Staatsanwaltschaft

Vorwärts und nicht vergessen

Dem Mandanten wird vorgeworfen, er habe als Geschäftsführer einer GmbH den Insolvenzantrag zu spät gestellt (§ 15 InsO), er sei ein Bankrotteur (§ 283 StGB) und seinen Buchführungspflichten nicht nachgekommen (§ 283b StGB).

Diese Vorwürfe finden sich in einer Ermittlungsakte aus dem Jahr 2019; sie beziehen sich auf das Jahr 2017. Das Insolvenzgericht hat nach dem Eigeninsolvenzantrag des Geschäftsführers ein Gutachten erstellen lassen, das zum Ergebnis kam: Die GmbH ist völlig platt.

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird folgerichtig abgelehnt, nicht aber ohne die Staatsanwaltschaft per „Mizi-Mitteilung“ zu informieren.

Damit startet bei der Staatsanwaltschaft eine Routine, die zunächst einmal die Ermittlungsmaschinerie in Gang setzt:

Das auf „Wirtschaftskriminalität“ spezialisierte LKA 321 beginnt mit der Suche in den Krümeln. Relativ flott findet das LKA uralte Schätzchen:

Damit auch jeder gleich auf den ersten Seiten (Blatt 15) der umfangreichen, mehrbändigen Ermittlungsakte mitbekommt, mit wem man es hier zu tun hat. Reichlich Vermögensstraftaten, fast schon einschlägig, vermittelt dieser Vermerk dem Leser und setzt ihm eine entsprechende Brille auf.

Dass der ganz hinten in einer Tasche versteckte Auszug aus dem Bundeszentralregister blütenweiß (nagut: grün strukturiert) ist, interessiert anscheinend nur den aktenfressenden Verteidiger. Sämtliche Verfahren, die der Kriminale da aus der Mottenkiste dem Polizeilichen Landessystem zur Information, Kommunikation und Sachbearbeitung (POLIKS) hervorgekramt hat, sind eingestellt worden.

So wird Stimmung gemacht für die Jagd, weil man ansonsten nichts von Bedeutung in der Hand hat.

, , , 16 Kommentare

Eine eher seltene Verweisung nach oben

Regelmäßig ist es Sache der Staatsanwaltschaft, sich auszusuchen, welches Gericht über die Anklage verhandeln und später urteilen soll.

Je nach Vorstellung des Staatsanwalts, was am Ende hinten rauskommen soll, beantragt die Staatsanwaltschaft in Wirtschaftsstrafsachen die Eröffnung beim Amtsgericht (Strafrichter oder Schöffengericht) oder beim Landgericht (allgemeine oder Wirtschaftsstrafkammer).

Erwartet der Strafverfolger eine Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, wird er die Sache zum Strafrichter schicken. Sind es nach Wunsch und Vorstellung des Ankläger aber bis zu vier Jahre, klagt er zum Schöffengericht an. Alles, was in der Vorstellungswelt eines Staatsanwalts darüber hinaus gehen soll, schickt dieser zum Landgericht.

In den überwiegenden Fällen erfüllt das angerufene Gericht den Wunsch der Staatsanwaltschaft. Nur selten meint das Land- oder Schöffengericht, dass der Anklageverfasser übertreibt; dann eröffnet es beim Gericht eine Etage tiefer, § 209 Abs. 1 StPO.

Noch seltener passiert so etwas hier:

Der Staatsanwaltschaft reicht eigentlich die Strafkompetenz des Strafrichters von zwei Jahren. Hier meint der Strafrichter aber, das reiche nicht und schlägt gem. § 209 Abs. 2 StPO dem Schöffengericht vor, die Sache zu übernehmen, weil es ja auch bis zu vier Jahre werden könnten.

Das ist für den Angeschuldigten eine eher weniger erfreuliche Perspektive. Aber selbst dann, wenn das Schöffengericht das Verfahren „übernimmt“, sind noch nicht alle Messen gesungen; die Hoffnung auf eine Freiheitsstrafe unterhalb der „Bewährungsgrenze“ von zwei Jahren stirbt erst ganz zuletzt.

Ganz unberechtigt ist die Hoffnung in solchen Fällen nämlich nicht: Die Aus- bzw. Überlastung der Schöffengerichte eröffnet der Verteidigung durchaus weite Verhandlungsspielräume.

Richtig kritisch würde es erst, wenn es noch eine Etage höher – zur Strafkammer beim Landgericht – gehen sollte. Aber das – also eine Verweisung des Strafrichters in Wirtschaftsstrafsachen nach ganz oben – ist mir in über zwei Jahrzehnten noch nicht „passiert“.

Mein Mandant und ich warten aber erst einmal ab, was das Schöffengericht zu dem Vorlagebeschluss des Strafrichters zu sagen hat. Dann sehen wir weiter.

Nebenbei:
Die Verteidigung wird über die Ansicht des Strafrichters und seinen Beschluss lediglich informiert – mitreden (im Sinne des rechtlichen Gehörs nach § 33 StPO) darf sie bei der Entscheidung über die Zuständigkeit nicht.

__
Bild: ©S. Hofschlaeger / pixelio.de

4 Kommentare

Aufklärungshilfe erwünscht

Die Staatsanwältin bittet beim Verteidiger darum, ihr bei der Ermittlungsarbeit zu helfen:

Der Verteidiger müsste mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn er seinen Mandanten nicht darüber aufklärt, was die Staatsanwaltschaft mit den auf den Smartphones gespeicherten (und gelöschten) Daten alles anzufangen imstande ist.

Aber was rät der technisch versierte Verteidiger nun seinem Mandanten?
 

Soll er die Zugangsdaten preisgeben?


     

 

Ergebnis anschauen

Wird geladen ... Wird geladen ...

 

22 Kommentare

Fall Rebecca R.: Treibjagd im Live-Tickermodus

Die Vereinigung der Berliner Strafverteidiger hat eine Presseerklärung zur Berichterstattung im Fall der vermissten Rebecca R. aus Berlin veröffentlicht, die ich nachfolgend vollständig zitiere:

Das Vorstandsmitglied, Frau Rechtsanwältin Cäcilia Rennert kritisiert im Namen der Vereinigung Berliner Strafverteidiger e. V. die Berichterstattung im Fall Rebecca R. ebenso auf das Schärfste wie die Bereitschaft von Ermittlern, die Presse mit aus ihrer Sicht belastenden Details zu füttern.

Wir fordern die Presse auf, die mediale Vorverurteilung des Tatverdächtigen im Fall des verschwundenen Mädchens genauso einzustellen wie wir die Strafverfolgungsbehörden auffordern, die Durchstechereien nicht nur zu stoppen, sondern aktiv dem Eindruck entgegenzuwirken, das mediale Treiben sei für sie tolerabel.

Die aktuelle Berichterstattung, insbesondere in BILD, B. Z., aber nicht mehr nur in den Boulevardmedien tritt die Unschuldsvermutung des Verdächtigen mit Füßen und imponiert als Treibjagd im Live-Tickermodus. Darstellungen, die sich darüber hinaus im Ringen nach Sensationseffekten in Spekulationen ergehen und überbieten, untergraben in der frühesten Phase des Verfahrens bewusst das, was der Rechtsstaat um seiner selbst willen garantieren will und soll: Unvoreingenommenheit und Fairness gegenüber einem Verdächtigten.

Es ist auch an der Staatsanwaltschaft, die nach unserer Einschätzung keine Quelle derartiger Berichterstattung ist, dem rechtswidrigen Treiben von mindestens Teilen der Ermittler entgegenzutreten. Diese korrumpieren im Umgang mit der Presse die Verfahrensfairness möglicherweise irreparabel. Die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren mahnen hierzu aus gutem Grund in RiStBV Nr. 23 an, dass die Unterrichtung von Medien durch die Ermittler weder den Untersuchungszweck gefährden noch dem Ergebnis der Hauptverhandlung vorgreifen dürfe und der Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren nicht beeinträchtigt werden darf.

Diese in den Normappell gekleidete zivilisatorische Errungenschaft wird von manchen Medien sowie Teilen der Ermittler gegenwärtig auf dem Altar sich aufschaukelnder Sensationslust geopfert. Und zwar auch um den Preis, die Fairness des Verfahrens irreparabel zu beschädigen. Es ist an der Zeit und für alle dem Rechtsstaat professionell Verpflichteten geboten, diesem Treiben gemeinsam und deutlich entgegenzutreten.

Der Vorstand

Die Sorge um die vermisste Rebecca R. rechtfertigt auch meiner Ansicht nach nicht die Demontage elementarer Prinzipien unseres Rechtsstaats. Ich verurteile das kollusive Zusammenwirken der Ermittlungsbehörden mit insbesondere den Boulevardmedien, das durchaus Erinnerungen an amerikanische Westernfilme aufkommen lässt.

__
Presseerklärung im Original als PDF

14 Kommentare

Verräterische Sprache der Staatsanwaltschaft

Dem Mandanten wird vorgeworfen, als Geschäftsführer einer GmbH trotz Zahlungsunfähigkeit keinen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt zu haben.

Die Staatsanwaltschaft schreibt ihn also an und gibt ihm die Gelegenheit, sich zu diesem Vorwurf zu äußern, § 163a StPO.

Zutreffend erfolgt die Belehrung über die Möglichkeit, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Auch die Information über das Recht, einen Verteidiger zu konsultieren, fehlt nicht. Alles gut soweit.

Dann folgt noch der – zutreffende – Hinweis auf § 111 OWiG und die Verpflichtung, die Personalien auf dem beigefügten Anhörungsbogen anzugeben. Hier wird es in meinen Augen schon kritisch: Denn die Pflicht entfällt, wenn diese verpflichtenden Angaben der Behörde bereits bekannt sind. Aber geschenkt …

Und wenn man schon gerade dabei ist, das Formular auszufüllen, kann der Adressat ja auch gleich in einem Aufwasch Angaben zu seinem Einkommen machen. Darauf weist der Herr Staatsanwalt als Gruppenleiter mit folgendem Text hin:

Dazu dreierlei Sensibilitäten:

  • Geldstrafen werden nur dann verhängt, wenn dem Beschuldigten eine Straftat nachgewiesen wurde. Wenn nicht, dann braucht’s doch auch keine Angaben zum Einkommen!
  • Geldauflagen werden nur dann erteilt, wenn „diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht; § 153a StPO.“ Auch hier steht doch erst noch die Antwort auf die Frage aus, ob hier überhaupt eine Schuld vorliegt.
  • Und schließlich: Warum warnt der Strafverfolger ausschließlich davor, dass er sich zum Nachteil des Beschuldigten verschätzen könnte? Denkbar – und bei Insolvenzverfahren naheliegender – ist doch auch die Alternative der Unterschätzung. Und dass eine nachteilige Verschätzung recht einfach korrigiert werden kann (wenn man weiß, wie es geht), verschweigt der Ermittler auch.

Das alles ist rechtlich noch völlig in Ordnung und nicht anzugreifen. Wenn ich mir aber den Subtext dieses Hinweises anschaue und hinter den Zeilen lese, dann erkenne ich das Vorurteil des Ermittlers und die Tendenz seiner Ermittlungen am Objektivitätsgebot des § 160 Abs. 2 StPO vorbei. Die Botschaft, ein nach allen Seiten offenes Verfahren zu führen, wird jedenfalls anders formuliert.

Oder war’s wieder einmal so, dass der Herr StA/GL einen Textbaustein erwischt und nicht weiter darüber nachgedacht hat, was er da auf den sekundärrohstoffhaltigen Briefbogen der Behörde gedruckt hat? Denn eigentlich scheint er ja ein ganz Vernünftiger sein, wenn man so mit ihm redet …

__
Bild (CC0): wilhei / via Pixabay

4 Kommentare

Vorbildliche Anklage

Ich meckere ja gerne und oft über die bayerische Justiz. Aber heute möchte ich einem Oberstaatsanwalt aus dem Weißwurstsektor einmal ein Lob aussprechen.

So muss das aussehen, wenn eine Anklageschrift mal etwas ausführlicher geworden ist:

Eine Gliederung, und schon findet sich nicht nur der Verfasser selbst in dem Roman zurecht. Vorbildlich!

4 Kommentare

Zahlreiche Fragen zur verletzten Ehre und die Langeweile

Es gehört zum Geschäft eines jeden Strafverteidigers, sich ab und an solche belletristischen Ergüsse zu Gemüte führen zu müssen:

Ich frage mich, ob das wirklich sein muss.

Warum erstattet ein erwachsener Mensch mit qualifizierter Ausbildung eine Strafanzeige und stellt einen Strafantrag wegen so einer dusseligen Kinderkrippenbemerkung?

Und warum vergeudet die Strafjustiz ihre wertvollen, teuren Ressourcen, um sich nun mit ehrgekränkten Sensibelchen und aufbrausenden Kleingeistern herumzuschlagen?

Können wir uns nicht darauf einigen, diesen § 185 StGB einfach zu streichen und statt dessen wieder das klassische Duell einführen? Sollen sich die beiden Herren doch allein miteinander beschäftigen und nicht die Gesellschaft in ihre Streitigkeiten mit hineinziehen. Mich langweilen solche Strafverfahren immer …

Nebenbei:
Das ist ein Auszug aus einem Strafbefehl, in dem eine Geldstrafe in Höhe von 10 Tagessätzen festgesetzt wurden. Wie kommt man eigentlich auf den äußerst schmalen Gedanken, einen Verteidiger beauftragen zu wollen mit dem Ziel, dass es am Ende „billiger“ wird? Oder hängt die Verwendung einer solch armen Formulierung mit diesem Gedanken irgendwie zusammen?

Und:
Haben die alle nichts Besseres zu tun? ;-)
__
Bild (CC0): OpenClipart-Vectors / via Pixabay

30 Kommentare

Realitätsferne Justiz-Container

Das Urteil des Amtsgericht Fürstenfeldbruck (das liegt in Bayern) sorgt(e) für Aufregung:

Weil zwei Frauen ein paar Lebensmittel aus einem Mülleimer genommen haben, wurde sie wegen wegen (einfachen) Diebstahls (§ 242 StGB) verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte das Containern sogar als Diebstahl im besonders schweren Fall (§ 243 StGB) angeklagt.

Auch wenn am Ende nur eine zur Bewährung ausgesetzte Geldstrafe mit sozialer Arbeitsauflage dabei herauskam, wirft dieses Verfahren und das Verhalten insbesondere der Staatsanwaltschaft ein übles Licht auf die bayerische Justiz.

Treffend formuliert das Editorial des „Fachdienst Strafrecht“ (Ausgabe 03/2019) des Beck-Verlags diesen hochgradigen Unsinn:

Die Sorge um den Ruf der Justiz liegt nahe. Auf der einen Seite werde regelmäßig und gerade von der Strafjustiz über die Arbeitsüberlastung geklagt und neue Stellen gefordert. Auf der anderen Seite werden dann Fälle, die einen geringeren Unrechtsgehalt kaum haben könnten, mit der ganzen Härte des Gesetzes und einem ersichtlich unverhältnismäßigen Aufwand verfolgt. Wenn man das „Containern“ schon kriminalisiert, dann ist es ein Paradefall für eine Opportunitätseinstellung nach §§ 153, 153a StPO. Sich als Staatsanwaltschaft dieser Vernunftlösung mit dem Argument des „besonderen öffentlichen Interesses“ zu verweigern, ist eher Beleg besonderer Realitätsferne. Wünschenswert für die Zukunft wäre, dass, wenn schon keine Entkriminalisierung durch den Gesetzgeber erfolgt, zumindest eine großzügige und einheitliche Einstellungspraxis durch behördliche Weisungen in den einzelnen Ländern institutionalisiert wird.

Was sonst noch dazu zu sagen wäre, formulierte Tanja Podolski in der LTO

Vielleicht noch eine Ergänzung:
Der Richter hat die Geldstrafe auf 15 Tagessätze festgesetzt. Damit hat er de facto ein Rechtsmittel gegen seine Entscheidung verhindert. Denn gegen dieses Urteil ist ausschließlich die sogenannte „Annahme-Berufung“ möglich, die lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig ist, § 313 StPO. Nur Schelme denken sich bei diesem Strafmaß etwas Böses.

__
Bild (CC0): congerdesign / via Pixabay

17 Kommentare

Prozesse, die die Welt bewegen

An einem Mittwoch im Dezember fand vor dem Amtsgericht Tiergarten ein Strafprozess statt, über den die dpa, in Folge zahlreiche Zeitungen und alle 20 Minuten in den Info-Radio-Nachrichten berichteten:

Der Meldung zufolge soll ein 28-jähriger Fahrradfahrer mehrere Frauen sexuell belästigt und dabei verletzt haben.

Was war geschehen, dass dieser mutmaßliche Belästiger und Körperverletzer sich nun vor dem Strafrichter verantworten muss, worüber die ganze Stadt nachhaltig informiert wird?

Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, in der Zeit von Januar bis April 2017, sieben Mal von hinten an die Geschädigten herangeradelt und Ihnen quasi en passant einen Klaps auf den Po gegeben zu haben. Laut Anklage auch schon mal so feste, dass er „den Opfern körperliche Schmerzen zufügte„.

Die dpa berichtet (zitiert nach Berliner Morgenpost):

Die Anklage lautet auf sexuelle Belästigung und Körperverletzung.

Keine Frage:
Anderen Menschen – gleich, ob Mann oder Frau; überraschend oder nicht – auf den Hintern zu hauen, ist großer Mist.

Aber, bitteschön, was ist das denn hier:

Qualifizierte Polizeibeamte nehmen umfangreiche Strafanzeigen auf und legen (mindestens sieben) Akten an. Die Beamten hören den Radfahrer und die Zeugen an, bringen deren Einlassungen und Aussagen auf’s Papier, schreiben jeweils einen Schlussbericht. Die Akten werden anschließend an die Staatsanwaltschaft geschickt und dann von Staatsanwälten (Volljuristen mit zwei Prädikatsexamina, teilweise promoviert) bearbeitet, nachdem fleißige Mitarbeiter auf der Geschäftsstelle die Sachen einsortiert haben. Ein Staatsanwalt (dem die Verwaltung alle sieben Sachen auf den Tisch gelegt hat) schreibt eine komplizierte Anklage und schickt die Akte an das Gericht. Dort beschäftigen sich erneut fleißige Mitarbeiter auf der Geschäftsstelle damit und bereiten sie vor für den Richter, damit der verfügen kann, dass die Anklageschrift dem Radfahrer zugestellt wird. Das erledigen die Mitarbeiter der Geschäftsstelle und im weiteren Verlauf ein Postzusteller, der dann die Zustellungsurkunde zurück schickt, damit die Geschäftsstellenmitarbeiter diese in die Akte heften können. Wenn’s gut für’s Gericht läuft, passiert nichts weiter, so dass der Richter einen Hauptverhandlungstermin organisieren kann. Er verfügt die Ladungen für den Anklagten und die Zeugen und benachrichtigt die Staatsanwaltschaft über den Termin. Am Terminstag wird der Radfahrer (und die Zeugen) am Eingangsportal von zwei Wachtmeistern durchsucht und zum Saal geschickt. Dort werden die Geladenen wieder von einem Wachtmeister empfangen und in den Saal eingewiesen. Dort sitzen bereits ein weiterer Wachtmeister, eine Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, ein Staatsanwalt und ein Richter. (Die qualifizierten Prozessberichterstatter der sensibilisierten einschlägigen Medien auf der Galerie erwähne ich nur der Vollständigkeit halber.). Dann beginnt eine Hauptverhandlung, deren Länge bei entsprechendem Verhalten des Angeklagten nicht kalkulierbar ist. Anschließend ergeht ein Urteil, das der Richter schriftlich begründen und dann via Geschäftsstelle dem Angeklagten zugestellt werden muss.

Bis hierher mitgelesen? Sehr gut!

Dann beginne ich nun mit der Berufung, die der Verurteilte gegen das Urteil des Amtsgerichts einlegt.

Ne, war’n Scherz. Ich bringe jetzt auch nicht die Variante mit einem Verfahren, in dem ein Verteidiger engagiert mitarbeitet. Oder dass ein, zwei Zeugen nicht erschienen sind. Dann kippt nämlich der Plan (s.o.) des Richters:

Ein Verhandlungstag ist vorgesehen.

Bitte, nochmal: Es ist nicht akzeptabel, Frauen und Männer gegen bzw. ohne deren Willen anzufassen; und grob schonmal gar nicht. Und mit einer sexuellen Konnotation erst Recht nicht.

Aber müssen wir für solche Sachen wirklich so einen Aufriss machen? Und das vor dem Hintergrund des berechtigten Herumjammerns aller öffentlich-rechtlicher Strafjuristen ob der knappen Ressourcen, die ihnen für ihre tägliche Arbeit (nicht) zur Verfügung stehen?

Gehört der – verwerfliche – Klapps auf den Hintern wirklich vor den Strafrichter?

Und: Was ist eigentlich mit den Klingelmännchen?

Und überhaupt: Radfahrer! War ja klar. Die schon wieder.

__
Bild: © Tim Reckmann / pixelio.de

30 Kommentare

Nur dumm gelaufen?

Der Mandant war trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zu „seinem“ Termin erschienen. Das war keine gute Idee, denn dafür sieht das Prozessrecht den sogenannten Sitzungshaftbefehl vor (§ 230 StPO).

Eine Verhaftung konnte (zunächst noch, siehe unten) verhindert werden, der Mandant ist dann „freiwillig“ zu einem Wiederholungstermin erschienen, den das Gericht ein paar Wochen später anberaumt hatte. An diesem Sitzungstag wurde die Sache auch beendet; er wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und der Haftbefehl per Beschluss aufgehoben.

Dieser Beschluss hat dann wohl auch Eingang in die Gerichtsakte gefunden. Weiter ist er aber offensichtlich nicht gekommen.

In der vergangenen Woche meldete sich die Ehefrau meines Mandanten gegen 22:30 Uhr über unseren Notruf. Sie teilte mit, dass die Polizei ihren Mann fest- und mitgenommen habe. Das ist wohl nicht ganz unproblematisch vor sich gegangen; jedenfalls braucht die Wohnung jetzt eine neue Tür und auch einiges Mobiliar in der Wohnung muss ersetzt werden.

Erst am darauf folgenden Vormittag konnte ich die Sache klären.

Der zuständige und freundliche Polizeibeamte teilte mir mit, dass seine Kollegen den Sitzungshaftbefehl (siehe oben) vollstreckt hätten. In seinem Computersystem sei nichts von einer Aufhebung des Haftbefehls erkennbar. Auch sei beim Gericht niemand erreichbar, der ihm meine Information bestätigen konnte.

Glücklicherweise ist es mir gelungen, quasi über die „Hintertür“ Kontakt zu der zuständigen Mitarbeiterin auf der Geschäftsstelle des Gerichts aufzunehmen. Wir waren beide erleichtert, dass sich die Akte noch auf der Geschäftsstelle befand und nicht bereits auf dem Weg über die Staatsanwaltschaft zum Landgericht war, das über die Berufung zu entscheiden hat.

Denn in dieser Akte befand sich auch der Beschluss, mit dem der Haftbefehl aufgehoben wurde. Es war dann kein Problem mehr, den Beschluss auf die Polizeidienststelle zu schicken. Fünf Minuten später wurde der Mandant wieder in die Freiheit entlassen.

Es reicht also nicht aus, dass ein Haftbefehl aufgehoben wird, um zu verhindern, dass er vollstreckt wird.

Nun obliegt es dem Mandanten, den erlittenen Schaden gegenüber dem Land geltend zu machen. Wer sich einmal mit der Durchsetzung von Amtshaftungsansprüchen ernsthaft auseinandergesetzt hat, weiß, dass dies kein einfaches Unterfangen ist. Ich gehe davon aus, dass er am Ende auf irgendeinem Schaden sitzen bleiben wird.

Mit einer Entschuldigung für dieses Justizversagen rechne ich ebenfalls nicht. So ein Geschehen scheint wohl eher zum allgemeinen Lebensrisiko zu gehören … jedenfalls nach Ansicht der verantwortlichen Justiziellen. :-(

__
Bild (CC0): Barbaras_Designs / via Pixabay

, 21 Kommentare