Gericht

Intensiv-Ermittlungen

Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht.

So lautet der erst Satz der Vorschrift, mit der die beiden Voraussetzungen für einen Haftbefehl festgeschrieben werden (§ 112 StPO).

1. Dringender Tatverdacht
Das Amtgericht begründet in einem aktuellen Fall den dringenden Tatverdacht wie folgt:

Ermittlungsmaßnahmen

Die Ermittler haben wohl das volle Programm abgerufen. Viel mehr geht eigentlich nicht.

2. Haftgrund
Und weil der Beschuldigte

  • über keinen festen Wohnsitz in Deutschland und
  • nicht über gefestigte sozialen Bindungen in und nach Deutschland verfügt,
  • keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgeht und
  • seinen Lebensunterhalt durch Straftaten verdient, sowie
  • im Falle einer Verurteilung mit einer mehrjährigen Haftstrafe und
  • zwingend mit seiner Ausweisung zu rechnen hat,

sei zu erwarten, daß er sich dem Verfahren durch Flucht entziehen wird, § 112 Abs. 2 Ziff. 2 StPO.

3. Verteidigungsstrategie
Aus die Maus. Das sieht richtig schlecht aus für eine Haftverschonung. Da sollte die Verteidigung besser versuchen, das Verfahren voran zu bringen. Schnelle Hauptverhandlung, geständige Einlassung und zügiges Urteil ist da wohl das Gebot der Verteidigung.

Wenn dann auch die anderen Beschuldigten und deren Verteidiger mitspielen.

Das werden wir sehen, wenn erst einmal die Anklage zugestellt wurde. Dann ist die Tür über den § 202a StPO zu Gesprächen der Verteidigung mit der Strafkammer und der Staatsanwaltschaft offen.

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Ausschluß der Öffentlichkeit vor dem Schwurgericht?

758559_web_R_K_B_by_Dirk Maus_pixelio.deVor dem Potsdamer Landgericht findet zur Zeit die Hauptverhandlung gegen einen 33-jährigen Angeklagten statt, dem u.a. vorgeworfen wird, der „Mörder von Elias und Mohamed“ zu sein. Die Öffentlichkeit, insbesondere die Medien mit den großen Buchstaben, nimmt engagierten Anteil an dem Verfahrensauftakt.

Die Verteidigung hat nach Aufruf der Sache beantragt, die Öffentlichkeit für das gesamte Verfahren auszuschließen. Auch die Angehörigen der getöteten Kinder wollen die Medienvertreter nicht dabei haben, wenn über die Sache verhandelt wird – allerdings nur teilweise: Nur während der Anklageverlesung bzw. an einzelnen Tagen.

Der Öffentlichkeitsgrundsatz ist unverzichtbarer Teil des fairen und rechtsstaatlichen Verfahrens. Einerseits. Aber auf der anderen Seite stehen die Persönlichkeitsrechte der Prozeßbeteiligten. Hier also die der Hinterbliebenen und die des Angeklagten.

Die Schwurgerichtskammer des Gerichts muß nun über die Anträge entscheiden und eine Abwägung treffen. Die Regeln dafür stehen im § 171b GVG:

Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines durch eine rechtswidrige Tat (…) Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde.

Dieser Ausschluß kann auf Antrag (der Verteidigung, der Zeugen …) oder von Amts wegen (also auf Initiative des Gerichts) erfolgen.

Wenn aber …

… das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt …

… darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden.

Das Gericht hat also zwischen zwei Übeln zu entscheiden: Entweder die Öffentlichkeit muß draußen bleiben oder der Angeklagte wird nackt ausgezogen an den Pranger gestellt und möglicherweise schmerzende Details des Tathergangs finden sich in Wort und Bild im Netz und in den übrigen Medien.

Zu einer soliden Verteidigung gehört es, bei dieser Art des Verfahren den „171b-Antrag“ zu stellen. Oder gewichtige Gründe zu haben, den Ausschluß der Öffentlichkeit nicht zu beantragen.

Übrigens – für angehende Revisonsrechtler: Die Rüge in der Revision, die Voraussetzungen des § 171b GVG hätten nicht vorgelegen und der Ausschluß sei zu Unrecht erfolgt, ist nicht zulässig (BGH, Beschluß vom 19. 12. 2006 – 1 StR 268/06; Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 171b GVG Rdnr. 25). Damit ist einem Vorwurf, der Antrag der Verteidigung sei in Hinblick auf § 338 Nr. 6 StPO eine „Revisionsfalle“ für die Strafkammer, der Boden entzogen.

Update:
Die Schwurgerichtskammer hat den Ausschluss der Öffentlichkeit abgelehnt.
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Bild: © Dirk Maus / pixelio.de

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Abgestelltes Fundstück

Da haben wir aber nochmal Glück gehabt.

Fundstückskiste

Beim Amtsgericht Tiergarten in der Kirchstraße bekommen Berliner Strafverteidiger die Akten zu Einsicht oft nur mit einer Bitte Aufforderung ausgehändigt. Die Akten sollen müssen nach Einsichtnahme unbedingt(!) persönlich(!) in der Geschäftsstelle auf den Schreibtisch des Sachbearbeiters zurückgelegt werden.

Jetzt weiß ich auch, warum die Akten nicht über die Posteingangsstelle des Gerichts zurück gegeben dürfen sollten (eigentlich). Weil Verteidiger die Arbeit der Wachtmeister zuverlässiger erledigen.

Oder habe ich da etwas flasch verstanden?

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„Maskenmann“-Urteil rechtskräftig

648654_web_R_by_Ingo Büsing_pixelio.deVor dem Landgericht Frankfurt (Oder) fand 2015 ein Schwurgerichtsverfahren statt, daß u.a. wegen mangelhafter Ermittlungen der zuständigen Mordkommission in der Kritik stand. Das Ergebnis lautete „LL“.

Der 5. Senat des Bundesgerichtshofs hat sich das Verfahren nochmal genauer angeschaut und zumindest das Urteil für richtig erachtet.

Die Pressestelle des Bundesgerichtshofs teilte am 8. April 2016 in der Presseerklärung Nr. 069/2016 mit, daß die Verurteilung u.a. wegen versuchten Mordes im Fall des „Maskenmanns“ durch das Landgericht Frankfurt (Oder) mit Beschluss vom 5. April 2016 – 5 StR 18/16 rechtskräftig geworden sei.

Das Landgericht Frankfurt (Oder) hat einen Dachdecker aus Berlin u.a. wegen versuchten Mordes und wegen erpresserischen Menschenraubes schuldig gesprochen, ihn zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und einem Geschädigten Schmerzensgeld in Höhe von 250.000 € zugesprochen.

Nach den Feststellungen der Schwurgerichtskammer hatte sich der Angeklagte entschlossen, durch die Entführung wohlhabender Opfer Lösegeld in Millionenhöhe zu erpressen. Im Gebiet um den Scharmützelsee hatte der Angeklagte zunächst die Bewohnerin einer Villa in Bad Saarow niedergeschlagen und schwer verletzt. Einige Wochen später hatte er bei dem Versuch, deren Tochter zu entführen, einen Wachmann niedergeschossen, der infolge seiner lebensgefährlichen Verletzungen querschnittsgelähmt ist. Schließlich hatte der Angeklagte in Storkow einen Manager eines Finanzinvestment-Unternehmens zum Zwecke der Lösegelderpressung entführt und ihn auf einer kaum zugänglichen Insel in einem Sumpfgebiet gefesselt festgehalten. Das Opfer hatte sich nach eineinhalb Tagen befreien und fliehen können.

Der 5. (Leipziger) Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die gegen dieses Urteil gerichteten Revisionen des Angeklagten und zweier Nebenklägerinnen entsprechend den Anträgen des Generalbundesanwalts als offensichtlich unbegründet verworfen. Das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) ist damit rechtskräftig.

Diese „offensichtlich-unbegründet-Beschlüsse“ sind unbefriedigend. Ich bin sehr sicher, daß zumindest die Verteidigung des Verurteilten eine qualitativ hochwertige Revisionsbegründung abgeliefert hat. So eine Arbeit dann mit einem „O-U“ und ohne weitere Begründung zu disqualifizieren, trägt den Geruch von Arroganz der Macht. Nicht gut.

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Eigenartige Begründung

In dem Frauenarzt-Prozeß vor dem Landgericht Dortmung hat der Angeklagte über seine Verteidiger den Sachverständigen aus Besorgnis dessen Befangenheit abgelehnt. Die Strafkammer hat dem Ablehnungsgesuch stattgegeben.

Soweit ich die Medienberichterstattung verfolgt habe, war die Entscheidung des Gerichts korrekt. Mir stößt allerdings die Begründung auf, aus der Martin von Braunschweig in der WAZ das Gericht wohl wörtlich zitiert:

Der Gutachter sah seine Aufgabe offenbar darin, belastende Umstände festzustellen und den Angeklagten zu überführen. Damit hat er seine Aufgabe gründlich missverstanden. Er sah sich offenbar in der Rolle eines Staatsanwalts oder Richters und nicht in der eines unabhängigen Gutachters.

Welche Rolle hat ein Staatsanwalt oder ein Richter eigentlich? Ist es deren Aufgabe Umstände festzustellen und den Angeklagten zu überführen? Oder geht es vielmehr um Belastendes und Entlastendes bzw. um die Erforschung der Wahrheit (§§ 160 II, 244 II StPO), wenn Staatsanwälte und/oder Richter unterwegs sind?

Es steigt da so ein eigenartiges Gefühl in mir auf, als wenn das Gericht (und die Staatsanwaltschaft) da etwas Grundlegendes völlig falsch verstanden hätten.

Nur gut, daß der Angeklagte kompetent von seinen Verteidigern Clemens Louis und Oliver Allesch vertreten wird, die den üblen Fehltritt dieses Sachverständigen für ihren Mandanten reklamiert hatten.

Einen gewissen Charme hätte es ja gehabt, wenn der Angeklagte den Vorsitzenden wegen dieser verräterischen Begründung nun auch noch abgelehnt hätte. Aber hätte selbst ich mir in dieser Situation wohl eher verkniffen. ;-)

Update, Ergänzung und Korrektur:
Mir liegt nun der Wortlaut des Beschlusses vor, mit dem das Gericht das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt. Darin heißt es:

Die angegriffene Äußerung des Sachverständigen „Ich habe versucht, eine Grundlage zu finden für eine Anklage der Staatsanwaltschaft. Dies war ja mein Auftrag“, …

Der Auftrag der Staatsanwaltschaft lautete jedoch anders, ist in dem Beschluß zu lesen:

Die Ermittlungsbehörde bat um Auswertung des Videomaterials und um die Erstattung eines Gutachtens zu der Frage, ob die auf den Videoaufnahmen festgehaltenen Handlungen gynäkologischen Standards entsprechen und medizinisch indiziert waren. Falls dies nicht der Fall sein sollte, wurde gebeten, die Abweichungen auszuführen.

An dieser offenen Formulierung gibt es nichts Handfestes auszusetzen. Die Äußerung des Sachverständigen zeigt, daß er seinen Auftrag gründlich mißverstanden hat.

Die Passage in dem Artikel von Martin von Braunschweig in der WAZ, die mir Anlaß gegeben hat zu diesem Blogbeitrag, ist ein zumindest ungenaues Zitat. In dem Beschluß heißt es wörtlich:

… so lässt [die Formulierung] doch erkennen, dass sich der Sachverständige in der Rolle der Staatsanwaltschaft oder des Gerichtes sieht. Denn die Überprüfung strafrechtlicher Konsequenzen obliegt allein den staatlichen Behörden und nicht dem Sachverständigen, der lediglich die ihm aufgetragenen Fragestellung aus fachlicher Sicht beantworten sollte.

Das ist in Bezug auf meine Empfindlichkeit ein wenig mißverständlich. Die „Rolle der Staatsanwaltschaft oder des Gerichtes“ ist zunächst Aufklärung und Untersuchung. Danach erfolgt die Überprüfung. Und dann die Entscheidung.

Wenn ich aber mit etwas Wohlwollen an diesen Satz herangehe, dann erkenne ich die korrekte Intention des Gerichts, den Sachverständigen als Unterstützer bei der Aufklärung und Untersuchung sehen zu wollen. Das ist völlig in Ordnung und gibt keinen Anlaß zu Zweifeln an der Unbefangenheit des Gerichts.

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Das ursprüngliche Bild (Holzstempel) war von © Tim Reckmann via pixelio.de. Er verschickt aber auch Rechnungen für die Veröffentlichungen seiner Photos, deswegen habe das Bild vom Server genommen und entsprechend ersetzt.

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Digitales Zeitalter bei der Berliner Justiz

Wie weit die Berliner Justiz vom aktuellen Stand der Technik entfernt ist, zeigt diese schriftliche Anfrage an den Berliner Senat.

S17-17374

 
Die Frage des Piraten Alexander Spies

Ist dem Senat das Problem bekannt, dass der Austausch der Gerichtsakten zwischen Gerichten von Kläger*innen, die das EGVP nutzen, nicht immer möglich ist?

Die Antwort der Senatsverwaltung für Justiz

Probleme beim Austausch der Gerichtsakten zwischen den Gerichten sind dem Senat nicht bekannt. In der Berliner Justiz werden die Gerichtsakten mit wenigen Ausnahmen derzeit in Papierform geführt. Im Rahmen des eröffneten elektronischen Rechtsverkehrs werden die in den Gerichten eingehenden EGVP-Eingänge (Nach-richt, Dokumente, Prüfprotokoll oder Transfervermerk) derzeit ausgedruckt und zur Gerichtsakte genommen.

In Worten:
Der Rechtsanwalt verschickt seine Schriftsätze auf elektronischem Weg ans Gericht, dort druckt eine gut ausgebildete und teuer bezahlte Mitarbeiterin der Geschäftsstelle das Zeug aus, holt einen Locher und steckt die Papierstapel zwischen zwei Pappdeckel. Diese Pappen stapelt sie auf Wägelchen, die dann von einem Wachtmeister (ausgebildet, bezahlt, pensionsberechtigt) von Geschäftsstelle zu Geschäftsstelle gekarrt werden; oder er packt sie in einen klapprigen mausgrauen VW-Transporter, damit ein anderer Justizbediensteter (mit Fahrerlaubnis) sie zu einem anderen Gericht transportiert und dort wieder auf ein Aktenwägelchen packt …

Eine Frage,
die sich mir stellt: Wenn der graue Transporter dann von Wedding nach Neukölln fährt, befindet sich der Schriftsatz des Rechtsanwalts dann auf der Datenautobahn.

Vielen Dank
an den Kollegen Rolf Jürgen Franke, Rechtsanwalt und Notar in Lichtenrade für diese nette Posse aus dem Abgeordnetenhaus.

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Der 10. Termin in der Strafbefehlssache

Nach dem Dezernatswechsel beim Amtsgericht Sinzig geht es nun weiter. Neun Termine und neun korrespondierende Aufhebungen der Termine, das war die Vorgeschichte. Jetzt kommt die zehnte Runde.

10. Termin

die 10.Ladung

Auch wenn das Gericht wieder darauf verzichtet hat, hier mal eben nachzufragen, ob eine Kollision mit einem anderen Termin besteht: Von meiner Seite aus paßt es.

Mal sehen, ob das auch bei den „anliegend aufgeführten Beweismitteln“ klappt und der neue Richter gesund bleibt bis dahin (was ich im wünsche, aber bei so einem Job, den er da hat, nicht sicher vorhersehen kann).

Hinweis:
Gern nehme ich Wetten entgegen, ob der Termin nun stattfindet oder ob er zum zehnten Mal aufgehoben wird.

To be continued …

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Der erste Senat des BGH: Mollath ist nicht beschwert!

Der 1. Senat des Bundesgerichtshofs teilt via Pressestelle (Pressemitteilung Nr. 201/2015) am 09.12.2015 mit:

Fall Mollath: Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen

Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 1 StR 56/15

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat im Fall Mollath die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 14. August 2014 verworfen.

Das Landgericht Regensburg hatte den Angeklagten mit Urteil vom 14. August 2014 in dem wiederaufgenommenen Verfahren freigesprochen und ihm für näher bestimmte Zeiträume der Unterbringung eine Entschädigung zugesprochen. Eine Maßregel hatte das Landgericht Regensburg nicht mehr angeordnet. Einen Teil der dem Angeklagten zur Last gelegten Vorwürfe hatte es nach der Beweiswürdigung als nicht erwiesen angesehen und den Angeklagten insoweit aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Im Hinblick auf den Vorwurf einer gefährlichen Körperverletzung im Jahr 2001 war das Landgericht Regensburg zu der Überzeugung gelangt, der Angeklagte habe den gesetzlichen Tatbestand vorsätzlich und rechtswidrig erfüllt, im Tatzeitpunkt aber nicht ausschließbar ohne Schuld im Sinne des § 20 StGB gehandelt. Der Freispruch des Angeklagten von diesem Vorwurf fußt auf diesen rechtlichen Erwägungen.

Der Angeklagte hat mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Revision seine Freisprechung beanstandet, soweit diese (nur) aus Rechtsgründen erfolgt ist; durch die ihm nachteiligen Feststellungen des Urteils sei er trotz der Freisprechung faktisch beschwert.

Der 1. Strafsenat hat die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen. Ein Angeklagter kann eine Entscheidung nur dann zulässig anfechten, wenn er durch sie beschwert ist. Dies bedeutet, dass die Urteilsformel einen unmittelbaren Nachteil für den „Beschwerten“ enthalten muss. Es genügt nicht, wenn ihn – wie im vorliegenden Fall – nur der Inhalt der Urteilsgründe in irgendeiner Weise belastet. Aus verfassungsrechtlichen Vorgaben und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergibt sich vorliegend nichts anderes. Danach ist die Revision gegen ein freisprechendes Urteil nur ausnahmsweise unter eng umgrenzten Umständen zulässig. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.

Ich habe das Gefühl, diese bayerischen Richter und der 1. Senat des Bundesgerichtshofs haben ein besonderes Verständnis vom Funktionieren einer fairen und rechtsstaatlich organisierten Justiz.

Wenn ich Mist gemacht habe, stehe dazu. Und ich setze alles daran, dazu beizutragen, daß das Ergebnis so weit wie möglich entmistet wird. Das machen die da unten in Bayern augenscheinlich ganz anders.

Es gibt irgendwo im Strafgesetzbuch eine Vorschrift, in der von Einsichtsfähigkeit und von dem Zustand, in dem sie fehlt, die Rede ist. Kann die jemand mal raussuchen und an den 1. Senat und nach Regensburg schicken?

Update:
Hier ist der Beschluß 1 StR 56/15 im Volltext (pdf)

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Dezernatswechsel beim AG Sinzig

Amtsgericht SinzigDie Richterin am Amtsgericht Sinzig hatte wohl Spaß, mal an einer richtig großen Strafsache zu sitzen. Vielleicht hat sie sich aber auch nur treiben lassen von einem Staatsanwalt mit vergleichbaren Ambitionen. Jedenfalls hat sie die Anklage zugelassen. Dem Angeklagten wurde ein (in Worten: 1) Fall des versuchten Betruges vorgeworfen.

Der diesem Vorwurf zugrunde liegende Sachverhalt war mir bestens bekannt.

Unter anderem aus zwei anderen Verfahren.

  • In der einen Sache gibt es eine Anklage zum erweiterten Schöffengericht hier in Berlin. Angeklagt sind dort etwa 184 Fälle. Formuliert auf 17 Seiten.
  • Bei der anderen Sache, die vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Köln verhandelt werden soll, waren es round about 355 Fälle. Die Anklageschrift umfaßt 28 Seiten.

Berlin und Köln sind aber noch nicht soweit, daß dort verhandelt werden kann.

 
Zunächst noch einmal der Hinweis:

Sowohl in Sinzig, als auch in Berlin wie ebenfalls in Köln geht es grundlegend um den selben (nicht: den gleichen!) Sachverhalt. Der Unterschied besteht ausschließlich in den verschiedenen (vermeintlich) Geschädigten.

Was macht der kluge Staatsanwalt in so einem Fall also?

Was macht der Staatsanwalt in Sinzig?

  • Richtig! Er beantragt und bekommt den Erlaß eines Strafbefehls

Meine Versuche (PLUUURAL!), dann wenigstens die Richterin davon zu überzeugen, daß es nicht sinnvoll ist, den Fall zu verhandeln, waren nicht erfolgreich. Sie wollte ebenfalls unbedingt da durch. Um vielleicht – gemeinsam mit dem Staatsanwalt – Rechtsgeschichte zu schreiben?

Ich habe für den Mandanten Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt, weil eine Verurteilung in Sinzig – wenn auch „nur“ im Strafbefehlsverfahren – quasi eine präjudizierende Wirkung auf die Verfahren in Köln und Berlin hätten.

Dem duo infernale schreckte es nicht, daß sich mit diesem Fall bereits

  • eine Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht,
  • ein Senat beim Oberlandesgericht und dann auch noch
  • der Fischersenat beim Bundesgerichtshof

beschäftigt haben.
 
Also habe ich mich auf die Hauptverhandlung bei der Strafrichterin genauso vorbereitet, wie ein Strafverteidiger das macht, der eine streitige Verhandlung einer Anklage, die eine hochspezialisierte Staatsanwaltschaft geschrieben hat, vor einer mit qualifizierten und erfahrenen Richtern einer Wirtschaftsstrafkammer auf seinen Mandanten zukommen sieht.

Und das habe ich auch dem Amtsgericht mitgeteilt (böse Zungen sprechen: „angedroht“).

Um es für den Laien mal ein wenig greifbarer zu machen, worin die Unterschiede bestehen:

Für den Termin beim Strafrichter sieht das Rechtsanwaltsvergütungsgersetz 165,00 Euro vor. Bei der Strafkammer sind es 530 Euro.

Es ging also los.

Mit einer Orgie der Terminierung der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Sinzig.

1. Termin

Ladung 2014-04-29

Kein Schreibfehler: das war wirklich 2014! Da der Termin aber nicht mit mir abgestimmt und ich an dem 29.04.2014 verhindert war, habe ich sofort Terminsverlegung beantragt. Das Gericht reagierte auch recht flott und machte einen neuen Termin, ein paar Tage früher:

2. Termin

Umladung zum 08.04.2015

Weil ich an dem Tag aber anderweitig als Strafverteidiger unterwegs war (und die Richterin mal wieder nicht nachgefragt hatte), passierte dieses:

Aufhebung

Ladung 2014-04-29 aufgehoben

Dann kam überraschend das:

3. Termin

Ladung 2014-07-01

Das wurde mir nun alles ein wenig viel. Wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage habe ich dann am 23.06.2014 einen Antrag auf meine Bestellung zum Pflichtverteidiger (§ 140 II StPO) gestellt. Erwartungsgemäß lehnte die Richterin diesen Antrag am 27.06.2014 ab – war ja alles ganz einfach.

Ich habe da eine andere Ansicht vertreten und mich in einer Beschwerde gegen die Ablehnung

  • auf das AG Berlin,
  • auf das LG Köln,
  • auf das OLG Köln und
  • auf den BGH bezogen,

mit denen ich die Probleme des Falls bereits ausgiebig erörtet hatte. Und ich habe am 29.06.2014 beantragt, den Temin am 1.7.2014 aufzuheben, damit das LG Koblenz über die Frage – schwierig oder nicht schwierig – beraten und entscheiden konnte, bevor es in Sinzig losgeht.

Die Richterin machte es richtig – der Termin mußte aufgehoben werden:

Aufhebung

Aufhebung d HVT am 2014-07-01

Das Landgericht Koblenz entschied dann am 17.07.2014 in einem vierseitigen Beschluß:

PV-Bestellung durch LG KO

OK, erstes Ziel erreicht. Aber da war ja noch was. Ach ja, die Terminierung der Hauptverhandlung.

4. Termin

Ladung 2015-04-14

Wenn man mich vorher mal gefragt hätte, wäre das Folgende nicht nötig gewesen:

5. Termin

Umladung zum 23.06.2015

Aber wenn’s einmal läuft, dann läuft’s. Nicht wahr? Na, wenigstens war ich es diesmal nicht, der keine Zeit hatte für dieses Umfangsverfahren.

6. Termin

Umladung vom 23.06. auf den 28.08.2015

Ok, der 25.08.2015 liegt in den Berliner Sommerferien. Und ich wollte an diesem Tag auf dem Sattel meines Fahrrads sitzen und von Sur-En zur Uina-Schlucht hochkurbeln. Man hätte mich ja mal fragen können. Also:

Terminsverlegungsantrag

Ohne Murren und Knurren wird also einmal mehr umterminiert:

7. Termin

Umladung zum 22.09.2015

Nachdem nun mehrfach der Strafverteidiger verhindert war und einmal ein Zeuge nicht erscheinen konnte, war ja langsam mal ein anderer an der Reihe. Diesmal wohl das Gericht:

8. Termin

Umladung auf den 17.11.2015

Netter Versuch. Allerdings, ohne den Termin mit mir abzustimmen.

Ehrlich, ich schwöre! Ich war wieder verhindert, nicht privat, sondern hatte als Strafverteidiger in Berlin einen Kokslieferanten zu verteidigen, was ich mit dem Vorsitzenden Monate vorher verabredet hatte. Es war nicht zu ändern! Warum greift man in Sinzig nicht einfach mal zum Telefon?! Aber jetzt:

9. Termin

Umladung auf den 08.12.2015

Der 08.12.2015 war endlich abgestimmt. Er steht seit Anfang September in meinem Terminkalender. In knackigem Rot. Mit einer Erinnerung am 03.12.2015, damit ich auch nicht vergesse, mir rechtzeitig einen Stuhl bei der Lufthansa zu reservieren. Den Donnerstag Nachmittag hatte ich mir freigehalten, um für die Hauptverhandlung die Erklärungen und Beweisanträge vorzubereiten. Am Freitag trundelte dann mit der Sackpost das folgende Schreiben ein:

Aufhebung

AG Sinzig hebt Termin auf

Den Flug habe ich storniert – es bleiben Stornokosten von rund 200 Euro. Das Mietauto konnte ich kostenlos abbestellen.

Man glaubt’s wirklich nicht!

Zusammen mit den Terminsverlegungsanträgen habe ich immer mal wieder versucht, das Gericht und die Staatsanwaltschaft zur Einstellung dieses Verfahrens zu bewegen. Nix zu machen! Die Herrschaften bleiben stur. Das kann ich – gebürtiger Siegerländer – besser!

Aber vielleicht gibt der klügere Richter, der jetzt wohl das Dezernat „Versuchter Betrug in minderschweren Fällen“ übernommen hat, ja jetzt endlich nach. Denn sonst wird die Reihe fortgesetzt.

tl;dr

Und jetzt stelle ich die verbotene Frage dann doch noch:

Habt Ihr da unten in Sinzig eigentlich nichts Besseres zu tun?

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BVerfG: Veröffentlichungspflicht auch bereits vor Rechtskraft?

Ein Zeitungsverlag war mit seiner Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich. Es ging um die Zusendung der Kopie eines Urteils, das noch nicht rechtskräftig war bzw. ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat dazu am 29. Oktober 2015 die Pressemitteilung Nr. 78/2015 veröffentlicht. Hierzu lautet der Kurztext:

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts der Verfassungsbeschwerde eines Zeitungverlags gegen eine Entscheidung des Thüringer Oberverwaltungsgerichts stattgegeben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Das Oberverwaltungsgericht hatte es im Eilrechtsschutzverfahren abgelehnt, einen Landgerichtspräsidenten zur Zusendung einer anonymisierten Urteilskopie über ein von hohem Medieninteresse begleitetes Strafverfahren zu verpflichten. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Die vom Oberverwaltungsgericht angeführten Gründe lassen eine Gefährdung des noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens oder weiterer Strafverfahren nicht erkennen.

Der kompletten Text der Pressemitteilung ist hier veröffentlicht.

Eine abschließende Entscheidung ist damit noch nicht getroffen worden. Das Verfassungsgericht reklamierte, daß das Oberverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung „Besonderheiten“ nicht hinreichend beachtet habe. Es sei anerkannt,

dass aus dem Rechtsstaatsgebot einschließlich der Justizgewährungspflicht, dem Demokratiegebot und dem Grundsatz der Gewaltenteilung grundsätzlich eine Rechtspflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen folgt. Diese Veröffentlichungspflicht erstreckt sich nicht nur auf rechtskräftige Entscheidungen, sondern kann bereits vor Rechtskraft greifen. Sie bezieht sich auf die Entscheidungen als solche in ihrem amtlichen Wortlaut.

Ob der presserechtliche Auskunftsanspruch der klagenden Medienvertreter in diesem konkreten Fall die Interessen der Strafrechtspflege überwiegt, muß nun das Oberverwaltungsgericht in einem zweiten Durchgang entscheiden. Wenn allerdings

konkrete Anhaltspunkte die Gefahr einer Vereitelung, Erschwerung, Verzögerung oder Gefährdung der sachgemäßen Durchführung eines Strafverfahrens im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 1 ThürPrG unmittelbar und dringend nahelegen.

müssen die Journalisten auf die Rechtskraft der Entscheidung eben warten.

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