Keine Selbstbedienung bei der Pflichtverteidigung

Die Staatsanwaltschaft hatte den Erlass eines Strafbefehls beantragt. Es ging um die Klassiker aus dem Insolvenzstrafrecht: Insolvenzverschleppung (§ 15a InsO), Bankrott (§ 283 StGB) und Verletzung der Buchführungspflicht (§ 283b StGB).

Eigentlich keine große Sache, wenngleich der Umfang der Ermittlungsakten kein geringer war. Am Ende sollte eine Geldstrafe mit 180 Tagessätzen dabei herauskommen, stellten sich die Wirtschaftsabteilungen der Staatsanwaltschaft und des Gerichts vor.

Das besondere Problem hier:
Der Beschuldigte bringt aus einer anderen Sache eine offene Bewährung mit. Es droht also dort der Widerruf der Strafaussetzung der Bewährung. Das allein reichte in diesem Fall schon, um einen Fall der notwendigen Verteidigung anzunehmen. Ich vertrete zudem die Ansicht, dass Insolvenzstrafsachen per se Fälle sind, in denen dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger zur Seite gestellt werden muss; aber das ist hier nicht das Thema.

Die Staatsanwältin fügte ihrem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls also einen weiteren Antrag bei:

Der Richter schrieb daraufhin dem Beschuldigten und gab ihm Gelegenheit, zu diesem Antrag der Staatsanwaltschaft Stellung zu nehmen:

So muss das! Der Beschuldigte reagierte auch binnen der 2-Wochen-Frist:

Keine Woche später erging der folgende …

Nota bene:
Dem Beschuldigten gewährt man das rechtliche Gehör und die Möglichkeit, einen (Wunsch-)Verteidiger seines Vertrauens zu benennen. Dem Verteidiger stülpt das Gericht dann die Pflichtverteidigung eines ihm bis dato unbekannten Beschuldigten ungefragt über.

Ob ich überhaupt Lust auf die Verteidigung habe, oder Zeit, freie Kapazitäten oder sonstwas … scheint die Justiz nicht zu interessieren.

Ist das nur Gedankenlosigkeit? Oder die Vermutung, ich werde mich schon freuen, endlich mal wieder ein Mandat zu bekommen? Oder schlicht die Arroganz eines Richters, dem das Recht der Pflichtverteidigerbestellung zusteht?

Selbstverständlich übernehme ich auch in Wirtschaftsstrafsachen Fälle der notwendigen Verteidigung. Aber ich erwarte – zumindest vom Gericht, aber auch von dem Mandanten, dass ich vorher gefragt werde. Meine Kanzlei ist kein Selbstbedienungsladen, in dem sich Beschuldigte und Richter eine Verteidigung einfach aus dem Regal nehmen können.

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15 Antworten auf Keine Selbstbedienung bei der Pflichtverteidigung

  1. 1
    ThetaPhi says:

    Ich glaube, wir haben das mit der Pflichtverteidigung nur alle falsch verstanden.

    Der Mandant zeigt auf einen Verteidiger, und der ist damit verpflichtet. Sprachlich völlig folgerichtig, oder?

  2. 2
    Marius says:

    Hallo,
    Hat der als Pflichtverteidiger benannte Anwalt eine Chance sich dagegen zu wehren, oder kann ich als Beschuldigter jeden beliebigen Anwalt benennen? z.B. den Anwalt aus der Wirtschaftskanzlei, der nicht unter 1000 € die Stunde arbeitet oder z.B. Gregor Gysi oder einen Bundestagsabgeordneten?

  3. 3
    Kater Karlo says:

    „Der Vorsitzende bestellt diesen, wenn dem kein wichtiger Grund entgegensteht“

    Ganz oben in der Liste:
    – Habe keine Zeit für mehr Fälle, auch wenn diese sich über Monate hinziehen
    – Ich bin zu teuer
    – Ich will gefragt werden, sonst bin ich beleidigt
    – Ich bin bei Clash of Clans fast bei Level 13. Das braucht meine Aufmerksamkeit.

    :p

  4. 4

    Also ich gehe davon aus, der zu verteidigende ging davon aus, der Richter wird schon nachfragen ob der Verteidiger Zeit hat. Der Richter dachte vielleicht der Beschuldigte hätte nachgefragt. So hat es halt keiner.

    Vielleicht sollte man das dazu schreiben: „Frag nach!“

  5. 5
    Bernd says:

    Für das Mandantenverhältnis wahrlich kein guter Start. Das wird wohl ein raues Erstgespräch werden, wenn der Mandant dabei keine passenden Worte findet oder sogar der Meinung ist, dass alle um ihn drumherum zu springen haben, wenn er es will.

  6. 6
    meine5cent says:

    § 49 Abs. 2 BRAO iVm 48 Abs. 2 BRAO nebst Entpflichtungsantrag, wenn das Ergebnis nicht passt.
    Nachdem der Richter sich ja nicht einmischen darf in ein möglicherweise bestehendes Mandats-(anbahnungs)verhältnis und 142 StPO keine Anhörung des RA vorsieht, würde sich vielleicht der eine oder andere RA empören, wenn der Richter es wagen sollte, nachzufragen, ob das auch geht, der RA wirklich Lust hat oder was Besseres/Lukrativeres zu tun.
    Wobei Lust und Laune ja nach der BRAO offenbar nicht so richtig als wichtiger Grund gilt, der eine Bestellung hindern könnte.

    • Wenn ich an der Stelle wäre, dass ich einen Verteidiger brauche, würde ich es tunlichst vermeiden, mir einen zu suchen, der keinen Spaß an seiner Arbeit hat. Bzw. ich würde alles daran setzen, ihm diesen Spaß nicht zu verderben.
       
      Aber es gibt auch andere Menschen, die meinen, sie hätten einen Anspruch auf was auch immer; und den Anspruch setzen sie dann auch durch. Diese Art der Vollkaskomentalität scheint Ihnen nicht fremd zu sein. Deswegen würde ich Sie auch nicht verteidigen. #KeineLust crh
  7. 7
    Miraculix says:

    Als Mandant tut man sich sicher einen Gefallen wenn man vorher Kontakt mit dem Wunschanwalt aufnimmt.

  8. 8
    Roland B. says:

    Ich hätte in solch einem Fall auch einen Anwalt meines Vertrauens benannt. Der Richter spricht ja von „benennen“, nicht von „beauftragen“, da wäre ich bis heute davon ausgegangen, daß es dabei um einen Vorschlag von mir geht, und daß das Gericht natürlich nicht ohne nachzufragen, jemandem eine solche Aufgabe zuweist.
    Als Angeklagter ist man schließlich erstmal Laie.

  9. 9
    Flo says:

    Aber immerhin löblich das Staatsanwalt und Richter von sich aus das Thema, störender (Pflicht)Verteidiger, aufgreifen und nicht versuchen den Fall geräuschlos und schnell zu erledigen. Das habe ich (hier?) schon anders gelesen.
    @2 Marius, auch die Wirtschaftsanwalt mit 1000 € Stundensatz wird bei einer Pflichtverteidigung gegenüber der Staatskasse nur die dafür vorgesehenen Gebühren abrechnen können. Rest muss er mit dem Mandanten klären.

  10. 10
    Stefan says:

    Wäre es nicht Aufgabe des Angeklagten mal vorher mit dem Anwalt zu sprechen, bevor er ihn als Verteidiger benennt? Ich würde zumindest nicht einfach jemanden nennen, ohne mal vorher mit dem gesprochen zu haben.

    • Genau so würde ich es machen, wenn ich Angeklagter wäre. crh
  11. 11
    Jurist says:

    Tja, da rächt sich wohl die Prominenz des bloggenden Verteidigers. Hätten Sie bloß nicht immer wieder erwähnt, dass Sie Wirtschaftsstrafrecht machen! ;-)

    Im Übrigen würde ich keinem Beschuldigten ernsthaft empfehlen, einen „Wirtschaftsanwalt“ für 1.000,-/h zu benennen. Der hat nämlich im Zweifel null Ahnung von Strafverteidigung!

  12. 12
    k75 s says:

    Soweit verstanden, auch Strafverteidiger haben ihre Blastungsgrenze. Nur, was mache ich im (sehr theoretischen) Fall einer Hausdurchsuchung?

    Als mitlesender Laie würde ich ja die Telefonnummer von dem Zettel in meinem Portemonaie anrufen. Was aber wenn der Anwalt am anderen Ende #KeineLust, Zeit, whatever hat? Soll ich mir jetzt ein Telefonbuch ins Portemonaie stopfen?

  13. 13
    Sabine says:

    Woher wusste der zuvor unbekannte Mandant denn, dass Sie Rudolf und nicht z.B. Ronny heißen? Für das ausgeschriebene R. gibt es ja nur eine recht kleine Anzahl an Informationsquellen.

  14. 14
    meine5cent says:

    @crh:
    Dass ein Mandant (der nicht in Haft ist) sich darum kümmern sollte, den Anwalt seiner Wahl zu kontaktieren, ehe er ihn dem Gericht benennt, da haben Sie ja völlig recht. Sowohl Anstand als auch psycholgisches Gespür (wie sehr freut sich der RA über disese Prösent und wie engagiert wird er sein) sollten da bei jedem potentiellen Mandanten vorhanden sein., zumal bei der Klientel aus dem wirtschaftsstrafrechtlichen Bereich, bei BtM-Abnehmern sieht es ja etwas anders aus…
    Ich sehe nur keinn Fehler beim Gericht, weil derartige Nachfragen (beim Mandanten oder beim RA) mE auch problematisch sein können.

  15. 15
    Hans says:

    Wenn die Gerichte jetzt auch noch anfangen, hinter den von den Angeschuldigten benannten Pflichtverteidigern herzutelefonieren, kommen sie zu nichts mehr.