Dem Mandanten wird vorgeworfen, er habe als Geschäftsführer einer GmbH den Insolvenzantrag zu spät gestellt (§ 15 InsO), er sei ein Bankrotteur (§ 283 StGB) und seinen Buchführungspflichten nicht nachgekommen (§ 283b StGB).
Diese Vorwürfe finden sich in einer Ermittlungsakte aus dem Jahr 2019; sie beziehen sich auf das Jahr 2017. Das Insolvenzgericht hat nach dem Eigeninsolvenzantrag des Geschäftsführers ein Gutachten erstellen lassen, das zum Ergebnis kam: Die GmbH ist völlig platt.
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird folgerichtig abgelehnt, nicht aber ohne die Staatsanwaltschaft per „Mizi-Mitteilung“ zu informieren.
Damit startet bei der Staatsanwaltschaft eine Routine, die zunächst einmal die Ermittlungsmaschinerie in Gang setzt:
Das auf „Wirtschaftskriminalität“ spezialisierte LKA 321 beginnt mit der Suche in den Krümeln. Relativ flott findet das LKA uralte Schätzchen:
Damit auch jeder gleich auf den ersten Seiten (Blatt 15) der umfangreichen, mehrbändigen Ermittlungsakte mitbekommt, mit wem man es hier zu tun hat. Reichlich Vermögensstraftaten, fast schon einschlägig, vermittelt dieser Vermerk dem Leser und setzt ihm eine entsprechende Brille auf.
Dass der ganz hinten in einer Tasche versteckte Auszug aus dem Bundeszentralregister blütenweiß (nagut: grün strukturiert) ist, interessiert anscheinend nur den aktenfressenden Verteidiger. Sämtliche Verfahren, die der Kriminale da aus der Mottenkiste dem Polizeilichen Landessystem zur Information, Kommunikation und Sachbearbeitung (POLIKS) hervorgekramt hat, sind eingestellt worden.
So wird Stimmung gemacht für die Jagd, weil man ansonsten nichts von Bedeutung in der Hand hat.
Die Vorschrift, nach der eingestellt wurde, wäre aber schon von Interesse. § 170 Abs. 2 StPO oder §§ 153, 153a StPO?
Im Übrigen: Wenn ich jetzt Zeit zum Recherchieren hätte und herausbekommen würde, dass es sich um Einstellungen nach § 170 II StPO gehandelt hat, fragen Leute wie Sie oft, ob es eine Einstellung 1., 2. oder 3. Klasse war. crh
Zeit für die Beantragung eines Resets.
Die Aussage stimmt schon deshalb nicht, weil die Akte ja zu keinem Zeitpunkt irgendwelchen Amateuren vorliegt, die darin mal herumschmökern, sondern Fachleuten, die sich gezielt ansehen, was für das weitere Verfahren wichtig ist (= BZR-Auszug). Dass Einstellungen, vor allem solche nach § 153a StPO, völlig unerheblich sind, stimmt im Übrigen auch nicht.
Und irgendwann hat man dann den Teufelskreis: Die Staatsanwaltschaft klagt an, weil er ja schon acht Einträge im System hat. Und der nächste wuerde eigentlich nichts machen, sieht dann aber, dass es ja schon neun Verfahren gab. Und bei der nächsten Polizeikontrolle wird er als verdächtig geführt, weil seine Liste schon zweistellig ist…
Wenn ein Strafverteidiger behauptet, es sei gerade zu Beginn eines Ermittlungsverfahrens nicht von Interesse, ob gegen denselben Beschuldigten schon drei, dreißig oder womöglich dreihundert Ermittlungsverfahren anhängig sind oder waren, dann hat das was von vorsätzlicher Volksverdummung; denn er weiß es natürlich besser.
Und natürlich wären die Strafverteidiger die ersten, die Zeter und Mordio schreien würden, wenn die Ermittlungsbehörden die Akten mal eben zwischendurch nach Gutdünken „bereinigen“ dürften, ganz abgesehen davon, dass das in diesem Fall weder notwendig noch sinnvoll wäre.
Ich freue mich darüber, dass nicht alle Polizisten und Staatsanwälte so arbeiten und denken. Die überwiegende Anzahl der Ermittler hält sich an die Spielregeln eines fairen Verfahrens. Aber es gibt eben auch andere … nicht wahr? crh
Hmmm… es geht hier doch um eine „Ermittlungsakte“, oder? Was spricht denn dagegen, in eine _Ermittlung_ mit einzubeziehen, dass dem Herrn schon 8 oder 9 andere Straftaten vorgeworfen wurden, der Vorwurf dann aber zurückgezogen wurde?
Die Polizei/StA soll sich rechtlich sauber verhalten, aber muss ja nicht die Augen verschließen vor gewissen, sagen wir mal, Indizien.
Ob solches Material in einer _Anklage_ relevant wäre, da sind wir uns schnell einig: nein.
Nach welcher Zeit werden denn 14 Jahre alte, eingestellte Verfahren aus der Datenbank gelöscht?
Ich glaube, dass sechs Jahre kein neues Ermittlungsverfahren hinzugekommen sein darf.
Die Tatsache, dass der Mandant eine „weisse Weste“ hat ist wohl eher dem Koennen des Strafverteidigers geschuldet und nicht seiner Unschuld.
Vor dem Dienstgebäude des LKA 3 steht ein verdächtiger einzelner Baum! Ist der denn noch niemandem aufgefallen? Da müsste mal ermittelt werden !!1!
@CRH: Mag sein, dass ich dummes Zeug schwaetze. Aber drei Anklagen wegen Diebstahl kommen normalerweise nicht aus dem nichts. Dafuer muss man sich schon irgendwie erwischen lassen. Und dann ist meistens auch was dran, selbst wenn das Verfahren am Ende eingestellt wird.
Aber ich kann natiuerlich voellig falsch liegen…
@WPR:
Da gibt es keinen „Teufelskreis“, weil das alles nur Einträge im polizeilichen System sind und die fünf Einträge aus 2005 und 2006 unabhängig von der Frage, ob eingestellt wurde oder nicht und wenn ja warum, ziemlich sicher schon wegen § 45 BZRG BZRG nicht mehr in einem Zentralregisterauszug auftauchen würden.
Aber für die Frage, ob man eine Insolvenzverschleppung anklagt oder einen 153a anbietet oder vielleicht ein 153 möglich ist, spielt es schon eine Rolle, ob 4 Ladendiebstähle aus den 2010er Jahren nach 170 eingestellt wurden mangels Tatverdachts oder ob es nur jeweils so geringwertig war, dass die Amtsanwaltschaft einfach immer ein Ei drübergeschlagen hat (und vielleicht schon 153a und 153 „abgearbeitet“ sind). Das kann die StA ja aus dem Zentralen StA_Verfahrensregister sehen.
Was hier aber zu Recht kritisiert wird, ist dass in der Akte ein Blatt ist, das einen „Halo“-Effekt erzeugen könnte (böser Bube mit böser Vergangenheit) angesichts von Informationen, die klar für die „professionellen Beteiligten“ wie Richter und StA gar nicht verwertbar sind (jedenfalls bei den Alteinträgen aus 2005/2006)
Da findet sich fast 15 Jahre alter, sanktionslos gebliebener Gammel in den Akten, an prominenter Stelle. Betriebsblind (Det hamwa schon imma so jemacht) oder Verfolgungswahn? Naja, Oder ob da jemand aus Ermittlerkreisen schon damals mit dabei war und sich heute einfach ärgert, dass es weiland nicht zum verknacken kam? In Jedem Fall ein gutes schlechtes Beispiel, wie subtil sich Ermittlungen steuern lassen.
@ meine5cent
Ja und? Der Staatsanwalt siehts trotzdem und kann so reagieren wie von mir beschrieben. Und der Richter entsprechend geankert werden. Und ich bin bis jetzt davon ausgegangen, dass das nur ein System der Justiz ist. Bei polizeilichen Systemen (inkl. der inoffizillen Excel-Listen) ist das dann noch lustiger
@CRH: ich bedanke mich natuerlich fuer die Vermittlung von etwas Juristerei. Und ich verstehe total, dass jemand ohne Verurteilung unschuldig ist bzw. als unschuldig gilt. Aber anders als ein Jurist erlaube ich mir nicht „betriebsblind“ zu sein bzw sein zu wollen/muessen.
Und natuerlich ist es gut und richtig, dass Sie fuer den Mandanten kaempfen inkl. dem bewussten Wegsehen an manchen Stellen. Genau das erwartet man (und auch ich) von Ihnen. Aber wir sind hier nicht vor Gricht, sondern im einem Blog. Da darf man auch unpopulaere Meinungen vertreten, solange sie nicht total daneben liegen.
Ich sehe das ziemlich trocken: Eine Ermittlung stellt einen Grundrechtseingriff dar, den der Betroffene bis zu einem gewissen Grad hinnehmen muss. Die Liste stellt also nicht nur eine Aneinanderreihung von Ermittlungsverfahren, sondern auch Grundrechtseingriffen dar, ohne Auskunft darüber zu geben, ob diese gerechtfertigt waren. Eigentlich müsste jedes Verfahren den deutlichen Hinweis ‚Verurteilt | Freigesprochen | Eingestellt‘ enthalten. Denn so wirkt, und dieser Wirkung kann sich nun einmal kaum jemand entziehen, diese Liste als eine Art Darstellung einer kriminellen Vorgeschichte. Wer jedoch nie wegen einer Straftat verurteilt wurde, ist und war nie kriminell.
Was hier kritisiert wird, wenn ich es richtig verstehe, ist die einseitige Betrachtung von einzelnen Menschen. Selbst wenn sie tatsächlich kriminell sind, ist es gerade die Aufgabe des Staates, diese Personen so neutral wie möglich zu behandeln. Konsequenz in beide Richtungen – das ist die Aufgabe der Staatsanwaltschaft, die streng genommen nicht den Täter, sondern den Verstoß gegen das Rechtssystem anklagt.