Unverständliche Verständigungsgespräche

Der (moderne) Strafprozess ist geprägt durch die Kommunikation der Verfahrensbeteiligten untereinander. Sehr deutlich wird dieses Prinzip anhand der Vorschriften über die Verständigung im weiteren Sinne.

Das Prozessrecht sieht dazu Erörterungsgespräche in jedem Stadium des Verfahrens vor: Im Ermittlungsverfahren (§ 160b StPO), nach der Anklageerhebung im Zwischenverfahren (§ 202a StPO) und dann auch im Hauptverfahren (§ 212 StPO).

Kurzer Prozess
Diese Gespräche haben regelmäßig zum Ziel, das Verfahren zu fördern, abzukürzen bzw. zu beschleunigen, wobei die Interessen der jeweils Beteiligten Eingang finden sollen in das Ergebnis der Gespräche. In den überwiegenden Fällen führen solche Gespräche dann auch zu Verfahrensabreden, die die Grundlage für einen „kurzen Prozess“ bilden – was wiederum allen Beteiligten zugute kommt: Die Justiz wird entlastet und der Angeklagte bekommt einen Rabatt beim Strafmaß.

Wie sieht das nun in der Praxis aus?
In einer uralten, umfangreichen Geschichte, in der es um den Vorwurf der Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§§ 299, 300 StGB) geht, stand die Hauptverhandlung an. Die Verteidigung und das Gericht gingen gleichermaßen von einer zweistelligen Anzahl an Hauptverhandlungsterminen aus, die nötig werden, um den komplexen Sachverhalt aufzuklären.

Die knappen Ressourcen des Gerichts standen auf der einen Seite. Auf der anderen Seite stand der mittlerweile weit vom Gericht entfernt lebende Angeklagte, der eine feste Arbeitsstelle hat, die er verloren hätte, wenn er über einen Zeitraum von mehreren Monaten regelmäßig zweimal pro Woche 600 km zum Termin hätte an- und dieselbe Strecke wieder zurückreisen müssen.

Gute Idee
Der Vorsitzende machte das einzig Richtige: Er schlug einen Gesprächs- und Erörterungstermin vor, zu dem sich die Schwarzkittel (also die Berufsrichter, der Staatsanwalt und der Verteidiger) im Gericht an einen Tisch setzen sollten.

Der Erörterungstermin
Wir haben uns getroffen, vier Stunden miteinander gesprochen und waren uns am Ende einig: Wir treffen uns zum Hauptverhandlungstermin in 14 Tagen wieder, verhandeln noch einmal einen Tag lang und die Sache findet genau damit ihren Abschluss.

Der Hauptverhandlungstermin
Gesagt, getan: Der Termin fand statt, kurz nach der Mittagspause wurde das Urteil verkündet und eine Woche später war es rechtskräftig. Das Gericht hatte wieder Zeit für andere Sachen, der Staatsanwalt konnte die Akte schließen und der Angeklagte kann mit der Strafe leben, behält er doch seinen Job, mit dem er auch die Verfahrenskosten finanzieren kann.

Alles gut also? Von wegen!
Ich war dem Angeklagten zum Pflichtverteidiger bestellt worden und konnte nun die Pflichtverteidigervergütung abrechnen. Gesetzliche Grundlage dafür ist das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG). Danach bekommt der Verteidiger eine Vergütung für seine Bemühungen im Ermittlungs- und im Hauptverfahren. Es gibt sogenannte Verfahrensgebühren und Terminsgebühren.

Die Frage ist: Wieviel Terminsgebühren gibt es für die Teilnahme des Verteidigers an den zwei Terminen? Genau: Eine! Nicht zwei.

Das RVG sieht für die Teilnahme an einer „202a-Verhandlung“ keine Vergütung vor. Detlef Burhoff kommentiert in RVG – Straf- und Bußgeldsachen (4. Aufl., Rdz A 2279) diesen Unsinn :

Das bedeutet also, der Verteidiger fährt von Berlin nach Hamburg zum Gericht, trägt in einer vierstündigen Erörterung dazu bei, dass das Verfahren statt bis Ostern 2020 nur einen halben Hauptverhandlungstag dauert, und das Vergütungsgesetz zeigt ihm dafür den gestreckten Mittelfinger.

Wenn ein Verteidiger das nicht vor Einstieg in eine „160b-“ bzw. „202a-“ oder „212-Verhandlung“ mit einkalkuliert, arbeitet er für Gotteslohn.

Statt übler Schimpfworte
Wer macht eigentlich solche Gesetze? Richtig: Menschen, die monatlich Ihr Gehalt im Voraus auf’s Konto bekommen, egal, ob sie danach noch sinnvoll arbeiten oder nicht. Mir fallen dazu Worte ein, von deren Veröffentlichung mir meine Strafverteidiger dringend abgeraten haben.

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17 Antworten auf Unverständliche Verständigungsgespräche

  1. 1
    Kiriasise says:

    Sehr geehrter Herr Hoenig, schon lange verfolge ich Ihren Blog als stiller Leser sowie die Einträge auf Ihrer FB-Seite. Vielen Dank dafür. Auch Sie haben dazu beigetragen, dass ich Strafverteidiger geworden bin.

    Zwischen uns beiden kann ich zu meiner Freude auch einige gemeinsamkeiten erkennen. Wir scheinen beide Frühaufsteher zu sein ;)

    • Besten Dank! Ich freue mich, wenn ich verhindern konnte, dass wieder ein guter Mann auf die dunkle Seite der Macht wechselt. ;-) Viel Spaß an dem wunderbaren Beruf!

      „Langjähriger Fan“ hat Recht, ich nutze die Programmierung, um die Blogbeiträge morgens um 6 Uhr zu veröffentlichen. Aber Sie liegen auch nicht falsch: Ich bin morgens recht früh wach. #SenileBettflucht crh

  2. 2
    Langjähriger Fan says:

    @Kiriasise: ich habe ja den Verdacht, dass crh lediglich die Zeitschalte seines Blogs bemüht!

  3. 3
    KiriasisE says:

    @Langjähriger Fan

    Vielen Dank für den Hinweis. Gut, da trennt sich natürlich die Spreu vom technisch versierten Weizen.

    Aber auch wenn dem so ist, lese ich die Beträge des crh auf Facebook, Twitter und hier dennoch mit heller Begeisterung. Und ich bin um die Zeit wach.

    Eric Kiriasis, Hannover

  4. 4
    Nur Ich says:

    Das gesamte RVG ist doch eine einzige Zumutung.

    Es gibt wohl keinen anderen Berufszweig, der sich so sehr bei der Bezahlung reglementieren lassen muss.

    Wobei die Krux ja mehr im Schadensersatzrecht liegt.

    Wenn man einfach dazu käme, angemessene Stundensätze für ersatzfähig zu deklarieren und auch im Rahmen von PKH zu erstatten, würde niemand mehr nach dem RVG abrechnen.

    • Der § 3a RVG vermittelt den Spielraum, um mit dem Mandanten eine angemessene Vergütung und die Nichtanwenbarkeit des RVG zu vereinbaren. Vollständig sinnlos ist das RVG also nicht. ;-)
       
      Aber Sie thematisieren zu Recht das Problem, das bei der Erstattung der gezahlten Vergütung duch den Gegner, die Justizkasse bzw. (in großen Teilen) den Rechtsschutzversicherer besteht. Insoweit verbleibt auch im Erfolgsfall die (meist) überwiegende Kostenlast beim Mandanten. crh
  5. 5
    pankgraf says:

    @Nur ich

    Doch, so allein sind die Juristen nicht:
    wir Ärzte rechnen nach der GOÄ von 1986 (!!) ab, die entsprechend modern und kostendeckend ist. EBM ist nicht besser.
    Und ausgeschlossene = unbezahlte Leistungen gibt’s das zuhauf.

    Bei den da vorhandenen Regularien und Stundensätzen wird man auch ein wenig traurig.

  6. 6
    Just Me says:

    Da könnte man über § 51 RVG nachdenken, immerhin wurde umgänglicher verständigt als verhandelt. Das ist natürlich ein erheblicher Aufwand für das nicht unerhebliche Risiko einer „Das haben wir noch nie so gemacht, wo kommen wir denn da hin“-Entscheidung.

  7. 7
    ths says:

    „Das gesamte RVG ist doch eine einzige Zumutung.

    Es gibt wohl keinen anderen Berufszweig, der sich so sehr bei der Bezahlung reglementieren lassen muss.“

    Dazu kann ich anmerken, dass meine Frau als Tierärztin auch nicht wirklich sinnvolle Rechnungen schreiben kann, die den realen Aufwand und die Arbeitszeit abbilden. Die letzte Revision der Gebührenordnung für Tierärzte ist schon fast 20 Jahre her. Für eine „ausführliche Beratung, auch telefonisch“ werden etwa 7 € berechnet, und darauf entfallen natürlich anteilig die üblichen Abzüge für Praxis, Material, Helfer, Steuern, Berufsgenossenschaft usw.

  8. 8
    Martin Overath says:

    Erörterungsgespräche in der HV nach § 257b StPO sind erstattungsfähig.

  9. 9
    Flo says:

    Wenn die Verständig im Vorfeld nur unter den Beteiligten Volljuristen ausgehandelt wird, was macht man dann wenn mögliche Schöffen nicht mitziehen wollen?

  10. 10
    Schiaffino says:

    @flo

    Dann hat man als Berufsrichter seinen Job nicht vernünftig gemacht.

  11. 11
    WPR_bei_WBS says:

    Also ich finde es ja auch eher suspekt als rational, dass der Gesetzgeber Gebührensätze für Anwälte erlässt, die er offensichtlich für angemessen hält… im Fall des Pflichtverteidigers aber nur bereit ist weniger zu bezahlen. Einige sind wohl gleicher…

  12. 12
    WPR_bei_WBS says:

    Also ich finde die Frage von Flo schon berechtigt – gerade mit Hinblick auf gesetzlichen Richter etc. Ich als Schöffe haette glaub ich schon ein Problem damit für etwas zu stimmen, nur weil die anderen Richter es so sagen. Das ist irgendwie nicht der Sinn des ganzen Schöffentums.

  13. 13
    Syndikus says:

    Die Zivilrechtler können über Ihr Wehklagen nur müde lächeln, während sie beim dritten Termin für einen 200 € Streitwert mit PKH sitzen.

    Man darf natürlich nicht vergessen, dass das RVG – zugegebenermaßen auf Rücken der Anwälte – dafür sorgt, dass bei geringen Streitwerten kein rechtsfreier Raum entsteht und in anderen Sachen der Steuerzahler nicht noch weiter in die Tasche greifen muss. Wie soll unser System noch funktionieren, wenn wir alle 500 € Stundensätze abrechnen können, die dann im Zweifel von der Gegenseite (egal ob privat oder staatlich) zu ersetzen wären?

    Aber nachdem es gerade der HOAI an den Kragen gegangen ist, erwischt es vielleicht auch das RVG. Dann werden wir meine Fragen irgendiwe beantworten müssen.

  14. 14
    Nur Ich says:

    Das Vermeiden von rechtsfreien Räumen müsste doch im Interesse des Staates liegen. Folgerichtig müsste ihm das auch pekuniär etwas wert sein.
    Und ja, die Terminsgebühr für (nahezu) jeden Termin im Strafrecht lässt den Zivilrechtler ein Wenig neidisch werden – insbesondere weil ich es jedenfalls noch nicht geschafft habe, die Erhöhungsgebür bei mehreren Terminen auch nur einmal abrechnen zu können.

    Bei der Höhe der ersatzfähigen Stundensätze könnte man ja auch die Bedeutung der Angelegenheit berücksichtigen.

    Als weiteres Kriterium wäre vorstellbar, das Gegnerverhalten zu berücksichtigen.

  15. 15
    Mirco says:

    Erschreckend finde ich aber, dass die beschriebene Strategie auch unter der Prämisse „Ich bin unschuldig und kann das auch beweisen“ optimal ist.

  16. 16
    BV says:

    Da hält sich das Mitleid der Zivilrechtler aber in Grenzen, die die Terminsgebühr in jedem Fall nur einmal verdienen. Dann ist die Gebühr auch noch streitwertabhängig, was bei hohen Streitwerten naturgemäß wieder angenehm sein kann. Immerhin kann die Gebühr mitunter auch ohne Termin vor Ort verdient werden.

  17. 17
    StPO-Diss says:

    Was meinen Sie mit „vor Einstieg in die Verhandlung kalkulieren“?

    Den Mandanten zur Kasse bitten? Angenommen der Mandant hat nix, wie funktioniert das bei einer Pflichtverteidigung?

    • Ich bin mir nicht sicher, ob Ihnen bekannt ist, dass die Pflichtverteidigung „nur“ eine Umschreibung für den Fall der *notwendigen* Verteidigung ist, der nichts mit der finanziellen Leistungsfähigkeit des Bechuldigten/Angeklagten zu tun hat (anders als bei der Prozesskostenhilfe (PKH) beispielsweise im Zivilrecht). Weiterführende Hinweise dazu gibt es hier.
       
      Zu Ihrer Frage im Übrigen: Der Gesetzgeber hat die Honorierung der Pflichtverteidigung in 202a-Verhandlungen nicht für erforderlich gehalten. Gründe dafür wird man vielleicht in den Materialien zur Genese des RVG finden. Ich kenne sie nicht. Übersetzt heißt das aber doch, die Teilnahme des Verteidigers an solchen Verhandlungen sieht der Gesetzgeber als nicht notwendig an.

      Wenn der Mandant das trotzdem wünscht, muss er mit seinem Verteidiger über die Kostenfrage sprechen (bzw. der Verteidiger muss den Mandanten darüber aufklären).

      Wenn der Verteidiger nicht für lau arbeiten will und der Mandant den Anwalt nicht bezahlen kann, wird genau das passieren, was Ihnen auch beim Bäcker geschieht, wenn Sie hungrig vor seiner Theke stehen und von ihm ein Brötchen geschenkt haben wollen.

      Interessant ist die Frage, wie sich die Justiz(kasse) dazu positioniert; denn ein „Deal“ im Strafprozess liegt ja auch in deren Interesse. Der Verteidiger könnte versuchen, die Kosten (im Vorschusswege) über die Festsetzung einer Pauschgebühr (§ 51 RVG) erstattet zu bekommen: Der Aufwand für die Begründung eines entsprechenden Antrages dürfte den Aufwand für die Verteidigung im Termin allerdings übersteigen und die Erfolgsaussichten sind eher minimal.

      Es bleibt unbefriedigend: Der Mandant, der „nix hat“, ist gegenüber dem Mandanten, der vermögend ist, eindeutig benachteiligt. Wie immer im richtigen Leben (z.B. in einer Bäckerei) auch. crh