Verteidigungsstrategie für die Medien

Das Urteil wurde gesprochen, die Hauptverhandlung ist beendet. Es war ein Verfahren von relativ großem öffentlichen Interesse.

Die Journalisten nehmen, teils noch im Saal, teils auf dem Gerichtsflur, Kontakt mit dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und mit dem Verteidiger auf. Und sehr häufig passiert dann so etwas hier:

In meiner Frage nach dem Sinn insbesondere der Ankündigung des Verteidigers steckt Kritik, die in dem konkreten Fall, aber auch sonst folgenden Hintergrund hat und für den sich ElooKoN interessierte.

Legt nur der Angeklagte ein Rechtsmittel gegen das Urteil ein, kann die verhängte Strafe im weiteren Verlauf des Verfahrens grundsätzlich nicht verschärft – Juristen sagen: verbösert – werden. Die Altgriechen sprechen von dem Verbot der „reformatio in peius„.

Wenn die Staatsanwaltschaft das Urteil mit der Revision angreift und damit „Erfolg“ hat, kann es am Ende für den Angeklagten doch noch schlimmer kommen, als es jetzt schon ist: Die Verböserung ist dann zulässig. Das wissen auch die Staatsanwälte.

Hier stand die Mitteilung des Staatsanwalts im Raum, dass man das Urteil, so wie es ist, akzeptieren wird. Das ist bei allem Übel doch schon einmal eine gute Botschaft für den Angeklagten, lautete der Antrag des Staatsanwalts doch auf eine deutlich höhere Strafe.

Jetzt tönt der Verteidiger in die Mikrophone und Notizblöcke der Medialen, dass er das Urteil angreifen werde. Warum führt das bei professionellen Strafverteidigern grundsätzlich zu einer Kopfschüttelung?

Einmal unterstellt, der zuständige Staatsanwalt sei entgegen anders lautender Gerüchte doch nicht die objektivste Behörde der Welt, sondern ein Mensch mit all seinen emotional gesteuerten Reaktionen: Ist es nicht denkbar, dass dieser unsachlich gesteuerte Anklagevertreter sich provoziert fühlt und sagt: „Das wollen wir doch mal sehen, ob wir das nicht verhindern können!“

Nun gut, weil Staatsanwälte so nicht denken (sagt man jedenfalls), ist das eher unwahrscheinlich. Aber eben auch nicht ausgeschlossen. Ein Risiko bleibt. Und wenn sich das Risiko realisiert, kann es am Ende doch noch dicker kommen.

Auf der anderen Seite: Welchen Vorteil hat die (empörte?) Mitteilung des Verteidigers an die Medien? Nota bene: Vorteil für seinen Mandanten. Ich sehe da keinen einzigen!

Es gibt so schöne Textbausteine, die man auf die immer wieder gestellte Frage der Journalisten aufsagen kann:

Das Gesetz gibt meinem Mandanten jetzt eine Woche Zeit, sich in Ruhe zu überlegen und zu prüfen, ob er das Urteil angreifen oder akzeptieren wird. Rufen Sie mich nächste Woche an, dann sage ich Ihnen, wie er sich entschieden hat.

Das Rechtsmittel legt der risikovermeidende Verteidiger dann am letzten Tag der Frist abends um 19 Uhr ein und vermeidet damit den beschriebenen Mitzieheffekt. Das ist keine Geheimwissenschaft, sondern bekanntes Standardprogramm. Den Standard sollte ein Verteidiger allerdings beherrschen.

Dieser Beitrag wurde unter Medien, Staatsanwaltschaft, Strafverteidiger veröffentlicht.

7 Antworten auf Verteidigungsstrategie für die Medien

  1. 1
    ElooKoN says:

    Ahhhh, jetzt hat es Klick gemacht. Ich dachte erst, Ihre Kritik betrifft die Berichterstattung der Medien, dabei betraf es die Äußerung des Verteidigers. Das Verschlechterungsverbot hatte ich gar nicht auf dem Schirm, darum hatte ich in diese Richtung nicht gedacht. Dass verschiedene Strafverteidiger gerne bereitwillig vor die Medien treten und Aussagen tätigen, die weniger im Sinne des Angeklagten sind, sondern eher der Selbstprofilierung dienen, scheint eine nicht wegzubekommende Unart zu sein.

  2. 2
    Barney says:

    Und dann funktioniert das Fax am 600 km entfernten Gericht in Hintertupfingen am letzten Tag der Revisionsfrist nicht.

    • Ich kann mich an keinen Fall in über 2 Jahrzehnten erinnern, dass mir das final passiert ist. Es wäre aber auch kein Problem, da das der Klassiker für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wäre. Die Risiko-Nutzen-Abwägung spricht eindeutig für das Fax in letzter Minute. crh
  3. 3
    Charlie says:

    „Die Altgriechen sprechen von dem Verbot der „reformatio in peius„. “

    Nun ja … das haben die Alten Griechen allenfalls dann gesagt, wenn sie mindestens eine Fremdsprache beherrschten … ;-)

  4. 4
    Patenter_Anwalt says:

    Den Standard sollte ein Verteidiger allerdings beherrschen.

    Sollte…

    Nachdem was ich schon alles gesehen habe, wird der Standard von „Wald und Wiesen-Anwälten“ nicht beherrscht.

    Die Krönung war eine Eingabe in einer Strafsache ohne vorherige Akteneinsicht, die de facto ein Geständnis einer kaum zu beweisenden Tatsache war. Dafür war in diesem Fall das Fax an die RSV schnell draussen…

  5. 5
    Duncan says:

    Hm – ich hatte vor nun schon 20 Jahren in einem früheren Leben als Jura-Student einen Prof. für Straf- und Strafprozessrecht der die Grundregel predigte: Wenn du nicht genau weißt, warum du was genau sagst, halt die Fre….- den Mund! Da in diesem Falle „Kein Kommentar“ unpassend wäre lieber etwas wie: „Wir werden mit unserem Mandanten das Urteil erläutern und dann entsprechende Entscheidungen treffen.“ Sagt alles und nichts und ist der Wahrheit ziemlich nahe.

  6. 6
    Mirco says:

    Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für den Anwalt?
    Provoziere die Gegenseite und bleibe im Geschäft.

  7. 7
    HD says:

    Die Ankündigung der Rechtsmitteleinlegung dient m.E. der Demonstration gegenüber dem eigenen und künftigen Mandanten, dass man ein kämpferischer Verteidiger sei, der die Interessen seines Mandanten offensiv vertritt. Das ist, denke ich, der Grund für solche Äußerungen in den Medien, die eine Woche später einem ihre Mikrofone nicht mehr entgegenstrecken werden.
    .
    Die aufgezeigte Alternative dünkt denjenigen, die die Rechtsmitteleinlegung ankündigen, wohl zu weichgespült.

    Mandantenschädliches Verhalten kommt nicht selten in der Verkleidung besonders engagierter Tätigkeit daher.