Gericht

Voll schuldfähige Erschießung eines Finanzbeamten

Der Bundesgerichtshof teilt über seine Pressestelle in der Mitteilung Nr. 174/2015 vom 13.10.2015 lapidar mit:

Verurteilung wegen Mordes im Finanzamt Rendsburg rechtskräftig

Beschluss vom 30. September 2015 – 5 StR 347/15

Das Landgericht Kiel hat einen Steuerberater wegen Mordes an einem Finanzbeamten im Finanzamt Rendsburg zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen des Landgerichts erschoss der voll schuldfähige Angeklagte am 1. September 2014 heimtückisch den Beamten in seinem Büro.

Der 5. (Leipziger) Strafsenat hat die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts als offensichtlich unbegründet verworfen. Das Urteil des Landgerichts Kiel ist damit rechtskräftig.

Landgericht Kiel – Urteil vom 7. April 2015 – 8 Ks 1/15 (598 Js 40394/14)

Bemerkenswert an dieser Mitteilung ist der ausdrückliche Hinweis des Gerichts, daß der (wohl ehemalige) Steuerberater im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war, als er den Finanzbeamten erschossen hat. Mich treibt das Steuerrecht regelmäßig in den Wahnsinn.

In der LTO vom 07.04.2015 findet man einen Bericht über die erstinstanzliche Entscheidung des LG Kiel.

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Überraschung: Bewährungsstrafe erlassen

Was passiert eigentlich am Ende einer Bewährungszeit? Also, der Mandant wurde am 06.05.2013 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungszeit wurde auf 2 Jahre festgesetzt, endete also mit Ablauf des 06.05.2015. Was macht also das Gericht an diesem Tag? Richtig: Nichts.

Dies ist leider kein Einzelfall, deswegen packen wir die Akte nach rechtskräftigen Abschluß des Verfahren nicht einfach weg. Sondern wir setzen eine „Wiedervorlage“, das heißt, unserer Computer erinnert uns beizeiten daran, daß da noch etwas zu erledigen ist. So auch in diesem Fall.

Wir schreiben an das Amtsgericht:

Antrag

In diesem Fall ging es recht flott und das Amtsgericht reagiert mit diesem Beschluß:

Beschluß

Erst jetzt ist es – grundsätzlich – nicht mehr möglich, die Strafaussetzung zur Bewährung zu widerrufen. Selbst dann nicht, wenn sich nachträglich doch noch herausstellen sollte, daß der Verurteilte sich nicht bewährt haben sollte.

Aus diesem Grund ist es wichtig, möglich knapp nach Ablauf der Bewährungszeit den entsprechenden Antrag zu stellen. Muß ein Verteidiger dran denken, wenn der Mandant ihn liebhaben soll. Und das ist dann die Folge, wenn der Mandant 2 Jahre nach Ende des Mandats überraschend erfreuliche Post vom Anwalt bekommt.

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Oberlandesgerichtsexpress

Um 10:30 Uhr haben wir per Fax eine Sachstandsanfrage an das OLG Köln gerichtet. Ich wollte wissen, wann mit einer Entscheidung in einer Beschwerdesache zu rechnen ist. Bereis um 15:04 Uhr trudelte hier ein Fax des Vorsitzenden Richters des 2. Strafsenats hier ein:

OLG-Express

Wenn man schon nicht die Beschwerden zeitnah bearbeiten kann: Wenigstens bei den Sachstandsanfragen läßt der VRiOLG nichts anbrennen.

Besten Dank für die Expressantwort; damit können wir umgehen.

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Dokumentiertes Motorradfahren

Zu welchen argumentativen Klimmzügen Verwaltungsrichter imstande sind, zeigt die Pressemitteilung Nr. 41/2015 des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 28.05.2015.

Längere Dauer der Fahrtenbuchauflage bei nur saisonal genutzten Motorrädern

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute entschieden, es sei nicht zu beanstanden, wenn die Behörde die Festsetzung einer gegenüber Personenkraftwagen längeren Dauer einer Fahrtenbuchauflage darauf stützt, dass der Verkehrsverstoß mit einem nur saisonal genutzten Motorrad begangen wurde.

Der Kläger wendet sich gegen eine Fahrtenbuchauflage. Er ist Halter eines Motorrads, mit dem die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 27 km/h (nach Toleranzabzug) überschritten wurde. Nachdem der Kläger keine Angaben zum Fahrer des Motorrads machte, der auch nicht anderweitig ermittelt werden konnte, ordnete das Landratsamt an, dass der Kläger für die Dauer von 15 Monaten ein Fahrtenbuch führen müsse. Da das Tatfahrzeug ein Motorrad war, setzte das Landratsamt dabei entsprechend seiner ständigen Verwaltungspraxis für die Fahrtenbuchauflage eine um drei Monate längere Dauer fest als bei einem entsprechenden Verkehrsverstoß mit einem Personenkraftwagen. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass Motorräder anders als Personenkraftwagen in der Regel nicht ganzjährig genutzt würden, mit der Fahrtenbuchauflage aber die gleiche Wirkung erzielt werden solle. Auch der Kläger habe sein Motorrad in den Wintermonaten jeweils durchschnittlich sechs Monate außer Betrieb gesetzt. Die gegen die Fahrtenbuchauflage gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben.

Das Bundesverwaltungsgericht hat auch die Revision des Klägers zurückgewiesen. Gegen die vom Beklagten angestellten Ermessenserwägungen für die Festlegung der Dauer der Fahrtenbuchauflage war revisionsrechtlich nicht zu erinnern. Der Beklagte bemisst die Dauer zu Recht grundsätzlich nach der Gewichtigkeit des Verkehrsverstoßes, dessen Täter trotz hinreichender Aufklärungsbemühungen nicht ermittelt werden konnte. Ebenso wenig war die Verlängerung der Fahrtenbuchauflage zu beanstanden, die der Beklagte in ständiger Verwaltungspraxis vorsieht, wenn es sich bei dem Tatfahrzeug – wie auch im Falle des Klägers – um ein nur saisonal genutztes Motorrad handelt; ein solches Vorgehen genügt den Anforderungen des Gleichbehandlungsgebots (Art. 3 Abs. 1 GG) und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. In solchen Fällen dient die Bestimmung einer längeren Frist als bei typischerweise ganzjährig genutzten Personenkraftwagen dazu zu verhindern, dass die zum Schutz der Verkehrssicherheit ergangene Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, teilweise – nämlich in der Zeit der Stilllegung des Motorrads – leerläuft. Zugleich wird der Halter eines nur saisonal genutzten Motorrads durch die Fahrtenbuchanordnung während der Zeit ohnehin nicht belastet, in der er sein Fahrzeug außer Betrieb genommen hat.

BVerwG 3 C 13.14 – Urteil vom 28. Mai 2015

Vorinstanzen:
OVG Lüneburg 12 LB 76/14 – Urteil vom 08. Juli 2014
VG Stade 1 A 1328/11 – Urteil vom 08. März 2013

517625_web_R_by_Claus Zewe_pixelio.deBei der Bemessung Dauer der Fahrtenbuchauflage müssen – dieser Verwaltungs-Logik folgend – also die Zeiten berücksichtigt werden, in denen das Fahrzeug – Auto oder Motorrad – nicht bewegt wird. Ich rege daher an, pendelnden Inhabern von Monatskarten des ÖPNV pauschal 2 Monate oben drauf zu geben, weil die ja zweimal täglich kein Benzin verbrennen. Und wenn diese Klientel dann auch noch ein Fahrrad hat, mit dem sie beim Bäcker ihre Brötchen holt, gibt es nochmal einen Nachschlag von 1 Monat.

Wie man diesem Unsinn am besten entgeht? Man nimmt die Fahrtenbuchauflagebehörden mit ihren stumpfen Schwertern erst gar nicht mehr ernst. Mittlerweile gibt es noch nicht einmal mehr Punkte in Flensburg, wenn man zu dusselig war, sich beim Fahrtenbuchnichtführen erwischen zu lassen.

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Bild: © Claus Zewe / pixelio.de

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Die Informationslage des Amtsgerichts Fürth

Um sinnvolle Entscheidungen treffen zu können, braucht ein Gericht eine gesicherte Informationsbasis. Dem Amtsgericht Fürth kennt sich dort aus, wo es beheimatet ist; und das was in Bayern paßt, muß auch in Berlin so hinhauen. Mir san mia.

Bei erwachsenen Angeklagten entscheidet in der Regel (mit einigen Ausnahmen) das Gericht, in dessen Sprengel der Tatort liegt. Strafsachen gegen einen Heranwachsenden werden dort verhandelt, wo er seinen Wohnsitz hat, § 42 JGG.

Das war in dem vorliegenden Fall ein Problem, mit dem die Bayern in Fürth schlecht zurecht kamen. Unser Mandant war nämlich so frei, einfach von Bayern wieder nach Berlin zurück zu kommen. Für den Richter in Fürth ist sowas eigentlich nicht vorstellbar, deswegen kam ihm auch nicht in den Sinn, sich nach gut zwei Jahren, in denen das Verfahren vor sich hindümpelte, mal nach dem aktuellen Wohnsitz zu erkundigen.

Über die Frage der Zuständigkeit hat sich dann eine Auseinandersetzung zwischen Verteidigung und Gericht entwickelt, die zu einem – erwartungsgemäß nicht „erfolgreichen“ – Ablehnungsgesuch führte.

Die Argumentation der Bayern ist selbstbewußt. Das reicht aus, Sachkenntnis ist dann entbehrlich:

AG Fürth

Richtig ist, daß es in Berlin mehrere Amtgerichte gibt, unter anderem auch ein Amtsgericht Spandau. Für Strafsachen sind die Spandauer aber nicht zuständig, auch dann nicht, wenn der Angeklagte direkt im Gericht wohnen würde.

Gut, das ist einem Berliner Strafverteidiger bekannt. Aber die Zuständigkeit des Amtsgerichts Tiergarten für alle Strafsachen, die in Berlin verhandelt werden, ist kein Geheimwissen. Ein Blick ins Internet – hier oder hier – erleichtert die Rechtsfindung, auch einem bayerischen Amtsrichter. (Für Fortgeschrittene gibt es die Verordnung zur Umsetzung der Neustrukturierung der Amtsgerichte vom 25. Januar 2010 GVBl. Seite 25.)

Bayern sama, Bayern bleima, uns kennt die ganze Welt …

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Inhaltsleere Zustellungen

Nicht überall ist das drin, was draufsteht. Und wenn’s drauf an kommt, was drin ist, kann dieser Beschluß des Oberverwaltungsgericht (OVG) des Landes Sachsen-Anhalt vom 29.08.2014 zum Aktenzeichen: 3 O 322/13 ganz nützlich sein.

Das Problem:
Die Behörde oder das Gericht möchte ganz sicher sein, daß ein Schreiben den Bürger erreicht. Und im Zweifel soll das dann auch noch nachweisbar sein.

Die Lösung:
Für diesen Zweck hat man vor langer Zeit die förmliche Zustellung erfunden. Das Schriftstück – zum Beispiel ein Strafbefehl – wird vom Absender, also vom Gericht, in einen gelben Umschlag gesteckt und auf den Weg gebracht.

Der Postbote soll dann versuchen, diesen gelben Umschlag mit dem Strafbefehl an den Mann oder an die Frau zu bringen, am besten durch persönliche Übergabe. Ist der Herr oder die Dame aber nicht im Hause, steckt der Briefträger den Umschlag schlicht – ersatzweise – in den Briefkasten. Und über das, was er da gemacht hat, führt er Protokoll, das Zustellungsprotokoll. Mithilfe dieser Zustellungsurkunde gelingt der Behörde, oder hier dem Gericht, der Nachweis, daß die häßliche Nachricht ihren Adressaten erreicht hat.

Die Folgen:
343594_web_R_K_B_by_Marvin Siefke_pixelio.deDas führt in solchen Fällen immer dann zum Streit, wenn beispielsweise der Briefkasten geplündert wurde. Oder der Zusteller den Brief in den falschen Kasten gesteckt hat – zum Beispiel bei J. Müller statt bei P. Müller.

Gerade bei Adressaten von unangenehmen Briefen kommt überproportional häufig die Post weg. Das juckt die Behörde und das Gericht aber wenig: Zustellungsurkunde ist Zustellungsurkunde und fertig. Den Nachweis der Briefkastenplünderung oder der Schusseligkeit des Zustellers gelingt so gut wie nie.

Der Beschluß:
Nun hat uns das OVG Sachsen-Anhalt auf eine neue Idee gebracht.

In dem entschiedenen Fall ging es um die Frage, ob der Bescheid der Behörde dem Bürger vollständig, d. h. einschließlich der Rechtsmittelbelehrung, zugegangen sei. In dem Beschluß des OVG heißt es dazu:

Hierfür spreche die Tatsache, dass ihm der angefochtene Bescheid ausweislich der in den Verwaltungsvorgängen enthaltenen Postzustellungsurkunde […] – durch Einwurf in den Briefkasten – ordnungsgemäß zugestellt worden sei. Die Postzustellungsurkunde begründe als öffentliche Urkunde i. S. d. § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis für die Richtigkeit der beurkundeten Tatsachen. Der nach § 418 Abs. 2 ZPO grundsätzlich mögliche Beweis des Gegenteils […] sei vom Kläger nicht erbracht worden.

Soweit der Standard. Nun kommt’s aber:

Die Postzustellungsurkunde [erbringt] nur den (vollen) Beweis dafür, dass dem Kläger das in der Postzustellungsurkunde bezeichnete Schriftstück […] am fraglichen Tage […] in der angegeben Weise […] unter der angegebenen Anschrift – hier nach dem vergeblichen Versuch der persönlichen Aushändigung – durch den benannten Postbediensteten zugestellt worden ist.

Mit anderen Worten: In der Urkunde wird dokumentiert, daß der Postbote einen Brief in den Briefkasten geworfen hat. Der Haken ist aber folgender:

Hingegen erstreckt sich die Beweiskraft der Urkunde nicht (zugleich) auf die hier streitbefangene Frage, ob das zumal im verschlossenen Umschlag enthaltene Schriftstück dem Kläger auch vollständig zugestellt worden ist, mithin der angefochtene Bescheid mit einer (ordnungsgemäßen) Rechtsbehelfsbelehrung versehen war oder ob dies versehentlich unterblieben ist. Hierzu finden sich in der Postzustellungsurkunde naturgemäß keinerlei Angaben; der Postzustellungsurkunde kommt insoweit auch keine Beweiskraft zu.

Und genau das ist das Sensationelle
Wenn der Inhalt des gelben Briefes nicht nachgewiesen wurde und der Adressat bestreitet, daß alle wesentliche Bestandteile im Umschlag steckten, hat die Behörde oder das Gericht ein Problem. Sie trägt die Beweislast. Fehlt die Rechtmittelbelehrung – oder gelingt wie in dem entschiedenen Fall der Behörde der Nachweis nicht, daß die Belehrung im Brief drin war – läuft auch keine Rechtsmittelfrist. Dann kann ein Rechtsbehelf nicht zu spät erhoben worden sein. Fehlt sogar die letzte Seite eines Strafbefehls mit dem Beglaubigungsvermerk, ist die unvollständig zugestellte Entscheidung insgesamt nicht wirksam.

Die Bedeutung des Beschlusses
Dieser Beschluß des Oberverwaltungsgericht (OVG) des Landes Sachsen-Anhalt ist ein gewichtiges Argument für die Verteidigung, z.B. in Strafbefehlsverfahren. Daran soll der Strafverteidiger immer denken, wenn der Mandant die Frage nach der Vollständigkeit des Inhalts mit: „Weiß ich doch nicht!“ oder ähnlich beantwortet.

Hinweis auf die Entscheidung gefunden beim Rechtsindex; besten Dank!
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Bild Briefkästen: © Marvin Siefke / pixelio.de
Das ursprüngliche Bild oben (Umschläge) war von © Tim Reckmann via pixelio.de. Er verschickt aber auch Rechnungen für die Veröffentlichungen seiner Photos, deswegen habe das Bild vom Server genommen und entsprechend ersetzt.

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Kostenfestsetzung minus 20%

Hier mal ein Kostenfestsetzungsbeschluß, bei dem neben der StPO auch das Moabiter Landrecht zur Anwendung kam:

KFB 229 Ds 130_14(Klick auf’s Bild liefert den vollständigen Beschluß als PDF)

  1. Auch die Auslagen für Ablichtungen, die nicht ausgedruckt, sondern „nur“ digital gespeichert wurden, werden erstattet.
  2. 20% aller Kopien aus Gerichts- und Ermittlungakten sind nicht notwendig.

Die Justizinspektorin spekuliert darauf, daß die Verteidigung wegen 5,12 € kein Faß aufmacht das Rechtsmittel der Erinnerung nicht erhebt. Dann soll diese willkürlich erscheinende Entscheidung wenigstens einem guten Zweck dienen – als Vorlage für einen nur leicht polemischen Blogbeitrag.

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3. Februar 1945: Bombenwetter in Berlin

Russland, Kessel TscherkassyGegen halb elf begann vor exakt 70 Jahren – am 3. Februar 1945 um 10:27 Uhr – die Umbenennung der Berliner Bezirke durch die United States Army Air Forces. Nach dieser Operation „Thunderclap“ war die Rede von Klamottenburg, Stehtnix und Trichterfelde.

Die Amis haben auch Platz gemacht für das später gebaute Sony-Center. Ganz in der Nähe hatte ein gewisser Herr Roland Freisler sein Büro. Freisler war einer der Massenmörder der Nazis – und im Nebenberuf seinerzeit auch Richter. In diesen Eigenschaften, nämlich seit dem 20. August 1942, war er Präsi des Volksgerichtshofes.

Ab diesem Datum wurden durch den von Freisler geführten Ersten Senat des „Gerichts“ mehr als 2.600 Todesurteile gefällt. Das sind 90 „Justizmorde“ in jedem einzelnen der 29 Monate, in dem Freisler hingerichtet hat. Oder rund gerechnet: Vier bis Fünf solcher Entscheidungen arbeitstäglich bei einer Fünftagewoche. Oder noch deutlicher: Alle anderhalb Stunden (bei einem Achtstundentag) so ein Urteil, das Grundlage für eine dann meist ebenso kurzfristige Hinrichtung war.

Daß dann einer der amerikanischen Regentropfen des 03.02.1945 diesem Karrierejuristen final auf den Kopf gefallen ist, als er um sein eigenes Leben bangend unterwegs war zum Luftschutzkeller des Volksgerichtshofs in der Bellevuestraße 15, ist – bei allem Respekt vor den Inhalten des Art. 1 GG – meiner Ansicht nach kein Anlaß für übertriebene Trauer.

Anm.:
Danke an die aufmerksamen Leser, die mich auf den einen oder anderen (Rechen-)Fehler in diesem Beitrag hingewiesen haben.

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Bild: wikipedia.org

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Textbaustein-Erscheinung

Das Gericht hatte auf meinen Antrag einen Haftprüfungstermin angesetzt, zu dem ich jedoch verhindert war. Ich habe gebeten, den Termin zu verlegen, die Richterin entsprach meiner Bitte. Und ich erhielt die freundliche Mitteilung:

Nicht erscheinen

So sieht das aus, wenn man Textbausteine nicht auf ihren Sinn untersucht, bevor man sie zur Post gibt. Aber will ja gar nicht meckern, ich verstehe schon, was mir die sicher gut ausgelastete Mitarbeiterin der Geschäftsstelle da in aller Eile mitteilen möchte.

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Verfassungswidrige Durchsuchung einer Strafverteidigerkanzlei

473361_web_R_B_by_Jürgen Grüneisl_pixelio.deDie Bayern mal wieder. In einer Strafsache vor dem Amtsgericht München zitierte der Verteidiger eines Arztes aus Patientenunterlagen. Dieses Material hatte der Arzt erst zusammen und dann seinem Verteidiger zur Verfügung gestellt.

Jene Patientenkarteikarten – ausschließlich in der Hand des Verteidigers – weckten die in § 244 II StPO geregelte Neugier des Amtsrichters. Der Verteidiger wollte sein Material aber nicht herausgeben. Das wiederum ließ sich der bayerische Strafrichter nicht bieten, er ordnete die Durchsuchung der Strafverteidigerkanzlei und die Beschlagnahme dieser Unterlagen an.

Weder der Arzt, und schonmal gar nicht der Verteidiger waren davon begeistert, daß hier Unterlagen der Verteidigung beschlagnahmt wurden. Sie zogen erst – erfolglos – durch die Instanzen der Bayerngerichte und schließlich vor das Bundesverfassungsgericht, das ihrer Verfassungsbeschwerde stattgab (BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 6.11.2014 – 2 BvR 2928/10).

Abenteuerlich waren die Begründungen des AG und des LG München, die die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktion für rechtens hielten: Die vom Arzt abgetippten Patientenunterlagen seien kein geschütztes Material der Verteidigung. Es sei nicht davon auszugehen, dass sich das Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Verteidiger gerade auf diese Unterlagen beziehe. Auch die handschriftlichen Originalaufzeichnungen (mit einer
detallierten Beschreibung des Behandlungsablaufs aus seiner Sicht), die der Arzt für seinen Verteidiger erläuternd auf das Papier geschrieben hatte, unterlägen nicht dem Vertrauensschutz.

Und überhaupt, meinte das im Beschwerdeverfahren angehörte Bayerische Staatsministerium, gäbe es auch sonst nichts an der Aktion zu beanstanden.

Denn entscheidend sei, ob ein Beschuldigter Aufzeichnungen erkennbar zum Zweck der Verteidigung angefertigt habe. Dies sei hier nicht der Fall. Die Leseabschriften der Patientenkarteikarten seien „nicht ersichtlich“ für den Verteidiger bestimmt gewesen. Für einen Außenstehenden sei nicht erkennbar gewesen, dass es sich um „spezielle Verteidigungsunterlagen“ gehandelt habe.

Ich rufe nochmal in Erinnerung: Beschlagnahmt wurden diese Unterlagen quasi auf dem Schreibtisch des Verteidigers. Trotzdem behaupten diese bayerischen Volljuristen, sie seien „nicht ersichtlich für den Verteidiger bestimmt“?

Diesem Unsinn traten die Verfassungsrichter deutlich entgegen:

Die Durchsuchungsmaßnahme sei

offensichtlich ungeeignet und daher unverhältnismäßig.

Denn die Karteikarten unterlägen dem Schutz der § 97 StPO und § 160a I 2 StPO; Erkenntnisse daraus dürften im Rahmen der Beweisaufnahme ohnehin nicht verwendet werden.

Weiter heißt es in dem Beschluß:

Bei diesem Vorgehen besteht die Gefahr, dass der Schutz des Vertrauensverhältnisses infolge der Sichtung sämtlicher Verteidigungsunterlagen ins Leere läuft. Dies gilt umso mehr, wenn – wie hier – trotz der besonderen Sensibilität einer Durchsuchung beim Strafverteidiger keine umfassende Angemessenheitsprüfung unter Berücksichtigung der Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses zwischen Strafverteidiger und Mandant erfolgt.

Da es den Bayern bis 2014 noch nicht bekannt war, wiederholte das BVerfG das, was ich seinerzeit als Student an der Philipps-Universität Marburg aus der Entscheidung des BGH vom 09.04.1986 (3 StR 551/85) längst gelernt hatte:

Aus dem rechtsstaatlichen Gebot, dem Beschuldigten jederzeit die Möglichkeit einer geordneten und effektiven Verteidigung zu geben, ergibt sich, dass Unterlagen, die ein Beschuldigter erkennbar zu seiner Verteidigung in dem gegen ihn laufenden Strafverfahren anfertigt, weder beschlagnahmt, noch gegen seinen Widerspruch verwertet werden dürfen.

So erfreulich, wie diese Entscheidung ist: Sie erging im November 2014. Der rechtswidrige Übergriff des Amtsrichters erfolgte im Juli 2010. Was aus dem Arzt (und dem Verteidiger) bzw. aus dem Strafverfahren wurde, ist der Entscheidung des Verfassungsgerichts nicht zu entnehmen. Auch ohne Akten- und Sachverhaltskenntnis wird für einem Unbeteiligten aber der nachhaltige Schaden deutlich, den die bayerischen Instanz-Richter in Bezug auf das Vertrauen des Bürgers in ein rechtsstaatliches Verfahren angerichtet hat. Freistaat statt Rechtsstaat?

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Bild: © Jürgen Grüneisl / pixelio.de

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