Richter

Kein offensichtlicher Revisionsgrund

Der Haftbefehl hat meinen Mandanten nicht amüsiert. Deswegen habe ich ihn mit der Haftbeschwerde angegriffen. Und das gleich zweimal. Ja, das ist ungewöhnlich, hat aber seine Gründe.

Auch das Gericht war etwas irritiert. Das machte sich besonders in dem Beschluß bemerkbar, mit dem der zweiten Haftbeschwerde nicht abgeholfen wurde.

In einer eMail habe ich dem Richter einen anwaltlichen Hinweis erteilt:

Der Nichtabhilfebeschluß vom 09.12.2016 bezieht sich auf die ältere Haftbeschwerde (vom 04.07.2016); Gegenstand des Verfahrens ist jedoch meine Beschwerdeschrift vom 07.12.2016. Ich rege eine Korrektur an, nicht daß sich das noch zu einen absoluten Revisionsgrund auswächst.

Es dauerte keine 12 Stunden, da kam ein Fax der Strafkammer hier an:

Naja, ganz so offensichtlich war der Schreibfehler ja nicht, sonst hätte es der Vorsitzende ja beim Korrekturlesen gemerkt. Aber gut, daß er die keimenden Revisiongrund verhindert hat. Ordnung muß sein!

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Sprichwörter, der Rebellensenat und die Binnendivergenz

Heute mal wieder einen Beitrag zum Thema: „Sprichwörter in der Gerichtspraxis“ und der Blick in die Glaskugel.

Udo Vetter berichtete über ein Lotteriespiel auf Hoher See und in Gottes Hand: Der Fischer-Senat, also der 2. Senat beim Bundesgerichtshof (BGH), hatte über zwei spannende Fälle zu entscheiden:

Fall 1: Ist die Nötigung zur Herausgabe von Betäubungsmitteln strafbar?

Dazu die (beabsichtigte) Lösung des 2. Senats:

Die Nötigung zur Herausgabe von Betäubungsmitteln richtet sich nicht gegen das Vermögen des Genötigten und erfüllt daher nicht den Tatbestand der Erpressung.

Quelle: Beschluß vom 01.06.2016 – 2 StR 335/15

Und nun der Fall 2: Ist die Nötigung zur Herausgabe von Betäubungsmitteln strafbar?

Dazu die (ausgeurteilte) Lösung des 2. Senats:

Wer … einen Rauschgifthändler oder –kurier mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Herausgabe von Drogen nötigt, … macht sich der räuberischen Erpressung schuldig.

Quelle: Urteil vom 22.09.2016 – 2 StR 27/16

Ja, zwei identische Fallgestaltungen! Aber zwei sich einander ausschließende Ergebnissse.

Wir haben hier im Ernstfall also zwei Angeklagte, die die gleichen Taten begangen haben:

  • Der Angeklagte Nr. 1 wird freigesprochen,
  • der Angeklagte Nr. 2 bekommt dafür 5 Jahre plus X.

Vom selben (nicht: gleichen) Gericht.

Vergleichbares kennen wir:
Berliner Gerichte interpretieren das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) und dessen Rechtsfolgen anders als Bayerische Gerichte. Aber zwischen der Turmstraße 91 und der Nymphenburger Straße 16 liegen laut Google mehr als 580 km Autobahn und eine Sprachgrenze.

Vorstellbar (wenngleich auch schon nur schwer nachvollziehbar) ist noch, daß innerhalb ein und desselben Gerichtsbezirks die Abteilungen, Kammern oder Senate in ihren Be- und Verurteilungen voneinander abweichen.

Das ist der Ausfluß der richterlichen Unabhängigkeit, Art. 97 Abs. 1 GG.

Aber innerhalb ein und desselben Senats rechnet kein normal, von den Kriterien des § 20 StGB entfernt denkender Mensch mit sich widersprechenden Entscheidungen. Zumal, wie Udo Vetter herausgearbeitet hat, es bis auf einen einzigen Richter dieselben (vier) Richter waren, die zu den divergierenden Ergebnissen gekommen sind.

Auch Detlef Burhoff bemüht zu diesem Thema ein Zitat, das bekannte von Conrad Hermann Joseph Adenauer, der sich nicht um sein Geschwätz von gestern kümmert.

Mir fällt dazu ein:
Vor Betrunkenen und den Richtern am Bundesgerichtshof sollte man sich in Acht nehmen: Man weiß nie, wohin sie torkeln. Wobei wir dann doch wieder beim § 20 StGB wären …

Was soll ich als Strafverteidger meinen Mandanten antworten, wenn er mir die Mandantenstandardfrage stellt: Mit was muß ich rechnen?

Dann kann ich eigentlich nur sagen: Rechnen Sie mit einem Freispruch, mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe oder mit irgendwas dazwischen. Ich sage oft gar nichts, sondern zeige nur auf unsere Glaskugel; damit kann ich nichts falsch machen.

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Merkwürdiges Verständnis vom fairen Verfahren

Über die Beschuldigtenrechtereform berichtet das RTF.1 – Regionalfernsehen. In der Sache geht es um die Stärkung der Beschuldigtenrechte im Ermittlungsverfahren, die in einem Gesetzentwurf der Bundesregierung (pdf) formuliert sind.

Das Anwesenheitsrecht des Verteidigers bereits bei der ersten polizeilichen Vernehmung soll festgeschrieben werden. Die Polizeibeamten sollen verpflichtet werden, den Beschuldigten bei bei der Suche eines Verteidigers aktiv zu unterstützen. Der Verteidiger soll beispielsweise bei Gegenüberstellungen vorab informiert und beteiligt werden, um falsche Identifizierungen möglichst zu vermeiden.

Der Bericht zitiert den Kollegen Stefan Conen, Strafverteidiger in Berlin, der eine alte Forderung hervorhebt: Von solchen Ermittlungsmaßnahmen sollen

Videoaufzeichnungen angefertigt werden, die bei Zweifeln vor Gericht herangezogen werden könnten. Auch für andere Vorgänge im polizeilichen Ermittlungsverfahren wie Belehrungen sollten Aufzeichnungen vorgeschrieben werden. Bei Verfahrensfehlern trage der Beschuldigte die Beweislast, aber ohne Dokumentation könne er diesen Beweis kaum erbringen.

Und wie positionieren sich die Vertreter der Staatsgewalt zu diesen Forderungen, die im übrigen auch von vielen Polizeibeamten erhoben werden?

Der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Rolf Raum warnte dagegen, die im Gesetzentwurf angelegte „zunehmende Formalisierung“ der Verteidigerrechte würde „Verfahren schwerfälliger und ineffizienter machen“. Ähnlich argumentierte der Marburger Oberstaatsanwalt Gert-Holger Willanzheimer. Die vorgesehene Verpflichtung, im Verlauf eines Ermittlungsverfahrens „jedes Mal aktiv den Verteidiger zu benachrichtigen“, führe „zu einer Verkomplizierung“.

Diese Standpunkte sind nachvollziehbar:
Verteidiger stören ohnehin nur die Ruhe beim Verurteilen und Wegsperren. Konsequent zuende gedacht: Einfach die Verteidigung aus der EMRK und den Prozeßrechten streichen; dann klappt es auch wieder mit dem Standrecht.

Provokante Frage:
Wenn man Strafverteidiger nur noch zur Dekoration des Strafverfahrens heranziehen möchte – wozu braucht man dann eigentlich noch Richter? Die Staatsanwaltschaft ermittelt Straftaten, sie ist auch später zuständig für die Vollstreckung der Strafen. Warum sparen wir uns – neben den Verteidigern – nicht auch den Umweg über die Gerichte?

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Bild: © Bredehorn.J / pixelio.de

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Die einen sagen so, die anderen sagen so.

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Im Rahmen einer mündlichen Haftprüfung soll das Gericht darüber entscheiden, ob der Haftbefehl aufgehoben, außer Vollzug gesetzt oder vollstreckt wird. Ich hatte beantragt

hp-antraege

Vorher hatte ich für meinen Mandanten Akteneinsicht beantragt, die er bis zum Haftprüfungstermin noch nicht erhalten hat. (Im übrigen fehlte ihm auch die Einsicht in die Anklagbeschrift.) Die mangelnden Kenntnisse der Akteninhalte und der Anklagevorwürfe waren ein Standbein von mehreren, auf denen die Anträge ruhten.

Theorie …
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sagt
in der so genannten Lamy-Entscheidung (EGMR-E 4, 262), Urteil vom 30. März 1989; StV 2001, 201; StV 1993, 283:

Auf Tatsachen, die dem Beschuldigten infolge einer Akteneinsichtsverweigerung unbekannt sind, dürfen keine Haftentscheidungen, vor allem auch keine Haftfortdauerentscheidungen gestützt werden dürfen.

… und Praxis
Die Strafkammer sagt:

ae-in-der-u-haft

und erläßt den Haftfortdauerbeschluß:

haftfortdauer

Noch einmal, liebe Kafka-Fans, meine Frage, die ich schon hier und hier gestellt hatte:

Was rät der Verteidiger dem Richter in so einer Situation?

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Bild: © H.-P.Haack – Antiquariat Dr. Haack Leipzig / via Wikipedia

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Frist für die Vorlesung des Strafverteidigers

220px-kafka_der_prozess_1925Über das kafkaeske Verfahren, dem mein Mandant derzeit ausgesetzt wurde, hatte ich in der vergangenen Woche berichtet.

Gegen ihn wurde Anklage erhoben und ihm eine 765 Seiten starke Anklageschrift vom Vorsitzenden Richter quasi persönlich in die Hand gedrückt. Allerdings hat man dem Mandanten den Ordner mit der Anklage sofort wieder abgenommen. In der Untersuchungshaftanstalt. Aus Gründen des Brandschutzes.

Nachdem der Mandant dem Gericht anläßlich des Haftprüfungstermins am 29.11.2016 über diesen noch nie dagewesene Eingriff in die Verteidigungsrechte berichtete, hat der Vorsitzende wohl mal ein ernstes Wörtchen mit dem Leiter der JVA gesprochen. Jedenfalls liegt das Anklagepaket seit dem 30.11.2016 auf dem Tisch in der Zelle des Mandanten.

Meinen Antrag auf die angemessene Verlängerung der Frist zur Stellungnahme im Zwischenverfahren (§ 201 Abs. 1 StPO) quittierte der Vorsitzende mit einem lustigen

einlassungsfrist

Dafür hatte er auch ein Argument. Ich hatte den Mandanten am 14.11.2016 in der U-Haft besucht. Dazu bemerkte der Richter lapidar:

Auch hätte er sich spätestens an diesem Tag über seinen Verteidiger über den Anklageinhalt informieren können.

Nochmal in einfach verständlichen Worten:
Die Anklageschrift umfaßt siebenhundertfünfundsechzig Seiten. Auch wenn man die Tabellen, die der konkrete Anklagesatz enthält, mal abzieht (obwohl sie gerichtsbekanntermaßen teilweise grob fehlerhafte Datensätze enthält und von meinem Mandanten analysiert werden müssen), reicht der Rest immer noch aus, um damit eine spannende Vorlesung von einem knappen Semester abzuhalten.

Nur nebenbei sei noch angemerkt:
Man (vermutlich das Gericht) hatte dem Mandanten nicht nur zwei Datenträger mit den digitalisierten Akten übergeben. Er berichtete mir auch davon, daß er die Silberlinge – Hört! Hört! – in einen Anstalts-Rechner einlegen durfte. Was fehlte also jetzt noch zur Akteneinsicht? Richtig! Die Passworte, damit er die geschützen ZIP-Dateien öffnen kann. Die hat er mittlerweile von uns bekommen (sofern sie mit den uns mitgeteilten identisch sind).

Irgendwann im Laufe dieser Woche wird er dann noch einmal einen Versuch starten können, sich die 21 Bände der Hauptakten, die 58 Sonderbände, die 15 Beweismittelordner und rund 20 weitere Bände beigezogener Akten aus anderen Verfahren zumindest mal anschauen zu können.

In dem ursprünglichen Beitrag hatte ich abschließend eine Frage gestellt, die ich hier wiederholen möchte:

Was rät der Verteidiger dem Richter in so einer Situation? Bis zum Fristablauf heute um 24.00 Uhr?

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Bild: © © Foto H.-P.Haack – Antiquariat Dr. Haack Leipzig / via Wikipedia

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Verquaste Aufgaben des Richters am Finanzgericht

Im Zusammenhang mit einer Steuerstrafsache konnte ich es nicht vermeiden, Kontakt mit dem Finanzgericht Berlin-Brandenburg aufzunehmen. Das Finanzamt hat in seiner bescheidenen Art eine Rechtsansicht vertreten, die im Widerspruch zu der von mir vertetenen Ansicht steht. Es ging schlicht um den Umfang einer Vollmacht, nicht um steuerrechtliche Probleme.

Ich habe dann im Auftrag meines Mandanten um Hilfe gerufen, nämlich beim zuständigen Finanzgericht. Dort ist man bemüht, den von beiden Seiten vorgetragenen Sachverhalt zu ermitteln. Dabei soll ich nun mithelfen. Das ist erst einmal und grundsätzlich in Ordnung; auch ein Strafverteidiger hilft gern wo er kann.

Nun erreichte mich ein Fax aus Cottbus:

aufgabenverteilung

Hey, warum muß mir der Richter, der mich um Vorlage einer Urkunde und Mitteilung einer internen Information bittet, einen Brief in dieser völlig verquasten Sprache schreiben? Kann der Mann (oder ist es eine Frau, ich weiß es nicht) mich nicht persönlich anreden, mich nicht bitten, statt mir was von oben herab aufzugeben, und den Brief nicht selbst namentlich unterschreiben? Warum gibt er (oder sie) mir mit diesem Sprachmüll das Gefühl, ich sei verpflichtet, nach seiner Obrigkeitpfeife tanzen zu müssen?

Was sind das für Leute da in der Finanzgerichtsbarkeit? Sind die alle so übel drauf? Und warum „geben die mir auf“, Mandatsgeheimnisse auszuplaudern?

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Optimistischer Dealer

Eine Grundvoraussetzung für den Erfolg eines Strafverteidigers ist der Optimismus. Wer ständig schwarz sieht, verliert in der Summe.

Aber auch Richter sollten Optimisten sein, wenn sie in ihrem Beruf klarkommen wollen. Mit einem solchen Vorsitzenden Richter habe ich es zur Zeit in einer Umfangstrafsache zu tun. Auf der anderen Seite der Theke sitzen neun Angeklagte und 18 Verteidiger.

Rundschreiben
Der Vorsitzende informiert die Verteidiger:

verstaendigung

Einmal mehr wird es also darum gehen, die Überlastung einer Strafkammer beim Landgericht Berlin wegzudealen.

Ob aber bei anderthalb Dutzend Verteidiger keiner auf die Idee kommt, prozeßfördernde Anträge zu formulieren, die vor Verlesung der Anklageschrift oder nie gestellt werden müssen? Ich habe es erlebt, daß die Anklage erst am Abend (sic!) des vierten Hauptverhandlungstermins verlesen werden konnte, weil vorher über allerlei Aussetzungs- und Ablehnungsgesuche entschieden werden mußte.

541683_web_r_by_makrodepecher_pixelio-deAuftakt
Und ob sich dann alle neun Angeklagte auf das Markttreiben einlassen werden, hängt einerseits vom Drohpotential und anderseits vom Angebot der Kammer ab. Perspektivisch sieht das eher nicht danach aus …

Bei so einem Prozeßauftakt wird es wieder sehr deutlich, was die Verständigungsregeln der StPO und die … sagen wir mal: flankierende … Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht anrichten.

Der historische Normalfall
Für die Findung der materiellen Wahrheit im Rahmen des formellen Rechts standen dem Gericht seinerzeit ausreichende Ressourcen zur Verfügung. Der Normalfall war die Beweisaufnahme, in der das Gericht die Tatvorwürfe der Anklageschrift zu bestätigen hatte, wenn sie für eine Verurteilung reichen sollen.

Hilft der Angeklagte dabei mit einem ehrlichen und von Reue getragenen Geständnis, bekam er dafür einen Rabatt: Einen Bonus von – über den dicken Daumen – etwa einem Drittel.

680144_original_r_k_by_stefan-bayer_pixelio-ausschnitt-deDer Normalfall heute
Nun sieht es genau anders herum aus. Die Strafgerichte sind hoffnungslos überlastet. Der Normalfall ist daher der Deal auf der Grundlage eines Geständnisses geworden – die verfahrensbeendende Abrede ist zur Regel geworden. Will der Angeklagte seine Rechte in einem formellen Verfahren durchsetzen und tritt er den Vorwürfen bestreitend entgegen, bekommt er einen Aufschlag: Den Malus von ebenfalls einem Drittel. Wenn es nach der Nase mancher dealsüchtiger Richter ginge, wäre der Malus sogar noch höher; dieser „Sanktionsschere“ haben jedoch die Revisionsgerichte einen Riegel vorgeschoben.

Das Problem der (ganz oder teilweise) falschen Geständnisse, um der Gefahr einer vergleichweise hohen Bestrafung entgegen zu treten, sei hier nur am Rande erwähnt.

Alles wird gut
Insgesamt stehe ich solchen Nachrichten wie der oben zitierten sehr kritisch gegenüber. Als gnadenloser Optimist hoffe ich aber trotzdem, daß am Ende des orientalische Basars doch noch alles gut wird für unseren Mandanten.

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Bild Basar: © Makrodepecher / Bild Überlastung (Ausschnitt): © Stefan Bayer / pixelio.de

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Warum macht man sowas?

proesterchenÜber den Hochmutfall von Richter K., über den ich am Freitag berichtet habe, möchte ich hier nochmal laut nachdenken.

Worum ging es?

Dem Betroffenen wurde vorgeworfen, mit einem PKW innerorts die Grenze der erlaubten 30 km/h fahrlässig um 22 km/h überschritten zu haben. Das Fahrzeug war nicht auf den Betroffenen zugelassen. Die Ordnungsbehörde hatte den Fahrer ermittelt: Über das Kennzeichen, dann über das Geschlecht, die Einwohnermeldedaten und schließlich über einen Paßbildvergleich.

Ansatzpunkte für die Verteidigung in so einem Fall:

  • Fahreridentität
  • Korrekte Messung
  • Subjektive Kenntnis der Geschwindigkeitsbegrenzung

Nota bene: Der Betroffene muß nicht nachweisen, daß er „unschuldig“ ist; sondern die Beweislast liegt auf der Seite des Gerichts bzw. der Bußdgeldbehörde.

Das gerichtliche Verfahren bei Richter K.

Nach dem Einspruchsverfahren bei der Bußgeldstelle geht die Sache über die Staatsanwaltschaft zum Gericht. Dort würfelt man, welche Abteilung für das Verfahren zuständig ist. Hier ist das Glücksrad auf der Nr. 290 stehen geblieben.

Phase 1:
Also Richter K. bekommt die Sache auf den Tisch. Er schickt dem Verteidiger einen FETT GEDRUCKTEN Vorsatzhinweis und empfiehlt die Einspruchsrücknahme.

Wohlwollend übersetzt heißt das:
Wenn zur Überzeugung des Richter K. feststeht, daß der Betroffene vorsätzlich zu schnell gefahren ist, kann die Geldbuße verdoppelt werden.

De facto bezweckt Richter K. mit einem solchen Hinweis, daß der Betroffene wegen dieses Risikos auf die richterliche Überprüfung der behördlichen Maßnahme verzichtet. Zumindest bei einem juristisch unerfahrenen Betroffenen bzw. Verteidiger verfängt sowas oft.

Bei Richter K. hat das Methode: Er schafft sich auf diesem Wege die Arbeit vom Hals. Deswegen auch das ungewöhnliche Layout mit Großbuchstaben und Fettdruck. Der verwendete Konjunktiv („Es könnte Vorsatz sein.“) und die angebliche Fürsorge ist Mummenschanz.

Phase 2:

kuchen-kDer Einspruch wird nicht zurück genommen (das kann man im „Notfall“ später immer noch), also zündet Richter K. die zweite Stufe.

Er lädt zum Termin. Der Verteidiger gibt an, zu dem Termin urlaubsbedingt verhindert zu sein. Richter K. setzt neue Termine(!) fest: Exakt einen Tag vor Beginn und einen zweiten Termin genau einen Tag nach Ende des Urlaubs. Daß hier der Eindruck der Schikane entstehen muß, liegt auf der Hand. Und gleich zwei Termine für eine kleine Bußgeldsache – das gibt es nur in der Abteilung 290 des Richters K.

Phase 3:
Zu dem zweiten Termin lädt Richter K. die Halterin als Zeugin, vorgeblich um die Fahreridentität nachweisen zu können.

Im Klartext bedeutet das: Richter K. will die Ehefrau(!) eines Strafverteidigers(!) dazu befragen, ob ihr Ehemann das Auto gefahren hat. Daß diese vorgeschobene Zeugenvernehmung wegen § 52 StPO als ein von vornherein untauglicher Versuch (oder ist es ein Wahndelikt?) nur der Schikane dienen kann, um auf diesem Weg erneut zu versuchen, die Rücknahme des Einspruchs durchzusetzen, ist mehr als deutlich erkennbar.

Befangenheitsantrag
Das war dann der Punkt, zu dem der Betroffene über seinen Verteidiger mit einem Ablehnungsgesuch reagierte. Ich versichere hier ausdrücklich, daß dieser Befangenheitsantrag zurückhaltend und vollkommen sachlich – also nicht mit der sonst dem Blogleser bekannten Polemik – formuliert wurde. Es erfolgte die eskalierende Reaktion des Richter K.

Methodik
Diese Erfahrungen mit den Methoden des Richters K. haben nicht nur die hier beteiligten Rechtsanwälte gemacht. Es ist ein typisches Verhalten dieses Richters, das von vielen anderen Verteidigern bestätigt wird. Und wenn man mal als Verteidiger bei Richter K. auf der Galerie sitzt, um auf den Beginn „seiner“ Verhandlung zu warten, während vorn ein unverteidigter Betroffener oder Angeklagter von diesem Richter gegrillt wird, weiß man, daß die oben beschriebene Vorgehensweise kein Einzelfall ist.

WS-SlodyczeCS3Rechtsprechung über Richter K.
Gestützt wird diese Erfahrung von nicht wenigen Entscheidungen des Landgerichts und des Kammergerichts, mit denen in sehr deutlichen Worten die katastrophale Arbeit dieses Verkehrsrichters gegeißelt wird. Einige Beschwerdeentscheidungen erfüllten nach meinem Gefühl mehr als deutlich die Voraussetzungen für die Formulierung eines Anfangsverdachts hinsichtlich einer Rechtsbeugung. (Wobei ich mit diesem Begriff ansonsten sehr zurückhalten bin, aber hier halte ich ihn für durchaus angemessen.)

Obliegenheit
Viele der Kollegen trauen sich den Kampf mit diesem Richter nicht zu. Oder er ist ihnen zu aufwändig (was ich gut nachvollziehen kann). Unverteidigte Betroffene oder Angeklagte haben gegen diesen Richter überhaupt keine Chance. Deswegen meine ich, daß es mir als Organ der Rechtspflege auch obliegt, mit den mir zur Verfügung stehenden Mittel immer wieder und bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf hinweisen, daß Richter K. völlig ungeeignet ist zum Führen eines Richteramts.

a maiore ad minus
Ich denke mir: Wenn sich Richter K. sehenden Auges, was auf ihn zukommt, traut,

  • eine Vorsatzverurteilung anzudrohen,
  • mit der Terminierung zu provozieren,
  • sinnlose Zeugenvernehmungen anzusetzen,
  • Beweiswürdigungen vorwegzunehmen,
  • dummes Zeug in dienstliche Erklärungen zu schreiben,

was erlaubt er sich dann erst Recht, wenn er keinen Gegenwind zu befürchten hat. Wie verfährt Richter K. erst, wenn er einen unverteidigten Betroffenen oder unerfahrenen Verteidiger vor sich hat?

Unabhängigkeit ist kein Freilos für Willkür
Wegen der verfassungsmäßig garantierten Position des Richteramts ist es nun nicht so einfach, diesem Mann in die Katakomben des Kriminalgerichts zu versetzen. Die Grenzen zur Rechtsbeugung sind sehr, sehr weit gesteckt. Um einen solchen schlimmen Juristen wie Richter K. loszuwerden, bedarf es mehr als nur ein „erfolgreiches“ Ablehnungsgesuch. Aber wenn sich die Anzahl der Ablösungen, (Dienstaufsichts- und Rechts-)Beschwerden häufen, wird auch irgendwann einmal ein unabhängiger Richter das Faß zum Überlaufen bringen. Das Befangenheitsgesuch in meinem Fall ist daher ein weiterer, steter Tropfen dazu.

Deswegen habe ich sowas gemacht. Und ich würde es immer wieder tun.

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Richter K. und sein Hochmutsfall

proesterchenDas Berliner Anwaltsblatt hat in seiner September-Ausgabe 9/2016 auf Seite 308 die Einsendung eines Beschlusses des Amtsgerichts Tiergarten veröffentlich. Einsender war Richter K., ich habe darüber berichtet.

Die im Anwaltsblatt veröffentlichte Entscheidung bestätigte dem Richter K., daß er u.a. nicht verpflichtet sei, einem Verteidiger mit Papier auszuhelfen. Das hat er gebührend gefeiert. Deswegen ja auch die Veröffentlichung.

Dazu noch einmal meinen herzlichsten Glückswunsch!

abgelehntNun habe ich hier schon wieder eine Entscheidung desselben Gerichts. Und sie betrifft denselben Richter. Und es handelt sich um dasselbe rechtliche Problem:

Ablehnung des Richter K. wegen der Besorgnis seiner Befangenheit.

Im Wesentlichen ging es um eine Terminsverlegung, einen Vorsatzhinweis und das gespannte Verhältnis zwischen Richter K. und dem Betroffenen sowie seinem Verteidiger. Und – das räume ich gern ein – um den Austausch wechselseitiger Provokationen.

Ich zitiere zunächst einmal aus den
dienstlichen Stellungnahmen des Richter K.:

Mein [Vorsatz-] Hinweis ist im Konjunktiv gehalten, was der Verteidiger des Betroffenen in seiner Raserei bewußt übersieht.

Mit „Raserei“ meint Richter K. die Begründung des Ablehnungsgesuchs.

Nach alledem ist zu begrüßen, daß RA Handschumacher […] abermals ein Beispiel für die Methoden liefert, mit der er nach meiner Ansicht nur den gesetzlichen Richter auszuschalten versucht.

Befangenheitsantrag als Ausschaltungsversuch. Nun ja.

Das Vorbringen des Verteidigers ist allerdings nachvollziehbar, sein Mandant habe vor dem Hintergrund seines allein der Obstruktion und Verschleppung sowie dem Konflikt dienenden Verteidigungsverhaltens in einer Reihe früher in der von mir versehenen Abteilung 290 des Amtsgerichts Tiergarten anhängig gewesenen Verfahren panische Angst davor, ich würde ihm mal so richtig einen reinwürgen, ihn also nach allen Regeln der Kunst so richtig plattmachen.

Also: Richter K. unterstellt dem Betroffenen mit blumigen Worten, ein panischer Angsthase zu sein. Ok, eine richterliche Stellungnahme kann man so machen; aber dann isse halt Kacke.

Denn der Betroffene sieht auf der Basis des bisherigen Akteninhaltes keinen Weg, mit einer sachbezogenen Einlassung den Tatvorwurf abschütteln zu können, er weiß, daß der bisherige Akteninhalt wohl kaum eine Möglichkeit bietet, dem am 23.9.15 gewonnenen Meßergebnis entgegenzutreten.

Kompetente Strafjuristen werden sie erkennen, die vorweg genommene Beweiswürdigung. Richter K. setzt aber noch einen oben drauf:

Mag jemand vielleicht bei dem am Steuer sitzenden Mann auf den Belegfotos eine gewisse Ähnlichkeit mit dem türkischen Präsidenten Erdogan zu entdecken meinen; dieser war am 23.9.15 aber nicht in Berlin, und warum sollte er mit dem VW von [der Halterin] aus der [*]straße in Neukölln durch die Straßen dieser Stadt fahren.

Ist hier irgend jemand, der zwischen dem Betroffenen und Erdogan (der Präsident) eine Ähnlichkeit entdecken mag?

Noch einmal zur Erinnerung: Das sind Zitate aus einer dienstlichen Erklärung in einem förmlichen Verfahren, nicht im Zusammenhang mit einer Unterhaltung im Bierzelt.

Der Betroffene weiß wahrscheinlich genau, daß er auf den bei der Akte befindlichen Belegfotos als Fahrer des Tatfahrzeugs, mit dem ihn seine Frau hat fahren lassen, zu identifizieren und somit auch an seiner Fahrereigenschaft nichts zu rütteln ist.

Noch einmal ein sehr schönes Beispiel für die Beweiswürdigung am heimischen Küchentisch des und durch Richter K.

Diese Furcht eines verängstigten und verunsicherten Mannes, der nun dem zur Entscheidung berufenen Gericht nicht wie bisher als Verteidiger, sondern als Betroffener gegenübersteht, ist ernstzunehmen und zu akzeptieren, mag sie auch nicht mit dem Bild von einem gestandenen Rechtsanwalt und Strafverteidiger vereinbar sein.

Nein, ich habe mir diesen Satz (wie alle anderen auch) NICHT ausgedacht. Das schreibt Richter K. über einen Betroffenen, der sich bis dato noch gar nicht persönlich zu Wort gemeldet hat.

Es mag nun mit diesen Zitaten sein Bewenden haben, es sind einige Highlights aus der auch um übrigen hell leuchtenden dienstlichen Erklärung.

Das AG Tiergarten schreibt dazu im
Beschluß vom 28.09.2016 (217c AR 90/16):

Allerdings liegt mit der dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters vom 5.August 2016 ein Grund im Sinne des § 24 Abs. 2 StPO vor, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des erkennenden Richters zu rechtfertigen. Zum einen lassen nämlich die Äußerungen in der dienstlichen Stellungnahme – aus Sicht des Betroffenen – befürchten, der abgelehnte Richter gehe nicht unvoreingenommen an die Sache heran
und sei bereits von der Schuld des Betroffenen endgültig überzeugt. Sinngemäß unterstellt der abgelehnte Richter dem Betroffenen und dessen Verteidiger, dass auf Obstruktion und Verschleppung angelegte Verteidigungsverhalten sei nur so zu erklären, da der Betroffene auf der Basis des bisherigen Akteninhalts keinen Weg sehe, den Tatvorwurf mit einer sachbezogenen Einlassung „abschütteln“ zu können. Dies lässt die Überzeugung des abgelehnten Richters erkennen, er teile insoweit die Einschätzung des Betroffenen. Diese Einschätzung legt jedenfalls nahe, dass der abgelehnte Richter davon ausgeht, eine prozessordnungsgemäße Verteidigung könne nicht zum Erfolg führen. Ebenso kommt die Überzeugung des abgelehnten Richters mit der Äußerung zum Ausdruck, der Betroffene wisse wahrscheinlich genau, „dass er auf den bei der Akte befindlichen Belegfotos als Fahrer des Tatfahrzeugs, mit dem ihn seine Frau hat fahren lassen, zu identifizieren und somit an seiner Fahrereigenschaft nicht zu rütteln ist.“ Dies kann aus Sicht des Betroffenen nur so verstanden werden, auch der abgelehnte Richter gehe davon aus, an der Täterschaft des Betroffenen sei nicht zu rütteln. Die ergänzend eingeholte Stellungnahme des abgelehnten Richters ist demgegenüber nicht geeignet, dass begründete Misstrauen zu beseitigen. Allein die Mitteilung, die Fahrereigenschaft habe für ihn – den erkennenden Richter – bislang nicht festgestanden , reicht insoweit nicht aus.
Dies gilt nun umso mehr, da der abgelehnte Richter sogleich mitteilt, der Verteidiger hier habe hinsichtlich der Fahrereigenschaft des Betroffenen jetzt Sicherheit hergestellt.

Daneben begründen auch die verbalen Überspitzungen in der dienstlichen Stellungnahme vom 5. August 2016 in der Gesamtschau -aus Sicht des Betroffenen – Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters. Die Führung des Verfahrens kann nämlich dann einen Ablehnungsgrund darstellen, wenn die richteilichen Handlungen unangemessen oder völlig unsachlich sind. Den Betroffenen, Rechtsanwalt Hoenig, sinngemäß als „verängstigten und verunsicherten Mann“ darzustellen, dient nur dazu, den Betroffenen herab zusetzten. Dies ist unsachlich und unangemessen und lässt -aus Sicht des Betroffenen- befürchten, die innere Haltung des abgelehnten Richters ihm gegenüber könne die Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit störend beeinflussen. Daneben bedarf es wegen der weiteren verbalen Überspitzungen einer Erörterung nicht.

Das sind unmißverständliche Worte für das Vorgehen eines Richters, der dem lieben Gott auf Knien für den Art. 97 GG danken sollte.

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Selbstverständlichkeiten beim EGMR und AG Gladbeck

In seinem Urteil vom 12.11.2015 (2130/10) stellt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) fest:

Zwischen einer Äußerung, dass jemand verdächtig ist, eine Straftat begangen zu haben, und einer eindeutigen Erklärung, dass er die Straftat begangen hat, ohne dass er rechtskräftig verurteilt worden ist, muss grundsätzlich unterschieden werden. Die zuletzt genannte Äußerung verletzt die Unschuldsvermutung, während die erste mit Art. 6 II EMRK vereinbar ist. (Leitsatz aus BeckRS 2016, 16668)

141070_web_r_by_jan-von-broeckel_pixelio-deIn der Sache ging es um Art. 6 II EMRK, Art. 35 III b EMRK und Art. 41 EMRK im Zusammenhang mit dem Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung. Es ist erstaunlich, daß ein Richter am Amtsgericht Gladbeck erst die deutliche Ansage des EGMR braucht, damit an sich völlig Selbstverständliches auch Wirklichkeit im nördlichen Ruhrgebiet werden kann.

Der vom AG Gladbeck in den Knast Geschickte reklamierte die Verletzung der in Art. 6 Abs. 2 EMRK garantierte Unschuldsvermutung. Die deutschen Gerichte hätten die Aussetzung seiner Strafe mit der Begründung widerrufen, er habe in der Bewährungszeit einen weiteren Einbruchsdiebstahl begangen. Er bestritt jedoch, diese neue Straftat begangen zu haben. Im Zeitpunkt des Widerrufs war er auch noch nicht verurteilt gewesen, schon gar nicht rechtskräftig. Die Gerichte haben sich nur auf sein ursprüngliches Geständnis vor dem Ermittlungsrichter gestützt. Das war jedoch unwirksam, weil er es zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidungen bereits widerrufen habe.

Das Verfahren (mindestens) zeigt zweierlei:

  • Die Verteidigung vor dem Ermittlungsrichter – z.B. wenn es um die Frage der Haftverschonung geht – darf die Konsequenzen einer (frühen) Einlassung für das bzw. alle weitere(n) Verfahren nicht aus dem Blick verlieren.
  • Wenn eine Staatsanwaltschaft und ein Gericht jemanden in den Knast schicken möchten, schrecken sie im Einzelfall noch nicht einmal vor Menschenrechtsverletzungen zurück.

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Quelle des Leitsatzes: Beck Online (nur für Abonennten einsehbar)

Bild: © Jan von Bröckel / pixelio.de

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