Polizei

Knapp rechtzeitig fertig geworden

Gerade noch rechtzeitig zum 1. Mai ist es dem Berliner Gesetzgeber am 23. April 2013 gelungen, eine Vorschrift ins Leben zu rufen, die regelt, wer wann ins Fernsehen kommt.

Gesetz über Aufnahmen und Aufzeichnungen von Bild und Ton bei Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen

§ 1

(1) Die Polizei darf Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen nur anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Die Maßnahmen dürfen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden.

(2) Die Unterlagen sind nach Beendigung der öffentlichen Versammlung oder zeitlich und sachlich damit unmittelbar im Zusammenhang stehender Ereignisse unverzüglich zu vernichten, soweit sie nicht benötigt werden

    1. für die Verfolgung von Straftaten von Teilnehmerinnen und Teilnehmern oder

    2. im Einzelfall zur Gefahrenabwehr, weil die betroffene Person verdächtigt ist, Straftaten bei oder im Zusammenhang mit der öffentlichen Versammlung vorbereitet oder begangen zu haben, und deshalb zu besorgen ist, dass von ihr erhebliche Gefahren für künftige öffentliche Versammlungen oder Aufzüge ausgehen.

Unterlagen, die aus den in Satz 1 Nummer 2 aufgeführten Gründen nicht vernichtet wurden, sind in jedem Fall spätestens nach Ablauf von drei Jahren seit ihrer Entstehung zu vernichten, es sei denn, sie würden inzwischen zu dem in Satz 1 Nummer 1 aufgeführten Zweck benötigt.

(3) Im Übrigen darf die Polizei Übersichtsaufnahmen von Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen sowie ihrem Umfeld nur anfertigen, wenn dies wegen der Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung oder des Aufzuges im Einzelfall zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes erforderlich ist. Die Übersichtsaufnahmen sind offen anzufertigen und dürfen weder aufgezeichnet noch zur Identifikation der Teilnehmerinnen und Teilnehmer genutzt werden. Die Versammlungsleitung ist unverzüglich über die Anfertigung von Übersichtsaufnahmen in Kenntnis zu setzen.

Quelle:

Wenn ich mir den Gesetzestext vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen als Strafverteidiger in Verfahren wegen Landfriedensbruch und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz durch den Kopf gehen lasse, fällt mir eigentlich so gut wie kein Fall ein, in dem es den Ordnungsbehörden nicht gelingen sollte, mit nur wenig argumentativen Aufwand Fotos und Filmaufnahmen von Demonstrationen anzufertigen.

Im Prinzip reicht es doch schon aus, wenn ein paar bunte Pubertisten durcheinander laufen und den Stinkefinger zeigen, um für „Unübersichtlichkeit“ zu sorgen, weil am Kottbusser Tor wegen der dortigen Baustelle ein paar Pflastersteine in Griffnähe herum liegen.

Jene Satire scheint auch in diesem Zusammenhang wieder zu treffen.

Erneut ein herzliches Dankeschön Herrn an Rolf Jürgen Franke, Rechtsanwalt und Notar in Berlin für die Versorgung mit stets frischer Ware.

1 Kommentar

Polizeiliches Hexenwerk

Es wäre keine Hexerei, wenn sich die Polizei morgen langweilen würde. Und dafür trägt sie auch noch die alleinige Verantwortung!

Bereits in einer Pressemeldung vom 12.04.2013 gibt die Rennleitung bekannt, an welchen Stellen der Stadt die Schwarze Flagge droht.

Hexerei

Ich protestiere entschieden gegen diese Veröffentlichung! Schließlich gefährdet die Bekanntmachung der Kontrollposten die Arbeitsplätze der Fachanwälte für Verkehrsrecht, sogar einige Fachanwälte für Strafrecht müssen durch diesen Verrat (!) um Lohn und Brot fürchten.

Aber solange dieser „Stadtweite Großeinsatz zur Verkehrsunfallbekämpfung“ auf Dienstag, den 16. April 2013 beschränkt bleibt, wird unsere Kanzlei es überleben.

Für all die, die weder bei der Polizei, noch hier im Blog mitlesen: Wir freuen uns über auf den Kontakt mit ihnen.

Und die, die es sich dann doch lieber selber – also ohne Verteidiger – besorgen wollen, können sich bei unserem kostenlosen eMail-Kurs „Selbstverteidigung in Bußgeldsachen“ anmelden. 8-)

3 Kommentare

Sizilianische Verhältnisse?

Meinen Blogbeitrag über eine Fahndungslüge hat Sebastian Heiser von der taz motiviert, sich diesem Problem von der (klassisch) journalistischen Seite zu nähern. Das Resultat seiner Recherche ist heute in der Zeitung zu lesen:

Die Polizei schafft es nicht, Zeugen stets gut zu schützen – und greift sogar zu Falschaussagen.

Man darf sich vor dem Hintergrund der Art und Weise, wie mit Zeugen umgegangen wird, nicht wundern, daß es zunehmend schwieriger wird, Zeugen zu finden, die dazu beitragen, ein Ermittlungs- und Strafverfahren voranzubringen.

Die Justiz beschwert sich über die Omertà in Verfahren zum Beispiel gegen Rocker. Die Ermittler tragen durch das von Heiser und mir beschriebene Verhalten aber selbst und wesentlich dazu bei, daß immer weniger Bürger (die keine Rocker sind) bereit sind, dem Staat zu vertrauen.

Die provokante Frage von Heiser:

Polizeipräsident Klaus Kandt […] sieht vertrauenwürdig aus – aber sind das auch seine Ermittler?

scheint berechtigt zu sein.

omertaEin sizilianisches Sprichwort lautet: „Cu è surdu, orbu e taci, campa cent’ anni ’mpaci“ – „Wer taub, blind und stumm ist, lebt hundert Jahre in Frieden.“

Wollen wir das wirklich?

4 Kommentare

Fahndungslüge

Polizeibeamte. Es gibt solche und so’ne. Hier habe ich einen erwischt, für den ich erst noch die richtige Schublade finden muß.

Der Beamte hatte einen Ermittlungsauftrag:

Ziel war es, Anwohner bzw. Ladenbesitzer in der näheren Umgebung auf eine Öffentlichkeitsfahndung mittels Fahndungsplakaten und Bildern aufmerksam zu machen und diese zu dem Vorfall zu befragen.

war in seinem Ermittlungsbericht zu lesen. Im Rahmen dieser Ermittlungen besuchte er einen Tante-Emma-Laden und unterhielt sich mit Onkel-Emma, der bei seiner Tante angestellt war. Während die beiden so lauschig beieinander waren,

… erschien ein Bekannter des Angestellten, Herr Gottfried Gluffke, und warf ebenfalls einen Blick auf das Fahndungsplakat und die dort abgebildeten Personen.

Herr Gluffke gab an, die Person mit dem auffälligen Pullover zu kennen. Außerdem wäre das Gesicht das gleiche. Allerdings habe er Angst uns mitzuteilen, um wen es sich bei dieser Person handelt, da es sein direkter Nachbar sei.

Herrn Gluffke wurde der Sachverhalt und der Hintergrund zu der Fahndung erneut erläutert. Er wurde sensibilisiert und ihm wurde mitgeteilt, dass die abgebildete Person nicht erfahre, dass diese Information von ihm stamme und polizeilich erst nachermittelt werden müsse, ob es sich tatsächlich um die auf dem Fahndungsplakat gesuchte Person handelt.

Nach langem Zögern teilte er mit, dass es sich um einen „Wilhelm“ handelt. Dieser solle Bullmannweg 21 im 4. Stock rechts wohnen. Er selber wohne in der Wohnung links daneben in diesem Stockwerk.

Das ist eine glatte Lüge. 82516_web_R_by_Alexander Hauk _ bayern-nachrichten.de_pixelio.deNicht das, was Gottfried Gluffke dem Polizisten erzählte. Das traf zu. Im Vertrauen darauf, daß „Wilhelm“ nicht erfahre, wer der Hinweisgeber war, lieferte er zutreffende Informationen.

Gelogen hatte der Polizeibeamte. Der weiß ganz sicher, daß ein Verteidiger später den Vermerk lesen wird, den der Polizist geschrieben haben wird. Und in dem er nicht nur den vollständigen Namen des Gottfried, sondern auch dessen Geburtsdatum, Geburtsort und telefonische Erreichbarkeit festzu- und festge-halten hat.

Dem Verteidiger stellt sich nun die Frage, ob er sich zum Komplizen dieses Beamten machen soll. Oder ob er verpflichtet ist, seinem Mandanten vollständig über den Inhalt der Ermittlungsakte in Kenntnis zu setzen. Ein kluger Polizeibeamter kennt die Antwort bestens. Nämlich, daß der Verteidiger – anders als ein Polizeibeamter – seinen Mandanten grundsätzlich nicht anlügen darf. Und auch nicht anlügen wird.

Entsprechend der Umgangsformen der Kreise, in denen sich das Ganze hier abspielt, wird Gluffke sich künftig darauf freuen können, regelmäßig – mindestens aber einmal – eine Geburtstagskarte zu bekommen. Das muß man einem erfahrenen Beamten nicht erst erklären.

Als ich Kind war, habe ich gelernt, man darf grundsätzlich nicht lügen. Nur gaaanz manchmal gäbe eine einzige Ausnahme, nämlich bei den so genannten „Notlügen“. Vielleicht gibt es aber noch eine weitere Ausnahme, die meine Eltern – sie hatten mit der Polizei nichts zu tun – nicht kannten.

Bild: Alexander Hauk / bayern-nachrichten.de / pixelio.de

19 Kommentare

Hat funktioniert: Richterliche Kontrolle

Es ging um eine recht heftige Straftat. Die Täter konnten zunächst unerkannt entkommen, waren aber so unvorsichtig, sich auf einem U-Bahnhof und in einer Bankfiliale ablichten zu lassen. Mit diesem Bildmaterial sollten nun die weiteren Ermittlungen geführt werden.

Die Polizei schickt dazu die Ermittlungsakte mit den folgenden Bitten (Blatt 85 der Akte) an die Staatsanwaltschaft:

Raub01

Hier hat die Polizei ganz richtig (Lob von der Verteidigerbank!) erkannt, daß sie nicht ohne richterlichen Beschluß die Fotos der Verdächtigen veröffentlichen darf. Nun war erst einmal der Staatsanwalt an der Reihe, der es sich aber mit diesem Vermerk ein wenig zu einfach macht:

Raub02

Die Bitte des Polizeibeamten schlicht in Bezug zu nehmen, entspricht nicht den Anforderungen an eine saubere Arbeit eines Ermittlers. Es sollte schon deutlich werden, daß der Staatsanwalt sich auch eigene Gedanken gemacht und eigenständig geprüft hat, wie die Ermittlungen weiter zu führen sind. Dieser Ansicht war auch die zuständige Richterin, die die Akte mit folgendem Vermerk dem Staatsanwalt wieder vor die Füße legte:

Raub03

Das führte dann zur Nacharbeit und Formulierung einer korrekten „Antragssschrift“:

Raub04

Damit konnte der Richter dann auch was anfangen; wie bereits von der Polizei erbeten erlies er sechs Wochen danach den beantragten Beschluß gem. § 131b Abs. 2 StPO:

Raub05

Dieser Fall zeigt, daß die richterliche Kontrolle durchaus funktionieren kann. Und daß es (viele) (gute) (leider zu wenig) Polizisten und Richter gibt, die ihre Aufgaben auch ernst nehmen. Bedauerlich – aus Sicht der Geschädigten – ist allein, daß – aus welchen Gründen auch immer – durch dieses unnötige Akten-Ping-Pong sechs lange Wochen ins Land gegangen sind, bis der richterliche Beschluß ergangen ist.

Knapp zwei Wochen später wurde der Beschluß dann umgesetzt und die Bilder im Internet und im Fernsehen veröffentlicht. Es hat dann noch weitere sechs Monate – 12 Monate sind seit der angeblichen Tat vergangen – gedauert, bis ein Berliner Strafverteidiger einen neuen Mandanten bekommen hat.

10 Kommentare

Hund und Jaguar vor geschlossener Hauskammer

480475_web_R_by_sabine koriath_pixelio.deVor der Haftanstalt steht seit ein paar Monaten ein recht wertiger PKW. Er gehört einem ehemaligen Insassen, der aus diesen Knast in die JVA Charlottenburg verlegt wurde.

Dem Buschfunk in der Haftanstalt zufolge soll der PKW als Drogenbunker genutzt werden. Einer der dort Inhaftierten steckte diese Information den Wachtmeistern und die sofort den zuständigen Drogenfahndern beim Landeskriminalamt.

Die Kriminalen waren nun daran interessiert, sich das Auto auch einmal von innen anzuschauen. Das geht in der Regel am besten unter Zuhilfenahme eines Schlüssels. Der befand sich aber nicht beim Fahrzeug, sondern in der JVA Charlottenburg. Und zwar dort in der Hauskammer, in der die Habe der Gefangenen verwahrt werden.

Kein Problem, dachte sich die Kommissarin. Sie hatte aber nicht damit gerechnet, daß dort aber die behördenüblichen Öffnungszeiten gelten:

Öffnungszeiten

Aber es gibt unten Kriminalbeamten nicht nur Rüpel (wir sind hier schließlich nicht in Bayern!): Damit das gute Stück nicht mit der Brechstange geöffnet werden muß, stellte man einen Wachtmeister ab, der das Auto bis zur Öffnungszeit der Hauskammer bewachte.

In der Zwischenzeit wurde ich als Verteidiger benachrichtigt, damit ich am nächsten Morgen bei der Durchsuchung des Autos zusehen konnte. Ich habe mich für die Rücksichtnahme revanchiert und den Beamten gezeigt, daß bei diesem Modell die Motorhaube von hinten nach vorn geöffnet werden muß. ;-)

Nebenbei: Gefunden hat „der Diensthund Mary“ nichts, obwohl sie mit richtig viel Spaß bei der Arbeit war. Auf diesem Weg besten Dank an die Beamten für die Rücksichtnahme.

Bild: sabine koriath / pixelio.de

3 Kommentare

Unzulässig: Legendierende Kontrollen

618812_web_R_by_Arno Bachert_pixelio.deNicht überall, wo „Verkehrskontrolle“ drauf steht, ist auch „Verkehrskontrolle“ drin.

Es geht um die Frage der Zulässigkeit einer aktiven Täuschung eines Verdächtigen über den Anlaß der Ermittlungsmaßnahme. Die Problematik wird deutlich an folgender Fallkonstellation:

Die Ermittlungsbehörden beobachten seit längerer Zeit eine Gruppierung, die des Handels mit Betäubungsmitteln im großem Stile verdächtigt wird. Während einer Telefonüberwachung erhalten die Beamten Informationen darüber, daß drei Tage später in einem PKW eine „nicht geringe Menge“ Kokain aus Westdeutschland nach Berlin transportiert werden soll. Der Focus der Ermittler richtet sich aber nicht (nur) auf diesen Transport, sondern in der Hauptsache auf die (vermuteten) Strukturen, die hinter dieser Kurierfahrt stecken.

Um zu verhindern, daß die Organisatoren der Fahrt erfahren, daß man ihnen auf der Spur ist, fangen die Drogenfahnder an zu tricksen. Bei einem Tankstop lassen sie die Luft aus einem Reifen des Kurierfahrzeugs und gaben bei der Autobahnpolizei einen Wunschzettel ab: Die Schutzmänner sollten doch mal eine „allgemeine Verkehrskontrolle“ an dem havarierten Auto durchführen.

In der Ermittlungsakte findet sich dann später der Einleitungsvermerk der Unifomierten:

Im Rahmen einer Routinekontrolle fanden wir in der Reserveradmulde des Kofferraums …

Die Entdeckung soll also als Zufallsfund durchgehen, um die Zusammenhänge mit den Ermittlungen gegen die „Organisierte Kriminalität“ zu verschleiern.

Es stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit einer solchen „Maßnahme“, die für den kundigen Strafverteidiger im weiteren Verlauf des Verfahrens den Gedanken an die Durchsetzung eines Beweisverwertungsverbotes aufkommen lassen muß. Denn der Erforschung der materiellen Wahrheit durch die Beweiserhebung im Ermittlungsverfahren sind durch das formelle Recht Grenzen gesetzt.

An dieser Stelle paßt es mal wieder, das Zitat von Rudolf von Ihering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, 2. Teil, Abteilung 2, S. 471. (wiedergefunden bei Rechtsanwalt Andreas Jede):

Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit. Denn die Form hält der Verlockung der Freiheit zur Zügellosigkeit das Gegengewicht, sie lenkt die Freiheitssubstanz in feste Bahnen, daß sie sich nicht zerstreue, verlaufe, sie kräftigt sie nach innen, schützt sie nach außen. Feste Formen sind die Schule der Zucht und Ordnung und damit der Freiheit selber und eine Schutzwehr gegen äußere Angriffe, – sie lassen sich nur brechen, nicht biegen.

Diese Form schreibt nun mal vor, daß Durchsuchungen von Kraftfahrzeugen grundsätzlich dem Richtervorbehalt unterliegen. Eine Eilbedürftigkeit, die es ausnahmsweise gestattet, auch ohne richterlichen Beschluß zu durchsuchen, gab es in dem Beispielfall nicht. Es ist und bleibt eine heimliche Ermittlungsmaßnahme, durch die die Betroffenen getäuscht wurden.

Die Aktion ist auch nicht unter Hinweis auf einzelne in der Strafprozessordnung ausdrücklich und gesondert geregelte heimliche Ermittlungsmaßnahmen zu rechtfertigen. Die Berufung auf das Bedürfnis einer „effizienten Strafverfolgung“ – also das der-Zweck-heiligt-die-Mittel-Prinzip – ist angesichts der Intensität des Eingriffs (Art. 6 Abs. 1 EMRK!) nicht zulässig. Die alleinige Anwendung des Gefahrenabwehrrechts (Verkehrskontrolle) ist nicht möglich, wenn ein Straftatverdacht (Verstoß gegen BtMG) bereits vor der polizeilichen Maßnahme besteht und sodann zielgerichtet zu Zwecken der Strafverfolgung (Beweiserhebung) in die Grundrechte des Betroffenen eingegriffen wird.

Diese Täuschungen durch Ermittlungsbehörden werden höflich umschrieben mit dem Begriff der „legendierenden Kontrollen“. Unzulässig sind sie trotzdem.

Nachlesen kann man das Ganze in BGH 4 StR 436/09 – Urteil vom 11. Februar 2010, und in einem Aufsatz von Wolfgang Müller (Leitender Oberstaatsanwalt, Celle) und Richter Dr.Sebastian Römer (Richter, Hannover) in der NStZ 2012, 543.

Bild: Arno Bachert / pixelio.de

, , 16 Kommentare

Menschenrechtsanwalt kämpft gegen seine Verurteilung wegen Widerstandes

Es ist eine bekannte Situation – der Konflikt zwischen einem Bürger und einem Polizeibeamten: Der Bürger fühlt sich zu Unrecht von dem Polizeibeamten behandelt und reklamiert dies, mal mehr, mal weniger deutlich. Der Polizeibeamte fühlt sich nun seinerseits von dem Bürger zu Unrecht behandelt. Und reagiert mit dem klassischen Dreisprung: Strafanzeige wegen Beleidigung, Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Es kommt zur Einleitung eines Ermittlungsverfahren und zur Anklage – gegen den Bürger.

Vor einer Berufungskammer des Landgerichts Berlin findet zur Zeit ein Strafverfahren zu diesem Thema statt. Angeklagt und erstinstanzlich verurteilt ist der Kollege Hans-Eberhard Schultz. Über den Verteiler der Vereinigung der Berliner Strafverteidiger bekam ich heute eine Pressemitteilung des Rechtsanwalts Schultz übermittelt, die ich nachfolgend weitergebe.

Pressemitteilung RA Schultz

Ich halte es für sehr sinnvoll, daß dieses Verfahren von einer breiten Öffentlichkeit (z.B. am Montag, den 4.2.2013, Saal B 218 im Kriminalgericht) verfolgt wird. Es darf nicht sein, daß sich Bürger gegen Übergriffe von Polizeibeamten nicht mehr wehren, weil sie Angst haben müssen, ansschließend selbst selbst beschuldigt zu werden, eine Straftat begangen zu haben.

Mir sind die Details dieses konkreten Falls nicht bekannt. Aber dafür reichlich andere, die ich als Berliner Strafverteidiger bereits bearbeitet habe. Die Strukturen wiederholen sich. Leider.

12 Kommentare

Zielfahnder in Nord-Neukölln

Der Supergau in einem Gespräch mit dem Verkehrspolizisten tritt ein, wenn der Autofahrer ihn fragt: „Haben Sie eigentlich nichts Besseres zu tun? Gehen Sie lieber Verbrecher jagen!“ Aber ich bin ja hier nicht als Autofahrer unterwegs.

Es geht immer noch – seit Oktober! – um die Fahndung eines gefährlichen Rechtsbrechers. Trotz des Aufrufs hier im Blog und einer ersten Androhung empfindlicher Übel durch den Polizeipräsidenten hat man den Täter noch immer nicht ermittelt.

Nun werden Zielfahnder eingesetzt:

Bevor der Polizeioberkriminale nun „an der Wohnanschrift“ Ermittlungen durchführt, wird der Halterin nochmals ein Friedensangebot gemacht. Ihr wird sogar die Wahl gelassen: Anrufen, Faxen oder Vorbeikommen, um den Fahrer („männlich“) zu verraten.

Vergleichbar mit den Mahnläufen in den so genannten Vertragfallen-Fällen droht der PolPräs ein weiteres Mal, diesmal jedoch richtig konkret mit:

  • Fahrtenbuchauflage
  • Beschaffung von Vergleichsfotos von Familienangehörigen
  • Ermittlungen an der Wohnanschrift

Nochmal zur Erinnerung: Es geht um eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 7 km/h, also um ein Verwarnungsgeld in Höhe von 15 Euro.

Zur Fahrtenbuchauflage
Es muß nicht besonders hervorgehoben werden: Die Verhängung einer Fahrtenbuchauflage müßte verhältnismäßig sein (vgl. OVG Münster, Urteil vom 29. 4. 1999 – 8 A 699/97):

Allerdings rechtfertigt nur ein Verkehrsverstoß von einigem Gewicht eine solche Anordnung. Wird nur ein einmaliger, unwesentlicher Verkehrsverstoß festgestellt, ist die Fahrtenbuchauflage nicht gerechtfertigt. Die Bemessung des Gewichts einer Verkehrszuwiderhandlung ist dabei an jenem Punktsystem zu orientieren, das […] als Anlage 13 Bestandteil der FeV vom 18. 8. 1998, BGBl I, 2214, ist.

Nach diesen Kriterien dürfte die Anordnung keinen Bestand haben, deren Androhung sollte daher auch unterbleiben.

Vergleichsfotos von Familienangehörigen
Für einen durchschnittlich begabten Polizeibeamten, der einen Computer einschalten kann, dürfte das Dank POLIKS kein Problem sein. Der Zielfahnder sollte imstande sein, eine „Familienaufstellung“ zu fertigen und das Ergebnis seiner Betrachtung auf ein Stück Papier zu notieren. Ob die rechtlichen Voraussetzungen für diese Datenabfrage vorliegen, wird ihm im Zweifel seine vorgesetzte Stelle mitteilen. Auch bei diesem Dateneingriff gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz uneingeschränkt. Was soll diese heiße Luft also?

Hausermittlungen
Die Ermittlungen vor Ort in Neukölln Nord, wo sich der Abschnitt 54 befindet, kann für einen uniformierten Polizeibeamten – je nach Kiezlage – durchaus als Abenteuer betrachtet werden. Deswegen geht man auch gern mal zu zweit oder dritt auf Streife, wenn es die Personallage erlaubt. Es dürfte schon spektakulär werden, wenn dann das mobile Einsatzkommando morgens früh um 10:30 Uhr (in Neukölln heißt das: Mitten in der Nacht) im Hausflur des Hinterhauses steht, an den Wohnungstüren klingelt und fragt: „Kennen Sie diesen Mann?“ Die Antworten und Reaktionen der Nachbarn würde ich gern live erleben.

Fiat iustitia, et pereat Neocollonia – oder doch lieber § 47 Abs. 1 OWiG?
Ich möchte an die eingangs gestellte freche Frage anknüpfen: Solange in Nord-Neukölln und Kreuzberg wegen so einer Kleinigkeit in kohlhaas’scher Manier der Rechtsstaat durchgesetzt werden kann, kann es mit der Personallage bei der Landespolizei nicht so schlecht aussehen, wie uns die GEW (oder wie auch immer die Polizeigewerkschaft heißen mag) glauben machen möchte.

Und überhaupt
Wenn die Polizei schon mit der Brechstange versucht, die Einhaltung der Spielregeln durchzusetzen, dann – bitteschön – soll sie sich auch an die Regeln halten! Das tut sie nämlich nicht, wenn die Behörde erneut mit so einem Anschreiben der Bürgerin verschweigt, daß sie hier keine Mitwirkungspflicht hat, gegenüber der Polizei ohnehin nicht aussagen muß und im übrigen Auskunftsverweigerungsrechte aus §§ 52, 55 StPO haben könnte. Wenn sich „der Staat“ schon so daneben benimmt, wird er von seinen Bürger keine Loyalität erwarten dürfen.

Schau’n wer ma, wie sich das Ganze noch auswächst.

8 Kommentare

Wattebällchen für den Polizeichef

Das Landgericht Traunstein hatte festgestellt,

dass der Mann im vergangenen Jahr beim Rosenheimer Herbstfest den Kopf eines gefesselten, damals 15-jährigen Jugendlichen auf der Wache des Rosenheimer Volksfestes gegen die Wand schlug, das Opfer trat und ohrfeigte. Der Schüler hatte bei der Gewalttat des leitenden Beamten im Herbst 2011 eine stark blutende Platzwunde an der Lippe davongetragen. Ein Schneidezahn brach, andere Zähne wurden geschädigt.

berichtete der Bayerischer Rundfunk am 27.11.2012.

Dafür hat sich der (wohl zu Recht ehemalige) Rosenheimer Polizeichef eine Freiheitsstrafe von – na, raten Sie mal, ja genau: 11 Monaten gefangen. Auf Bewährung.

Dazu ein wenig Hintergrund:

Es handelt sich um eine (einfache!) Körperverletzung im Amt nach § 340 StGB. Dafür gibt es eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Es sei denn, das Gericht meint, es sei ein minder schwerer Fall, dann kann es auch nur eine Geldstrafe werden.

Das Mit-dem-Kopf-gegen-die-Wand-Schlagen ist keine gefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 StGB (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren). So habe ich die herrschende Meinung jedenfalls im Studium kennen gelernt:

Ob jemand dem Opfer einen Stein auf den Arm schlägt oder das Opfer mit dem Arm auf einen am Boden liegenden Stein schleudert und dadurch dieselbe Gefahr eines Knochenbruchs bewirkt, macht einen Unterschied.

Frei zitiert nach BeckOK StGB § 224, Rdz. 31.

Warum nun gerade 11 Monate?

Das könnte einen beamtenrechtlichen Grund haben: Nur einen Monat mehr, dann gibt es einen neuen Kunden beim Arbeitslosenamt. Das regelt § 24 BeamtStG:

Wenn […] ein Beamter im ordentlichen Strafverfahren durch das Urteil eines deutschen Gerichts […] wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr […] verurteilt wird, endet das Beamtenverhältnis mit der Rechtskraft des Urteils.

Das muß man als Strafverteidiger wissen, wenn man einen Beamten verteidigt. Und auch als Richter, wenn man die Höhe der Freiheitsstrafe auswürfelt.

Für den Rosenheimer Beamten auf Lebenszeit bedeutet das Urteil:

Er verbleibt im Dienst und nach Ablauf der Bewährungszeit wird ihm die Strafe erlassen (wenn er nicht erneut einen Hernawachsenden krankenhausreif prügelt, bzw. dabei erwischt wird). Im Verhältnis zu der aufgeplatzten Lippe und dem abgebrochenen Schneidezahn eigentlich ein Supersonderpreis, wenn ich das mal mit den Urteilen vergleiche, die sich meine psychisch kranken Mandanten wegen einer Prügelei am Kottbusser Tor fangen.

Ob dieses Ergebnis auf die Qualität der Arbeit des Verteidigers, auf die Einstellung des Richters zum Berufsbeamtentum oder aber auf den Corpsgeist und die Vergeßlicheit der feinen Kollegen des Schlägers zurückzuführen ist, wird nicht berichtet. Bemerkenswert (sic!) ist noch, daß der Staatsanwalt eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten beantragt hatte.

Ende der Geschichte? Aber nicht doch!

Der Spiegel berichtete am 4.12.2012:

Gewalttätiger Polizeichef akzeptiert Urteil nicht.

Ein Verhalten, daß offenbar noch nicht einmal sein Verteidiger billigt. Nach dem Urteilsspruch wird der Kollege zitiert: „Ich denke, wir könnten damit leben.“ Wenig später teilte er dann mit, daß sein Mandant „das Urteil einer Überprüfung unterziehen“ wolle. „Sein Mandant„, er auch?

Aber vielleicht wird das Ergebnis dieses Strafprozesses dann doch noch in einen adäquaten Rahmen gestellt: Denn nach Rechtskraft erwartet den „Prügel-Bullen“ noch ein Disziplinarverfahren, das durchaus zu spürbaren Rechtsfolgen führen könnte. Die Hoffnung stirbt zuletzt …

Dem, der das Thema ein wenig vertiefen möchte, sei die Lektüre der Süddeutschen Zeitung empfohlen.

Bild: Petra Dirscherl / pixelio.de

19 Kommentare