Gericht

Verschobenes Urteil in Potsdam

VerschobenVor dem Landgericht Potsdam war heute großer Bahnhof. In dem abgetrennten Teil des so genannten „Pillendienst-Verfahrens“ gegen vier Angeklagte aus dem ersten Durchgang hatte das Gericht für heute einen (letzten) Termin angesetzt. Die Angeklagten sollten Gelegenheit bekommen, einer frischen und aufmerksamen Kammer die „letzten Worte“ mit in die Urteilsberatung zu geben. Danach sollte die Urteilsverkündung erfolgen – ein knappes Jahr nach dem (ersten) Start dieses Verfahrens.

Entsprechend dieser Vorankündigung waren zahlreiche Medienvertreter erschienen, teils mit schwerem Gerät zur Berichterstattung in der Abendschau. Auch Verteidiger, die in weiteren Verfahren aktiv sind, waren erschienen, um sich neue Munition für Ihre Mandanten abzuholen. Und dann das!

Das Gericht teilte mit, die zur Verfügung stehende Zeit habe nicht ausgereicht für die Vorberatung. Man stecke noch mittendrin in der Urteilsberatung und brauche noch etwas. Ursache sei aber nicht eine zu engagierte Terminsplanung gewesen. Sondern unerwartete Probleme (meint wohl: Anträge) aus der Verteidigerriege des Parallelverfahrens, in dem am morgigen Dienstag weiter verhandelt werden soll. Deswegen findet die Urteilsverkündung nun doch nicht heute, sondern erst am 14. Januar statt.

Selbstverständlich gab es enttäuschte Gesichter bei den Öffentlichkeitsarbeitern. Auch die Parallel-Verteidiger wären sicher nicht angereist, um sich die Reue-Vorträge der geständigen Angeklagten anzuhören. Aber auf diese Interessen muß eine Strafkammer keine Rücksicht nehmen.

Bedauernswert sind die Angeklagten. Seit einem Jahr leben sie mit der Ungewissheit, was am Ende aus der Justiz hinten rauskommt. Auch die – weit angereisten – Familienmitglieder hatten sich für ihre Partnerschaften Gewissheit erhofft. Nicht der Knast ist das Schlimmste, was die Jungs erwartet. Sondern die quälende Ungewissheit, die seit Monaten offene Frage, ob es doch noch eine bedingte Freiheitsstrafe gibt bzw. wie lange sie einfahren müssen.

Deswegen war der Beschluß, mit dem die Verhandlung ohne Urteilsverkündung unterbrochen wurde, das schlimmste aller denkbaren Ergebnisse des heutigen Tages. Das hätte das Gericht anders organsieren können, wenn es sich ein paar Gedanken über die Konzenquenzen einer solchen Entscheidung gemacht hätte.

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Bild: © Peter Smola / pixelio.de

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Ein kurzes Vergnügen

542050_web_R_K_B_by_daniel stricker_pixelio.deDie angetretenen Medienvertreter waren enttäuscht. Dabei ließ es sich gut an, als der Vorsitzende die fünf Angeklagten und ihre Verteidiger begrüßte. Denn einer der Angeklagten hatte mehrere Namen, mit denen er unterwegs war. Nichts Verbotenes, aber etwas mit Unterhaltungswert.

Und statt, daß die Angeklagten und die Verteidigungen nun die Verlesung der knapp 500 Seiten langen Anklageschrift (naja, geschenkt; vorgelesen wird ja nicht alles) über sich ergehen lassen, habe ich ein 7 Seiten langes Schriftstück zu diesem Thema hier vorgelesen. Damit war die Gerichtsshow für die Zuhörer schon wieder beendet.

Über weitere Einzelheiten berichtet Lisa Steger auf rbb-online.

Ärgerlich an dem (Medien-)Auftakt ist aber das (zusammengeschnittene?) Interview des Gerichtssprechers (ab Minute 1:40 beginnt der Bericht des RBB), der von meiner Vorlesung offenbar nur herzlich wenig mitbekommen hat.

Natürlich ist der „kriminelle Haufen“ den ich unter anderem kritisiert habe, spektakulär. Aber die eigentlichen und gewichtigen Probleme, die ich thematisiert habe, nämlich die Vor- und Parallelbefassung des Vorsitzenden Richters in dieser Sache, scheinen – wenn ich mir den Zusammenschnitt des Interviews anschaue – irgendwie bei Frank Tiemann nicht angekommen zu sein.

Und noch einmal, zur Fortbildung:

In einem Ablehnungsgesuch (vulgo: Befangenheitsantrag) geht es nicht um den Nachweis der Voreingenommenheit. Entscheidend ist allein und schon die Besorgnis der Befangenheit:

Es kann dahingestellt bleiben, ob der abgelehnte Richter im Grunde tatsächlich befangen ist.

Das hat bereits 1967 das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 21, 146) erkannt und festgeschrieben.

Daher ist die Ablehnung schon begründet, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Es ist also nicht erforderlich, daß der Richter in der Tat parteilich oder befangen ist.

Es geht in diesem Ablehnungsgesuch um folgende Fragen (die ich teilweise bereits hier zur Diskussion gestellt hatte):

  • Ist ein Gesetz in ein und demselben Lebenssachverhalt einmal anwendbar, ein anderes Mal nicht?
  • Was darf ein Richter durcheinander bringen und was nicht?
  • Sind Menschen durchnumerierte Bestandteile eines Haufens?

Sicher, die letzte Frage ist die eingängigste. Viel problematischer – jedenfalls für uns Strafjuristen – sind aber die Fragen der Vorbefaßtheit.

Stellen wir jedoch auf den vernünftigen Angeklagten ab, den das Bundesverfassungsgericht (BVerfG E 32; 288 (290) ; BGHSt 24, 336 (338)) im Blick hatte:

Es kommt entscheidend darauf an, ob der den Richter ablehnende Angeklagte bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit, d.h. an der objektiven und zu allen Verfahrensbeteiligten Distanz wahrenden Einstellung des abgelehnten Richters innerhalb des vorliegenden Verfahrens zu zweifeln

In meiner kleinen (nach den knackigen Regeln der Statistiker sicherlich angreifbaren) Umfrage vertreten rund 70 Prozent der über 500 abgegebenen Stimmen den Standpunkt, daß hier (mindestens) ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen.

Unter anderem kritisiert die Verteidigung, dass er sich in einem Parallelverfahren abschätzig gegenüber Bandenmitgliedern geäußert und sie als „kriminellen Haufen“ bezeichnet habe. Außerdem sei [der Vorsitzende Richter] nicht mehr unvoreingenommen, weil er in zwei weiteren Verfahren gegen andere Bandenmitglieder sich bereits eine Meinung gebildet habe, erklärte ein Verteidiger.

So faßt – einigermaßen zutreffend – die dpa/ap (via Springerpresse) die Knackpunkte des Ablehnungsgesuches zusammen.

Das Ergebnis des nun laufenden Ablehnungsverfahrens wird keine Überraschungen bringen (was auch einer weiteren flapsigen, aber bestimmt nur gut gemeinten Bemerkung des abgelehnten Richters zu entnehmen war).

Oder vielleicht doch? Nutzt das Gericht diesmal die Möglichkeit, dem Volk, in dessen Namen irgendwann einmal ein Urteil ergehen soll, zu erklären, warum der Vorsitzende Richter am Landgericht immer noch vollkommen gerecht, von jeder falschen Rücksicht freie Einstellung zur Sache, neutral und gegenüber allen Verfahrensbeteiligten distanziert urteilten kann. Die Chance hätte das Gericht nach meinem Antrag:

eine Ablehnungsverhandlung stattfinden zu lassen und erst nach mündlicher Verhandlung zu entscheiden.

Aber dazu gehört Mut.

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Bild: Daniel Stricker / pixelio.de

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Nachrichten aus der heimatlichen Provinz

WodkaIm August 2013 entwendete ein 46 Jahre alter Angeklagte aus Kreuztal in einem Lebensmittelmarkt in Siegen eine Flasche Wodka zum Preis von 4,99 Euro. Er ist alkoholkrank, wegen Diebstahls in erheblichem Umfang vorbestraft und hat bereits Hafterfahrung. Die entwendete Ware gelangte an den Lebensmittelmarkt zurück.

1. Durchgang beim Amtsgericht Siegen

Im sich anschließenden Strafverfahren hat der Angeklagte den Diebstahl gestanden.

Zwischenergebnis:
Eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 10 Euro.

Das reichte dem im gut behüteten Elternhaus aufgewachsenen Staatsanwalt nicht. Er griff das Gericht Urteil mit der Berufung an.

2. Durchgang beim Landgericht Siegen

Das Landgericht hat sich die Sache mal genauer angeschaut: Der (vielfach – auch einschlägig – vorbestrafte) Angeklagte betreibe seit etwa zehn Jahren „missbräuchlichen, teils exzessiven Alkoholkonsum“. Er treffe sich mit Gleichgesinnten in der „Trinkerszene“. Aus seinem Alkoholkonsum resultierten sein berufliches „Aus“ wie auch seine Delinquenz. Am Tattag habe der Angeklagte etwa eine Flasche Wodka zu sich genommen. Ein Arzt habe die Gewahrsamsfähigkeit des Angeklagten festgestellt.

Die Berufungskammer „schenkte“ dem Angeklagten die eingeschränkte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB), d.h. die Kammer hat sich den Sachverständigen gespart, man kennt sich in Siegen nämlich bestens mit Trinkern aus. Und urteilt: Bei BAK-Werten von 3,27 Promille zum Tatzeitpunkt sei die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Tat nicht ausschließbar (sic!) erheblich vermindert gewesen sei. Ein Ausschluss der Steuerungsfähigkeit sei aber nicht gegeben gewesen.

Zwischenergebnis:
Freiheitsstrafe von drei Monaten, ohne Strafaussetzung zur Bewährung.

3. Durchgang beim OLG Hamm

Fast alles im grünen Bereich, meinen die revisionsrichtenden Senatsinsassen. Nach deren nüchterner Auffassung können auch zur Ahndung von Bagatellstraftaten, begangen durch schwerst alkoholkranke Täter, kurzzeitige Freiheitsstrafen verhängt werden. Denn:

Im vorliegenden Fall sei eine solche Bestrafung naheliegend angesichts der zahlreichen, überwiegend einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten und angesichts des Umstandes, dass er sich weder durch zuvor verhängte Geldstrafen noch durch Bewährungsstrafen und die Vollstreckung kurzzeitiger Freiheitsstrafen von der Begehung der neuerlichen Tat habe halten lassen.

Was ist das für eine Logik?! Man sperrt den Alki ein paarmal in den Knast und wundert sich, daß das nicht so wirkt, wie sich das ein vertrockneter Staatsanwalt vorstellt. Und was fällt den Oberrichtern dazu ein? Sie stecken ihn nochmal da rein. Vielleicht – so müssen die ernsthaft glauben – verhindert die Freiheitsstrafe es ja diesmal, daß der Mann künftig seinem Suchtdruck nicht bei Kaiser’s nachgibt. Wie besoffen muß man sein, daß sich dadurch auch nur irgendwas ändert?!

Wenn man diesen Kappes zu Ende denkt, führt der Diebstahl einer Flasche Fusel irgendwann mal zu einer Haftstrafe, die sich in Bezug auf die Dauer der eines bekannten bayerischen Millionen-Steuerhinterziehers nähert: Dreieinhalb Jahre JVA Landsberg für eine Flasche Zaranoff.

Die Herren Senatsrichter argumentieren weiter:

Es verstoße auch nicht gegen das Gebot schuldangemessenen Strafens, wenn im Hinblick auf Vorstrafen bei geringen Schadenssummen vollstreckbare Freiheitsstrafen verhängt würden.

Ja, ne, is klar. Aber, wie Herren mit vorgerückter Altersmilde so sind, reicht erstmal eine kleinere Dosis:

Im vorliegenden Einzelfall sei allerdings die vom Berufungsgericht verhängte dreimonatige Freiheitsstrafe zu reduzieren.

Endergebnis:
Bei rechtsfehlerfreier Strafzumessung sei eine Freiheitsstrafe von einem Monat und einer Woche „ausreichend“: Wozu ausreichend? Für eine Resozialisierung? Pah!

Drei Monate seien zuviel, weil:

Zu berücksichtigen seien auch gewichtige strafmildernde Umstände. So habe der Angeklagte die Tat gestanden. Der Schaden liege im untersten Bereich der Geringwertigkeit. Die entwendete Sache habe der Geschädigte zurückerlangt. Zudem sei der Angeklagte alkoholkrank und habe die Tat im erheblich alkoholisierten, seine Schuldfähigkeit vermindernden Zustand begangen.

faßt Juris den Mist die Entscheidung des OLG Hamm, 1. Strafsenat, vom 21.10.2014, III-1 RVs 82/14, zusammen, mit dem auf Biegen und Brechen einem kranken Menschen die notwendige Hilfe versagt und er weiter in´s Elend getrieben wird.

Rechtsfehlerfrei? Ja. Vielleicht. Aber bestimmt auch frei von Hirn.

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Tupperparty beim Bundesgerichtshof

dosWenn die Ermittlungsbehörden morgens früh in der Wohnung stehen, um nach Beweismitteln zu suchen, haben die Wohnungsinhaber in vielen Fällen wieder Platz in den Regalen.

Die Ermittler nehmen nämlich gern alles mit, was irgendwie danach aussehen könnte, daß es vielleicht unter Umständen irgendwann einmal nützlich sein könnte.

Und wenn dann das Verfahren nach langen Jahren rechtskräftig abgeschlossen ist, vergammelt das mitunter recht wertvolle Zeug in den Asservatenkammern. Eben weil es vergessen wurde. Von der Staatsanwaltschaft, vom Gericht und manchmal auch von den (ehemaligen) Besitzern.

In einem fränkischen Fall hat sich die Ehefrau noch recht gut daran erinnert, daß es da mal eine Tupperdose gegeben hat, die einen verhältnismäßig interessanten Inhalt hatte. Auf diesen Inhalt kam es ihr an. Der Justiz aber auch. Deswegen stritt man darum. Und über diesen Streit berichtet die Pressestelle des Bundesgerichtshofs in der Mitteilung Nr. 167/14 vom 14.11.2014:

Rückgabe von Beweismitteln nach Ende des Strafverfahrens

Der V. Zivilsenat [Hört! Hört! crh] des Bundesgerichtshofs hat sich heute mit der Frage befasst, an wen die Rückgabe von Beweismitteln zu erfolgen hat, die im Rahmen eines gegen einen Ehegatten gerichteten Strafverfahrens in der gemeinsamen Wohnung der Eheleute beschlagnahmt wurden.

Im Januar 2007 ließ die Staatsanwaltschaft im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen den Ehemann der Klägerin wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz die Wohnung der Eheleute durchsuchen. Dabei wurden in der Küche – versteckt in einer Kunststoffdose – 42.300 € in bar gefunden. Das Geld wurde als Beweismittel sichergestellt, beschlagnahmt und auf ein Konto der Landesjustizkasse eingezahlt. Der Ehemann wurde zu einer Haftstrafe von dreizehn Jahren verurteilt. Dabei wurde der sogenannte Wertersatzverfall in Höhe von 30.500 € angeordnet. Die Staatsanwaltschaft erklärte hinsichtlich des sichergestellten Betrags die Aufrechnung mit den Verfahrenskosten des Strafverfahrens und dem Wertersatzverfall. Die Klägerin behauptet jedoch, nicht ihr Mann, sondern sie sei Eigentümerin des Geldes gewesen. Es habe sich um Arbeitslohn gehandelt, den sie in der Ehewohnung versteckt habe, weil sie aufgrund ihrer Lebensgeschichte kein Vertrauen zu Banken habe. Die Hälfte des Geldes hat die Klägerin zurückerhalten. Ihre Klage auf Zahlung der verbleibenden 21.150 € hat das Landgericht abgewiesen; die Berufung zum Oberlandesgericht war erfolglos. Das Oberlandesgericht hat nicht feststellen können, ob das Geld dem Ehemann oder der Ehefrau gehörte, war aber der Meinung, der Zahlungsanspruch gegen die Staatskasse könne aufgeteilt werden und die Klägerin habe den ihr zustehenden hälftigen Anteil bereits erhalten.

Der Bundesgerichtshof hat das Urteil auf die Revision der Klägerin hin aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Dabei hat er sich von den folgenden Erwägungen leiten lassen:

Die Beschlagnahme endete mit Abschluss des Strafverfahrens. Das Geld muss zurückgegeben bzw. Wertersatz geleistet werden, weil es (nur) als mögliches Beweismittel beschlagnahmt wurde; weder ist in dem Strafurteil der Verfall angeordnet worden – was den Nachweis vorausgesetzt hätte, dass das Geld aus den Straftaten herrührte – noch ist eine Pfändung des Geldes aufgrund eines dinglichen Arrests nach der Strafprozessordnung erfolgt. Die Rückgabe nach dem Ende einer förmlichen Beschlagnahme zu Beweiszwecken stellt eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden dar. Nach dem Restitutionsgedanken muss der Zustand wiederhergestellt werden, der vor der Beschlagnahme bestand; daher muss der Gegenstand grundsätzlich an den letzten Gewahrsamsinhaber zurückgegeben werden. Zwar wird bei der gegen einen Ehegatten gerichteten Zwangsvollstreckung gemäß § 1362 BGB* zugunsten der Gläubiger vermutet, dass die im Besitz eines Ehegatten oder beider Ehegatten befindlichen beweglichen Sachen dem Schuldner gehören. Diese Bestimmung bezieht sich aber nicht auf eine strafprozessuale Beschlagnahme zu Beweiszwecken, weil es insoweit unerheblich ist, in wessen Eigentum das Beweismittel steht. Im Grundsatz ist es nicht die Aufgabe des Strafverfahrens, die Eigentums- und Besitzverhältnisse an Sachen, die für die Zwecke des Verfahrens vorübergehend in amtlichen Gewahrsam gebracht worden sind, unter den Beteiligten zu regeln. Danach wäre den Eheleuten der Mitgewahrsam – der im Zeitpunkt der Beschlagnahme bestand – wieder einzuräumen, wenn die Geldscheine noch vorhanden wären. Da das beschlagnahmte Bargeld auf ein Konto eingezahlt worden ist, haben sie nunmehr einen entsprechenden Zahlungsanspruch.

Weil der im Zeitpunkt der Beschlagnahme bestehende Zustand wiederherzustellen ist, kann der Schuldner nicht nach seinem Belieben an einen der Gläubiger leisten oder die Leistung aufteilen. Vielmehr kann auch die Zahlung nur an die Eheleute gemeinsam erfolgen. Die Aufteilung im Innenverhältnis ist allein deren Sache. Infolgedessen ist die Aufrechnung der Staatsanwaltschaft mit den nur von dem Ehemann geschuldeten Verfahrenskosten des Strafverfahrens und dem Wertersatzverfall erfolglos, weil es an der erforderlichen Gegenseitigkeit der Ansprüche fehlt.

Der Senat kann nicht selbst in der Sache entscheiden, weil die Klägerin bislang Zahlung an sich verlangt hat. Sie muss daher noch Gelegenheit erhalten, entweder Zahlung an sich und ihren Ehemann zu beantragen oder eine Erklärung ihres Ehemannes beizubringen, wonach dieser keine Ansprüche an dem Geld erhebt.

Eine schönes Urteil des 5. Zivilsenats (V ZR 90/13), das für die Verteidigung nach rechtskräftigem Abschluß vieler Strafverfahrens von nicht unerheblicher Bedeutung sein kann. In der Regel tatsächlich erst nach Rechtskraft; nicht, daß die Staatsanwaltschaft dann doch noch auf die Idee kommt, in ihrem Schlußvortrag die Anordnung des Verfalls zu beantragen. Diese recht komplizierten Maßnahmen mit ihrem intensiven Geruch nach Zivilrecht werden nämlich gern auch mal schlicht vergessen; aber hoffentlich nicht vom Verteidiger.

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Huch, ein Haftbefehl! Und jetzt?

Die Hauptverhandlung mußte nach ein paar Terminen ausgesetzt werden, woran d. Angeklagte nicht ganz „unschuldig“ war.

Zur Vorbereitung des zweiten Durchgangs hatte ich (ergänzende) Akteneinsicht beantragt, die mir auch relativ kurzfristig gewährt wurde. In der Akte, die mir das Gericht zur Verfügung gestellt hat, fand sich ein häßlicher roter Zettel, der dort eigentlich nicht reingehört:

Haftbefehl

Das ist in den fast zwei Jahrzehnten, in denen ich als Strafverteidiger unterwegs bin, erst das zweite Mal, daß ich einen Haftbefehl in der Akte vorfinde, bevor dieser vollstreckt wurde. In der Regel werden die Rotzettel (mit einem z!) ausgeheftet, bevor die Akte dem Verteidiger zur Einsicht gegeben wird. Wenn er sie vor der Vollstreckung überhaupt bekommt.

Tja, und jetzt? Was macht der Strafverteidiger – als Organ der Rechtspflege (!) – mit dieser versehentlich übermittelten, höchst unfreundlichen Information?

Der Haftbefehl als Zufallsfund - Und jetzt?


     

 

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Es kann geraten und kommentiert werden.

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eAkten in Potsdam – doch schon in 2024 ?

Die Bundesrechtsanwaltskammer proudly presents:

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat Ende September den neuen Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen (PDF) an die Verbände zur Stellungnahme übersandt. […]

In der geplanten Neuregelung ist vorgesehen, dass Straf- und Ermittlungsakten künftig elektronisch angelegt und geführt werden.

Na, das sind doch mal gute Nachrichten. Sogar an die Brandenburger Staatsanwaltschaften haben die Bundesjustizministeriellen gedacht:

Allerdings ist ebenfalls eine Öffnungsklausel vorgesehen, die den Ländern bis 2024 eine schrittweise Einführung gestattet.

Nach den hier vorliegenden und gesicherten Erkenntnissen rechnet das BMJV allerdings bereits jetzt schon mit Fristverlängerungsanträgen seitens der Potsdamer Staatsanwaltschaft.

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Parallelladung

Falls mich jemand in den nächsten Monaten sucht – ich bin verabredet mit dem Vorsitzenden und seiner Crew beim Landgericht Potsdam:

Ladung bis Mai

Daß derselbe Vorsitzende, mit dem ich diese Rendezvous habe, an den übrigen freien Wochentagen auch noch Verabredungen in derselben (sic!) Sache mit anderen Beteiligten hat … darüber berichte ich dann später noch, wenn es um die Auflösung des Quiz‘ vom 11. November geht.

Schalten Sie also ein, wenn es um die Bedeutung des Stichworts „Vorbefassung“ und das Unterkapitel „Parallelbefassung“ geht.

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Die Rolle der Schöffen im Strafverfahren

694687_web_R_by_Petra Dirscherl_pixelio.deIm Laufe der Jahr lernt man als Strafverteidiger die Funktion der Schöffen zu schätzen. Anfangs meiner Karriere habe ich sie schlicht ignoriert. Das hat sich schlagartig geändert, als sie einmal in einer Jugendstrafsache den Vorsitzenden Richter überstimmt hatten, mit dem der Staatsanwalt und ich uns über das Strafmaß geeinigt hatten. Seitdem habe ich sie ernst genommen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Später hatte ich es schonmal mit Schöffen zu tun, die eingeschlafen sind. Oder die einen gnadenlosen olfaktorischen Angriff auf die Rechte der Verfahrensbeteiligten fuhren. Schön war auch die Besetzungsrüge, die ich spontan erhoben und mit dem Restalkoholspiegel des Schöffen erfolgreich begründen konnte. Aber im Großen und Ganzen habe ich stets einen guten Draht zu den Laienrichtern.

Eine neue Variante in dem Stück „Was beim Landgericht Berlin schief gehen kann, geht auch schief.“ gab es in der vergangenen Woche. Nach einem zähen Kampf um die Terminierung der Berufungsverhandlung waren alle pünktlich um 13 Uhr erschienen: Die Vorsitzende Richterin, die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft, die Protokollführerin, die Wachtmeisterin, der Mitverteidiger aus Freiburg, der Mandant aus Frankreich und selbstredend meine Wenigkeit.

Wer fehlte? Beide Schöffen!

Das konnte weder an dem Bahnstreik liegen, auch Restalkohol erschien eher unwahrscheinlich. Nach einer kurzen Wartezeit erklärte die Vorsitzende, daß sie „die ordnungsgemäße Ladung der Schöffen nicht nachweisen“ könne. Übersetzt heißt das: Die Schöffen wurden überhaupt nicht geladen … aus welchen Gründen auch immer.

Der Vorschlag der Richterin: Beginn der Hauptverhandlung um 15:30 Uhr, bis dahin sollten Ersatzschöffen „beschafft“ worden sein. Das führte zu heftigem Protest bei den beiden aus dem Westen zugereisten Beteiligten. Und bei mir zu einem Stirnrunzeln wegen der Frage nach dem gesetzlichen Richter.

Die Chance nutzend habe ich dann die Geschichte von dem Oberstaatsanwalt erzählt, der sich als Weihnachtsmann verkleidet hatte. Anders formuliert: Wir haben den (schon schriftlich vorbereiteten) Antrag angekündigt, die Berufung der Staatsanwaltschaft als unzulässig zu verwerfen, weil nicht nachgewiesen ist, daß sie rechtzeitig eingegangen ist. Das führte zum Stirnrunzeln auf der Richter- und auf der Bank der Staatsanwaltschaft.

Es hat dann noch ein wenig gedauert und man hat sich in einem freundlichen Gespräch darüber geeinigt, daß man jetzt besser in Frieden auseinander gehen sollte, damit nicht noch mehr schief geht. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Berufung zurück genommen und der Mandant seine. Damit war das Urteil der ersten Instanz rechtskräftig und alle waren zufrieden.

Ich freue mich immer wieder gern über die wichtige Rolle der Schöffen in Strafverfahren.

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Bild: Petra Dirscherl / pixelio.de

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Die Bewährungsauflage in der Provinz

Das Amtsgericht eines beschaulichen Städtchens im sonnigen Süden der Republik hat den Mandanten verurteilt. Sieben Monate Freiheitsstrafe. Davon hat er bereits einen Monat in der Untersuchtungshaft abgesessen. Das sollte eigentlich genügen, um den Weg zu einem bürgerlicher Lebenswandel zurück zufinden. Was fehlt dazu noch? Ein Job, na klar. Meint der Richter. Deswegen setzt er die Vollstreckung des Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, allerdings nicht ohne gem. § 56c StGB anzuweisen:

Anweisung

Wenn eine solche Bewährungsauflage hier in Berlin verhängt würde, hätte sie wohl eher keinen Bestand, nicht nur in Anbetracht der Situation auf dem Arbeitsmarkt. Nebenbei: Was genau ist eigentlich eine geregelte Arbeit? Und was wird der Arbeitgeber wohl dazu sagen, wenn er erfährt, daß sein neuer Mitarbeiter vorbestraft ist, wenn er die Bestätigung für den Richter unterschreiben soll?

Ich denke ‚mal, die Auflage ist eher als eine Empfehlung mit sozialpädagogischem Charakter zu verstehen. Vor diesem Hintergrund ist sie ja eigentlich ganz sympathisch, solange sie nicht zum Bewährungswiderruf führt, wenn der Mandant schlicht keine „geregelte Arbeit“ bekommt.

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Aufmerksames Kammergericht

Die Mandantin hatte mich erst in der Berufungsinstanz mit ihrer Verteidigung beauftragt. Erstinstanzlich war sie zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Den Auftrag, den sie mir erteilte, lautete: Strafaussetzung zur Bewährung. Dieses Ziel hatten wir vor dem Landgericht dann auch erreicht. Zum Mißfallen der Staatsanwaltschaft. Die erhob gegen das Berufungsurteil die Revision zum Kammergericht.

Nach dem üblichen Austausch der Begründungen und Erwiderungen erhielt ich in den vergangen Tagen eine Ladung zur Revisionshauptverhandlung vom und im Kammergericht. Und mit gleicher Post – zu meiner Überraschung, weil ich keinen entsprechenden Antrag gestellt hatte – diese Bestellung:

Revisionverteidiger

Das war bisher so nicht üblich. Aber jetzt – und da ist das Kammergericht auf dem allerneusten Stand. Heute, am 6.10.2014, hat die Pressestelle des Bundesgerichtshofs die folgende Pressemitteilung herausgegeben:

In Hauptverhandlungen vor den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs über Revisionen von Angeklagten, Staatsanwaltschaften oder Nebenklägern ist es bisher üblich, auch dann zu verhandeln wenn der Angeklagte – der nur in seltenen Ausnahmefällen persönlich an der Hauptverhandlungen teilnimmt – nicht durch einen Verteidiger seiner Wahl vertreten ist. Pflichtverteidiger für die Revisionshauptverhandlung müssen nach dem Wortlaut des Gesetzes nur auf Antrag bestellt werden. Wenn ein solcher Antrag nicht gestellt wird und ein Wahlverteidiger zur Hauptverhandlung nicht erscheint, wurde bisher in den meisten Fällen ohne jede Beteiligung des Angeklagten verhandelt. Diese Praxis ist nach Ansicht des 2. Strafsenats mit der Regelung des Art. 6 Abs. 3 Buchstabe c der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht vereinbar, die jedem Beschuldigten das Recht garantiert, sich selbst zu verteidigen oder durch einen Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen oder den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist.

Der Vorsitzende des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs hat deshalb durch eine Verfügung vom 25. September 2014 entschieden, dass in allen Hauptverhandlungen vor dem Revisionsgericht, wenn der Wahlverteidiger des Angeklagten nicht erscheint oder dies ankündigt, er zum Pflichtverteidiger zu bestellen ist. Für den Verteidiger stellt diese Bestellung – mit einer gegebenenfalls geringeren als der bei Mandatserteilung vereinbarten Vergütung – unter Umständen ein Sonderopfer dar, das er hinnehmen muss. Der Angeklagte seinerseits kann auf eine Verteidigung in der Hauptverhandlung über die Revision, welche das einzige Rechtsmittel gegen erstinstanzliche Urteile mit besonders gravierenden Rechtsfolgen darstellt, nicht – etwa aus Kostengründen – verzichten.

BGH; 2. Strafsenat, Verfügung vom 25. September 2014 – 2 StR 163/14

Das Kammergericht scheint wohl über die aktuellen Entwicklungen in Karlsruhe informiert gewesen zu sein. Das ist ganz besonders löblich, weil hier der 2. Senat entschieden hat, obwohl nicht dieser, sondern „nur“ der 5. Senat des BGH für die Entscheidungen aus Berlin zuständig ist.

Na denn, schauen wir uns das mal an, was das Kammergericht dem Pflichtverteidiger zu den Strafmaß-Argumenten der Staatsanwaltschaft zu sagen hat.

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