Schlagendes Argument des Vorsitzenden

Ich unterstüzte derzeit einen Angeklagten bei seiner „Selbststellung“.

Vor einigen Jahren hatte mein Mandant sich dazu entschlossen, nicht zu dem Hauptverhandlungstermin zu erscheinen, sondern den Kontinent zu verlassen.

Jetzt fällt ihm die asiatische Decke auf den Kopf und er will die Sache hinter sich bringen.

Wir haben einen Termin für die Einreise nach Deutschland gefunden. Und nun besteht meine Aufgabe darin, mit dem Gericht einen Hauptverhandlungstermin zu vereinbaren, der möglichst zeitnah zur Einreise meines Mandanten liegt. Denn wir gehen sicher davon aus, dass er bei seiner Einreise festgenommen und der Haftbefehl vollstreckt wird.

Auf meine Bitte um einen schnellen Termin entgegnete mir der Vorsitzende:

Wieso sollen Angeklagte, die nicht geflohen sind und bereits viele Monate in der U-Haft auf ihren Termin warten, schlechter behandelt werden, als jemand, der sich dem Verfahren durch Flucht entzogen hat?!

Manchmal muss auch ein Strafverteidiger einräumen, dass ein Richter die besseren Argumente hat.

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Dieser Beitrag wurde unter Richter, Verteidigung veröffentlicht und mit den Begriffen verschlagwortet.

22 Antworten auf Schlagendes Argument des Vorsitzenden

  1. 1
    Berti says:

    Wenn der Mandant sich nunmehr dem Verfahren stellt und freiwillig aus dem Ausland einreist, sogar Kontakt zum Gericht sucht, kann dann der Haftbefehl nicht gegen Meldeauflagen außer Vollzug gesetzt werden?

  2. 2
    Bernd says:

    Ich nehme mittels Kristallkugel einfach mal an, dass der Beschuldigte in der HV eine empfindliche Haftstrafe erwartet.

    Vielleicht kann er die U-Haft als Vorkasse im Kopf verorten. Sie wird ihm ja am Ende angerechnet, eventuell sogar mit kleinem Bonus. So kann er die ganze Sache vielleicht noch ein wenig mehr verkürzen.

  3. 3
    Gerrit Schleede says:

    @1: Nunja… Nachdem der Mandant schon einmal ausgerückt ist, werden die Strafverfolger dieses Risiko nicht noch einmal eingehen wollen. Denn selbst bei Entzug von Personalausweis/Reisepass kann er sich ja immer noch über die grüne Grenze Richtung Osten absetzen.

  4. 4
    Richard says:

    Ist „Selbststellung“ nicht ein Pleonasmus? Ist das der in juristischen Kreisen gebräuchliche Terminus?

  5. 5
    Martin says:

    Der Angeklagte stellt sich selber und dann will der Richter noch seine Macht spielen lassen?
    Ist so etwas kein Grund für einen Befangenheitsantrag? Soll der Mandant lieber in Asien bleiben. Europa geht ja eh vor die Hunde …

  6. 6
    Christian says:

    @Martin sehr intelligenter Kommentar!

  7. 7
    WPR_bei_WBS says:

    @ Martin

    Der Richter läßt seine Macht nicht „spielen“, er nutzt sie wie vorgesehen dafür, eine Fluchtgefahr zu bannen.

    Natürlich kann man für den Angeklagten ins Feld führen, dass durch die Selbststellung nach Flucht offenbar keine Fluchtgefahr mehr besteht – würde er flüchten wollen, könnte er ja einfach bleiben, wo er ist.

    Allerdings kann man auch ins Feld führen, dass er grundsätzlich kein Problem mit einer FLucht hat und diese ja wohl auch jahrelang durchgezogen hat (also es keine Kurzschlußhandlung war). Je nachdem, was genau ihn jetzt aus Asien vertreibt kann es ja sein, dass er nun „nur“ in Deutschland untertauchen würde oder Deutschland als Drehscheibe für ein anderes Zeilland nutzen möchte. Ebenfalls kann man selbst bei einem Willen zur Gerichtsverhandlung ins Feld führen, dass eine Gefahr da ist, dass er kurz vor der eigentlichen Verhandlung wieder so die Muffe kriegt, dass er doch wieder abhaut. Dass dieses Risiko bei ihm gegeben ist, hat er ja bewiesen.

    Es wird also auch sehr stark auf seine Beweggründe zur Selbststellung (und inwiefern der Richter diesen glaubt) ankommen. Da crh hier weiter nichts gegen die Entscheidung des Richters vorbingt unterstelle ich einfach mal, dass sich nicht urplötzlich sein Gewissen gemeldet hat, sondern es eher um opportunistische Gründe geht (Krankheit gepaart mit zu wenig Geld und besch… Gesundheitssystem, Armut und keine Sozialhilfe im Deutschen Sinne, Konflikte mit dem lokalen Gesetz, …)

  8. 8
    BV says:

    Die Frage ist ja, wie fix der Einreisetermin ist bzw. wie groß die Gefahr, dass der Beschuldigte sie doch noch einmal verschieben könnte. Gegebenenfalls sollte der Richter erwägen, mit einem gewissen „Entgegenkommen“ die Durchführung der Einreise und damit der Hauptverhandlung sicherstellen.

  9. 9
    Flo says:

    @Martin, also für mich ist da kein Grund erkennbar warum der Richter befangen sein soll.

    Er ist halt „nur“ nicht gewillt den Mandanten besser zu behandeln als jemanden der zufällig bei einer Verkehrskontrolle erwischt wird.
    Anders wäre das wenn der Richter ankündigen würde die Hauptverhandlung absichtlich so spät wie möglich zu terminieren.

  10. 10
    Börni says:

    Man beachte das Ausrufezeichen in der Aussage des Richters.
    Nur die Frage nach einem frühen Termin hat wohl schon den Hut hoch gehen lassen.

  11. 11
    Ausrufezeichen says:

    „Ausrufezeichen in richterlichen Schreiben begründen ausnahmslos die Besorgnis der Befangenheit und führen zur Ablehnung des jeweiligen Richters.“ (BGHSt 4711/007 m. Anm. v. Prof. Dr. Börni Börnsen)

  12. 12
    Thomas says:

    Dann kann man ja immer noch die Einreise nach hinten verschieben. Ein Flugticket ist in der Regel leichter gebucht als eine Hauptverhandlung

  13. 13
    Draalo says:

    Gäbe es nicht die Möglichkeit einen HV Termin ansetzen zu lassen – der Angeklagte erklärt sich vorher schriftlich bereit zeitnah anzureisen?

    So dass max. 4 Wochen U-Haft drohen?

    (Wenn natürlich tausende Zeugen ge- und ggf. wieder entladen werden müssen ist das schwer.)

    Wie hoch würde hier ein Teilgeständniss vorab wiegen? Bzw. die in Aussichtstellung eines Vollgeständnisses? (Theoretische Frage, kenne ja den Fall nicht)

    Auch wären aus meiner Sicht Verdunkelungsgefahr und Wiederhohlungsgefahr ausschlaggebend.

    (Sollte beides dem Sachverhalt nach eher unwahrscheinlich bis unmöglich sein – Da sollte noch was drin sein)

    PS: Die Aussage des Richters kann ich voll und ganz verstehen.

    Sie bedeutet ja ehrlicherweise „Wir arbeiten nicht nur am Anschlag, wir sind chronisch überlastet“

    Sonst würden ja Leute nie 18 Monate in U-Haft sitzen um dann freigesprochen zu werden (bei Entschädigung knapp über Hartz IV)

  14. 14
    Non Nomen says:

    Nochmal:
    Gerade die Tatsache, dass sich der Verdächtige selber stellt, also in die Arena steigen will zeigt doch alles andere als Fluchtbereitschaft. Aber, so denkt das Richpersonal vielleicht, soll er doch bleiben wo er ist und irgendwann vielleicht kann sich eine andere Kammer darob einen Wolf richten, vielleicht.
    Jetzt gilt es, dem Richter beizupulen, dass seine Argumentation neben der Sache liegt. Je eher daran, je eher davon. „Tätige Reue“ (naja) auch noch mit exzessiver U-Haft abzustrafen ist mehr als schlechter Stil.

  15. 15
    bratapfel says:

    Wenn in Asien der Himmel auf den Kopf fällt, wird er wohl drastische Gründe haben, sich zu stellen. Der konfuzianische Grossmeister Spekulatius weiss bestimmt näheres (Schore aufgebraucht &Gesundheit futsch etc). #2 Bernd siehts wohl richtig. Ich würde auch lieber in einem Land im Knast sitzen wo die Todesstrafe abgeschafft ist.

  16. 16
    Flo says:

    @Draalo, warum sollte sich der Richter diesmal darauf einlassen? Der Ansatz „wir terminieren und hoffen das der Angeklagte erscheint“ ist doch schon einmal schief gegangen.
    Zumal ja, je nach Umfang des Verfahrens, es nicht mit einem Termin getan ist sondern das Gericht gleich entsprechende Folgetermine blockieren muss.

  17. 17
    SH says:

    @Thomas: Einem früheren Beitrag zufolge besteht auch noch das „Nebeninteresse“, eine Verhaftung qua Auslieferungsersuchen im aktuellen Aufenthaltsland zu vermeiden. Da wäre es eher unklug, die Reise noch zu verschieben, nachdem schon ein entsprechendes Einvernehmen hergestellt war.

  18. 18
    Draalo says:

    @Flo
    Die Flucht mag spontan aus emotionalen Gründen erfolgt sein.
    Der Angeklagte hatte mittlerweile Zeit zu reifen und die Angelegenheit rationaler zu betrachten.
    Wie tief tie Reue ist mag dahingestellt sein, Tatsache ist aber das der Angeklagte ein dunkleres Kapitel seines Lebens nun abschliessen möchte.
    Dies ist ja auch durchaus im Interesse der evtl. vorhandenen Geschädigten.
    Mir wäre es da lieber der Angeklagte erscheint, bekommt Strafrabbat wegen seines Geständnisses und kommt nach 2/3 Verbüßung wieder frei als wenn ich kurz vorm abnippeln mitbekomme das man ihn zufällig irgendwo aufgegriffen hat – es aber keinen Prozess wegen Verhandlungsunfahigkeit mehr gibt.

  19. 19
    Kater Karlo says:

    HV terminieren, klären, wie lange vorher er einreisen muss, damit die Justiz ihn pünktlich zum Termin bringen kann. Dann Flug buchen. Bei Direktflügen kann er vielleicht nur 2 Tage vorher einreisen.

    Nun, es ist schon ein Unterschied zu damals, wo er vor dem Termin, den er nicht terminiert hat, geflüchtet ist.

    Jetzt zeigt er ja aktive Bereitschaft zu erscheinen.

  20. 20
    alter Jakob says:

    Wieso sollte ein Richter einen Termin zu einer Hauptverhandlung anberaumen, wenn der Angeklagte, der sich schon einmal durch Flucht dem Verfahren entzogen hat, noch nicht in Gewahrsam ist? Was, wenn er es sich dann doch anders überlegt und dann doch nicht kommt? Und vor allem, wenn man den Termin jemandem geben kann, der gerade in U-Haft sitzt und der wahrscheinlich eine Zelle im regulären Vollzug bevorzugen würde.

  21. 21
    JLloyd says:

    Da sollte man vielleicht mit einer unbedarften anmutenden Gegenfrage kontern: „Wieso müssen Angeklagte, egal ob sie geflohen sind oder nicht, viele Monate in der U-Haft auf ihren Termin warten?“

  22. 22
    alter Jakob says:

    @Lloyd: Auch eine Gute Frage, Ich selbst weiß es nicht aber vermute die Justiz ist halt überlastet, zu langsam, zu faul oder alles zusammen.

    Nur taugt die Gegenfrage nicht als Konter, weil die Tatsachen nunmal so sind wie sie sind (es sitzen viele Angeklagte in U-Haft und warten schon auf ihren Termin, da sollte ein flüchtiger Rückkehrer nicht die Priorität sein).