Nebenklage

Nebenklage. Ein Holzweg?

Am Ende der Beweisaufnahme des Strafprozesses gegen Beate Zschäpe und andere, nach den Schlußvorträgen und den letzten Worten der Angeklagten stellt Ina Krauß vom Bayerischen Rundfunk auf tagesschau.de fest:

Die stattliche Anzahl von 93 Nebenklägern war an dem Strafprozeß beteiligt. Ich stelle mir die Frage, ob ein Straf-Verfahren der richtige Ort ist, an dem die Opferfamilien hoffen können, dass sie irgendwann Antworten auf ihre Fragen bekommen.

Das Leid der Familien, die ihre Angehörigen verloren haben, läßt auch einen Strafverteidiger nicht unberührt. Sie haben selbstverständlich einen Anspruch auf Antworten. Sie müssen ihre Fragen stellen dürfen.

Aber schaut man sich einmal bei Lichte die Funktion eines Strafverfahrens an, geht es dort zuvörderst doch um Schuld und Sühne der Angeklagten und nicht um die Aufarbeitung erlittenen Unrechts.

Einem Angeklagten steht ein gewichtiges Recht für seine Verteidigung zur Seite: Nämlich das Recht sich (auch) durch Schweigen zu verteidigen. Ein Angeklagter darf (als einziger in dem Verfahren) sogar schwindeln, ohne daß ihm das einen Nachschlag beim Strafmaß einbringt. Er verzichtet allenfalls auf einen Bonus, den ihm ein Geständnis einbringen würde.

Die Nebenkläger sind – völlig zu Recht – enttäuscht, wenn sie am Ende des Verfahrens keine Antworten erhalten haben. Will man nun (deswegen?) das in der EMRK verankerte Schweigerecht des Angeklagten zugunsten des berechtigten Interesses der Geschädigten und Hinterbliebenen an der „Wahrheitsfindung“ aushebeln, bedeutete dies das sichere Ende eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens.

Basis für eine strafrichterliche Verurteilung ist allein die Überzeugung des Gerichts, daß der Angeklagte die ihm zur Last gelegt Tat begangen hat. Nicht mehr und nicht weniger. Der Strafprozeß ist keine Wahrheitsfindungskommission, sondern ein formeller Weg zur Überzeugungsbildung.

Ein Angeklagter kann auf diesem Weg Anworten auf Fragen (der Nebenkläger) geben. Er muß es aber nicht. Und das darf ihm nach den klassischen Regeln des Strafprozeßrechts nicht vorgeworfen werden.

Der Mammutprozeß vor dem OLG München hat für mein Empfinden sehr deutlich gezeigt, daß das Instrument der Nebenklage dem Strafprozeß eher schadet als daß es den Nebenklägern nützt.

Und aus Sicht der Strafverteidigung (in diesem Zusammenhang provokant) gefragt: Was nützt es einem Angeklagten, einen ihm zur Last gelegten Mord zu gestehen?

Das Gericht hat keine Möglichkeit, ein solches Geständnis strafmildernd zu berücksichten.

Wenn das Gericht am Ende überzeugt ist, lautet die Strafe für den geständigen Mörder genauso wie die Strafe für den bestreitenden oder schweigenden Angeklagten: Lebenslang.

Ein Schweigen oder Bestreiten der Tat birgt zumindest die mehr oder weniger große Chance, um dieses „LL“ herumzukommen; bei einem Geständnis steht es fest.

Auf welchem Weg die Hinterblieben und Geschädigten Antworten auf ihre berechtigten Fragen bekommen, sollte Gegenstand der Suche nach einer alternativen Verfahrensform werden. Der Strafprozeß ist die falsche Richtung, wie dieses NSU-Verfahren deutlich gemacht hat; das ist ein Holzweg.

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Bild: © ele-joe / pixelio.de

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Keine Akteneinsicht für Nebenkläger

Das wird den Nebenkläger- und Nebenklägerinnen-Vertreter und -Vertreterinnen nicht gefallen, was der 1. Strafsenat des Hanseatisches Oberlandesgericht am 24.10.2014 (1 Ws 110/14) beschlossen hat:

Eine umfassende Einsicht in die Verfahrensakten ist dem Verletzten in aller Regel in solchen Konstellationen zu versagen, in denen seine Angaben zum Kerngeschehen von der Einlassung des Angeklagten abweichen und eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt.

Grundsätzlich haben Zeugen keinen Anspruch, sich auf ihre Aussage vor Gericht vorzubereiten, indem sie sich vorher mal die Ermittlungsakten anschauen. Wäre ja noch schöner, wenn sich der Zeuge erst einmal über den Sachstand die Ermittlungsergebnisse erkundigen und über die Aussagen der anderen Zeugen und des Angeklagten informieren könnte, bevor er sich über seine eigenen Erinnerungen klar wird.

76614_web_R_by_Uwe Steinbrich_pixelio.deWo es Grundsätze gibt, sind die Ausnahmen nicht weit. Nebenkläger (m/w), also Verletzte in einem Strafverfahren, hatten bisher in großem Umfang ein Akteneinsichtsrecht, § 406e StPO. Und wenn danach eine Nebenklägerin als Zeugin vernommen wird, kann sie sich aussuchen, an was sie sich erinnern möchte: An den Akteninhalt oder an das, was sie selbst gesehen, gehört oder sonstwie bemerkt hat.

Diesem Recht hat nun ganz zu Recht die hanseatische Rechtsprechung mit diesem Beschluß einen Riegel vorgeschoben. Jedenfalls in der Konstellation, in der sich die Aussage einer Geschädigten und die eines Angeklagten widersprechen und ansonsten keine weiteren durchgreifende Indizien vorliegen. Beim OLG Hamburg hört sich das so an:

Erhält die einzige Belastungszeugin im Rahmen einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation […] Kenntnis von Inhalten ihrer früheren Vernehmungen oder ihrer spontanen Angaben, kann eine Würdigung der Aussagekonstanz nicht mehr vollständig entsprechend den vorstehend benannten Maßgaben erfolgen. Anhand der Zeugenaussage in der Hauptverhandlung wäre eine sichere Unterscheidung zwischen der Wiedergabe real erlebten Geschehens und schlichtem Referieren ihrer zuvor im Wege der Einsicht in die Verfahrensakten zur Kenntnis genommenen Inhalte früherer Vernehmungen nicht mehr möglich […]. Überdies wäre bei umfassender Aktenkenntnis eine Anpassung des Aussageverhaltens des einzigen Belastungszeugen an die jeweils aktuelle Verfahrenslage nicht auszuschließen […] .

Das Gericht macht von einer naheliegenden Möglichkeit Gebrauch: § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO versagt die Akteneinsicht, soweit der Untersuchungszweck gefährdet erscheint. Wenn der Tatrichter also befürchtet, daß eine Geschädigte ihn mit einer „angepaßten“ Aussage daran hindern könnte, seiner Aufklärungspflicht nachzukommen, gibt es keine Akteneinsicht.

Find ich gut.

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Die Entscheidung im Volltext gibt es bei Juris (nur für Mitglieder) und auf Burhoff Online (für alle)

Bild: Uwe Steinbrich / pixelio.de

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S&K – Schlägt nun die Stunde der geprellten Anleger?

Am 10.09.2013 veröffentlichte die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main im Bundesanzeiger eine illustre Liste (PDF, 46 Seiten) der in dem Verfahren gegen die schrillen Immobilienbetrüger vorläufig sichergestellten Vermögenswerte.

Bundesanzeiger

Geprellte Anleger der S&K Unternehmensgruppe können nun hoffen, doch noch zumindest einen kleinen Teil der in sicherem Betongold geglaubten Investitionen zurück zu erhalten. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, haben die Anwälte der Geschädigten eine gute Ausgangsposition, um die Verwertung der Überreste des großspurigen Auftretens der Märchenonkel in Angriff zu nehmen.

Vielleicht ruft die Meldung auch noch einige Anleger auf den Plan, die ihr Geld bislang als Totalverlust abgeschrieben hatten. In diesem Zusammenhang beauftragte „Inkassoprofis“ und zumeist rein zivilrechtlich tätige Anlegeranwälte sollten spätestens jetzt auch mal einen Blick in die StPO werfen und prüfen, ob man sich dem Verfahren als Adhäsionskläger anschließt oder zu diesem Zweck besser einen strafrechtlich versierten Kollegen hinzuziehen sollte.

Für Anleger, die durch die Tat von besonders schweren Folgen (z.B. wirtschaftlichen Existenzbedrohung) betroffen sind, besteht grundsätzlich sogar die Möglichkeit, als Nebenkläger zugelassen zu werden, um dann sogar Einfluss auf die Beweisaufnahme nehmen zu können.

Auf den Spuren von Hochstaplergrößen wie Jürgen Harksen, Jürgen Schneider, Gebrüder Schmider etc. wurde mit grellem Prunk und übertriebenem Luxus geblendet. Die Masche mit der Mischung aus dem zur Schau gestelltem Erfolg einerseits und vermeintlicher Seriosität durch aufgeblähte vom „TÜV zertifizierte Wertgutachten“ sowie schicken Immobilienfotos in durchgestylten Hochglanzprospekten andererseits funktionierte offenbar prächtig und lockte unbedarfte Anleger zur Finanzierung des Schneeballsystems an. Ein paar Einzelheiten sieht man hier im Spiegel-TV:

Die protzige Fassade verdeckte die Widersprüche und vermied kritische Nachprüfungen. Vollmundige Renditeversprechen zerstreuten die Zweifel nach dem Prinzip „Gier frisst Hirn„. Das vorläufige Ergebnis ist die nicht abschließende Liste der eingefrorenen Vermögenswerte.

Die Vorteile für geschädigte Anleger, ihre Ansprüche in einem strafrechtlichen Adhäsionsverfahren geltend zu machen, liegen auf der Hand. Wie das am besten funktioniert, kann auf unserer Website hier und hier noch einmal nachlesen.

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Sexuelle Ausbeutung für die Rente

494490_web_R_by_Benjamin Klack_pixelio.deFünf Euro für die Sexsklavin + 1,8 Mio für die Rentenkasse

Eine unscheinbare Nebenentscheidung, die man sich mal ganz in Ruhe auf der Zunge zergehen lassen muss, fiel mir bei der Lektüre einer aktuellen Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) ins Auge.

Worum ging´s?

Die Angeklagten hatten als führende Köpfe einer Bande mit anderen Bandenmitgliedern rumänische Frauen im Alter zwischen 16 und 24 Jahren zumeist mit falschen Versprechungen über lukrative berufliche Perspektiven nach Deutschland gelockt. Hier hatten sie die Frauen unter Ausnutzung von deren Mittellosigkeit und Sprachunkenntnis dazu veranlasst, die Prostitution auszuüben. Dabei hatten die Angeklagten ab dem Jahr 2006 das Modell des sogenannten „Flatrate-Bordells“ entwickelt, bei dem Freier für einen pauschalen Eintrittspreis mit beliebig vielen Frauen (…) sexuell verkehren durften. Die (…) gefügig gehaltenen Frauen hatten hierbei teilweise mehr als 30 Freier täglich zu bedienen. (…) Die vorgeschriebenen Beiträge zur Sozialversicherung für die Prostituierten führten sie nicht ab.

Soweit, so schlecht; aber nachvollziehbar. Was nun folgt ist jedoch zumindest für jemanden mit gesundem Menschenverstand erklärungsbedürftig und selbst dann noch mit einem ganz schalen Beigeschmack verbunden:

Von der Anordnung des Verfalls von Wertersatz in Millionenhöhe hat das Gericht wegen vorrangiger Ansprüche geschädigter Sozialversicherungsträger abgesehen.

Nach einem Bericht des Stern sollen Beiträge in Höhe von 1,8 Millionen € vorenthalten worden sein.

Das Gericht hat also festgestellt, dass die Angeklagten mit der sexuellen Ausbeutung der Frauen Umsätze in Millionenhöhe erwirtschaftet haben. Die für die „beschäftigten Arbeitnehmerinnen“ eigentlich fälligen Sozialversicherungsbeiträge wurden nicht entrichtet. Nun muss man Sozialversicherungsbeiträge aber nicht auf Umsätze oder Unternehmensgewinne zahlen, sondern auf die Lohnzahlungen.

Interessant wäre daher, von welchen Lohnzahlungen das Gericht ausgegangen ist. Die Buchhaltungsunterlagen eines Flatrate-Bordells hätte ich ja wirklich gern mal näher gesehen – oder wurde die Löhne etwa geschätzt? Wurden diese dann auch wirklich gezahlt? Waren die auch angemessen? Wie sieht es mit Urlaubsansprüchen, Erschwerniszuschlägen, Überstunden etc. aus? Was ist angemessen, wenn man berücksichtigt, dass die Tätigkeit nicht freiwillig, sondern unter Ausnutzung einer Zwangslage ausgeübt werden musste?

Nach dem Sternbericht erhielten die Prostituierten weniger als 5 € pro „Kundenkontakt“ und mussten bis zu 14 Stunden an 6 Tagen pro Woche arbeiten.

Schön dass das Gericht im Rahmen der ihm obliegenden Fürsorgepflicht sich so rührselig um die eigentlichen Opfer kümmert. Nun bekommen die Sozialversicherungen einen Haufen Gold aus dem arrestierten Vermögen der geschäftstüchtigen Zuhälter und die rumänische Zwangsprostituierte erhält dann in 40 bis 50 Jahren pünktlich zu ihrem 67. Geburtstag eine hübsche Erinnerung an diesen unrühmlichen Abschnitt ihres Lebens in Form eines Rentenbescheids über stolze 4,33 € monatlich aus Deutschland: Na herzlichen Glückwunsch.

Hätten sich die ausgebeuteten Frauen dem Prozess als Nebenklägerinnen anschließen und so vielleicht auf dem Wege ein dickes Trostpflaster im Rahmen eines Adhäsionsverfahrens für Ihre Tätigkeiten erhalten können? Hätte, hätte, hätte…

Und die Moral von der Geschicht: Mit Lobby gibt´s Kohle – ohne nicht.

Bild: Benjamin Klack / pixelio.de

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Autsch – Revision der Nebenklage unzulässig

Warum der Staatsanwalt „Hängt ihn höher!“ schreiben darf – nicht aber der Hinterbliebene

Die Überprüfung eines Urteils durch die Revisionsinstanz ist seitens des Angeklagten relativ einfach zu bewerkstelligen. Auf die rechtzeitig erhobene „pauschale“ Rüge, das materielle Recht sei verletzt worden, muss sich das Revisionsgericht (mehr oder minder sorgfältig) mit diesem Vorwurf auseinandersetzen.

Wenn Hinterbliebenen ein Urteil missfällt – z.B. weil es Ihrer Meinung nach zu milde ausgefallen ist – gilt es jedoch noch eine Besonderheit:

Der Nebenkläger kann das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, daß eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird …

heißt es in § 400 StPO.

Daher hat der BGH auch völlig zu Recht durch Beschluss vom 03.05.2013 (1 StR 637/12) [PDF] die Revisionen gegen ein Urteil des Landgerichts Ansbach als unzulässig verworfen und den Nebenklägern die Kosten aufgedrückt.

Aus den Gründen:

Ausweislich der Revisionsbegründungen soll mit den Rechtsmitteln trotz formal weiterreichenden Antrags lediglich die Verhängung anderer, für die Angeklagten ungünstigerer Rechtsfolgen erreicht werden.

Das Landgericht hat das Tötungsdelikt zum Nachteil des Geschädigten L.M. als Mord i.S.v. § 211 StGB gewertet. Mit dem Ziel der Annahme eines weiteren Mordmerkmals (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juli 1997 – 4 StR 266/97, NStZ – RR 1997, 371), der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld i.S.d. § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB hinsichtlich des Angeklagten H.(vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2001 – 5 StR 45/01, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 12) sowie der Anwendung des allgemeinen Strafrechts statt Jugendstrafrechts hinsichtlich der Angeklagten M. (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 – 2 StR 599/06, StraFo 2007, 245) kann das Urteil nicht angefochten werden.“

Zu der Trauer um den Angehörigen und dem Ärger über das „milde“ Urteil gesellt sich nun also noch der Ärger über die Verfahrenskostenrechnung in der Revisionsinstanz, die größtenteils aus den Gebühren der Verteidiger der vier Angeklagten bestehen wird.

Na hoffentlich zeigen sich die Kollegen der Nebenklage

    a)
    einsichtig bedröppelt und verbuchen ihre eigenen Gebühren für diese „missglückte“ Revision intern als Fortbildungskosten sowie

    b)
    umsichtig kreativ und rechnen gegen die Forderung der Angeklagten auf.

Die Kosten der Nebenklage vor dem Landgericht werden von den Angeklagten zu tragen sein und die Kosten der Revisionsinstanz deutlich übersteigen. Der Erstattungsanspruch der Nebenklage, welcher in den meisten Fällen gegen Angeklagte derartiger Delikte uneinbringlich sein dürfte, erweist sich hier hoffentlich doch noch als ganz nützlich – wenn die Kollegen denn daran denken …

Unabhängig von der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung stellt sich aber die Frage, ob es denn „richtig“ ist, dass Nebenklageberechtigte kein eigenes Anfechtungsrecht haben, wenn sie eine (härtere) Bestrafung des Angeklagten erstreben.

Die Fähigkeit trotz einer engen emotionalen Beziehung zum Opfer eine rationale Entscheidung – auch in Bezug auf das Strafmaß – zu akzeptieren oder anzufechten, wird den Angehörigen damit per se abgesprochen.

Eine derartige Bevormundung kann ich aus meiner Praxis nicht nachvollziehen. Oft erlebe ich Opfer oder Angehörige, die durchaus in der Lage sind, eine differenzierte und ausgewogene Entscheidung aufzunehmen und damit zu leben. Teilweise werden allerdings auch – gerade in Umfangsstrafsachen – durch verfahrensverkürzende Absprachen „günstige Ergebnisse“ für Angeklagte erzielt, die den Geschädigten und deren Angehörigen schwer vermittelbar sind und auch in Bezug auf die Rechtsfolgen überprüft werden sollten.

Die oben genannte Verurteilung zu lebenslanger Haft bzw. 9-jährige Jugendstrafe gehört zumindest auf den ersten Blick allerdings nicht in diese Kategorie …

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Unschuldsvermutung, durch die Opferbrille betrachtet

In der Fachzeitschrift StraFo der AG-Strafrecht fordert Rechtsanwalt Frank K. Peter aus Worms (*) eine weitere Spezialisierung in der Anwaltschaft: Den „Fachanwalt für Opferrechte“.

RA Peter

Peter begründet dies mit den besonderen und vielfältigen Anforderungen, die diese Tätigkeit mit sich brächte. Fachanwälte für Strafrecht stünden naturgemäß der Nebenklage ablehnend gegenüber und würden „ungern die Seite wechseln„. Dennoch sieht er schon einen Vorteil darin, wenn sich „Opfer“ im Strafverfahren gegen „den Täter“ von erfahrenen Strafrechtlern vertreten lassen würden, denn dort würden die Weichen gestellt und „ohne eine Verurteilung des Täters“ seien Ansprüche später schwer oder gar nicht zu realisieren.

Der Kollege führt keinen Fachanwaltstitel. Er wartet wohl noch auf die weitere Spezialisierung, die er fordert.

Selbstverständlich sollte man sich in einem Strafverfahren von jemandem vertreten lassen, der sich im Strafverfahren auskennt. Und diese Gewähr bietet durch die abgelegten Prüfungen, die nachgewiesenen Fälle und die ständige Fortbildungspflicht nun mal der bereits bestehende „Fachanwalt für Strafrecht“ – ganz bewusst heißt es dort nicht „Fachanwalt für Strafverteidigung“.

Wer es ablehnt Opfer zu vertreten, der wird dies den potentiellen Mandanten bereits beim ersten Kontakt ganz deutlich sagen. Ich fühle mich wohl dabei, auch Opfer zu vertreten, das „Wechseln der Seite“ eröffnet mir einen anderen Einblick in die Tätigkeit als Verteidiger. Es ist dabei aber ungemein hilfreich, eben beide Seiten zu kennen.

So vermeidet man auch zu tief in eine Rolle zu rutschen und die professionelle Distanz zu verlieren. Denn bei allem Einsatz für die jeweiligen Mandanten und der dafür geschuldeten prozessualen Rolle sollte man einen wichtigen Grundsatz des Strafverfahrens nicht vergessen: Die Unschuldsvermutung gilt sogar wenn „Opferanwälte“ mitwirken.

Strafverfahren werden gegen „Angeklagte bzw. Beschuldigte“ geführt und nicht gegen „Täter“. Wenn ein „Täter“ nicht verurteilt werden kann, sollte man ihn im professionellen Umgang auch nicht so bezeichnen; und ein Opfer ist vor Gericht zunächst einmal „Zeuge“. Es sind solche Kleinigkeiten die oft von Familienrechtlern in Strafprozessen durcheinander gebracht werden. Das führt dann dazu, dass die Nebenklagevertretungen eben nicht als besonders professionell wahrgenommen werden.

(*) Peter, Der Strafverteidiger als Opferanwalt – Systembruch oder:
Wer kann und soll Opfer fachgerecht vertreten?
StraFo 2013, 199-203

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Opfersuche im Frisiersalon

Amerikanische Verhältnisse in der Keupstraße?

Der NSU-Prozess ist ein Jahrhundertereignis. Die Aufarbeitung der Taten und insbesondere die nähere Beleuchtung der zugrunde liegenden Ermittlungstätigkeiten würden wohl jeden auf dem Gebiet des Strafrechts tätigen Anwalts interessieren. Hier teilzunehmen und Einfluss auf die Beweisaufnahme auszuüben, ist sicherlich reizvoll.

Mehr und mehr entsteht jedoch der Eindruck, als handele es sich in diesen schwierigen Zeiten des stetig steigenden Wettbewerbs um eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für unterbeschäftigte Anwälte.

Wenn es stimmt, was der Kölner Stadt Anzeiger berichtete und ortsfremde Anwälte tatsächlich mit Infoblättern und Visitenkarten bewaffnet Jagd auf mögliche Opfer machen und spontane Werbeveranstaltungen an Tatorten abhalten, dann haben wir endlich auch auf diesem Gebiet amerikanische Verhältnisse.

Wer wirklich verletzt wurde, der soll sich als Nebenkläger anschließen (wie bereits 31 Opfer jenes Anschlags) – wer sich aber in den letzten neun Jahren noch nicht besonders als Opfer gefühlt hat, der sollte sich das auch von keinem noch so tollen Anwalt einreden lassen.

Außer natürlich von Saul:

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NSU-Nebenkläger: Sachwalter der Allgemeinheit?

Aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. April 2013 zum Beschluss vom 24. April 2013 – 2 BvR 872/13.

Verfassungsbeschwerde von Nebenklägern mit dem Ziel der Videoübertragung in einen weiteren Saal erfolglos

Die Beschwerdeführer sind Nebenkläger im sogenannten NSU-Verfahren vor dem Oberlandesgericht München (6 St 3/12). Mit der Verfassungsbeschwerde wenden sie sich gegen zwei Verfügungen des Vorsitzenden des zuständigen Strafsenats, wonach die Hauptverhandlung in einem Sitzungssaal stattfinden soll, der über lediglich 100 Sitzplätze für Zuhörer verfügt. Dies reiche angesichts des erheblichen öffentlichen Interesses nicht aus. Zugleich beantragen sie, dem Vorsitzenden im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Hauptverhandlung mittels Videotechnologie in mindestens einen weiteren Sitzungssaal übertragen zu lassen.

Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, da sie mangels einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Begründung unzulässig ist.

Ein Beschwerdeführer muss eine Grundrechtsverletzung durch Bezeichnung des angeblich verletzten Rechts und des die Verletzung enthaltenden Vorgangs substantiiert und schlüssig vortragen. Dabei hat er darzulegen, inwieweit er sich durch die angegriffene Maßnahme in dem bezeichneten Grundrecht selbst, unmittelbar und gegenwärtig verletzt sieht. Diesen Anforderungen genügt die Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht. Eine Verletzung in eigenen Grundrechten wird von den Beschwerdeführern nicht dargetan und ist auch nicht ersichtlich. Sie machen insbesondere nicht geltend, als Nebenkläger selbst an einer Teilnahme an der Hauptverhandlung gehindert zu sein, sondern argumentieren ausschließlich mit dem öffentlichen Informationsinteresse und machen sich damit zu Sachwaltern der Allgemeinheit.

Mir scheint, da hat ein Nebenklägervertreter es einfach mit links versucht, mal eben eine Verfassungsbeschwerde zu schreiben.

Der eine oder andere Jurastudent, der sich noch mit dem Grundstudium herumschlägt, wird mir zustimmen, daß der Inhalt der Entscheidung zwischen den Zeilen einen Hinweis auf eine Beratung der Kammer über die Mißbrauchsgebühr, die dem Autor der Verfassungsbeschwerde auferlegt werden sollte, enthalten könnte.

(Hervorhebung durch den Blogger)

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Gerichts-Erpressung zur Entfernung

Die Nebenklägerin sollte als Zeugin vor dem Schwurgericht aussagen. Der Angeklagte war mal ihr Ehemann. Aber spätestens, seitdem er seine Exfrau mit einem Küchenmesser „behandelt“ hatte, wollte sie ihn nicht mehr sehen. Auch und erst Recht nicht im Gericht.

Als Zeugenbeistand habe ich zunächst gebeten, dann beantragt, den Angeklagten während der Vernehmung meiner Mandantin aus dem Sitzungszimmer zu entfernen (§ 247 StPO). Das schmeckte der Verteidigung des Angeklagten und dem Vorsitzenden Richter erst Recht nicht. Denn eine Verhandlung nach Entfernung des Angeklagten birgt reichlich Näpfe (nicht: Näpfchen!), in die das Gericht hineintappen kann.

Höflich begründen konnte ich es zunächst mit der psychischen Gesundheit der Exfrau, der eine „Gegenüberstellung“ sicherlich nicht förderlich gewesen wäre. Ohne Attest und weitere Belege ist das natürlich etwas sehr dünn (unser Referendar sprach böswillig von einem „unsubstantiierten Vortrag“, das wird er noch bitter bereuen!).

Das Pfund, was zum Erlaß des Entfernungsbeschlusses führte, war der § 52 StPO. Auf ein allgemein verständliches Niveau herunter gebrochen, lautete die (dann aber höflich vorgetragene) weitere Begründung:

Also, entweder der Kerl fliegt raus,
oder ich sage Euch gar nix!

Das war „überzeugend“. Die Vernehmung verlief dann in einer relativ entspannten Atmosphäre ohne den Angeklagten. Und danach konnte der Vorsitzende auch zeigen, daß er mit Überraschungen recht gut umzugehen weiß: Die Näpfe hat er gesehen.

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