: 1x ‚mit allem‘, insbes. mit Belehrungen an den RA per Empfangsbekenntnis (kost‘ doch nix) & 1x ‚mit allem‘ im gelben oder gar blauen Umschlag an den Beschuldigten.
Nun bitte noch zur vollständigen Aufklärung: Warum wurde der Verteidiger über ein Fahrverbot belehrt? Bankrott ist da doch eher nicht einschlägig?
@JLloyd: Aus Kostengründen und Gründen der Verfahrensökonomie wird nicht standardmäßig an beide zugestellt. Zum einen kostet Zustellung gegen PZU Geld, zum zweiten gibt es eine Regelung (§ 37 II StPO), wonach bei Zustellung an mehrere Empfangsberechtigte der durch die Zustellung ausgelöste Fristbeginn (hier z.B. für den Einspruch) dann erst durch die letzte dieser Zustellungen ausgelöst wird. Ergo: Unnötige Doppelzustellung = unnötiges doppeltes Zustellfehlerrisiko. Eigentlich mehr als doppeltes Risiko, da Zustellungen an die Partei per PZU viel öfter schiefgehen als Zustellung gegen Empfangsbekenntnis an den Anwalt. Da kann schon ein schlecht beschrifteter Briefkasten reichen, dass so ein Ding als angeblich unzustellbar zurück kommt.
Genau solche Kommentare sind super. Es gibt viele interessante Sache die man lernen kann…
Das Bild ist cool ?