Der Mandant war trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zu „seinem“ Termin erschienen. Das war keine gute Idee, denn dafür sieht das Prozessrecht den sogenannten Sitzungshaftbefehl vor (§ 230 StPO).
Eine Verhaftung konnte (zunächst noch, siehe unten) verhindert werden, der Mandant ist dann „freiwillig“ zu einem Wiederholungstermin erschienen, den das Gericht ein paar Wochen später anberaumt hatte. An diesem Sitzungstag wurde die Sache auch beendet; er wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und der Haftbefehl per Beschluss aufgehoben.
Dieser Beschluss hat dann wohl auch Eingang in die Gerichtsakte gefunden. Weiter ist er aber offensichtlich nicht gekommen.
In der vergangenen Woche meldete sich die Ehefrau meines Mandanten gegen 22:30 Uhr über unseren Notruf. Sie teilte mit, dass die Polizei ihren Mann fest- und mitgenommen habe. Das ist wohl nicht ganz unproblematisch vor sich gegangen; jedenfalls braucht die Wohnung jetzt eine neue Tür und auch einiges Mobiliar in der Wohnung muss ersetzt werden.
Erst am darauf folgenden Vormittag konnte ich die Sache klären.
Der zuständige und freundliche Polizeibeamte teilte mir mit, dass seine Kollegen den Sitzungshaftbefehl (siehe oben) vollstreckt hätten. In seinem Computersystem sei nichts von einer Aufhebung des Haftbefehls erkennbar. Auch sei beim Gericht niemand erreichbar, der ihm meine Information bestätigen konnte.
Glücklicherweise ist es mir gelungen, quasi über die „Hintertür“ Kontakt zu der zuständigen Mitarbeiterin auf der Geschäftsstelle des Gerichts aufzunehmen. Wir waren beide erleichtert, dass sich die Akte noch auf der Geschäftsstelle befand und nicht bereits auf dem Weg über die Staatsanwaltschaft zum Landgericht war, das über die Berufung zu entscheiden hat.
Denn in dieser Akte befand sich auch der Beschluss, mit dem der Haftbefehl aufgehoben wurde. Es war dann kein Problem mehr, den Beschluss auf die Polizeidienststelle zu schicken. Fünf Minuten später wurde der Mandant wieder in die Freiheit entlassen.
Es reicht also nicht aus, dass ein Haftbefehl aufgehoben wird, um zu verhindern, dass er vollstreckt wird.
Nun obliegt es dem Mandanten, den erlittenen Schaden gegenüber dem Land geltend zu machen. Wer sich einmal mit der Durchsetzung von Amtshaftungsansprüchen ernsthaft auseinandergesetzt hat, weiß, dass dies kein einfaches Unterfangen ist. Ich gehe davon aus, dass er am Ende auf irgendeinem Schaden sitzen bleiben wird.
Mit einer Entschuldigung für dieses Justizversagen rechne ich ebenfalls nicht. So ein Geschehen scheint wohl eher zum allgemeinen Lebensrisiko zu gehören … jedenfalls nach Ansicht der verantwortlichen Justiziellen. :-(
Das hat wohl der Sitzungsvertreter der StA verbockt. Die StA schreibt Personen nach einem Haftbefehl zur Festnahme aus, also wäre es auch Sache der StA gewesen, die Ausschreibung sofort zu löschen. Fraglich, wie viel der Sitzungsverteter überhaupt von dem Drumherum wusste. Wäre dann vielleicht auch Aufgabe des Gerichts gewesen auf eine bestehende Ausschreibung hinzuweisen. Dem Mandanten wirds egal sein. Unschön.
Man kann wohl auch die unschöne Variante, dass der Sitzungsvertreter der StA die Bewährungsstrafe nicht mochte (wer ist denn in Berufung gegangen?) und daher die Ausschreibung nicht entfernte, nicht wirklich ausschliessen oder wie soll ich die Überschrift dieses Artikels sonst deuten?
Ich würde die Überschrift eher auf die letzten zwei Absätze des Beitrags beziehen. Vom Standpunkt „dumm gelaufen“ ist es tatsächlich die Realisierung eines allgemeinen Lebensrisikos. Die Alternative „jemand hat einen Fehler gemacht“ wirft ein anderes Licht darauf. Die weitere Alternative „jemand hat dem Mandanten absichtlich und unrechtmäßig Schaden zugefügt“ würde ich ohne weitere Hintergrundinfo zunächst nicht weiterverfolgen. Never attribute to malice what can be adequately explained by stupidity.
1.
@Berti: Um die Ausschreibung bei Sitzungshaftbefehlen kümmert sich normalerweise nicht die Staatsanwaltschaft, sondern das Gericht.
2.
@kristall: Die Idee, da habe jemand bewusst etwas gedreht, ist ziemlich absurd.
3.
Das ganze lässt sich recht einfach erklären: Durch den Deal, den CRH mit dem Gericht geschlossen hat (Mandant hält sich versteckt, verspricht aber, sich zum Termin zu stellen), ist eine Konstellation eingetreten, die eher ungewöhlich ist und für die es bei Gericht und Staatsanwaltschaft keinen eingespielten Workflow gibt. Dazu kam dann noch ein bisschen Unachtsamkeit (bei Gericht und bei StA) und ein bisschen Pech (des Mandanten), und schon war’s geschehen.
Übrigens hätte auch der Verteidiger auf die Idee kommen können, am Ende der Sitzung etwas zu sagen wie „Sie denken daran, die Fahndung gleich aufzuheben, oder? Nicht dass mein Mandant auf dem Heimweg festgenommen wird…“
Hätte mich an seiner Stelle mit massiver Waffengewalt gegen diese OFFENSICHTLICHE, RECHTSWIDRIGE Amtshandlung gewehrt.
@Grundrechtsverteidiger Sie haben einen Panzer?
Die Idee ist nett, führt in der Praxis aber zu einigen Problemen.
@Kristall
Ja, den Gedanken hatte ich auch…
Nur mal interessenshalber: Was ist denn da schief gegangen, dass durch die Vollstreckung eines Sitzungs-Haftbefehls etwas kaputt geht?
Da klingelt doch üblicherweise eine Streifenwagenbesatzung und bittet freundlich darum, mal mitzukommen, und warten normalerweise noch, bis man in Ruhe eine Zahnbürste eingepackt hat und die Katzenfütterung organisiert ist.
Gab es irgendwelche Gründe dafür, da ein SEK vorbeizuschicken und eine Blendgranate in den Raum zu werfen? Oder ist einfach die Situation eskaliert?
„Nicht ganz unproblematisch“ übersetze ich mal aus Sicht der „Gegenseite“ mit §113 StGB. Und Abs. (3) rettet ihn wohl auch nicht, denn _aus Sicht der am Einsatz Beteiligten_ war die Diensthandlung rechtmäßig. Der Zyniker in mir sagt daher, dass der Mandant mit einer Amtshaftungsklage SEHR vorsichtig sein sollte. Da könnte das Echo schlimmer ausfallen als der Schuß – zumal er ja gerade „Bewährung hat“.
@quicker-easier:
Zu Berlin kann ich nichts sagen, zumindest in Bayern kümmert sich aber die StA um Ausschreibungen (und zwar in jeglicher Form). Nach dem Gesetz geht wohl beides. Also hab ich tatsächlich vorschnell auf die Praktiken im übrigen Teil der Republik geschlossen. Danke.
Das war Absicht!
Also ich wüsste nicht, an wen ich mich da wenden sollte – ist bei uns auch Sache der Staatsanwaltschaft. Deshalb rate ich Beschuldigten, die nach Fahndung festgenommen wurden und von mir verschont werden oder deren HB ich aufhebe, auch immer dazu, den Verschonungsbeschluss/Aufhebungsbeschluss noch für mind. 2 Wochen jederzeit bei sich zu tragen, damit sie im Fall der Fälle belegen können, dass sich die Fahndung erledigt hat. Völlig unabhängig davon, wer jetzt den Fehler gemacht hat: Sicher ist sicher! Gerade bei einer Festnahme an oder kurz vor einem Wochenende dauert es ein paar Tage, bis die Akte mit dem entsprechenden Beschluss bei der Staatsanwaltschaft ankommt und dann die Löschung veranlasst wird, wenn die Polizei das nicht schon selbständig unmittelbar nach der Festnahme veranlasst hat (keine Ahnung, wie die dortigen Abläufe sind, aber zumindest die Festnahme sollte sich den dortigen IT-Systemen ja entnehmen lassen, so dass schon allein der Umstand, dass sich der Beschuldigte kurze Zeit später wieder auf freiem Fuss befand, für eine vorangegangene Entlassung durch den Richter spricht).
Im vorliegenden Fall kam allerdings auch mehreres zusammen: Der Beschuldigte kam nicht aus der JVA, sondern als freier Mann zum Termin, so dass die laufende Fahndung für alle Beteiligten vielleicht nicht so präsent war. Die Polizei konnte sowieso nicht wissen, dass sich die Fahndung erledigt hat (also in so einem Fall direkt mit massiver Waffengewalt auf die gutgläubigen Polizisten loszugehen, dürfte aus mehreren Gründen nicht nur unklug sein, sondern ist auch moralisch völlig daneben – ACAB stimmt nunmal einfach nicht!). Falls sich die Sache am Amtsgericht zugetragen hat, könnte Sitzungsvertreter der StA auch ein Referendar gewesen sein, der in der Regel solche Feinheiten auch nicht auf dem Kasten hat (Referendare kommen frisch aus dem Studium und können – hoffentlich – die Gesetze mehr oder weniger korrekt anwenden, haben von der Praxis aber naturgemäß wenig Ahnung). Und der Richter muss sich um die Löschung der Fahndung (offenbar je nach Bundesland verschieden) grds. auch nicht kümmern, so dass er sich darüber im konkreten Fall auch keine Gedanken gemacht haben wird – darum kümmert sich ja eigentlich die Staatsanwaltschaft. Natürlich kann es ihm auch trotzdem einfach durchgegangen sein – sowas passiert auch den Besten. Immerhin könnte man auch als Strafverteidiger den Anspruch haben, gerade mit Fehlern der anderen Beteiligten zu rechnen, denn schließlich gehört das (auch) zum Job und manche Strafverteidiger suchen fast ausschließlich nach solchen oder versuchen angeblich gar, sie zu provozieren… Hoffen wir also, dass alle Beteiligten aus der Sache gelernt haben und beim nächsten Mal irgendjemand die Gefahr erkennt! Zur Sicherheit sollte man sich vielleicht als Anwalt oder Beschuldigter/Angeklagter entsprechende Entscheidungen, auch wenn sie nur zu Protokoll diktiert werden, immer auch nochmal als Ausfertigung geben lassen. Und auch bei StA und Gericht sollte man natürlich darüber nachdenken, bestimmte Abläufe zu optimieren, wobei m.W. die Formulare, die Staatsanwälte oder zumindest Referendare nach der Hauptverhandlung ausfüllen müssen, solche Dinge explizit abfragen. Dort, wo sich der Richter selbst kümmern muss, mag es aber auch anders sein.
Hier irgendjemandem Vorsatz zu unterstellen, geht definitv zu weit, schließlich kämen wir dann in den Bereich der strafbaren Freiheitsberaubung. Selbst ein Staatsanwalt, der die Bewährungsstrafe für noch so ungerechtfertigt hält, wird dieses Risiko im Normalfall nicht eingehen!
@Subsumtionsautomat Welches Risiko? Ich glaube nicht, das die werten Kollegen sich große Mühe geben würden den Vorsatz zu beweisen und eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit finde ich für § 239 nicht.
Und ich bin lieber Opfer von Vorsatz als von Dummheit, @SH
Ich bleibe dabei.
Massive Waffengewalt seitens des Opfers wäre absolut rechtens gewesen, da die Amtshandlung rechtswidrig war und man versucht hat, ihn der Freiheit zu berauben.
[…] Nur dumm gelaufen?, […]
Die Amtshandlung vor Ort durch die Polizei kann nicht rechtswidrig gewesen sein. Die Polizei richtet ihr Handeln nach dem vorliegenden Haftbefehl. Dass dieser Haftbefehl nicht mehr gültig war, wusste die Polizei nicht und konnte es auch nicht wissen, weil außerhalb der Verfahrensbeteiligten niemand von den Entwicklungen in diesem Fall etwas wusste.
Dass die Justiz ihr Handeln der Polizei nicht oder nicht rechtzeitig erklärt hat, macht das Handeln der Polizei nicht rechtswidrig.
Im vorliegenden Fall ist „nur“ die Information über die Nichtmehrexistenz des Haftbefehls bei den Dorfpolizisten nicht angekommen. Oder anders formuliert: Die haben ein Phantom vollstreckt. Damit war der Zugriff *objektiv* rechtswidrig.
Dass man dem Dorfpolizisten (beispielsweise) eine Freiheitsberaubung o.ä. zur Last legen könnte, scheitert am fehlenden Vorsatz der Beamten.
Sich einer solchen rechtswidrigen Maßnahme entgegen zu stellen, gar mit Waffengewalt, ist eher nicht empfehlenswert; nicht nur aus strafrechtlicher Sicht. Ich empfehle in solchen Fällen schlicht, die Ruhe zu bewahren und entspannt mitzugehen. Sowas klärt sich in einem in höflicher Form geführten Gespräch recht schnell. Prinzipienreiterei und Rechthaberei sind nicht nur unhöflich, sondern auch nicht zielführend. crh
„Prinzipienreiterei und Rechthaberei sind nicht nur unhöflich, sondern auch nicht zielführend.“ – crh
Im Umkehrschluss: Bei gebotenem Anlass herumzupöbeln, beziehungsweise Krawall und/oder Zicken zu machen, ist das Privileg des Strafverteidigers, nicht das des Angeklagten. ;-)
„Wer sich einmal mit der Durchsetzung von Amtshaftungsansprüchen ernsthaft auseinandergesetzt hat, weiß, dass dies kein einfaches Unterfangen ist.“
Das war es für mich als BWL-Student im 2. Semester schon.
Uni meckerte „nix Semesterbeitrag“, ich mit Kontoauszug hin. Die prüfen „nix da, Nachforschungsantrag bei Bank“.
Bank nahm 10.- und meinte, alles korrekt. Wieder zu Uni, die so „Hmmh, OK, uuuups, doch die ganze Zeit gebucht gewesen“.
Ich so „Und die Kosten für den Nachforschungsauftrag“.Unikasse „Zimmer x fragen“. Von dort ging es via y und z letztlich zurück zur Unikasse, wo es den Hinweis gab, den Passierschein A38 zu beantragen. Ach nein, an die Verwaltung zu schreiben.
Nach flotten 2 Monaten kam eine Überweisung in Höhe von 15.-, Verwendungszweck „Amtshaftung, Bankgebühr und Auslagen“.
Hab die 5.- dann hemmungslos in der Mensa durchgebracht.
„Ich habe hier noch eine gut erhaltene Tastatur, mit funktionsfähiger Kommataste. Bedarf? crh“
Dann tauschen Sie die vielleicht gegen Ihre aktuelle. Denn die scheint hier ein überflüssiges Komma gesetzt zu haben.
@Subsumtionsautomat
Neee, unmöglich, das geht ja gar nicht. Von „definitiv zu weit bis „im Normalfall“ ist aber ein ein wenig Fußweg zurückzulegen, fällt mir zumindest gerade auf.
Freut mich jedenfalls, dass Sie soviel Begeisterung für Ihre Arbeit entwickelt haben.
Wäre es in ähnlichen Fällen sinnvoll, eine Kopie des Aufhebungsbeschlusses bei sich zu haben und je nach Nachbarschaft, auch an die Haustür zu pappen?
Die Idee mit der „Veröffentlichung in der Nachbarschaft“ wäre allerdings nicht ganz so mein Geschmack. Aber jeder so, wie er’s mag. crh
Nummer 20 meinte wohl eher, den Beschluss von außen an die eigene Tür zu kleben. So nach dem Motto: „Bevor Sie hier eintreten, der Haftbefehl ist aufgehoben“. Würde ich aber auch eher nicht da machen, wo ein laufendes Strafverfahren ehrenrührig wäre. ;-)