Fall Rebecca R.: Treibjagd im Live-Tickermodus

Die Vereinigung der Berliner Strafverteidiger hat eine Presseerklärung zur Berichterstattung im Fall der vermissten Rebecca R. aus Berlin veröffentlicht, die ich nachfolgend vollständig zitiere:

Das Vorstandsmitglied, Frau Rechtsanwältin Cäcilia Rennert kritisiert im Namen der Vereinigung Berliner Strafverteidiger e. V. die Berichterstattung im Fall Rebecca R. ebenso auf das Schärfste wie die Bereitschaft von Ermittlern, die Presse mit aus ihrer Sicht belastenden Details zu füttern.

Wir fordern die Presse auf, die mediale Vorverurteilung des Tatverdächtigen im Fall des verschwundenen Mädchens genauso einzustellen wie wir die Strafverfolgungsbehörden auffordern, die Durchstechereien nicht nur zu stoppen, sondern aktiv dem Eindruck entgegenzuwirken, das mediale Treiben sei für sie tolerabel.

Die aktuelle Berichterstattung, insbesondere in BILD, B. Z., aber nicht mehr nur in den Boulevardmedien tritt die Unschuldsvermutung des Verdächtigen mit Füßen und imponiert als Treibjagd im Live-Tickermodus. Darstellungen, die sich darüber hinaus im Ringen nach Sensationseffekten in Spekulationen ergehen und überbieten, untergraben in der frühesten Phase des Verfahrens bewusst das, was der Rechtsstaat um seiner selbst willen garantieren will und soll: Unvoreingenommenheit und Fairness gegenüber einem Verdächtigten.

Es ist auch an der Staatsanwaltschaft, die nach unserer Einschätzung keine Quelle derartiger Berichterstattung ist, dem rechtswidrigen Treiben von mindestens Teilen der Ermittler entgegenzutreten. Diese korrumpieren im Umgang mit der Presse die Verfahrensfairness möglicherweise irreparabel. Die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren mahnen hierzu aus gutem Grund in RiStBV Nr. 23 an, dass die Unterrichtung von Medien durch die Ermittler weder den Untersuchungszweck gefährden noch dem Ergebnis der Hauptverhandlung vorgreifen dürfe und der Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren nicht beeinträchtigt werden darf.

Diese in den Normappell gekleidete zivilisatorische Errungenschaft wird von manchen Medien sowie Teilen der Ermittler gegenwärtig auf dem Altar sich aufschaukelnder Sensationslust geopfert. Und zwar auch um den Preis, die Fairness des Verfahrens irreparabel zu beschädigen. Es ist an der Zeit und für alle dem Rechtsstaat professionell Verpflichteten geboten, diesem Treiben gemeinsam und deutlich entgegenzutreten.

Der Vorstand

Die Sorge um die vermisste Rebecca R. rechtfertigt auch meiner Ansicht nach nicht die Demontage elementarer Prinzipien unseres Rechtsstaats. Ich verurteile das kollusive Zusammenwirken der Ermittlungsbehörden mit insbesondere den Boulevardmedien, das durchaus Erinnerungen an amerikanische Westernfilme aufkommen lässt.

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Presseerklärung im Original als PDF

Dieser Beitrag wurde unter Medien, Staatsanwaltschaft veröffentlicht und mit den Begriffen verschlagwortet.

14 Antworten auf Fall Rebecca R.: Treibjagd im Live-Tickermodus

  1. 1
    WPR_bei_WBS says:

    Passt (leider) ins Bild. Ich kann zumindest die Berliner Polizei und die Berliner Staatsanwaltschaft nicht mehr wirklich ernst nehmen, wenn im Zeugen- / Fahndungsaufruf die konkret bekannte (!) Vermisste mit

    – 15 -18 Jahre
    – 170 -180 cm groß

    beschrieben wird. Gut, beim Alter könnte man noch sagen „was solls“, man sieht ja das Foto des Mädchens. Aber was genau soll man denn mit „170 – 180 cm“ anfangen?

  2. 2
    Bernd says:

    @Hr. Hoenig
    Klare Worte. Da sind sie der Erste. *daumen-hoch*

    @WPR_bei_WBS
    Es geht nicht darum, wie alt und wie groß sie genau ist, sondern wie sie auf einen Zeugen wirkt.

    Daher fächert man die Angaben etwas breiter, damit kein wichtiger Hinweis untergeht. Davon ab befinden sich Kinder und Jugendliche in der Wachstumsphase und da misst man ja nicht täglich nach.

  3. 3
    Katharina says:

    Zumindest ist dadurch nun bekannt geworden, dass in Brandenburg anscheinend anlassunabhängig alle KFZ-Kennzeichen auf bestimmten Straßen gescannt und längerfristig in der Fahndungsdatei für zukünftige Recherchen abgespeichert bleiben, selbst wenn zum Scanzeitpunkt kein Eintrag des Kennzeichens in der Fahndungsdatei vorliegt.

    Dazu:
    https://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20080311_1bvr207405.html

  4. 4
    Josef Prost says:

    In der Tat sollte unabhängig vom diesem Fall noch über die Rolle von „KESY“ gesprochen werden.

    Aus der dpa-Meldung zum Scannen: „Dabei gehe es etwa um die Suche nach zur Fahndung ausgeschriebenen Fahrzeugen (…). Kennzeichen anderer Fahrzeuge werden gelöscht.“
    und
    „Darüber hinaus können die Daten laut Polizei nach einem richterlichen Beschluss aber auch erneut ausgelesen und gesichtet werden. Dieses Vorgehen ist durch das Polizeigesetz Brandenburgs (§36a) gedeckt.“

    Offenbar pflegt man in Brandenburg eine recht eigenwillige Definition des Begriffes „Gelöscht“, denn zu jenem Zeitpunkt lag mutmaßlich nichts gegen „das Fahrzeug“ vor.

  5. 5
    Der wahre T1000 says:

    Sollte der Verdaechtige am Ende fuer schuldig befunden werden, dann hat sich die Vereinigung der Berliner Strafverteidiger mit der oeffentlichen Erklaerung keinen gefallen getan.

    Nicht dass ich falsch verstanden werde: an der Stellungnahme ist nichts auszusetzen. Wenn Sie denn (nur) an die richtigen Stellen und nicht an die Oeffentlichkeit gerichtet waere. Das Praekariat ist doch laengst von der Schuld ueberzeugt und bekommt so nur den Eindruck die Vereinigung wuerde sich mit Verbrechern solidarisieren.

  6. 6
    KBraun says:

    @Katharina: zulässig unter den Voraussetzungen gemäß Beschl. des BVerfG v. 18.12.2018 – 1 BvR 142/15

  7. 7
    Tobias says:

    @Der wahre T1000
    Wenn der Verdächtigte am Ende verurteilt wird, ist dagegen grundsätzlich nichts einzuwenden. Es geht darum, dass er nicht schon *vorher* verurteilt wird.

  8. 8
    moep says:

    @Der wahre T1000
    Nur weil es verbreitet ist, aus ex post Perspektive alles besser zu wissen als es andere aus ex ante wissen konnten, die aber handeln mussten, finde ich es nicht falsch immer und immer wieder darauf hinzuweisen, dass das eine an Unsinnigkeit schwer zu überbietende Argumentation ist.

  9. 9
    Josef Prost says:

    @KBraun
    Ich lese dort etwas über „Nichttrefferfall“ bzw. „unechter Trefferfall“. Letztere sind vermutlich aufgrund der enormen Fehlerquote der Lesegeräte enorm hoch und müssen händisch überprüft werden. Dennoch sind die Daten in beiden Fällen zu löschen.
    Wieso können diese Daten also später noch einmal ausgelesen werden?

  10. 10
    Nils says:

    Gerade wurde auf RTL aktuell berichtet, dass man den Verdächtigen unbegrenzt in U-Haft halten kann und das auch gegen ihn spricht, dass er schon mal mit dem Gesetz in Konfikt kam – er hat illegal Polen-Böller verkauft… Nur wo ist da der Zusammenhang. Ich hoffe inständig die Polizei hat den Richtigen und dennoch füht sich das wie ein außer Rand und Band geratener Polizeistaat an und nicht wie ein Rechtsstaat. :(

  11. 11

    […] RA Stefan Conen über die Unschuldsvermutung im Fall Rebecca, und dazu auch: Fall Rebecca: Treibjagd im Live-Tickermodus […]

  12. 12
    Brutha says:

    Die Veröffentlichungspraxis der Berliner Polizei und Staatsanwaltschaft macht mich ratlos. Bislang gibt es m.E. höchstens Indizien einer Straftat.
    Kann man bei einer solchen Veröffentlichungspraxis noch ergebnisoffen ermitteln? Nimmt man absichtlich in Kauf, dass womöglich jemand gar andere als Sachgründe vermuten könnte?
    Das Verhalten der sog. Qualitätsmedien, offizielle wie nichtoffizielle Information gnadenlos zu weiterzureichen, unterstützt deren schärfste Kritiker.

  13. 13
    matthiasausk says:

    … und wenn das Mädchen jetzt von einem Kurzurlaub zurückkommen sollte, dann hat man als Zufallsfund jedenfalls schonmal ein Drogendelikt.

    (Die RTL-Berichterstattung ist in der Tat sehenswert – ich möchte nicht in der Nachbarschaft einer RTL-relevanten Tat wohnen.)

  14. 14
    Barney says:

    Würde der Blogbetrieb eingestellt?

    • Nope! Kommt Zeit, kommt Blogbeitrag … crh