Prozeßbericht (www.prozessbericht.de)

Peinliche Befragungen nach dem Lustprinzip

695211_web_R_K_B_by_Timo Klostermeier_pixelio.deIn dem Potsdamer Pillendienst-Verfahren waren insgesamt acht Zeugen geladen. Drei waren nicht erschienen, zwei davon „unentschuldigt“. Die Ladungen haben bei allen Zeugen sicherlich (erneut) zu erhöhtem Blutdruck geführt.

Den Angeklagten in diesem Verfahren wird u.a. vorgeworfen, unter anderem Potenzmittel wie Viagra, Levitra und Cialis vertrieben zu haben, ohne über die erforderlichen Lizenzen und Rechte zu verfügen.

Bei den Zeugen handelte es sich um Käufer dieser lokal den Blutdruck steigernden Medikamente, die im Normalfall ein Arzt verschreibt, wenn der Patient über Schwierigkeiten mit seiner sexuellen Leistungsfähigkeit klagt.

Den Käufern stand also eine hochnotpeinliche Befragung in einer öffentlichen Hauptverhandlung bevor. Sie hatten aber Glück: Die Idee, einer Hauptschulklasse – am besten 9. Schuljahr, überwiegend Mädchen – rechtzeitig den Besuch einer Gerichtsverhandlung zu empfehlen, kam zu spät. Den kalten Angstschweiß auf der Stirn wurden sie nacheinander mitten in den Gerichtssaal gesetzt und von 21 interessierten Prozeßbeteiligten herzlich begrüßt. (Was jetzt noch fehlte, war das Popcorn für die Verteidiger.)

Die Belehrung durch den Vorsitzenden, nun aber wirklich „die Wahrheit zu sagen und nichts als Wahrheit“, trug eher nicht zur Entspannung bei. Ich hatte nicht das Gefühl, als hätten die aber wirklich bedauernswerten Zeugen diese Medizin nötig gehabt, so steif wie sie auf dem Stuhl saßen.

Sogar der Vorsitzende zeigte echtes Mitleid. Und ohne einen Anflug von Sarkasmus fragte er die Verfahrensbeteiligten, ob daß sie auf die erneute Ladung der ausgebliebenen Zeugen verzichten würden werden.

Ich habe keine Lust, gegen sie ein Ordnungsgeld zu verhängen!

Selbst der ansonsten stets knarrende Staatsanwalt hatte gegen diesen Verzicht nach dem Lustprinzip keine Einwände.

Eine Beweisaufnahme mit echtem Unterhaltungswert, die auch noch vorteilhaft für die Angeklagten ausging. So macht Strafverteidigung Spaß.

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Bild: © Timo Klostermeier / pixelio.de

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Befangener Sonderband

Erfahrende Strafkammervorsitzende wollen von Anfang an den Überblick behalten. Deswegen werden für besondere Teile des Verfahrens besondere Akten angelegt. In umfangreichen Verfahren beginnt es mit der Anlage eines „Sonderband (SB) Sitzungsprotokolle“. Weitere beliebte Sonderbände betreffen Teile der Beweisaufnahme.

Einen „Sonderband Ablehnungsgesuche“ braucht es gleich zu Beginn einer Hauptverhandlung eigentlich nicht. Es kommt zwar schon häufiger vor, daß ein Angeklagter unmittelbar nach dem Startsignal einen Befangenheitsantrag stellt. Das hängt mit dem § 25 I StPO zusammen, der fordert, daß bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse ein solches Gesuch angebracht werden muß. Sonst ist es nämlich zu spät.

Über diesen Antrag wird entschieden und dann kann’s weitergehen, da ein Vorsitzender Richter am Landgericht grundsätzlich nie befangen ist. Ausnahmen von diesem Grundsatz gibt es in der Literatur durchaus, in der Praxis aber eher sehr selten.

Ziel eines Befangenheitsantrags ist daher auch nicht zuerst die Ablösung des Richters, sondern die Verteidigung signalsiert dem Gericht damit, wo ihrer Ansicht nach Grenzen liegen, die nicht überschritten werden dürfen. Solche Signale werden von professionellen Vorsitzenden entgegen genommen und im weiteren Verlauf des Verfahrens auch berücksichtigt. Es handelt sich also um die Spielart eines Begrüßungsrituals.

Außerdem will die Verteidigung ggf. ein richterliches Verhalten durch das Rechtsmittelgericht überprüfbar machen; und der Weg dorthin führt dann meist über einen Beschluß, mit dem das Gericht über einen Ablehnungsantrag befindet.

Das, was sich in einem in der Öffentlichkeit interessiert beobachteten Verfahren derzeit zuträgt, hat aber vom Umfang her Seltenheitswert. Noch bevor die Anklageschrift verlesen worden ist, gibt es bereits einen prall gefüllten „Sonderband Befangenheit“:

Befangener Sonderband

Für den Umfang kann es nun mehrere Gründe geben. Zum Beispiel könnten sensible Angeklagte hohe Ansprüche an die Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit des Gericht haben. Oder sie werden von Verteidigern vertreten, die ihre Aufgabe ernst nehmen und Fehler der Richter gnadenlos rügen, wenn sie zu Lasten ihrer Mandanten gehen. Denkbar ist aber auch, daß die Richter abzulehnen sind, weil sie schlicht schlecht arbeiten und die Vorschriften, die dem Schutz der Angeklagten dienen, nicht so genau im Focus haben.

Ich kann nach dem bisherigen Verlauf und dem Auftreten dieses Vorsitzenden nicht ausschließen, daß die Ablehnungsgesuche bald in einem SB II Befangenheit gesammelt werden.

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Verschobenes Urteil in Potsdam

VerschobenVor dem Landgericht Potsdam war heute großer Bahnhof. In dem abgetrennten Teil des so genannten „Pillendienst-Verfahrens“ gegen vier Angeklagte aus dem ersten Durchgang hatte das Gericht für heute einen (letzten) Termin angesetzt. Die Angeklagten sollten Gelegenheit bekommen, einer frischen und aufmerksamen Kammer die „letzten Worte“ mit in die Urteilsberatung zu geben. Danach sollte die Urteilsverkündung erfolgen – ein knappes Jahr nach dem (ersten) Start dieses Verfahrens.

Entsprechend dieser Vorankündigung waren zahlreiche Medienvertreter erschienen, teils mit schwerem Gerät zur Berichterstattung in der Abendschau. Auch Verteidiger, die in weiteren Verfahren aktiv sind, waren erschienen, um sich neue Munition für Ihre Mandanten abzuholen. Und dann das!

Das Gericht teilte mit, die zur Verfügung stehende Zeit habe nicht ausgereicht für die Vorberatung. Man stecke noch mittendrin in der Urteilsberatung und brauche noch etwas. Ursache sei aber nicht eine zu engagierte Terminsplanung gewesen. Sondern unerwartete Probleme (meint wohl: Anträge) aus der Verteidigerriege des Parallelverfahrens, in dem am morgigen Dienstag weiter verhandelt werden soll. Deswegen findet die Urteilsverkündung nun doch nicht heute, sondern erst am 14. Januar statt.

Selbstverständlich gab es enttäuschte Gesichter bei den Öffentlichkeitsarbeitern. Auch die Parallel-Verteidiger wären sicher nicht angereist, um sich die Reue-Vorträge der geständigen Angeklagten anzuhören. Aber auf diese Interessen muß eine Strafkammer keine Rücksicht nehmen.

Bedauernswert sind die Angeklagten. Seit einem Jahr leben sie mit der Ungewissheit, was am Ende aus der Justiz hinten rauskommt. Auch die – weit angereisten – Familienmitglieder hatten sich für ihre Partnerschaften Gewissheit erhofft. Nicht der Knast ist das Schlimmste, was die Jungs erwartet. Sondern die quälende Ungewissheit, die seit Monaten offene Frage, ob es doch noch eine bedingte Freiheitsstrafe gibt bzw. wie lange sie einfahren müssen.

Deswegen war der Beschluß, mit dem die Verhandlung ohne Urteilsverkündung unterbrochen wurde, das schlimmste aller denkbaren Ergebnisse des heutigen Tages. Das hätte das Gericht anders organsieren können, wenn es sich ein paar Gedanken über die Konzenquenzen einer solchen Entscheidung gemacht hätte.

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Bild: © Peter Smola / pixelio.de

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Überforderte Justiz in Brandenburg?

Brandenburgertor in PotsdamAn den Landgerichten des Landes Brandenburg werden zur Zeit ein paar größere Strafsachen verhandelt. In einem Verfahren vor dem Landgericht in Frankfurt (Oder) geht es um den mutmaßlichen Maskenmann. Wenn die Frankfurter Richter mit ihm fertig sind, können sie anschließend über den ehemaligen Betreiber des Hotels „Resort Schwielowsee“ (noch einmal) richten.

In Potsdam liefen im vergangenen Jahr gleich drei Prozesse um die so genannte „Pillenbande“; zwei davon werden das Gericht auch in 2015 beschäftigen. Parallel dazu hat dieselbe 5. Strafkammer des LG Potsdam auch noch mit dem ehemaligen Chef der Firma „Human Bio Sciences“ aus Luckenwalde zu tun.

Einen ausführlicheren Überblick über das Programm liefert Lisa Steger auf rbb-online. Sie beschreibt das (mühsame) „Ringen der Brandenburger Justiz mit Mammutverfahren“, das einen „Rückstau der Angeschuldigten“ ausgelöst habe.

Rabatt für Verzögerungen und Geständnisse
Die Gerichtsreporterin stellt fest, daß Verfahrensverzögerungen sich grundsätzlich günstig auf das Strafmaß auswirken. Als ein möglicher „Ausweg für lange Verfahren“ gelte der „Deal“ als Hilfsmittel, „einer Art Handel zwischen Justiz und Beschuldigten“. Grundlage für solche Abreden, die eine Umfangstrafsache beenden, zumindest aber verkürzen soll, ist das Geständnis des Angeklagten. Wenn er gesteht, gibt es einen Nachlaß.

Vermißte Reue
55469_web_R_by_Dieter Wendelken_pixelio.deFrau Steger kritisiert, wie einige Angeklagte mit diesem Handel umgehen. Sie vermißt ein wenig die von Ernsthaftigkeit getragene Reue. Es gibt reichlich strenge Formvorschriften seit August 2009 in der StPO, die Reue gehört indes (noch) nicht zu diesem Geständnishandel.

Vier Jahre nach Einführung der Handelsregeln, nämlich am 19. März 2013, hat der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts sich die Praxis der Gerichte angeschaut. Ihm lag ein Gutachten vor, das einer großen Zahl der deutschen Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte – eigentlich und aus objektiver Sicht – der Rechtsbeugung und Strafvereitelung attestierte; man hat sich schlicht über die gesetzlichen Dealregeln hinweg gesetzt und eigene Spielregeln praktiziert.

Teilweise werden die Geständnisse für Deals recht locker vorgetragen.

liest man in dem Beitrag über die „spektakulären Gerichtsfälle“ auf rbb-online über die Angeklagten. Das ist jedoch zulässig. Nicht zulässig ist aber das, was die Organe der Rechtspflege teilweise veranstaltet haben, um möglichst noch zu retten, was zu retten ist.

Schlampige Ermittlungen
Der Verteidiger des Angeklagten im „Maskenmann-Prozeß“, Rechtsanwalt Axel Weimann

… erklärte immer wieder, dass einseitig gegen seinen Mandanten ermittelt worden sei, und erhob Vorwürfe gegen die Polizei …

Der Verteidiger liegt allein aus statistischen Gründen sicherlich nicht daneben. Denn ein großer Teil der Strafprozesse wird heute praktisch von der Polizei geführt, bei den überlasteten Staatsanwaltschaften durchgewunken und von überforderten Gerichten in ausgedealten Verfahren dann irgendwie beendet. Ich empfinde es als ungeheuerlich, wenn erst das Bundesverfassungsgericht diese Richter „ernsthaft ermahnen“ muß, ihre Pflicht zu tun. Eine Justiz, die solche Zustände zuläßt, ist nicht akzeptabel.

Kostspielige Ermittlungen
Lisa Steger skizziert kurz die „äußerst kostspielige Ermittlungen“ gegen den „mutmaßliche Hintermann der Pillenbande“:

An seiner Ergreifung in Uruguay wirkten Behörden in Deutschland, Österreich, Rumänien, Tschechien, Spanien, Argentinien und eben Uruguay mit.

Ob die Ermittlungen tatsächlich teuer waren, geht aus den Akten nicht hervor. Wie auch sonst nichts darüber dokumentiert wurde, wie, ob und unter welchen gesetzlichen Voraussetzungen diese Auslieferung stattgefunden hat. Wenn auf diese Art und Weise ermittelt wurde, darf man sich nicht wundern, wenn am Ende aufgeräumt werden muß. Schlampige Ermittlungen, die von niemandem – außer in der Beweisaufnahme dann von den Verteidigern – kontrolliert wurden, sind eine wesentliche Ursache für „Mammutprozesse“.

Unzeitgemäße Ausstattung der Justiz
Eine weitere Ursache habe ich in der Vergangenheit hier – zum Leidwesen mancher gelangweilter Blogleser – bereits wiederholt benannt:

StA PotsdamDas sind die vorsintflutlichen Methoden, mit denen die Staatsanwaltschaft Potsdam immer noch „arbeitet“. Wer in einer Cybercrime-Sache nicht mit adäquaten Arbeitsmitteln ausgestattet ist, muß sich den Vorwurf gefallen lassen, maßlos überfordert zu sein. Auf die Kostenaspekte dieser Rückständigkeit sei hier nur am Rande hingewiesen.
 

Leidtragende Richter
Ausbaden müssen das zum einen die Richter. Die Staatsanwälte haben palettenweise die Aktenkartons bei der Strafkammer abgeladen und sitzen während des weiteren Verfahrens mit filmdünnen Handakten entspannt zurückgelehnt auf bequemen Schaukelstühlen im Gerichtssaal. Die Richter schreiben „Überlastungsanzeigen“, damit sie nicht noch mit weiteren Verfahren zugeballert werden. Und ärgern sich über Anträge, die die Verteidiger stellen müssen, weil die Angeklagten das Recht auf Verteidiger haben, die ausschließlich ihre und nicht heimlich die Interessen der Justiz vertreten.

Genötigter Angeklagte
Und dann waren da noch die Angeklagten. Die reisen jetzt auf eigene Kosten aus Thüringen und Hessen nach Potsdam. Zweimal pro Woche, bisher geplant bis Ende März. Wie es danach mit dem Broterwerb aussieht, mag sich jeder leicht vorstellen, der einen Arbeitsplatz hat.

Und was macht ein solcher Angeklagter dann, wenn ihm ein solchermaßen überforderter Richter ein Angebot macht: Geständnis gegen ein kurzfristiges Ende des Verfahrens? Wie reagiert ein Berufstätiger auf den Vorschlag: Entweder Du verzichtest auf Deine Rechte und legst ein Geständnis ab, oder wir verhandeln bis in den Sommer? 2016 wohlgemerkt!

Schweigen als Trumpfkarte?
654040_web_R_B_by_Hans-Joachim Schüngeler_pixelio.deIst es wirklich die „Trumpfkarte im Ärmel“, von der Frau Steger spricht, wenn ein Angeklagter sich durch Schweigen verteidigt? Oder ist das der Schuß ins eigene Knie?

Die Selbstverstümmelung erscheint unter den genannten Voraussetzungen – insbesondere in Brandenburg – als die derzeit einzige Möglichkeit, sich nicht der Rechtlosigkeit zu ergeben, die entstanden ist, ja entstehen mußte, weil die armselige Justiz nicht mit Personen und Sachmitteln in notwendigem Umfang ausgestattet ist und wird.

Was nützt dem Angeklagten der Joker, wenn es am Ende heißt:

Operation gelungen / Verteidigung erfolgreich – Patient tot / Existenz vernichtet.

Zu den im Zusammenhang mit diesem Beitrag stehenden Themen „U-Haft schafft Rechtskraft“ und „Aussageerpressung“ schreibe später noch einen kleinen Besinnungsaufsatz. Dann das sind „Argumente“, die der Brandenburger Justiz im Ringkampf mit Mammutverfahren entscheidende Vorteile liefern.

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Bild Tor: Petra Schmidt / pixelio.de
Bild Hund: Dieter Wendelken / pixelio.de
Bild Joker: Hans-Joachim Schüngeler / pixelio.de
Bild Geschäftsstelle: shorpy.com

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Aktenführung in Sachsen-Anhalt

In einer sehr umfangreichen Steuerstrafsache ging es los mit Feststellungen der Veranlassungsstelle beim Finanzamt Halle. Dort sammelte man säckeweise Informationen, die nun auf den Weg zur

Steuerfahndungsstelle im Hause

gebracht werden müssen. Und weil Halle einerseits nicht in Brandenburg liegt und es andererseits um viel, ernsthaft viel Geld geht muß es schnell gehen. Und schnell geht so:

Gescannte Akten im Transferlaufwerk

Einscannen, DVD brennen, ins Transferlaufwerk und ab damit. Binnen weniger Sekunden sind die Ergebnisse der Ermittlungen gegen nahezu einem Dutzend Personen und Firmen dort, wo sie hingehören.

Und nach der Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktion der örtlich zuständigen Ermittlungsbehörde, liegen die Akten, säuberlich sortiert und auf einen Silberling gebrannt, auf dem Tisch der leitenden Staatsanwältin. Vor dort aus bis zur Akteneinsicht per DVD-Kopie durch die Verteidigung hat’s dann nochmal eine knappe halbe Stunde gedauert. Kosten für die Landeskasse: 2,50 Euro für 18 Band Akten mit insgesamt 634 MByte Daten. Geht doch …

In dem Verfahren vor dem Landgericht Potsdam habe ich im September 2014 Akteneinsicht beantragt und bis heute noch nicht vollständig erhalten. Geht nicht …

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Potsdamer Postkutsche

In laufenden Ablehnungs- und Haftverfahren ist Eile geboten. Das Gericht hatte deswegen per Fax eine Stellungnahme übermittelt, auf die der Verteidiger noch vor Ablauf der gesetzten Frist reagiert hat. Auch per Fax an die auf dem Briefkopf der 5 Großen Strafkammer angegebene Faxnummer:

Potsdamer Faxnummern

Trotzdem wurde diese eilige Reaktion vom Gericht mehr nicht berücksichtigt. Nicht, weil die Richter böswillig ihre Augen und Ohren verschlossen haben. Sondern weil es bei einer Wirtschaftsstrafkammer in Potsdam eben fast 7 3/4 Stunden braucht, bis das beim Gericht eingegangene(!) Fax auf dem Tisch des zuständigen Richters kommt:

Potsdamer Erklärungen

Man könnte die Laufzeit aber auch als verdammt schnell bezeichnen. Wenn man als Maßstab die Zeit nimmt, die eine Postkutsche von Braunschweig nach Potsdam benötigt.

Die Faxnummer der Geschäftsstelle wird nur auf besondere Anfrage mitgeteilt (wenn man weiß, daß man erst fragen muß) – Faxnummern als Bückware sozusagen. Eine Korrespondenz per eMail ist der Potsdamer Justiz noch nicht bekannt.

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Es geht voran!

102146_web_R_B_by_Helene Souza_pixelio.deIn einer Agenturmeldung war heute zu lesen, daß der „Prozess gegen mutmaßlichen Pillenbanden-Chef […] nicht voran [kommt]“ und „auf der Stelle tritt„. Ursache dafür seien „diverse Anträge der Verteidigung„.

So einfach isses aber nicht. Diese „diversen Anträge“ sind notwendige Aktivitäten der Verteidigung, die dazu beizutragen, daß die Angeklagten ein rechtsordnungsgemäßes Verfahren bekommen. Und weil es eben Ausschlußfristen gibt, die der Gesetzgeber und die Rechtsprechung vorgesehen haben, müssen die Anträge gleich zu Beginn eines Verfahren gestellt werden.

Wenn also geklärt werden muß,

  • ob die Richter befangen sind, weil sie „vorbefaßt“ sind, weil sie mit den parallel geführten Verfahren durcheinander geraten und weil sie sich einer unangemessenen Ausdrucksweise bedienen,
  • ob den Verteidigern rechtzeitig Akteneinsicht gewährt wurde, damit sich sich auf ihre Arbeit genauso gut vorbereiten konnten wie Staatsanwaltschaft und Gericht,
  • ob das Gericht – Berufsrichter und Schöffen – richtig besetzt wurde und die Verteidiger (rechtzeitig) die Gelegenheit bekommen haben, das zu prüfen,
  • ob die richtige Partei als Nebenkläger am Katzentisch der Staatsanwaltschaft Platz genommen hat,

dann zieht es sich eben.

Nicht die Verteidiger, sondern die Richter haben Anlaß zu diesen notwendig gewordenen Überprüfungen gegeben. Die Verteidiger haben den Spruchkörper nicht als „Haufen“ bezeichnet, sie haben auch nicht mehrere Mandanten in ein- und demselben Sachverhalt verteidigt. Und wenn die Verteidigung ein halbes Dutzend mal die Akteneinsicht beantragt und diese nicht gewährt wird, muß das eben zu Beginn des Verfahrens thematisiert werden. Ebenso darf nicht hingenommen werden, daß die Überprüfung der Gerichtsbesetzung durch Zuständigkeitsabstreitungsausreden vereitelt wird.

Erst durch die Anträge der Verteidigung kam das Verfahren in einer rechtsstaatlich vertretbaren Form in Gang. Es kann nicht im Interesse der Justiz (und der dpa) liegen, einen kurzen und kafkaesken Prozeß durchzuprügeln.

Die dpa vermeldet, es sei strittig, unter welchen Umständen der Hauptangeklagte verhaftet wurde. Nein, das ist nicht strittig, sondern schlicht unbekannt!

Weil diese Potsdamer Staatsanwaltschaft es nicht geschafft hat, eine saubere Dokumentation des Auslieferungsverfahrens abzuliefern. Wenn denn der Sitzungsvertreter dieses unorganisierten Haufens gelangweilt vorträgt, man habe alles, was vorliegt an das Gericht abgegeben und in diesem Haufen Akten kein Auslieferungsbeschluß und auch sonst nichts Handfestes dazu zu finden ist, dann trägt nicht die Verteidigung die Verantwortung dafür, daß die Anklage nicht verlesen werden kann. Solange nicht geklärt ist, was dem ausgelieferten Angeklagten hier in Deutschland überhaupt vorgeworfen werden darf, muß der staatsanwaltliche Schlipsträger eben warten, bis er den Vorleser geben kann.

Die Verteidigung zweifelt an, dass die Auslieferung rechtmäßig war. Dies wollen die Potsdamer Richter nun prüfen.

Das ist schief. Diese Prüfung ist nicht „freiwillig“ von dem Potsdamer Richter gewollt, sondern von den Braunschweiger Verteidigern beantragt und durchgesetzt. Ohne den Antrag des Verteidigers wäre es der Staatsanwaltschaft nicht nur ermöglicht worden, während des Auslieferungsverfahrern herumzubasteln, statt die Spielregeln einer sauberer internationalen Zusammenarbeit der nationalen Justizbehörden zu beachten. Sondern dieses Herumgebastel wäre dann auch noch die Basis des gesamten Verfahrens geworden.

Es ist die vornehme Aufgabe eines Verteidigers, darauf zu achten, daß alles mit rechten Dingen zugeht. Und je mehr Unfug vor dem ersten Hauptverhandlungstermin gemacht wurde, desto länger dauert es eben, bis auch die dpa schreiben kann:

Keine Atempause, Prozesse wer’n gemacht. Es geht voran!

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Bild: Helene Souza / pixelio.de

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Ein kurzes Vergnügen

542050_web_R_K_B_by_daniel stricker_pixelio.deDie angetretenen Medienvertreter waren enttäuscht. Dabei ließ es sich gut an, als der Vorsitzende die fünf Angeklagten und ihre Verteidiger begrüßte. Denn einer der Angeklagten hatte mehrere Namen, mit denen er unterwegs war. Nichts Verbotenes, aber etwas mit Unterhaltungswert.

Und statt, daß die Angeklagten und die Verteidigungen nun die Verlesung der knapp 500 Seiten langen Anklageschrift (naja, geschenkt; vorgelesen wird ja nicht alles) über sich ergehen lassen, habe ich ein 7 Seiten langes Schriftstück zu diesem Thema hier vorgelesen. Damit war die Gerichtsshow für die Zuhörer schon wieder beendet.

Über weitere Einzelheiten berichtet Lisa Steger auf rbb-online.

Ärgerlich an dem (Medien-)Auftakt ist aber das (zusammengeschnittene?) Interview des Gerichtssprechers (ab Minute 1:40 beginnt der Bericht des RBB), der von meiner Vorlesung offenbar nur herzlich wenig mitbekommen hat.

Natürlich ist der „kriminelle Haufen“ den ich unter anderem kritisiert habe, spektakulär. Aber die eigentlichen und gewichtigen Probleme, die ich thematisiert habe, nämlich die Vor- und Parallelbefassung des Vorsitzenden Richters in dieser Sache, scheinen – wenn ich mir den Zusammenschnitt des Interviews anschaue – irgendwie bei Frank Tiemann nicht angekommen zu sein.

Und noch einmal, zur Fortbildung:

In einem Ablehnungsgesuch (vulgo: Befangenheitsantrag) geht es nicht um den Nachweis der Voreingenommenheit. Entscheidend ist allein und schon die Besorgnis der Befangenheit:

Es kann dahingestellt bleiben, ob der abgelehnte Richter im Grunde tatsächlich befangen ist.

Das hat bereits 1967 das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 21, 146) erkannt und festgeschrieben.

Daher ist die Ablehnung schon begründet, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Es ist also nicht erforderlich, daß der Richter in der Tat parteilich oder befangen ist.

Es geht in diesem Ablehnungsgesuch um folgende Fragen (die ich teilweise bereits hier zur Diskussion gestellt hatte):

  • Ist ein Gesetz in ein und demselben Lebenssachverhalt einmal anwendbar, ein anderes Mal nicht?
  • Was darf ein Richter durcheinander bringen und was nicht?
  • Sind Menschen durchnumerierte Bestandteile eines Haufens?

Sicher, die letzte Frage ist die eingängigste. Viel problematischer – jedenfalls für uns Strafjuristen – sind aber die Fragen der Vorbefaßtheit.

Stellen wir jedoch auf den vernünftigen Angeklagten ab, den das Bundesverfassungsgericht (BVerfG E 32; 288 (290) ; BGHSt 24, 336 (338)) im Blick hatte:

Es kommt entscheidend darauf an, ob der den Richter ablehnende Angeklagte bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit, d.h. an der objektiven und zu allen Verfahrensbeteiligten Distanz wahrenden Einstellung des abgelehnten Richters innerhalb des vorliegenden Verfahrens zu zweifeln

In meiner kleinen (nach den knackigen Regeln der Statistiker sicherlich angreifbaren) Umfrage vertreten rund 70 Prozent der über 500 abgegebenen Stimmen den Standpunkt, daß hier (mindestens) ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen.

Unter anderem kritisiert die Verteidigung, dass er sich in einem Parallelverfahren abschätzig gegenüber Bandenmitgliedern geäußert und sie als „kriminellen Haufen“ bezeichnet habe. Außerdem sei [der Vorsitzende Richter] nicht mehr unvoreingenommen, weil er in zwei weiteren Verfahren gegen andere Bandenmitglieder sich bereits eine Meinung gebildet habe, erklärte ein Verteidiger.

So faßt – einigermaßen zutreffend – die dpa/ap (via Springerpresse) die Knackpunkte des Ablehnungsgesuches zusammen.

Das Ergebnis des nun laufenden Ablehnungsverfahrens wird keine Überraschungen bringen (was auch einer weiteren flapsigen, aber bestimmt nur gut gemeinten Bemerkung des abgelehnten Richters zu entnehmen war).

Oder vielleicht doch? Nutzt das Gericht diesmal die Möglichkeit, dem Volk, in dessen Namen irgendwann einmal ein Urteil ergehen soll, zu erklären, warum der Vorsitzende Richter am Landgericht immer noch vollkommen gerecht, von jeder falschen Rücksicht freie Einstellung zur Sache, neutral und gegenüber allen Verfahrensbeteiligten distanziert urteilten kann. Die Chance hätte das Gericht nach meinem Antrag:

eine Ablehnungsverhandlung stattfinden zu lassen und erst nach mündlicher Verhandlung zu entscheiden.

Aber dazu gehört Mut.

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Bild: Daniel Stricker / pixelio.de

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Digitale Aktensicht in 1.360 Jahren

Ich habe eine ganze Menge zu meckern, in dem Verfahren, das die Staatsanwaltschaft Augsburg gegen meinen Mandanten führt. Aber die Rechte der Verteidigung werden dort nicht nur respektiert, sondern – in gewissen Grenzen – auch erheblich gefördert.

Gegen einen Haftbefehl habe ich Beschwerde eingelegt, die ich nur rudimentär begründen konnte. Für die weitere Begründung habe ich am 20.11.2014 per Fax um ergänzende Akteneinsicht gebeten. Keine 24 Stunden später erhalte ich dieses Fax aus der Fuggerstadt:

StA Augsburg

Das nenne ich mal flotte Installationsvoraussetzung für die Gewährung rechtlichen Gehörs. Besten Dank insoweit nach Bayerisch-Schwaben.

Diese Geschwindigkeit dürfte wohl an dem Alter (und die Erfahrung) von Augusta Vindelicorum liegen. Das bedeutet aber dann sicher auch, daß andere Städte, die erst im Mittelalter gegründet wurden, noch einen langen Weg vor sich haben. Wenn meine Vermutung zutrifft, dann dürfte es noch 1.360 Jahre(*) dauern, bis die Potsdamer Staatsanwaltschaft Akteneinsichten binnen Tagesfrist auf CD gewähren kann.


(*) Gründungsjahr Augsburgs: 15 v. Chr; 1345 n.Chr. erhielt Potsdam das Stadtrecht

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Akteneinsicht – die Hoffnung stirbt zuletzt

297450_web_R_K_B_by_Jerzy_pixelio.deDas Gericht hat mir die Anklageschrift im Juli 2014 zugestellt. Damit begann für meinen Mandanten das Zwischenverfahren, in dem nicht mehr die Staatsanwaltschaft auf den Akten sitzt, sondern die Strafkammer.

Vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen mit der Aktenführung der Staatsanwaltschaft und dem Unvermögen, die Verteidigung mit den notwenigen Informationen zu versorgen, hatte ich die Hoffung: Es kann nur besser werden.

Diese Hoffnung habe ich am 4. September 2014 in einen Akteneinsichtsantrag gegossen, den ich an das Landgericht geschickt habe. Seitdem habe ich noch ein paar Mal an diesen Antrag erinnert. Nun steht der Start des Verfahrens fest: Am 5. Dezember 2014 soll es losgehen. Akteneinsicht hat mir das Gericht bisher noch nicht gewährt.

Jetzt aber hat es geklappt. Jedenfalls teilweise. Auf meine Bitte: „Ich will alles!“ bekam ich ebenso knapp die Antwort: „Sie kriegen aber nicht alles!“. Nun, diese Diskussion haben auch schon andere Verteidiger mit anderen Gerichten geführt, das sieht nun jedoch nach einer Fortsetzung beim 5. Senat aus.

Aber quasi als Vorschuß auf den § 147 StPO gewährt man mir Einsicht in 34 Bände der aus mehr als 100 Bänden (die genaue Anzahl werde ich hiermit ermitteln können) der Akte. Und weil das Gericht es sehr eilig hat – schließlich beginnt das Verfahren ja in 2 Wochen – müssen die geschätzt 14.000 Blatt auch schnell – binnen dreier Tage – wieder zurück zum Gericht:

Akteneinsicht für 3 Tage

Das sieht irgendwie nicht danach aus, als wenn das Gericht darauf aus ist, einen konfliktfreien Start in eine entspannte und umfangreiche Beweisaufnahme zu planen.

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Bild: Jerzy / pixelio.de

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