Rechtsanwälte

Das Eigentor des Wirtschaftsrechtlers

ErmittlungsAktendeckelDie GmbH in der Krise ist ein Standardproblem in der wirtschaftsrechtlichen Beratung. Die Geschäftsführer holen sich kompetenten Rat in einer Wirtschaftskanzlei ein. Der Fachanwalt für Steuerrecht berät eigentlich kompetent, kann aber die Einleitung eines Insolvenz-Strafverfahrens nicht verhindern.

Also:
Neues Mandat – jetzt nicht mehr als Wirtschaftsrechtler, sondern als Strafverteidiger. Sowas muß schiefgehen.

Konsequent war daher hier die Arbeit auch nicht erfolgreich: Das Ermittlungsverfahren wurde nicht – wie per Fax vorab inkl. beglaubigter Abschrift beantragt – eingestellt. Im Gegenteil:

Steuerrechtliche Beratung

Es ist eine Sache,
den Jahresabschluß verspätet zu erstellen. Eine GmbH ist zur Einhaltung einer „einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entsprechenden Zeit“ verpflichtet (§ 243 HGB). Kapitalgesellschaften haben für Jahresabschlüsse drei bzw. sechs Monate Zeit (§ 264 Abs 1 S 2, S 3 HGB, § 267 HGB). Die längeren steuerrechtlichen Pflichten sind unbeachtlich – was ein häufig anzutreffender Beratungsfehler (der Zivilisten!) ist. In der Krise sind Bilanzen und Inventar jedoch unverzüglich aufzustellen(*).

In der Regel Praxis einer gesunden Gesellschft spielt eine verspätete Erstellung keine Rolle, weil und wenn sie schlicht nicht entdeckt wird.

Eine andere Sache ist es,
als ungeübter Verteidiger der Strafverfolgungsbehörde die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 283 Abs. 1 Nr. 7b StGB quasi frei Haus zu liefern, der die Strafbarkeit der verspäteten Abschlußerstellung unter Strafe stellt.

Die Wirtschaftskanzlei hatte ihren Verteidigungsschriften jeweils den Jahresabschluß der Gesellschaft für 2009 beigefügt, den der Steuerberater erst in der zweiten Hälfte des September 2010 erstellt hat.

Da hat ein auch nur mittelmäßig aufmerksamer Staatsanwalt keine Chance: Er muß einen neuen Deckel anlegen.

Ich traue mir die wirtschaftsrechtliche Beratung einer kriselnden GmbH nicht zu. Deswegen packe ich solche Sachen nicht an und vermittele kompetente Kollegen, die sich damit auskennen. Wenn der Wirtschaftsrechtler im umgekehrten Fall die Finger von der Strafverteidigung gelassen hätte, wäre hier ein (weiteres) Strafverfahren locker vermeidbar gewesen. Jetzt sind die Türen zum § 153a StPO und sehr wahrscheinlich auch zum Strafbefehlsverfahren verschlossen.

Mein Rat also:
Auch die zivilrechtlichen Schuster sollten bei ihren Leisten bleiben.

(*): Für die Studenten unter unseren Lesern: Fischer StGB § 283 Rn 29; NK-StGB/Kindhäuser StGB § 283 Rn 85; Schönke/Schröder/Heine/Schuster StGB § 283 Rn 45

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Obiter dictum: Der Fachanwalts-Ausschluß bei der RAK Berlin

SchlafmützeDer Beitrag über den neuen Fachanwaltstitel unseres Kollegen Thomas Kümmerle hat ein Obiter Dictum verdient.

Zu den hohen Hürden, die ein Aspirant auf den Fachanwaltstitel zu überwinden hat, gehört auch das Vergabe-Verfahren. Die Kollegen bei der Rechtsanwaltskammer (RAK), also die, die in diesem Fachanwaltsausschuß sitzen, prüfen, ob ein Anwalt die Voraussetzungen für den Titel erfüllt hat. Das ist ja auch erstmal gut so und in aller Regel sind das ja auch ganz proppere Mädels und Jungs.

Im Fall von Thomas Kümmerle aber haben diese Herr- und Frauschaften, jedenfalls einer von ihnen, es geschafft, fast acht (in Worten: 8) Monate über seinem Antrag zu brüten. Nicht, daß da irgendwas Außergewöhnliches dran gewesen wäre. Alles so, wie die Bedienungsanleitung (pdf) es vorschreibt. Schließlich haben wir in unserer Kanzlei diese Art von Listen schon dreimal abgearbeitet. Und wir sind – zumindest dem Vorsitzenden des Ausschusses – dafür bekannt, daß wir hier nicht rummauscheln.

Deswegen:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Ihr es nicht schafft, Euch um diese Aufgaben in der Kammer zu kümmern, die ihr übernommen habt: Sagt doch einfach Bescheid, wenn Ihr statt des spröden Aktenstudiums lieber Bier trinken oder Party machen wollt. Ist doch nicht schlimm. Ich komme dann mit.

Übrigens:
Wir lassen uns gern mal einladen. So als kleine Entschädigung, dachten wir, vielleicht? Ja?

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Bild: © Petra Schmidt / pixelio.de

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Beschleunigte Bearbeitung

Die Rechtsnormen, die den bedauernswerten Jurastudenten die meisten schlaflosen Nächte bereiten, sind Gegenstand einer Wirtschaftsstrafsache, in der ich seit vergangem Jahr unterwegs bin: Untreue, Unterschlagung, Betrug und Urkundenfälschung.

Anno Domini 2013
Es begann mit einer Strafanzeige, die eine zivilrechtlich ausgerichtete Kanzlei für zwei angeblich Geschädigte geschrieben hat. Das sauber geschnürte Paket mit Anlagen und allem Pipapo erreichte die Staatsanwaltschaft am 20. des Monats. Den Zivilisten ging es dabei besonders um die Sicherung des extrem flüchtigen Vermögens, also um Bankguthaben und Bargeld.

Acht Tage später, am 28. des Monats, verfügte der zuständige Staatsanwalt die Einleitung des Ermittlungsverfahrens:

Einleitungsvermerk

Weitere sieben Tage später hatte Herr KOK beim LKA die Akte dort angelegt.

Knapp einen Monat nach der Anzeige schrieb die Kanzlei noch einmal an die Staatsanwaltschaft:

Nachschlag

Zwei Monate nach der Anzeige bat der Staatsanwalt die Banken gem. § 161a StPO um allerlei Auskünfte, u.a. über die Kontenstände.

Anno Domini 2014
Es dauerte eine weitere Woche, bis das Amtsgericht einen Durchsuchungsbeschluß erlassen hat. Der aber der Ergänzung bedurfte. Das hat dann weitere zwei Monate später auch geklappt. Mittlerweile waren vier Monate seit der Strafanzeige ins Land gegangen.

Aber dann gings endlich los. Also um ziemlich genau zu sein, drei Monate, nachdem der Durchsuchungsbeschluß ergänzt wurde, sollte es losgehen. Der Beschluß wurde vollstreckt! An der Adresse, die der Anzeigeerstatter gut sieben Monate vorher mitgeteilt hatte. Und die der KOK beim LKA (siehe oben) bestätigen konnte. Damals jedenfalls.

Als die Durchsuchungskommision an der Adresse klingelte, öffneten verdutze Menschen, die zwei Wochen zuvor in die Wohnung eingezogen waren. Sie hatten die gut gepflegte Wohnung von einem befreundeten Paar übernommen, das insgesamt nur zwei, drei Monate dort gewohnt hatte.

Im Protokoll der traurigen Beamten war zu lesen:

Unbekannt verzogen

Nach nur zwei weiteren Monaten fand dann ein weiterer Versuch statt, den erneut geänderten Durchsuchungsbeschluß zu vollstrecken. Diesmal mit Erfolg! Man hatte die richtige Adresse. Und die Durchsuchungsbeamten konnten etwas finden, das so aussah, als könnte man es für das weitere Ermittlungsverfahren gebrauchen:

Beschlagnahmt

Die Ausbeute, neun Monate nach der Strafanzeige: Drei filmdünne Briefumschläge.

Dann war da noch ein Brief der Staatsanwaltschaft an die Kanzlei der Geschädigten:

Urlaub

Anno Domini 2015
Ich hatte bereits einmal Akteneinsicht für den Beschuldigten erhalten. Vor einem halben Jahr. Da waren die Ermittlungen noch nicht soweit fortgeschritten, daß ich eine Verteidigungsschrift hätte zur Akte reichen können.

Anno Domini 2016
Jetzt, 2 1/2 Jahre nach der Strafanzeige, habe ich noch einmal um ergänzende Akteneinsicht nachgesucht. Mal schauen, ob sich zwischenzeitlich etwas Neues ergeben hat.

Liebe Zivilrechtler.
Die Strafanzeige war handwerklich sauber, sachlich fundiert, vollständig und vor allem: vollkommen frei von irgendwelchen übertriebenen Emotionen. Einfach nur gut. Auch aus der Sicht eines Strafverteidigers.

Aber:
Die Staatsanwaltschaft ist in Wirtschaftsstrafsachen der denkbar ungeeigneteste Ansprechpartner, wenn es um die Sicherung von Vermögenswerten geht. Das zu belegen, war der Sinn dieses epischen Blogbeitrags.

Und was passiert jetzt?
Irgendwann – vielleicht noch in diesem Jahrzehnt – wird Anklage erhoben, der Beschuldigte wird dann Jahre später rechtskräftig verurteilt; es ist nicht auszuschließen, daß es sogar eine unbedingte Freiheitsstrafe wird (aber nur, wenn ich als Strafverteidiger nicht aufpasse). Was das für die Vermögenswerte Eurer Mandanten bedeutet, muß ich nicht weiter ausführen.

Laßt Euch einfach etwas anderes einfallen, wenn Ihr im Auftrag Eurer Mandanten veruntreutes oder unterschlagenes Vermögen für sie zurückholen wollt. Vielleicht solltet Ihr dazu mal einen Strafverteidiger fragen, wie deren Mandanten so einen Job erfolgreich erledigen … Strafanzeigen jedenfalls gehören nicht zu deren Repertoire.

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Anwalt in den Knast

JVA Oldenburg

JVA Oldenburg

Haftstrafe für ehemaligen Rechtsanwalt. So lautet die Überschrift der Pressemeldung des Oberlandesgericht Oldenburg vom 04. Februar 2015.
 
Berichtet wird von einem Verfahrensgang, an dessen Ende sich ein (ehemaliger) Rechtsanwalt eine nun rechtskräftig Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten eingehandelt hat.
 
Der Pressemitteilung ist nicht zu entnehmen, ob er sich hat verteidigen lassen oder nicht. Bekannt ist aber, daß es eine umfangreiche Beweisaufnahme gegeben hat; die Ursache dafür war vermutlich, daß der angeklagte Rechtsanwalt die ihm zur Last gelegten Taten bestritten hat.
 
Ich kenne nun die Akten nicht und war auch nicht im Saal. Aber bei diesem Strafmaß von „Zwei-Neun“, auch wenn es anfangs noch „Drei-Vier“ waren, wäre zu überlegen, ob es bei einer geständigen Einlassung und einer (beginnenden) Schadenswiedergutmachung noch für eine glatte „Zwei“ gereicht hätte.
 
Das hätte dem Anwalt zwar auch die Lizenz gekostet, aber dann wäre zumindest noch eine Strafaussetzung zur Bewährung möglich gewesen, § 56 StGB.
 
Aber nun wird der Verurteilte erst einmal entsozialisiert, verbunden mit der Hoffnung, ihn dadurch wieder zu resozialisieren.
 
 
Dank an die Rechtskanzlei Dr. Brucker, bei der ich den Hinweis auf die Entscheidung gefunden habe.

Es gibt solche und solche…

Posted by Rechtskanzlei Dr. Brucker – Advokat 2.0 on Freitag, 5. Februar 2016

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Bild oben: © Ingo Büsing / pixelio.de

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Zivilisten unter sich

In einer weltbewegenden Verkehrsunfallsache vor dem Amtsgericht Mitte kam gestern Abend der ultimative Schriftsatz einer mit fünf hochqualifizierten Rechts- und Fachanwälten (alles Zivilrechtler) besetzten Kanzlei.

Zivilisten

Ist das nicht grausam, was diese armen Menschen sich da gegenseitig antun?

Hier noch sowas, aus derselben Kanzlei:

50von20

Ich bin heilfroh, daß ich mit diesem Kindergarten seit Jahrzehnten nichts mehr zu schaffen habe. Wegen 12,95 Euro ans Gericht zu schreiben, einfache und beglaubigte Abschriften an die Gegenseite?? Warum gehen die nicht einfach irgendwo in einer netten Neuköllner Eckkneipe ein paar Bier miteinander trinken. Das wäre intellektuell allemal anspruchsvoller, als so ein Zeug zu schreiben.

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Die Abmahnung des Cold Callers

Der Held am TelefonSo macht man das richtig: Erst nervt man die Leute mit unerwünschter Werbung via Telefonanruf. Und wenn die sich dann in adäquater Form wehren, jault man auf. Ein solches Gebahren ist mir aus langen Jahren bekannt, in denen wir noch selbst die Spammer abgemahnt und gerichtlich auf Unterlassung in Anspruch genommen haben.

Mittlerweile beauftragen wir den Kollegen Bert Handschumacher mit der professionellen Abwehr dieser Nervensägen. Wie auch diesmal, nachdem uns ein Cold Caller eine Anwaltssoftware am Telefon aufschwätzen wollte.

Was bisher geschah, habe ich am 4.12.2015 in einem Beitrag über die Einstweilige Verfügung gegen Cold Caller zusammen gefaßt. Ein Mitarbeiter der Rummel AG wollte uns WinMACS, eine Anwaltssoftware, … naja … empfehlen, weil er dachte, wir würden sie brauchen und dieser Gedanke rechtfertige es, uns von der Arbeit zu abzuhalten.

Unsere Reaktion …

  • Abmahnung
  • Einstweilige Verfügung
  • Blogbeitrag

… auf diesen rechtswidrigen Eingriff in unseren Kanzleibetrieb gefällt dem Anrufer bzw. dem Anbieter (die Rummel AG) der Anwaltssoft (WinMACS) nicht.

Das ist nachvollziehbar, aber beabsichtigt.

Interessant ist nun die Variante, wie die Rummel AG den Ball aufnimmt: Sie beauftragt ihrerseits eine Kanzlei für Wirtschaftsrecht aus Nürnberg. Von diesen Kollegen habe ich heute ein „Einschreiben/Rückschein vorab per Telefax“ erhalten. In diesem gut dreiseitigen, handwerklich sauber erstellten Schriftsatz erklärt mir die Kollegin, Fachanwältin für gewerblichen Rechtsschutz, was ich nicht machen darf.

Nämlich:

… die von der Gläubigerin [damit ist die cold calling Rummel AG gemeint] an den Schuldner [das bin ich] am 23.11.2015 um 9:50 Uhr gesandte E-Mail und/oder den vom Schuldner gegen die Gläublgerin erwirkten Verfügungsbeschluss des Landgerichtes Berlin vom 27.11.2015, Az.: 150533/15 zu veröffentlichen und/oder veröffentlichen zu lassen, ohne dabei jeweils alle die Gläubigerin individualisierbar machende Angaben zu schwärzen.

Im Klartext heißt das: Die gewerblich rechtschützende Kollegin vertritt die Ansicht, die Veröffentlichung eines Gerichtsentscheids, in dem Roß und Reiter benannt werden, sei verboten. Na gut, das ist Zivilrecht, damit kenne ich mich nicht so aus. Interessiert mich eigentlich auch nicht weiter.

Mir kam und kommt es darauf an, auf diesem Weg aufzuzeigen, welche Konsequenzen diese Unverschämtheit, sich anzumaßen, mir unerwünschte Werbung auf’s Auge drücken zu wollen, haben kann.

Die Werbung via Telefon ist extrem belästigend und man kann sich nur selten effektiv dagegen wehren. Ich bin mir aber sehr sicher, zumindest die Geschäftsführung der Rummel AG hat sich spätestens jetzt einmal über die Rechtslage informiert. Und wird zum Schluß gekommen sein: Cold Calls sind unzulässig. Und – als Strafverteidiger bin ich Berufsoptimist – das werden sich bestimmt auch andere Werbetreibende zumindest in Bezug auf unsere Kanzlei merken.

Die Rummel AG hat mich nun aufgefordert, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Dazu hat sie mir über ihre Anwältin eine Frist bis zum 17.12.2015 gegeben. Da bleibt mir ja noch ausreichend Zeit, mich kompetent beraten zu lassen, und dann eine Entscheidung zu treffen.

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Bild: © clickhero.de / pixelio.de

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Rohrkrepierender Anwaltsfluchhafen

Hat sich eigentlich noch niemand gewundert? Über die Ähnlichkeit zweier Abkürzungen? Ok, dann sprechen Sie mir mal nach:

  • BER
  • beA

Und? Klingelt’s? Nein? Nun, dann noch ein Hinweis:

  • Was hat also der Berliner Fluchhafen mit dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) zu tun?

Na? Keine Idee?

Dann lesen Sie doch mal diese Presseerklärung Nr. 20 v. 26.11.2015 der Bundesrechtsanwaltskammer

beA kommt später

BRAK verschiebt Starttermin für besonderes elektronisches Anwaltspostfach

Das Präsidium der Bundesrechtsanwaltskammer hat beschlossen, das besondere elektronische Anwaltspostfach nicht wie vorgesehen am 01.01.2016 zu starten. Grund dafür ist die bisher nicht ausreichende Qualität des beA in Bezug auf die Nutzerfreundlichkeit. Sie entspricht noch nicht den hohen Erwartungen, die sich die Kammer selbst gestellt hat.

Kann es sein, daß da irgendjemand ein paar Brandschutztüren verkehrt herum in das Postfach programmiert hat.

Die BRAK verhandelt jetzt mit Atos, dem mit der Entwicklung des beA beauftragten Unternehmen, über einen neuen Projektplan, aus dem sich auch ein neuer Starttermin ergibt.

Diesen Satz habe ich so ungefähr vor ein paar Jahren schon einmal gehört. Wo war das bloß?

Das Datum wird dann auf der speziell zum beA eingerichteten Internetseite der BRAK (http://bea.brak.de) veröffentlicht.

Neuer Termin von Amts wegen. Wenn das mal gut geht …

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Keine Überraschung, aber keine Drohung im #NSU-Prozeß

Medienberichte zufolge will Frau Zschäpe sich doch noch – über ihren (neuen) Verteidiger – zu den Anklagevorwürfen einlassen. Das scheint mir – als Außenstehender und soweit ich das Verfahren verfolgt habe – nun keine große überraschende Entwicklung zu sein.

Bemerkenswert in der heutigen Agenturmeldung (zitiert aus der Zeit Online) ist allerdings das folgende Zitat:

Zschäpe hatte gegenüber dem Richter bereits mehrfach angekündigt, aussagen zu wollen. Ihre Anwälte hatten ihr davon abgeraten und laut Zschäpe mit der Niederlegung ihres Mandates gedroht, sollte sie sich zu den Vorwürfen äußern.

Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Kollegen Sturm, Heer und Stahl ihre Mandantin mit „Androhung“ der Mandatsbeendigung zur Verteidigung durch Schweigen verdonnert haben.

Chef im Mandat ist der Mandant. Der Verteidiger ist Auftragnehmer. Seine Aufgabe besteht darin, dem Mandanten eine solide Basis zu verschaffen, auf der er anschließend eine eigene, nämlich seine freie Entscheidung treffen kann. Dazu gehören Ratschläge, auch „dringende“; aber niemals Drohungen. Die Ankündigung einer Mandatsbeendigung kommt nur ganz in wenigen Ausnahmefällen in Betracht. Fragen zur „richtigen“ Verteidigungsstrategie – also Schweigen oder Einlassung – gehören in aller Regel nicht dazu.

Vielleicht veröffentlich die Verteidigung dazu noch eine Richtigstellung? Das würde sicherlich zum besseren Verständnis einer professionellen Verteidigung beitragen.

Update vom 10.11.2015

Zschäpes Altverteidiger haben immer wieder betont, sie hätten ihre Mandantin auch bei einem Geständnis unterstützt; schließlich sei es „ihr“ Prozess.

Quelle: Gisela Friedrichsen via SPON

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Ende eines Mandats und die Kollegialität

Der Mandant war ziemlich aufgeregt, als man ihm den Handel mit Betäubungsmitteln vorwarf. Die Aufregung ist nachvollziehbar, denn die Aussicht, für ein paar niedere Dienstleistungen in den Knast zu müssen, sind keine rosigen.

In seiner Not – er hatte „noch nie was mit dem Gericht zu tun“ – beauftragte er gleich, parallel und unabhängig voneinander drei Anwälte. Am Ende bin ich dann übrig geblieben. Der erste Kollege, dem der Mandant dann seine Entscheidung mitgeteilt hatte, schrieb dann auch sofort an das Gericht:

… teile ich mit, daß das Mandat beendet wurde und ich den Beschuldigten nicht mehr verteidige.

Auch das Mandat des zweiten Verteidigers, der bisher lediglich die Verteidigung angezeigt hatte und ansonsten nicht weiter tätig geworden ist, war beendet. Nur hielt dieser es nicht für nötig, das Mandatsende dem Gericht mitzuteilen. Eine wiederholte Bitte des Mandanten ließ er unbeachtet.

Als ich nun Monate später beim Gericht meine Bestellung zum Pflichtverteidiger beantragt habe, schreibt mir der Richter:

Kollegen

Also, mir wäre es eher peinlich, wenn – statt ich selbst – mein ehemaliger Mandant dem Gericht mitteilen müßte, daß er das Mandat gekündigt hat. Ein Verteidigerwechsel ist nicht ungewöhnlich: Bei der Auftragsvergabe in Strafsachen muß es oft sehr schnell gehen und wenn sich dann im weiteren Verlauf herausstellt, daß Auftraggeber und Auftragnehmer nicht zueinander passen, ist es nicht ehrenrührig, das Ende der Beziehung mitzuteilen und für klare Verhältnisse zu sorgen. Im Gegenteil: Der ehemalige Verteidiger erspart dem Gericht die ständige (und sinnlose) Übermittlung von Anklagen, Ladungen, Mitteilungen, Entscheidungen …, sondern steht auch seinem ehemaligen Mandanten und dem aktuellen, aktiven Verteidiger im weiteren Verfahren nicht im Weg.

Ich hoffe, es ist nur Faulheit, die Herrn Rechtsanwalt P. daran gehindert hat, sich beim Gericht abzugemelden. Und nicht ein jämmerlicher Versuch, ein „verlorenes“ Mandat zu klammern.

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Prozeßkostenhilfe in der Schweiz

Ich lese und staune: Auf der Swisslawlist, der „aeltesten und groessten Mailingliste fuer Schweizer Recht“, erkundigte sich ein Kollege nach dem Stundensatz in Zivilverfahren in Kanton Basel Land, wenn das Verfahren in der unentgeltlichen Rechtspflege geführt wird.

Die unentgeltliche Rechtspflege in der Schweiz ist in etwa vergleichbar mit der deutschen Prozeßkosten- und/oder Beratungshilfe (die vor gar nicht so langer Zeit mal unter der Überschrift „Armenrecht“ gelaufen ist).

Die Antwort lautete:

ab 2014: Fr. 200.00 zuzüglich MWST und Ausl.
zuvor: Fr. 180.00

Von diesen Vergütungen kann ein deutscher Zivilrechtler, der die Interessen einer wenig finanzkräftigen Mandantschaft vertritt noch nicht einmal träumen. Offenbar hat die Schweizer Justiz eine andere Wertschätzung der Arbeit ihrer Rechtsanwälte.

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