Richter

Was erlauben Österreich?

Die Richter und Staatsanwälte in Österreich sind so bettelarm, daß sie für mehr Gehalt streiken müssen:

Mehr als 1000 Gerichtsverhandlungen dürften am Donnerstag österreichweit ausfallen. Richter und Staatsanwälte wollen so gegen befürchtete Gehaltseinbußen ankämpfen.

Die bekannten Bitten um Verständnis für die Absage eines Termins „aus dienstlichen Gründen“ bekommen vor diesem Hintergrund eine ganz neue Bedeutung. Aber so faul, wie es scheint, sollen die Richter und Staatsanwälte nun doch nicht sein:

Christian Haider, Vorsitzender der Bundessektion Richter und Staatsanwälte in der Gewerkschaft öffentlicher Dienst (GÖD) stellt klar: „Das ist kein Streik im Sinn von Arbeitsniederlegung“, betonte er.

Die Richter würden sich in dieser Zeit anderen Tätigkeiten, etwa der Ausfertigung von Urteilen, widmen.

Ja-nee, ist klar.

Da dürfte der eine oder andere Strafkammervorsitzende in unserem Sprengel feuchte Augen bekommen, wenn er sich an seinen kämpferischen Österreichischen Kollegen orientiert.

Quelle: Die Presse

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Befangener Sonderband

Erfahrende Strafkammervorsitzende wollen von Anfang an den Überblick behalten. Deswegen werden für besondere Teile des Verfahrens besondere Akten angelegt. In umfangreichen Verfahren beginnt es mit der Anlage eines „Sonderband (SB) Sitzungsprotokolle“. Weitere beliebte Sonderbände betreffen Teile der Beweisaufnahme.

Einen „Sonderband Ablehnungsgesuche“ braucht es gleich zu Beginn einer Hauptverhandlung eigentlich nicht. Es kommt zwar schon häufiger vor, daß ein Angeklagter unmittelbar nach dem Startsignal einen Befangenheitsantrag stellt. Das hängt mit dem § 25 I StPO zusammen, der fordert, daß bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse ein solches Gesuch angebracht werden muß. Sonst ist es nämlich zu spät.

Über diesen Antrag wird entschieden und dann kann’s weitergehen, da ein Vorsitzender Richter am Landgericht grundsätzlich nie befangen ist. Ausnahmen von diesem Grundsatz gibt es in der Literatur durchaus, in der Praxis aber eher sehr selten.

Ziel eines Befangenheitsantrags ist daher auch nicht zuerst die Ablösung des Richters, sondern die Verteidigung signalsiert dem Gericht damit, wo ihrer Ansicht nach Grenzen liegen, die nicht überschritten werden dürfen. Solche Signale werden von professionellen Vorsitzenden entgegen genommen und im weiteren Verlauf des Verfahrens auch berücksichtigt. Es handelt sich also um die Spielart eines Begrüßungsrituals.

Außerdem will die Verteidigung ggf. ein richterliches Verhalten durch das Rechtsmittelgericht überprüfbar machen; und der Weg dorthin führt dann meist über einen Beschluß, mit dem das Gericht über einen Ablehnungsantrag befindet.

Das, was sich in einem in der Öffentlichkeit interessiert beobachteten Verfahren derzeit zuträgt, hat aber vom Umfang her Seltenheitswert. Noch bevor die Anklageschrift verlesen worden ist, gibt es bereits einen prall gefüllten „Sonderband Befangenheit“:

Befangener Sonderband

Für den Umfang kann es nun mehrere Gründe geben. Zum Beispiel könnten sensible Angeklagte hohe Ansprüche an die Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit des Gericht haben. Oder sie werden von Verteidigern vertreten, die ihre Aufgabe ernst nehmen und Fehler der Richter gnadenlos rügen, wenn sie zu Lasten ihrer Mandanten gehen. Denkbar ist aber auch, daß die Richter abzulehnen sind, weil sie schlicht schlecht arbeiten und die Vorschriften, die dem Schutz der Angeklagten dienen, nicht so genau im Focus haben.

Ich kann nach dem bisherigen Verlauf und dem Auftreten dieses Vorsitzenden nicht ausschließen, daß die Ablehnungsgesuche bald in einem SB II Befangenheit gesammelt werden.

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Das geozentrische Weltbild einer sonnigen Richterin

Ich habe den Eindruck, daß das Buch von Altmeister Niklaus Kopernikus „de revolutionibus orbium coelestium“ noch nicht überall zur Kenntnis genommen wurde. Eine Richterin im schönen Brandenburgischen Fürstenwalde scheint Ihren Gerichtssaal nämlich als das Zentrum zu betrachten, um das sich zumindest Berlin zu drehen hat.

AG Fürstenwalde

Es könnte aber auch sein, daß Kopernikus zwischenzeitlich doch schon beim AG Fürstenwalde erschienen ist, und statt dessen ein gewisser Louis le Grand nachhaltige Spuren bei der dortigen Abteilung 3 hinterlassen hat.

Any suggestions aus der werten Leserschaft?

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Hohe Hürden für den Traumberuf als Richter

682975_web_R_by_Rudolpho Duba_pixelio.deDer hessische Landesdienst der dpa berichtet heute über Anforderungen, die an hessische Richter und Staatsanwälte gestellt werden: Sie müssen nicht nur zwei juristische Prädikatsexamina aufweisen, sondern auch über die Eignung zum Führen von Schrubbern und Besen verfügen.

Ab dem 1. Januar 2015 müssen unsere Koryphäen des Justizdienstes ihren Mist nämlich mit eigener Hand entsorgen. In der Agenturmeldung heißt es etwas zurückhaltender: Diejenigen die über die Befähigung zu Richteramt verfügen, sollen nun auch „die Arbeit von Reinigungskräften übernehmen und ihren Abfall selbst wegbringen„.

Wenn ich mir nun den einen oder anderen Richter ins Gedächtnis rufe, und ihn, bekleidet in schwarzer Robe, mit Besen und Kehrblech durch die Gänge schlurfen sehe, weiß ich wieder, daß ich meinen Traumberuf als Strafverteidiger längst gefunden habe. Trotz (oder gerade wegen?) eines einstelligen Examensergebnisses.

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Danke an den Herrn Direktor für diesen wunderbaren Hinweis auf die hessische Kehrwoche

Bild: Rudolpho Duba / pixelio.de

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Befangen – das erste Mal?

648654_web_R_by_Ingo Büsing_pixelio.deIch mußte für den Mandanten die Notbremse ziehen, nachdem der Richter reichlich übermütig wurde. Mit dem Ablehnungsgesuch bekam ich den Zug erst einmal zum Stehen.

Den Eindruck, den ich bereits beim Verlesen des Antrags gewonnen hatte, bestätigte der Richter dann wenig später. Bisher sei er noch nie (!) abgelehnt worden, das kenne er gar nicht und wie geht es jetzt denn weiter? Ich räume ein, am Amtsgericht sind Ablehnungsgesuche eher die Ausnahme; das ist eigentlich das Besteck für die Verhandlung vor einer großen Strafkammer beim Landgericht. Aber diese Reaktion wunderte mich ja nun doch, zumal ich den Richter am Amtsgericht schon seit langen Jahren kenne.

Gestern rief mich der Richter an, der über diesen „Befangenheitsantrag“ zu entscheiden hatte. Er käme mit einem meiner Anträge nicht so richtig klar.

Die Anträge nach § 33 Abs. 3 StPO und gem. § 24 Abs. 3 Satz 2 StPO gehören zum Standardrepertoire. Auch den weiteren Antrag,

… den zur Entscheidung über dieses Gesuch berufenen Personen, soweit sie nicht ohnehin als Berufsrichter mit der Sache befaßt sind, die gesamte Verfahrensakte zur Verfügung zu stellen …

kennen die (abgelehnten) Richter. Aber der hier läßt sie regelmäßig stutzen:

Es wird schließlich beantragt, eine Ablehnungsverhandlung stattfinden zu lassen und erst nach mündlicher Verhand-lung zu entscheiden.

Mir wird häufig entgegen gehalten, eine solche mündliche Verhandlung sieht das Prozeßrecht nicht vor. „Ja, und?“ frage ich dann zurück, „aber die StPO untersagt eine solche Verhandlung auch nicht.“ Mit der sinngemäßen Begründung „Was der Bauer nicht kennt, ißt er nicht!“ wird dieser Antrag dann zurück gewiesen.

Ein verpaßte Gelegenheit, wie ich meine. Die Chance, nach einer Richterablehnung – die im „Erfolgs“-Fall offenbar einer der beiden SuperGAUe für einen Richter wäre – mit übler Luft angereicherte Atmosphäre wieder zu bereinigen, wird ohne Not vergeben. Man könnte sich an einen Tisch setzen und – durch den (oder die) für das Ablehnungsverfahren zuständigen Richter moderiert – den Anlaß des Gesuches erörtern; anschließend trennt man sich (hoffentlich) in Frieden und genießt die gute Luft im Gerichtssaal.

Die StPO sieht frische Luft jedoch nicht vor; statt dessen bleibt’s beim Muff von 1.000 Jahren und die Krähen ziehen an dem längeren Ende des Hebels. Bis zum nächsten Mal, wenn der Angeklagte und seine Verteidiger wieder einen Klimmzug an der Notbremse machen.

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Bild: Ingo Büsing / pixelio.de

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Aufstehen, Krönchen gerade rücken, weitermachen!

BechsteinreichenbergerEnde November war’s soweit: “Habe fertig” und “Adieuschrieb der Kollege Detlef Burhoff. Und hat damit wohl die gesamte Jura-Blogger-Szene in Aufregung versetzt.

Doch schnell wurde dem Leser klar, einen Intensivblogger wie „den Burhoff“ bekommt man nicht so schnell aus dem Netz.

Drei Tage war der Burhoff krank. Jetzt bloggt er wieder, Gott sei Dank!

Aber irgendwie hat er sich verändert. Kämpferischer scheint er geworden zu sein, der sonst so richtertypisch zurückhaltende OLG-Pensionär. Und erfreulich deutlich in seinen sonst so moderaten Tönen.

Unter einer provokanten Überschrift – Zum Sterben in die JVA – kritisiert Herr Burhoff mit knackigen Worten einen Beschluß des Landgericht Kleve und bestätigt damit ein Phänomen, das Strafverteidiger gemeinhin mit dem Denkspruch „U-Haft schafft Rechtskraft“ umschreiben.

Seine Frage, ob es menschenverachtend sei, jemanden, der kein halbes Jahr mehr zu leben hat, in den Knast zu stecken, beinhaltet gleich auch schon die Antwort; auch wenn Herr Burhoff danach doch noch einmal abwägt – „einerseits / andererseits“ – und Versöhnliches in dem Beschluß zu entdecken vorgibt; am Ende spricht der Blogger dann doch Klartext:

Fluchtgefahr und Wiederholungsgefahr wären auch erneut zu überprüfen, wenn der Beschuldigte durch objektiv überprüfbare Aufklärungshilfe die Verbindungen zu den Rauschgifthändlern unwiderruflich kappen würde. Wenn man das liest, erkennt man die m.E. wahren Gründe für die Fortdauer der U-Haft: Sie ist hier im Grunde nichts anderes als Beugehaft. Man hofft offenbar, so an die „brandgefährlichen“ Hintermänner zu kommen.

Beugehaft ist ein sehr höfliches Wort für das, was den Inhalt dieser Haftfortdauer ausmacht. Man könnte auch mal über den Begriff der Aussage-Erpressung nachdenken.

Unübersehbar, jedenfalls für den, der auf eindeutige historische Zusammenhänge sensibel reagiert, ist dann noch der Hinweis auf das Totschlagargument des Rechtsguts der „Volksgesundheit“, das offenbar gedankenlos zum Standard im Betäubungsmittelstrafrecht gemacht wurde. Bei dieser Formulierung sträuben sich nicht nur Herrn Burhoffs Nackenhaare.

In jedem Ende liegt ein neuer Anfang,

… stellte Miguel de Unamuno zutreffend fest. Bei Detlef Burhoff ist es ein kämpferischer Neuanfang. Wenn er so weiter macht, dauert es nicht mehr lange, dann richtet er seine neue Kanzlei in einer Kreuzberger Fabriketage ein. Ich würde mich über diesen Nachbarn sehr freuen.

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Ein kurzes Vergnügen

542050_web_R_K_B_by_daniel stricker_pixelio.deDie angetretenen Medienvertreter waren enttäuscht. Dabei ließ es sich gut an, als der Vorsitzende die fünf Angeklagten und ihre Verteidiger begrüßte. Denn einer der Angeklagten hatte mehrere Namen, mit denen er unterwegs war. Nichts Verbotenes, aber etwas mit Unterhaltungswert.

Und statt, daß die Angeklagten und die Verteidigungen nun die Verlesung der knapp 500 Seiten langen Anklageschrift (naja, geschenkt; vorgelesen wird ja nicht alles) über sich ergehen lassen, habe ich ein 7 Seiten langes Schriftstück zu diesem Thema hier vorgelesen. Damit war die Gerichtsshow für die Zuhörer schon wieder beendet.

Über weitere Einzelheiten berichtet Lisa Steger auf rbb-online.

Ärgerlich an dem (Medien-)Auftakt ist aber das (zusammengeschnittene?) Interview des Gerichtssprechers (ab Minute 1:40 beginnt der Bericht des RBB), der von meiner Vorlesung offenbar nur herzlich wenig mitbekommen hat.

Natürlich ist der „kriminelle Haufen“ den ich unter anderem kritisiert habe, spektakulär. Aber die eigentlichen und gewichtigen Probleme, die ich thematisiert habe, nämlich die Vor- und Parallelbefassung des Vorsitzenden Richters in dieser Sache, scheinen – wenn ich mir den Zusammenschnitt des Interviews anschaue – irgendwie bei Frank Tiemann nicht angekommen zu sein.

Und noch einmal, zur Fortbildung:

In einem Ablehnungsgesuch (vulgo: Befangenheitsantrag) geht es nicht um den Nachweis der Voreingenommenheit. Entscheidend ist allein und schon die Besorgnis der Befangenheit:

Es kann dahingestellt bleiben, ob der abgelehnte Richter im Grunde tatsächlich befangen ist.

Das hat bereits 1967 das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 21, 146) erkannt und festgeschrieben.

Daher ist die Ablehnung schon begründet, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Es ist also nicht erforderlich, daß der Richter in der Tat parteilich oder befangen ist.

Es geht in diesem Ablehnungsgesuch um folgende Fragen (die ich teilweise bereits hier zur Diskussion gestellt hatte):

  • Ist ein Gesetz in ein und demselben Lebenssachverhalt einmal anwendbar, ein anderes Mal nicht?
  • Was darf ein Richter durcheinander bringen und was nicht?
  • Sind Menschen durchnumerierte Bestandteile eines Haufens?

Sicher, die letzte Frage ist die eingängigste. Viel problematischer – jedenfalls für uns Strafjuristen – sind aber die Fragen der Vorbefaßtheit.

Stellen wir jedoch auf den vernünftigen Angeklagten ab, den das Bundesverfassungsgericht (BVerfG E 32; 288 (290) ; BGHSt 24, 336 (338)) im Blick hatte:

Es kommt entscheidend darauf an, ob der den Richter ablehnende Angeklagte bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit, d.h. an der objektiven und zu allen Verfahrensbeteiligten Distanz wahrenden Einstellung des abgelehnten Richters innerhalb des vorliegenden Verfahrens zu zweifeln

In meiner kleinen (nach den knackigen Regeln der Statistiker sicherlich angreifbaren) Umfrage vertreten rund 70 Prozent der über 500 abgegebenen Stimmen den Standpunkt, daß hier (mindestens) ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen.

Unter anderem kritisiert die Verteidigung, dass er sich in einem Parallelverfahren abschätzig gegenüber Bandenmitgliedern geäußert und sie als „kriminellen Haufen“ bezeichnet habe. Außerdem sei [der Vorsitzende Richter] nicht mehr unvoreingenommen, weil er in zwei weiteren Verfahren gegen andere Bandenmitglieder sich bereits eine Meinung gebildet habe, erklärte ein Verteidiger.

So faßt – einigermaßen zutreffend – die dpa/ap (via Springerpresse) die Knackpunkte des Ablehnungsgesuches zusammen.

Das Ergebnis des nun laufenden Ablehnungsverfahrens wird keine Überraschungen bringen (was auch einer weiteren flapsigen, aber bestimmt nur gut gemeinten Bemerkung des abgelehnten Richters zu entnehmen war).

Oder vielleicht doch? Nutzt das Gericht diesmal die Möglichkeit, dem Volk, in dessen Namen irgendwann einmal ein Urteil ergehen soll, zu erklären, warum der Vorsitzende Richter am Landgericht immer noch vollkommen gerecht, von jeder falschen Rücksicht freie Einstellung zur Sache, neutral und gegenüber allen Verfahrensbeteiligten distanziert urteilten kann. Die Chance hätte das Gericht nach meinem Antrag:

eine Ablehnungsverhandlung stattfinden zu lassen und erst nach mündlicher Verhandlung zu entscheiden.

Aber dazu gehört Mut.

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Bild: Daniel Stricker / pixelio.de

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Nachrichten aus der heimatlichen Provinz

WodkaIm August 2013 entwendete ein 46 Jahre alter Angeklagte aus Kreuztal in einem Lebensmittelmarkt in Siegen eine Flasche Wodka zum Preis von 4,99 Euro. Er ist alkoholkrank, wegen Diebstahls in erheblichem Umfang vorbestraft und hat bereits Hafterfahrung. Die entwendete Ware gelangte an den Lebensmittelmarkt zurück.

1. Durchgang beim Amtsgericht Siegen

Im sich anschließenden Strafverfahren hat der Angeklagte den Diebstahl gestanden.

Zwischenergebnis:
Eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 10 Euro.

Das reichte dem im gut behüteten Elternhaus aufgewachsenen Staatsanwalt nicht. Er griff das Gericht Urteil mit der Berufung an.

2. Durchgang beim Landgericht Siegen

Das Landgericht hat sich die Sache mal genauer angeschaut: Der (vielfach – auch einschlägig – vorbestrafte) Angeklagte betreibe seit etwa zehn Jahren „missbräuchlichen, teils exzessiven Alkoholkonsum“. Er treffe sich mit Gleichgesinnten in der „Trinkerszene“. Aus seinem Alkoholkonsum resultierten sein berufliches „Aus“ wie auch seine Delinquenz. Am Tattag habe der Angeklagte etwa eine Flasche Wodka zu sich genommen. Ein Arzt habe die Gewahrsamsfähigkeit des Angeklagten festgestellt.

Die Berufungskammer „schenkte“ dem Angeklagten die eingeschränkte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB), d.h. die Kammer hat sich den Sachverständigen gespart, man kennt sich in Siegen nämlich bestens mit Trinkern aus. Und urteilt: Bei BAK-Werten von 3,27 Promille zum Tatzeitpunkt sei die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Tat nicht ausschließbar (sic!) erheblich vermindert gewesen sei. Ein Ausschluss der Steuerungsfähigkeit sei aber nicht gegeben gewesen.

Zwischenergebnis:
Freiheitsstrafe von drei Monaten, ohne Strafaussetzung zur Bewährung.

3. Durchgang beim OLG Hamm

Fast alles im grünen Bereich, meinen die revisionsrichtenden Senatsinsassen. Nach deren nüchterner Auffassung können auch zur Ahndung von Bagatellstraftaten, begangen durch schwerst alkoholkranke Täter, kurzzeitige Freiheitsstrafen verhängt werden. Denn:

Im vorliegenden Fall sei eine solche Bestrafung naheliegend angesichts der zahlreichen, überwiegend einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten und angesichts des Umstandes, dass er sich weder durch zuvor verhängte Geldstrafen noch durch Bewährungsstrafen und die Vollstreckung kurzzeitiger Freiheitsstrafen von der Begehung der neuerlichen Tat habe halten lassen.

Was ist das für eine Logik?! Man sperrt den Alki ein paarmal in den Knast und wundert sich, daß das nicht so wirkt, wie sich das ein vertrockneter Staatsanwalt vorstellt. Und was fällt den Oberrichtern dazu ein? Sie stecken ihn nochmal da rein. Vielleicht – so müssen die ernsthaft glauben – verhindert die Freiheitsstrafe es ja diesmal, daß der Mann künftig seinem Suchtdruck nicht bei Kaiser’s nachgibt. Wie besoffen muß man sein, daß sich dadurch auch nur irgendwas ändert?!

Wenn man diesen Kappes zu Ende denkt, führt der Diebstahl einer Flasche Fusel irgendwann mal zu einer Haftstrafe, die sich in Bezug auf die Dauer der eines bekannten bayerischen Millionen-Steuerhinterziehers nähert: Dreieinhalb Jahre JVA Landsberg für eine Flasche Zaranoff.

Die Herren Senatsrichter argumentieren weiter:

Es verstoße auch nicht gegen das Gebot schuldangemessenen Strafens, wenn im Hinblick auf Vorstrafen bei geringen Schadenssummen vollstreckbare Freiheitsstrafen verhängt würden.

Ja, ne, is klar. Aber, wie Herren mit vorgerückter Altersmilde so sind, reicht erstmal eine kleinere Dosis:

Im vorliegenden Einzelfall sei allerdings die vom Berufungsgericht verhängte dreimonatige Freiheitsstrafe zu reduzieren.

Endergebnis:
Bei rechtsfehlerfreier Strafzumessung sei eine Freiheitsstrafe von einem Monat und einer Woche „ausreichend“: Wozu ausreichend? Für eine Resozialisierung? Pah!

Drei Monate seien zuviel, weil:

Zu berücksichtigen seien auch gewichtige strafmildernde Umstände. So habe der Angeklagte die Tat gestanden. Der Schaden liege im untersten Bereich der Geringwertigkeit. Die entwendete Sache habe der Geschädigte zurückerlangt. Zudem sei der Angeklagte alkoholkrank und habe die Tat im erheblich alkoholisierten, seine Schuldfähigkeit vermindernden Zustand begangen.

faßt Juris den Mist die Entscheidung des OLG Hamm, 1. Strafsenat, vom 21.10.2014, III-1 RVs 82/14, zusammen, mit dem auf Biegen und Brechen einem kranken Menschen die notwendige Hilfe versagt und er weiter in´s Elend getrieben wird.

Rechtsfehlerfrei? Ja. Vielleicht. Aber bestimmt auch frei von Hirn.

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Akteneinsicht – die Hoffnung stirbt zuletzt

297450_web_R_K_B_by_Jerzy_pixelio.deDas Gericht hat mir die Anklageschrift im Juli 2014 zugestellt. Damit begann für meinen Mandanten das Zwischenverfahren, in dem nicht mehr die Staatsanwaltschaft auf den Akten sitzt, sondern die Strafkammer.

Vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen mit der Aktenführung der Staatsanwaltschaft und dem Unvermögen, die Verteidigung mit den notwenigen Informationen zu versorgen, hatte ich die Hoffung: Es kann nur besser werden.

Diese Hoffnung habe ich am 4. September 2014 in einen Akteneinsichtsantrag gegossen, den ich an das Landgericht geschickt habe. Seitdem habe ich noch ein paar Mal an diesen Antrag erinnert. Nun steht der Start des Verfahrens fest: Am 5. Dezember 2014 soll es losgehen. Akteneinsicht hat mir das Gericht bisher noch nicht gewährt.

Jetzt aber hat es geklappt. Jedenfalls teilweise. Auf meine Bitte: „Ich will alles!“ bekam ich ebenso knapp die Antwort: „Sie kriegen aber nicht alles!“. Nun, diese Diskussion haben auch schon andere Verteidiger mit anderen Gerichten geführt, das sieht nun jedoch nach einer Fortsetzung beim 5. Senat aus.

Aber quasi als Vorschuß auf den § 147 StPO gewährt man mir Einsicht in 34 Bände der aus mehr als 100 Bänden (die genaue Anzahl werde ich hiermit ermitteln können) der Akte. Und weil das Gericht es sehr eilig hat – schließlich beginnt das Verfahren ja in 2 Wochen – müssen die geschätzt 14.000 Blatt auch schnell – binnen dreier Tage – wieder zurück zum Gericht:

Akteneinsicht für 3 Tage

Das sieht irgendwie nicht danach aus, als wenn das Gericht darauf aus ist, einen konfliktfreien Start in eine entspannte und umfangreiche Beweisaufnahme zu planen.

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Bild: Jerzy / pixelio.de

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Gänge, selten auch Allüren, in Potsdam

Auf RBB-Online war gestern zu lesen:

Seit dreieinhalb Jahren hält die Pillenbande Gericht und Staatsanwaltschaft in Potsdam auf Trab.

200px-Muybridge_horse_walking_animatedIch bin mir nicht sicher, ob das, was die Potsdamer Staatsanwaltschaft da aufs Geläuf gebracht hat, als Trab bezeichnet werden sollte. „Slow Gait“ wäre vielleicht ein wenig treffender.

Trab und Galopp ist das, was sich das Gericht nun antun muß, wenn es den Beschleunigungsgrundsatz in dieser Haftsache zum Leuchten bringen möchte. Dazu wird man in naher Zukunft aber noch einiges zum Inhalt des § 121 StPO aus der Stadt Brandenburg a.d.H. zu hören bekommen.

Es wäre wünschenswert, wenn sich der Vorsitzende Richter beim Landgericht Potsdam da nicht mal vergaloppiert.

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Bild: Wikipedia

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