Ordnungswidrigkeitenrecht

Erst mal nur Akteneinsicht

Die Hoffnung, die wir hier äußerten, hat sich nicht erfüllt. Frau Assessorin D., Sachbearbeiterin bei der ARAG, war offensichtlich nicht bei einer Schulung und sie tut es schon wieder.

Die Mandantin kam nach einem Unfall mit einem Anhörungsbogen zu uns. Gegen sie wird ein Ordnungswidrigkeitenverfahren geführt und sie möchte sich gegen diesen Vorwurf verteidigen. Wir fragten bei ihrer Rechtsschutzversicherung – der ARAG nach, ob man uns für die Verteidigung Deckung gewährt. Dummerweise war Frau Assessorin D. zuständig.

Frau D. teilt uns nun mit, dass es Deckung zunächst einmal nur für die Akteneinsicht gibt. Hat die ARAG neue Rechtsschutzbedingungen, haben wir etwas verpasst? So langsam nervt Frau Assessorin D. und wir haben beim Vorstand der ARAG dringend um eine Nachschulung für Frau Assessorin gebeten. Eine Antwort steht noch aus.

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Das Amtsgericht und der Zirkelschluss beim Plakettenverstoß

Vor dem Amtsgericht in Bußgeldsachen ist es häufig notwendig, die Unschuld des Betroffenen zu beweisen. An einem alltäglichen Fall aus der unsäglichen Umweltzone wird dies deutlich.

Der „Plakettenverstoß“ wird in Berlin duch die Parkraumbewirtschaftung (Ordnungsamt) geahndet. Es werden also parkende Autos aufgeschrieben. Dass man einem parkenden Auto nicht ansieht, wer es wann wohin gefahren hat, liegt in der Natur der Sache. Wer „am Verkehr teilgenommen“ hat, ist für die Politesse nicht ersichtlich.

In unserem Sonderfall ging es um ein besonderes Sammlerfahrzeug. Der Betroffene konnte anhand von Bildern belegen, dass er das plakettenlose Fahrzeug mit einem Anhänger bis zum Parkplatz gebracht hat und es dort in die Parkbucht geschoben wurde. Dort wurde es von einem Mitarbeiter des Ordnungsamts entdeckt, ein Bußgeldverfahren wurde eingeleitet. Es ging also um Ziffer 153 BKat.

Um den Unsinn dieser Umweltzonen-Bußgeld-Regelungen noch einmal darzulegen und um Rechtssicherheit für den Betroffenen zu bekommen, habe ich ihn mit dem Ziel „Freispruch“ vor dem Amtsgericht verteidigt. Es entstand in der Verhandlung folgendes Gespräch:

Richter:
Das was Sie vortragen, kann ich Ihnen nicht widerlegen. Ich werde das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG einstellen.

Verteidiger:
Wenn der Vorwurf nicht nachgewiesen werden kann, ist freizusprechen, nicht einzustellen.

Richter:
Ich halte es hier aber für unverhältnismäßig, noch weiter zu ermitteln, daher stelle ich ein.

Verteidiger:
Was wollen Sie denn noch ermitteln?! Es steht doch überhaupt kein Beweismittel zur Verfügung, das den Tatvorwurf bestätigen könnte.

Richter:
Was ich noch ermitteln müsste, würde ich mir überlegen, wenn ich nicht einstellen würde.

Es wird also das Verfahren wegen unverhältnismäßigen Ermittlungsaufwands eingestellt, damit nicht überlegt werden muss, was noch ermittelt werden muss.

Ein Rechtsmittel gegen diese Gerichtspraxis gibt es nicht. Der Betroffene bleibt auf seinen Anwaltskosten sitzen, wenn er keine Rechtsschutzversicherung hat.

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Strafverteidiger-Kanzlei statt Justizpalast

Hauptverhandlungen vor dem Strafrichter finden in der Regel im Gericht statt. Wenn allerdings die viel beschäftigten Strafverteidiger unserer Kanzlei beteiligt sind, dann kommt der Strafrichter aus Bayern Franken auch gern mal zum Verhandeln nach Kreuzberg:

Kanzlei-statt-Justizpalast

Die Verhandlung ist öffentlich, es wird Caffè gereicht.

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Zulässig: Die Vollmacht im Kreis

Das Kammergericht hatte sich schon wiederholt zu dieser Frage geäußert, die den Verteidigern in Bußgeldsachen von ihren Mandanten häufig gestellt werden:

Muß ein Betroffener in jedem Fall persönlich vor Gericht erscheinen, wenn er mit der Entscheidung der Bußgeldbehörde nicht einverstanden war?

Selbstverständlich nicht! lautet jedenfalls die Antwort an unsere Mandanten.

Das hat Rechtsanwalt Tobias Glienke gestern anhand des Beschluß‘ des Kammergericht vom 12. Juni 2013 (3 Ws (B) 202/13) dargestellt.

In jenem Beschluß steckt aber noch ein weiterer nützlicher Hinweis, den unser Fachanwalt für Verkehrsrecht und Strafrecht zusammen faßt:

Sollte der Verteidiger es versäumt haben, sich eine schriftliche Vollmacht zur Vertretung des Mandanten in der Hauptverhandlung ausstellen zu lassen, so kann er dies auch noch nach Aufruf der Sache vor den Augen des Richters in eigenem Namen nachholen.

Es kommt nur darauf an, dass er von dem Mandanten auch dazu ermächtigt wurde. Diese Ermächtigung ist nicht an eine Form gebunden.

Der ungewöhnliche Anblick eines Verteidigers, der eine Vollmacht auf sich im eigenen Namen unterschreibt, um einen Dritten zu vertreten, ist möglicherweise nicht jedem Amtsrichter bekannt. Im Zweifelsfall hilft auch hier die Rechtsbeschwerde

Wie die schon zitierte Entscheidung des Kammergerichts vom 12.06.2013 belegt: Der Verteidiger ist bevollmächtigt, eine Vollmacht für sich selbst auszustellen.

Längst bekannt, nur eben nicht dem Richter der Abteilung 295 beim Amtsgerichts Tiergarten. Vielleicht jetzt aber, nach der Lektüre dieses Blogbeitrags. 8-)

Übrigens:
Wer mit dem Gedanken spielt, es einmal anders herum zu versuchen – also als Betroffener vor Gericht erscheinen, aber ohne Verteidiger – und wissen will, wie man so etwas anstellt, kann sich fortbilden. Mit unserem kostenlosen eMail-Kurs Selbstverteidigung in Bußgeldsachen.

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Das Kammergericht und die alten Kamellen

Es ist zwar inhaltlich eine alte Kamelle, aber offensichtlich noch nicht bei jedem Richter angekommen. Deswegen mußte das Kammergericht dem Richter der Abteilung 295 beim Amtsgericht Tiergarten noch einmal Nachhilfe geben.

Das OLG Karlsruhe (2 (6) SsRs 279/12) hat in einer vergleichbaren Sache das Thema so zusammen gefaßt:

Ist unmissverständlich klargestellt, dass von der persönlichen Anwesenheit des Betroffenen eines Bußgeldbescheids wegen Geschwindigkeitsüberschreitung im Hauptverhandlungstermin keinerlei weitergehende Aufklärung zu erwarten ist, weil sein Verteidiger erklärt hat, dass der Betroffene Fahrzeugführer gewesen sei und er aber weiter nichts sagen werde, so liegen die Voraussetzungen für eine Entbindung des Betroffenen von seiner Anwesenheitspflicht vor.

Verständlicher formuliert es Rechtsanwalt Tobias Glienke, Fachanwalt für Verkehrsrecht und Strafrecht:

Eine Besonderheit im Bußgeldverfahren ist die Möglichkeit, den Mandanten von der Pflicht zur Teilnahme an der Gerichtsverhandlung entbinden zu lassen. Das ist auch ganz nützlich. Es geht oft um technische Details und Fragestellungen bei Geschwindigkeitsmessungen. Das muss sich der Mandant nicht anhören.

Überhaupt sollte der Verteidiger das Verfahren für den Mandanten nicht nur erfolgreich, sondern auch so angenehm wie möglich gestalten.

Zugleich entzieht man den Mandanten dem Einfluss des Richters, der schon mal versucht, am Verteidiger vorbei einzuwirken.

Außerdem ist es für den berufstätigen Mandanten ein Problem, sich für einen in der Regel 15 – 30 minütigen Termin frei zu nehmen.

Ein solcher Antrag kann auch noch nach Aufruf der Sache gestellt werden. Das kann sehr praktisch sein, wenn sich der Verkehr mal wieder staut, die Bahnschranke unten ist etc. Es darf nur durch die Anwesenheit des Mandanten keine weitere Aufklärung zu erwarten sein. Das bedeutet, dass bekannt sein muss, wer gefahren ist und das der Verteidiger sämtlich geplanten Angaben machen kann. Dazu muss eine schriftliche Vollmacht vorgelegt werden.

Sollte der Verteidiger auf einen Richter aus der Steinzeit geraten, der dieses Vorgehen nocht nicht kennt, hilft zum Glück die Rechtsbeschwerde.

Wie im vorliegenden Fall, in dem das Kammergericht (3 Ws (B) 202/13) das Urteil des AG Tiergarten (295 OWi 1130/12) aufgehoben hat.

Wir gratulieren Rechtsanwalt Bert Handschumacher, der die Entscheidung erstritten und uns die den Beschluß übermittelt hat.

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Lügt der Polizeipräsident?

Der Mandant übermittelt uns den Anhörungsbogen, nachdem er ihn ausführlich kommentiert hat.

Lüge

Dann schauen wir uns mal an, was sich der Polizeipräsident da zusammen gelogen hat. ;-)

Allerdings hat der Mandant bereits eine vorgefestigte Ansicht vom Herrn Polizeipräsidenten:

Spießer

Ob das allerdings einem klassischen Beweis zugänglich ist, werden wir noch einmal gewissenhaft überprüfen. Und dann zur gegebenen Zeit einen entsprechenden Beweisantrag stellen.

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Wer antiautoritär erzieht, darf nicht auf der Autobahn fahren

Ein Vater war mit seinem achtjährigen Sohn auf der Autobahn unterwegs. Bei der Abfahrt von der Autobahn stellte die Polizei bei einer Kontrolle fest, dass das Kind nicht angeschnallt war. Der Vater gab an, sein Sohn sei zuvor angeschnallt gewesen, aber da ihm sein Eis runtergefallen war, habe sich das Kind abgeschnallt, um das Eis wieder aufzuheben. Gerade in diesem Moment sei er in die Kontrolle geraten. Hierfür könne er nichts. Doch fand das Amtsgericht Köln, verurteilte den Vater zur Zahlung einer Geldbuße von 40 Euro und gab gleich noch ein paar wertvolle Erziehungstipps.

Zum Schutz der Gesundheit von Kindern sowie der allgemeinen Verkehrssicherheit ist die strikte Einhaltung der Sicherungsvorschriften von Kindern erforderlich. Das leichte Gewicht eines Kindes führt bei Nichtsicherung im Fall von Kollisionen, plötzlichem starken Abbremsen, Ausweichmanöver oder Kurvenfahrten zu erheblichen Umher- oder gar Herausschleudern mit schwerstwiegenden Folgen für das Kind. Ferner besteht die Gefahr, dass das Kind hierbei auch gegen den Fahrer geschleudert wird, wodurch dieser die Kontrolle über das Fahrzeug verlieren kann mit entsprechenden gravierenden Unfallfolgen, in die auch noch weitere Verkehrsteilnehmer verwickelt werden könnten. Jeder Fahrer ist daher verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass ein mitfahrendes Kind während der gesamten Fahrt ausreichend gesichert ist und auch bleibt.

Soweit, so richtig. Dann wird der Amtsrichter konkret.

Der Sohn des Betroffenen war zur Tatzeit fast 9 Jahre alt. Einem Kind in diesem Alter kann man in der Regel verständlich machen, welche Gefahren und welche Folgen eintreten können, wenn es sich während einer Fahrt abschnallt. Ebenfalls ist ein Kind in diesem Alter in der Regel in der Lage, das deshalb ausgesprochene Verbot, sich während der gesamten Fahrt abzuschnallen und die Ankündigung ernstzunehmender Konsequenzen bei Mißachtung dieses Verbot zu verstehen, zu akzeptieren und zu befolgen. Vorliegend geht das Gericht davon aus, dass der Betroffene diese Maßnahmen unterlassen oder nicht mit dem genügenden Nachdruck, ein Abschnallen während der Fahrt verboten hat, wie sein Vorbringen zeigt, wie Kinder nun einmal seien, schnallen sie sich ab, wenn das Eis herunterfällt, dafür könne er nichts.

Sollte das Kind des Betroffenen jedoch nicht in der Lage oder Willens gewesen sein, das genannte Verbot und die Erklärung hierfür zu verstehen und zu befolgen, dann hätte der Betroffene nicht eine Autobahn benutzen dürfen, auf der er nicht jederzeit anhalten konnte, um seinen Sohn wieder ausreichend zu sichern oder aber es hätte einer Begleitperson bedurft, die hierfür Sorge getragen hätte. Keinesfalls hätte der Betroffene aber seinem Sohn ein Eis oder einen sonstigen für das Kind interessanten Gegenstand geben dürfen, wenn er nicht mit Sicherheit ausschließen konnte, dass das Kind bei Herunterfallen dieser Dinge sich abschnallt, um sie wieder aufzuheben.

AG Köln, Urteil vom 14.03.2005, Az: 809 OWi 723/04

Wir fassen zusammen. Ist man mit einem Kind im Auto unterwegs, darf man dem kleinen Quengelgeist weder Eis, noch andere interessante Gegenstände, wie z.B. ein Buch geben. Es könnte ja etwas herab fallen. Dass sich dann langweilende Kind wird es danken, still im Kindersitz verharrend die aufregende Umgebung beobachten und das Ende der Fahrt abwarten. Vor der Fahrt ist das Kind entsprechend zu belehren. Für den Fall der Missachtung, sind „ernstzunehmende Konsequenzen“ anzudrohen. Welcher Art diese sein sollen, teilt das Amtsgericht leider nicht mit, Prügel scheidet in jedem Fall aus. Alternativ könnte man androhen, Geburtstags-, Weihnachts- und sonstige Geschenke bis zum 18. Geburtstag zu streichen.

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Verjährt wegen Blanko-Vollmacht

Der Kollege Bert Handschumacher hat in einer Bußgeldsache eine Einstellung des Verfahrens erreicht. Die seinem Mandanten zu Last gelegte Tat war verjährt. Der Bußgeldbescheid wurde nicht wirksam zugestellt, deswegen konnte er den Ablauf der Verjährung nicht unterbrechen.

Aus den Gründen:

Zugestellt worden ist der Bußgeldbescheid am 20.09.2012 an Herrn Rechtsanwalt B.H. von der Kanzlei HL GBR.

Auf der der Behörde vorliegenden Zustellungsvollmacht wurde jedoch ein Bevollmächtigter nicht ausdrücklich benannt, sondern nur die Anschrift der Kanzlei im Kopf des Schreibens angeführt. Der Vordruck ist an der dafür vorgesehen Stelle nicht ausgefüllt.

Eine derartige „Blankovollmacht“ ist nicht geeignet, die vom Gesetz gewollte förmliche Sicherheit bei Zustellungsadressaten zu gewährleisten (BGHSt 41,303,304). Aus dem Inhalt der Vollmachtsurkunde muss sich neben dem Gegenstand der Bevollmächtigung und dem Vollmachtgeber auch die Person des Bevollmächtigten selbst einwandfrei ergeben.

Den Voraussetzungen des § 145a Abs. l StPO genügt auch nicht, dass sich ein Rechtsanwalt, der die Vollmacht vorlegt, wie hier im Begleitschreiben sich auf die anliegende Vollmacht beruft. Denn damit behauptet allein der Vollmachtnehmer seine Bevollmächtigung.

Der Bußgeldbehörde ist zuzumuten, eine Vollmachtsurkunde auf ihre Vollständigkeit zu prüfen. Ist eine Vollmacht unvollständig, muß die Behörde entweder eine Nachbesserung fordern oder den Bußgeldbescheid an den Betroffenen und nicht an seinen Verteidiger zustellen.

Amtgericht Neuruppin, Beschluß vom 18.03.2013, 84.1 OWi 3107 Js-OWi 31314/12 (239/12)

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Polizeiliches Hexenwerk

Es wäre keine Hexerei, wenn sich die Polizei morgen langweilen würde. Und dafür trägt sie auch noch die alleinige Verantwortung!

Bereits in einer Pressemeldung vom 12.04.2013 gibt die Rennleitung bekannt, an welchen Stellen der Stadt die Schwarze Flagge droht.

Hexerei

Ich protestiere entschieden gegen diese Veröffentlichung! Schließlich gefährdet die Bekanntmachung der Kontrollposten die Arbeitsplätze der Fachanwälte für Verkehrsrecht, sogar einige Fachanwälte für Strafrecht müssen durch diesen Verrat (!) um Lohn und Brot fürchten.

Aber solange dieser „Stadtweite Großeinsatz zur Verkehrsunfallbekämpfung“ auf Dienstag, den 16. April 2013 beschränkt bleibt, wird unsere Kanzlei es überleben.

Für all die, die weder bei der Polizei, noch hier im Blog mitlesen: Wir freuen uns über auf den Kontakt mit ihnen.

Und die, die es sich dann doch lieber selber – also ohne Verteidiger – besorgen wollen, können sich bei unserem kostenlosen eMail-Kurs „Selbstverteidigung in Bußgeldsachen“ anmelden. 8-)

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Paradiesisches Deutschland

Wenn ich mir die Regeln anschaue, die die Rennleitung südlich des Bodensees anzuwenden hat, haben wir hier – nördlich des Bodensees – geradezu paradiesische Verhältnisse:

Ich zitiere mal zwei Vorschriften aus dem Strassenverkehrsgesetz (SVG) der Schweiz (pdf) nach der Änderung vom 15. Juni 2012:

Artikel 16c Abs. 2 SVG:

Nach einer schweren Widerhandlung wird der Lernfahr- oder Führerausweis entzogen für mindestens zwei Jahre, wenn durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern bestand, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen; Artikel 90 Absatz 4 ist anwendbar.

Das „Risiko“ muß nur abstrakt bestehen; eine konkrete Gefährdung ist nicht erforderlich. Wann dieses Risiko erstens „hoch“ ist, und zweitens unwiderlegbar besteht, regelt der besagte Artikel 90 Abs. 4 SVG, der da lautet:

… ist in jedem Fall erfüllt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten wird um:

a. mindestens 40 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 30 km/h beträgt;
b. mindestens 50 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 50 km/h beträgt;
c. mindestens 60 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 80 km/h beträgt;
d. mindestens 80 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit mehr als 80 km/h beträgt.

Aber Artikel 90 Absatz 3 SVG setzt noch einen oben drauf:

Mit Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren wird bestraft, wer durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen.

Ich übersetze das mal in eine verständliche Ansprache:

Wer in einer Tempo-30-Zone schneller als 70 km/h unterwegs ist, fährt mindestens für 1 Jahr ein und gibt seine Fahrerlaubnis mindestens(!) 2 Jahre lang ab.

Bei uns (nördlich, s.o.) sähe das – laut Bußgeldrechner auf verkehrsportal.de – so aus:

Bußgeldrechnerergebnis

Und: „Waghalsiges Überholen“ – was das ist, entscheidet dann im Einzelfall das linke oder rechte Bein des Richters, mit dem er morgens aus seinem Bette aufgestanden ist.

Bevor ich es vergesse: Wer solcherarts erwischt wird, kann zuverlässig damit rechnen, daß sein Kraftfahrzeug als „Tatmittel“ eingezogen wird (Art. 90a SVG). Und das tut ja nun richtig weh …

Es könnte also eine ernsthafte Überlegung Wert sein, in der Schweiz die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Schwarzfahren (Erschleichen von Leistungen) wird dort nicht so hart bestraft wie Schnellfahren.

Besten Dank an Stefan Gerber, Rechtsanwalt und Notar in Steffisburg (Schweiz) für diese Warnung.

update:

Wie die ersten Tage (die Novelle ist seit 1.1.13 in Kraft) zeigen, wird diese Regelung sehr konsequent umgesetzt…

Ergänzt Rechtsanwalt Stefan Gerber noch

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