Zu kurze Androhung empfindlicher Übel

Das Gericht hat den Mandanten zu seiner Verhandlung geladen. Damit er dann auch tatsächlich erscheint, droht der Vorsitzende dem Geladenen empfindliche Übel an:

Die Rede in dieser Ladung ist vom sogenannten Sitzungshaftbefehl. Die Voraussetzungen für den Erlaß eines solchen Rotzettels sind in § 230 StPO geregelt.

Richtig ist, dass dieser (Vorführ- oder) Haftbefehl nur im Inland, also innerhalb der deutschen Grenzen von 1990, vollstreckt werden kann.

Verschwiegen wird aber an dieser Stelle, dass es auch noch eine andere Möglichkeit gibt, dem Angeklagten habhaft zu werden, und zwar auch außerhalb dieser Grenzen.

Wenn jemand nämlich nicht zum Termin erscheint, überlegt sich regelmäßig als allererster der Staatsanwalt, aus welchem Grund die Anklagebank leer geblieben ist. Ungefähr eine Zehntelsekunde später kommt dem Verfolger der Begriff „Flucht“ in den Sinn. Und damit sind wir bei § 112 Abs. 2 Ziffern 1 und 2 StPO.

Ein solcher Haftbefehl kann selbstredend auch international vollstreckt werden. Und das kann dann nicht nur empfindliche Übel nach sich ziehen, sondern sehr, sehr empfindliche. Man stelle sich nur mal eine Verhaftung in einem Land vor, die noch Knäste haben, die bei uns mit der Einführung von Zellengefängnissen abgeschafft wurden. Das ist nicht lustig.

Deswegen lautet der Rat eines jeden Strafverteidiger an seinen Mandanten: Dieser Ladung sollte man folgen, die meinen das ernst.

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7 Antworten auf Zu kurze Androhung empfindlicher Übel

  1. 1
    Hans May says:

    Kurze Frage, vom Wortlaut „zu diesem Termin geladen“, gilt die Ladung dann nur für den 29.10.?
    Die Krux mit den Textbausteinen…

  2. 2
    Non Nomen says:

    Fortsetzungstermine können ja beim Ersttermin noch aufgehoben werden, z. B. wenn der Geladene durch seinen Verteidiger verlautbaren lässt, das er sich auf einer langen Amazonasexpedition befindet…

  3. 3
    WPR_bei_WBS says:

    Wenn er schon die Amazonas-Expedition ankündigen läßt, dann am besten aber auch gleich die Absicht, in Brasilien schnellstmöglich eine örtliche Staatsbürgerin zu schwängern. Dann kann man sich bei Gericht den unnötigen Aufwand mit Auslierfungsantrag etc. gleich schenken :-):

  4. 4
    krastinator says:

    > die meinen das ernst

    Das erkennt man schon daran, dass bei der Uhrzeit extra dazugeschrieben wird, dass es die Uhrzeit ist. Es fängt an, wenn der kleine Zeiger auf der zehn ist und der große auf der zwölf.

  5. 5
    Anonymous says:

    – Gilt die Ladung für den ersten Termin, oder für alle Termine?
    – Ist eine Vertagung eine automatische Ladung für den Folgetermin? (mündlich wäre ja in Ordnung, aber implizit reicht m.E. nicht)
    – Wenn ja: was ist mit der Ladungsfrist, die ja länger sein „soll“

  6. 6
    RA Schult says:

    Für die Folgetermine wird üblicherweise vor dem Protokoll geladen. Das geht über § 35 Abs. 1 StPO. Die Beteiligten werden am Ende der Verhandlung ausdrücklich auf den nächsten Termin hingewiesen und der Angeklagte noch einmal über die Folgen des Ausbleibens informiert.

    § 216 StPO und auch die Ladungsfrist aus § 217 StPO gilt nach ständiger BGH-Rechtsprechung (und auch schon nach dem Reichsgericht) nur für den 1. Hauptverhandlungstag.

  7. 7

    Seltsamerweise ist die Zahl der nicht vollstrecken Haftbefehle und der Flüchtigen in den letzten Jahren stark gestiegen. Glatte Verdoppelung.

    In diesem Jahr könnte die Marke 200.000 nicht vollstreckter Haftbefehle in Deutschland geknackt werden. Berlin: Hauptstadt des Verbrechens.

    Personalmangel, Personalmangel, Personalmangel.

    Dies soll jetzt keine Aufforderung sein, im Falle eines Strafverfahrens sich nach Paraguay abzusetzen. Oder nach Malaysia. Oder sonstwohin.

    Das Bundesjustizministerium verfügt über den kleinsten Etat aller Bundesministerien. Der unter einer Milliarde Euro befindliche Betrag soll jetzt mit einer Summe von etwa 200 Millionen Euro aufgestockt werden, um den Rechtsstaat zu stärken. Man kann es kaum fassen.

    Der Etat des Bundesinnenministeriums hat bereits 15 Milliarden Euro erreicht. Unklar bleibt allerdings, wohin das Geld fließt.

    Wieso aber gibt es angesichts dieser Kostenverteilung so viele Flüchtige in Deutschland?

    Der eine oder andere Berliner Justiz – Angehörige hat ja auch schon seiner Empörung darüber Ausdruck vergeben, dass man reihenweise Schwerkriminelle aus der Untersuchungshaft wieder entlassen muss, weil das Personal fehlt, aber der Apparat von lauter Schwarzfahren mehr oder weniger lahmgelegt wird.

    Trotz dieser vorapokalyptischen Zustände sollte man sich allerdings der Herausforderung eines Gerichtstermins im Regelfall stellen, das ist völlig richtig.