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Strafvollstreckung
Zu kurze Androhung empfindlicher Übel
Das Gericht hat den Mandanten zu seiner Verhandlung geladen. Damit er dann auch tatsächlich erscheint, droht der Vorsitzende dem Geladenen empfindliche Übel an:
Die Rede in dieser Ladung ist vom sogenannten Sitzungshaftbefehl. Die Voraussetzungen für den Erlaß eines solchen Rotzettels sind in § 230 StPO geregelt.
Richtig ist, dass dieser (Vorführ- oder) Haftbefehl nur im Inland, also innerhalb der deutschen Grenzen von 1990, vollstreckt werden kann.
Verschwiegen wird aber an dieser Stelle, dass es auch noch eine andere Möglichkeit gibt, dem Angeklagten habhaft zu werden, und zwar auch außerhalb dieser Grenzen.
Wenn jemand nämlich nicht zum Termin erscheint, überlegt sich regelmäßig als allererster der Staatsanwalt, aus welchem Grund die Anklagebank leer geblieben ist. Ungefähr eine Zehntelsekunde später kommt dem Verfolger der Begriff „Flucht“ in den Sinn. Und damit sind wir bei § 112 Abs. 2 Ziffern 1 und 2 StPO.
Ein solcher Haftbefehl kann selbstredend auch international vollstreckt werden. Und das kann dann nicht nur empfindliche Übel nach sich ziehen, sondern sehr, sehr empfindliche. Man stelle sich nur mal eine Verhaftung in einem Land vor, die noch Knäste haben, die bei uns mit der Einführung von Zellengefängnissen abgeschafft wurden. Das ist nicht lustig.
Deswegen lautet der Rat eines jeden Strafverteidiger an seinen Mandanten: Dieser Ladung sollte man folgen, die meinen das ernst.
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Image by Marcello Rabozzi from Pixabay
Nazi-Ursel und ihre Ladung zum Haftantritt
Die mit Recht und rechtskräftig zu einer Haftstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung verurteilte Rechtsextreme Ursula Haverbeck ist ihrer Ladung zum Haftantritt nicht gefolgt. Neben der Taten, wegen der sie verurteilt wurde, ist das die nächste Dusseligkeit.
Wenn das Gericht rechtskräftig eine Freiheitsstrafe festgesetzt hat und d. Verurteilte noch auf freiem Fuß ist, verschickt die Vollstreckungsstelle der Staatsanwaltschaft eine Ladung zum Haftantritt.
Hier in Berlin werden diese so genannten „Selbststeller“ regelmäßig in eine Haftanstalt des offenen Vollzugs geladen. Das sind Gefängnisse, die für Gefangene konzipiert sind, von denen man ausgeht, daß man sie bald „lockern“ kann.
Die Verwaltung schaut sich die Neuankömmlinge ein paar Wochen an, dann gibt es in verschiedenen Lockerungsstufen den ersten Ausgang bis später den offenen Vollzug, das heißt, der Gefangene kann tagsüber die Haftanstalt (zum Arbeiten) verlassen und kommt erst zum Abendbrot wieder rein. Wenn alles glatt geht, erfolgt dann auch die vorzeitige Entlassung nach der Hälfte (eher selten) oder nach Zweidritteln (schon häufiger) der Haftzeit.
Wenn der Verurteilte dieser Ladung allerdings nicht „freiwillig“ folgt, wird er geholt. Dann nämlich wird ein Vollstreckungshaftbefehl wegen „Flucht“ erlassen, der regelmäßig geradewegs nach Ergreifen des Flüchtlings zur Einlieferung in den geschlossenen Vollzug führt und Lockerungen in weite Ferne rückt.
Also hat die 89-jährige Nazi-Ursel sich selbst einen Nachschlag abgeholt, als sie sich geweigert hat, der freundlichen Einladung der Strafvollstrecker zu folgen. Sie wurde heute in ihrem Zuhause gepflückt und eingetütet.
Ob ihr Verteidiger Wolfram Nahrath, ein deutscher Neonazi-Kader und Rechtsanwalt, es versemmelt hat, sie entsprechend zu beraten, oder ob die Greisin altersstarrsinng war, ist mir nicht bekannt.
Ich bin mir aber ziemlich sicher, daß das mit der Resozialisierung in diesem Fall auch nichts werden kann. Das klappt schon mit jüngeren Strafgefangenen nicht.
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Bild: © Marco Barnebeck(Telemarco) / pixelio.de
Das letzte halbe Hähnchen vor dem Haftantritt
Kennen Sie den? Kommt ein Mann mit einen halben Hähnchen zu Tierarzt und fragt:
„Kann man da noch etwas machen?“
Dieser Witz ist in unserer Kanzlei schon vor vielen Jahren zu einem Running Gag geworden. Und wird in Fällen wie dem folgenden bemüht.
Dem Mandanten wurden drei Straftaten zur Last gelegt, für die er im Strafbefehlsverfahren verurteilt wurde.
- Urkundenfälschung: Geldstrafe – 190 Tagessätze
- Diebstahl: Geldstrafe – 90 Tagessätze
- Erschleichen von Leistungen: 160 Tagessätze
Die Strafbefehle sind rechtskräftig. Der Mandant hat die Geldstrafen nicht bezahlt. Die Vollstreckungsstelle der Staatsanwaltschaft hat ihn zum Haftantritt geladen.
Die Zweiwochenfrist ist seit drei Wochen abgelaufen. Der Mandant schickt uns die Ladungen und fragt:
„Kann man da noch etwas machen?“
Tja, ich fürchte, das gibt 440 Tage lang keine Grillhähnchen, sondern „Wasser und Brot“. Wenn nicht die 440 Tagessätze sofort bezahlt werden.
Hilfreich ist in solchen Fällen, sofort(!) mit der allerersten Post der Polizei einen Strafverteidiger um Hilfe bitten. Also schon dann, wenn das Hähnchen noch friedlich nach Körnern pickt.
Auch wenn der Strafbefehl erlassen wurde, gibt es noch Möglichkeiten, den Gang zum Grill zu verhindern. Zum Beispiel hier: www.strafbefehl-berlin.de.
Selbst danach noch hätte man eine kleine Chance, um den Knast – die Ersatzfreiheitsstrafe – herum zu kommen: Zahlen (was oft mangels (Grill)Kohle nicht funktioniert) oder Schwitzen statt Sitzen.
Wenn der Gockel aber erst mal neben den Pommes auf dem Grillteller liegt, braucht der Delinquent keinen Strafverteidiger mehr. Denn zaubern können wir noch nicht (wir arbeiten aber daran).
Was rät nun der Strafverteidiger diesem Mandanten?
Wird geladen ...
Alternative Ideen sind in den Kommentaren willkommen.
Sibylle von der Strafvollstreckungsstelle
Manchmal reichen auch zwei juristische Staatsexamen und knapp zwei Jahrzehnte Berufserfahrung als Strafverteidiger nicht, um die Justiz zu verstehen.
Und so geht der Weg, der am Ende zur sibyllinischen Erkenntnis führt:
Ermittlung
Nach einem von der Staatsanwaltschaft geführten Ermittlungsverfahren landen die Strafsachen beim Gericht.
Erkenntnis
Nach einem mal längeren, mal kürzeren Verfahren spricht das Gericht ein Urteil, das im Anschluß daran (und selbstverständlich erst nach Rechtskraft) vollstreckt werden soll.
Vollstreckung
Dazu werden die Akten vom Gericht wieder zurück an die Staatsanwaltschaft geschickt. Aber nicht an die Ermittlungsbehörde, sondern an die Vollstreckungsstelle der Staatsanwaltschaft.
Überblick
Unserer Mandant hatte sich mehrere Urteile gefangen und den Überblick darüber verloren. Kann ja mal passieren. Deswegen haben wir uns an die Vollstrecker gewandt, und zwar mit einer – wie ich meine – überschaubaren Frage:
In welcher der uns zur Einsicht angebotenen Akten ist die Vollsteckung der Freiheitsstrafe(n) dokumentiert?
Das hier ist die freundliche Antwort der Strafvollstreckungsstelle:
Kann mir das jemand mal eben erklären?
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Bild: Wikimedia Commons. Delphische Sibylle (Ausschnitt aus einem Fresko von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle, 1510)
Projekt: Digitalisierter Knast
Auf unseren Seiten über die www.JVA-Moabit.de habe ich einen Beitrag über ein Pilotprojekt (pdf) der Berliner Regierungskoalition geschrieben:
Bekommen die Gefangenen in den Berliner Justizvollzugsanstalten Zugriff auf redube.com Zugang zum Internet?
Dazu macht Rechtsanwalt Jürgen Just, Strafverteidiger aus Hamburg, den folgenden begrüßenswerten Vorschlag:
Zunächst wohl aber nur Zugang zu ausgewählten Seiten wie https://t.co/lseWPVV4si oder jva-moabit.de ? @KanzleiHoenig https://t.co/KayI7xr0xF
— Jürgen Just (@RA_JustHH) 6. März 2016
Kommentare deaktiviert für Projekt: Digitalisierter Knast
Haftbefehl? „Is mir egal!“
Die BVG macht nicht nur mit einer netten Erkennungsmelodie auf sich aufmerksam. Sie sorgt auch für Beschäftigung. Bei Justizwachtmeistern, Richtern, Staatsanwälten und Strafverteidigern.
Nach einem Bericht des Berliner Tagesspiegel ist die Zahl der Strafanzeigen wegen Schwarzfahrens drastisch gestiegen. Von 480 im Jahr 2013 auf 33.723 ein Jahr später. Das ist eine Steigerung von – Achtung! – 7.000 Prozent. Da träumt der Daytrader von! Bei der S-Bahn ist mit einer Steigerungsrate von nur 100 Prozent die Rede.
Die Justizvollzugsanstalt Plötzensee platzt daher aus den Nähten: Ein Drittel aller Knackis in der Plötze sind Schwarzfahrer.
Das geht so:
- Wer beim dreimal auf das Gebot „Beförderung nur mit gültigem Fahrausweis“ nicht reagiert und dabei erwischt wird, bekommt Post von der Ermittlungsbehörde: „Ihnen wird zur Last gelegt, in drei Fällen eine Straftat nach § 265a StGB (Erschleichen von Leistungen) begangen zu haben.“ Oder so ähnlich.
- Wer darauf nicht reagiert, bekommt Post vom Gericht. In einem gelben Umschlag steckt der Strafbefehl.
- Wer darauf nicht reagiert, bekommt Post von der Justizkasse, die eine Geldstrafe und ein paar Gerichtskosten fordert.
- Wer darauf nicht reagiert, bekommt Post von Strafvollstreckungsbehörde: Die Ladung zum Haftantritt in der Plötze.
- Wer darauf nicht reagiert, bekommt Besuch von der Polizei, die einen Haftbefehl vollstreckt, und den Reaktionslosen zur Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe in die JVA Plötzensee verbringt.
Was fällt einem dazu ein?
Richtig: Hat die Strafjustiz eigentlich nichts Besseres zu tun? Offenbar nicht.
Also: Wie reagiert man nun aber richtig?
Am besten läßt man sich beim Schwarzfahren gar nicht erst erwischen. Wenn das aber nicht gelungen ist, gilt: Je früher, desto besser.
Die Beschuldigten-Anhörung ist die Pole-Position der Verteidigung: Ein Strafverteidiger besorgt die meist sehr dünne Ermittlungsakte und nimmt die Verhandlung mit der Staatsanwaltschaft auf. Das führt in der Regel beim ersten Mal zur Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer geringen Auflage (§ 153a StPO) und nicht zu einer Geldstrafe.
Gegen einen Strafbefehl lohnt der Einspruch, um doch noch die Vorstrafe zu verhindern. Hier wird der Strafverteidiger versuchen, mit dem Gericht über die Einstellung nach § 153a StPO zu verhandeln.
Wenn gar nichts hilft, muß entweder die Geldstrafe bezahlt werden, möglichst sofort, oder auf Antrag auch in Raten. Oder man beantragt die Umwandlung der Geldstrafe in gemeinnützige Arbeit. Dabei (bei den Anträgen, nicht beim Bezahlen ;-) ) hilft ein Strafverteidiger oder solche Einrichtungen wie der Straffälligen- und Bewährungshilfe Berlin e.V..
Der rote Punkt an der Zellentür
In diesen Tagen berichten einige Printmedien über einen vormals hochkarätigen Untersuchungshäftling, der gut vier Wochen lang unter Schlafentzug litt. Ich habe einen Pressebericht über die sozialen Medien geschickt, mit der Anmerkung:
Auch ne Art der Folter.
Das Thema scheint es aber Wert zu sein, ein paar mehr Worte darüber zu verlieren.
Zunächst einmal:
Der 61 Jahre alte Gefangene wurde im November 2014 vom Landgericht Essen wegen Untreue und Steuerhinterziehung zu drei Jahren Haft verurteilt. Unmittelbar nach der Urteilsverkündung wurde er noch im Gerichtssaal verhaftet. Sechs Monate, ein halbes Jahr lang ist er vorher zu jedem Hauptverhandlungstermin pünktlich und „freiwillig“ erschienen.
Eine solche Saalverhaftung ist etwas, das ein durchschnittlicher Strafverteidiger in seiner gesamten Karriere wohl nicht mehr als zwei- oder dreimal erlebt.
Das Landgericht unterstellte dem – nicht rechtskräftig – Verurteilten, er würde sich dem Verfahren durch Flucht entziehen, wenn man ihn rausließe.
Der Versuch der Verteidigung, den Haftbefehl gegen Stellung einer Sicherheitsleistung in Höhe von nahezu 900.000 Euro außer Vollzug setzen zu lassen, scheiterte im März d.J. am 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm. Das Risiko, daß der Häftling einem „bestehenden Fluchtanreiz“ nachgebe, sei größer, als daß er sich dem weiteren Strafverfahren stellen werde. An dieser Stelle sei noch angemerkt: Der verursachte Schaden, den der erstinstanzlich Verurteilte angerichtet haben soll, habe rund 500.000 Euro betragen.
Nun gut, wir kennen die Akten nicht. Aber so richtig schön hört sich das alles erst einmal nicht an. Die entscheidenden Richter und beantragenden Staatsanwälte werden sicherlich ihre Gründe haben. Und hoffentlich keine sachfremden.
Jetzt aber:
Die Fallhöhe war beträchtlich. Vor Beginn des Verfahrens war der Mann – zumindest aus der Distanz betrachtet – sehr weit entfernt von seiner aktuellen Lage. Wie es jetzt im Inneren dieses Menschen aussieht, kann sich ein Außenstehender nur schwer vorstellen; selbst mir, dem den Umgang mit inhaftierten Schlipsträgern nicht fremd ist, fällt es schwer nachzuvollziehen, was in dem Essener Häftling vorgeht.
Der Essener Gefängnisdirektor hat da wohl bessere Erfahrungen. Er wird von den Medien zitiert:
„Wenn jemand alles zu verlieren droht, ist das der typische Fall eines Bilanz-Selbstmordes.“
Da isses, das böse Wort: Selbstmordgefahr. Der Supergau. Nicht aus Sicht des Gefangenen, neinein. Sondern aus Sicht der Gefängnisleitung! Denn wenn sich die Suizidgefahr realisieren sollte, müßte der Herr Direktor ganz massive Beeinträchtigungen seine Karriere betreffend hinnehmen.
Deswegen klebt er – in dubio pro rubrum dot – einen roten Punkt an die Tür der Zelle, in der sich der Gefangene 23 Stunden täglich aufhalten muß.
Ich kenne die Verhältnisse in der JVA Essen nicht. Für die Untersuchungshaftanstalt Moabit in Berlin hat die Journalistin Katja Füchsel im Tagesspiegel die Folgen des roten Punkts so formuliert:
Ein Teil dieses Überwachungssystems ist der rote Punkt. Das Signal auf der Zellentür zeigt den wachhabenden Justizvollzugsbeamten die Risikofälle an, bei denen sie stündlich eine so genannte „Lebendkontrolle“ vorzunehmen haben. Rund 200 Türen der JVA Moabit sind mit einem roten Punkt versehen. In den Zellen brennt außerdem während der ganzen Nacht das Licht.
Dem Essener Herrn Direktor – hoffentlich im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit dem Anstaltsarzt – reichte die Stunde aber nicht: Der Gefangene soll während seiner Untersuchungshaft mehr als 28 Tage lang alle 15 Minuten einer solchen Lebendkontrolle unterzogen worden sein: Und zwar rund um die Uhr, tags und nachts. Da versuche man mal, ein Auge zu zu kriegen!
Und nun?
Es ist und bleibt eine ganz schwierige Abwägung. Selbstverständlich ist es geboten, einen verzweifelten Untersuchungsgefangenen davon abzuhalten, sich das Leben zu nehmen. Aber ihn dabei in den Tod (zumindest aber in die Krankheit) zu treiben, indem man ihm den Schlaf „raubt“? Stehen der JVA keine anderen Möglichkeiten der Suizid-Vorbeugung zur Verfügung? Mir fallen da durchaus einige ein, die weniger einschneidend wirken: Unterbringung in Doppelzellen, sozialpsychiatrische Betreuung, Arbeit, Sport, Freigang, Besuch …
So, wie das – für Außenstehende wie mich – aussieht, scheint es aber nicht gewollt zu sein. Der Häftling ist laut Medienberichten aber offenbar kein Sympathieträger. Liegt es daran?
Ergänzendes Schwieriges
Wie verhält sich ein Verteidiger eigentlich, wenn er den Verdacht – oder auch nur die Vermutung – hat, sein inhaftierter Mandant ventiliert (ernsthaft?) den Gedanken, sich mit dem Bettuch am vergitterten Fenster aufzuhängen? Meldet er die Suizid-Gefahr den Wachtmeistern? Was ist, wenn er sich täuscht? Darf er das überhaupt (§ 203 StGB)? Macht er sich im Ernstfall „mitschuldig“, wenn er seine Befürchtung nicht mitteilt? Kann er die Verantwortung dafür tragen, daß alle 15 Minuten kontrolliert wird, ob sein Mandant noch atmet? Diese Fragen habe ich mir mehr als einmal stellen müssen – mit meinen Antworten habe ich bisher noch nicht daneben gelegen. Bisher.
…
Sage mir, wie ein Land mit seinen Gefangenen umgeht, und ich sage dir, wie es um den zivilisatorischen Fortschritt steht.
Quelle: Michel Foucault „Überwachen und Strafen“ (Sponsored Link)
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Bild Zellentür: © Peter Reinäcker / pixelio.de
Keine Zahnbürste wegen Saalverhaftung
Es ist so ziemlich das Härteste, was einem Angeklagten und seinem Verteidiger in einer Wirtschaftsstrafsache passieren kann.
Der Mandant kommt artig zu allen Terminen, voll der Hoffnung, daß es am Ende gut für ihn ausgeht. Keine Frage, der Verteidiger ist Berufsoptimist, er prognostiziert – je nach Charakter mehr oder minder vorsichtig warnend – eine relativ rosige Zukunft.
Am Ende der Beweisweisaufnahme beantragt der Staatsanwalt eine Freiheitsstrafe, die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Der Verteidiger plädiert und beantragt wie mit dem Mandanten absprochen den Freispruch.
Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück und verkündet später das Urteil, das dem Antrag des Staatsanwalts nahezu entspricht. Das gibt schon das erste Mal richtig weiche Knie beim Angeklagten und Enttäuschung beim Verteidiger.
Wenn dann aber nach ellenlanger mündlicher Urteilsverkündung auch noch ein Beschluß ergeht, der die Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr anordnet, und dieser Beschluß dann sofort vollstreckt wird, bleibt dem Angeklagten noch nicht einmal Zeit, sich eine Zahnbürste zu besorgen.
Genau das ist heute dem ehemalige Arcandor-Chef passiert, berichtet Zeit Online:
Der frühere Top-Manager M* ist wegen Untreue und Steuerhinterziehung zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Wegen Fluchtgefahr musste er direkt in U-Haft.
Ich kann nicht beurteilen, ob das Gericht da richtige Entscheidungen getroffen hat. So oder so, es wird für Herrn M* kein schönes Wochenende und eine elend lange Zeit bis zum Haftprüfungstermin in der kommenden Woche. Ohne Zahnbürste. Dafür bedauere ich ihn.
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Bild: Paul-Georg Meister / pixelio.de
Gesichert
Es war Anfang 2008, als der Mandant seine Nachbarin um eine Zigarette bat. Das Blöde war, daß er dabei ein 1,70 m großes Schwert in der Hand hatte. Aber er war trotz Nikotin- (und-so-weiter-) Entzugs imstande, die 8 rechten Außenspiegel der parkenden Auto mit seinem Schuh zu treffen. Problematisch wurde es dann, als er in einem türkischen Imbiss auf unkonventionelle Art das Geschirr sortiert und sich das Dönermesser gegriffen hatte. Als er dann wild gestikuliernd mit dem Messer in der einen, und dem Schwert in der anderen Hand ankündigte, seine Mutter zu töten (die etwa 15 Jahre zuvor verstorben war), haben ihn die Freunde und Helfer in ihre Obhut genommen.
Ein nicht einfach zu lösende Aufgabe für einen Verteidiger. Denn eine Verteidigung, die darauf abzielt, jemand in die Klapse (§ 63 StGB) zu verteidigen, muß einkalkulieren, daß er dort so schnell nicht wieder rauskommt. (Ich erinnere an dieser Stelle nochmal an den Fall Mollath.)
Der erste Schritt war der Antrag auf Aufhebung des (Untersuchungs-)Haftbefehls, der am Tag nach der Verhaftung erlassen und verkündet wurde. Der Ermittlungsrichter im Haftprüfungstermin war mit mir einig: Der Mann gehört nicht in den Knast, sondern in ein Krankenhaus. Er wurde antragsgemäß nach § 126a StPO vorläufig untergebracht. Damit waren die Weichen gestellt.
Bevor ein solcher Antrag vom Verteidiger gestellt werden darf, muß der sich im Klaren sein, was er damit auslöst. Zumal diese Art der Verteidigung in den seltensten Fällen vom tatsächlichen Willen des Mandanten gedeckt sein dürfte; der will im Zweifel weder dort, noch hier rein. Sondern raus! Und zwar sofort.
Das Verfahren vor der Großen Strafkammer startete dann auch nicht mehr mit einer Anklageerhebung. Denn wenn von vornherein klar ist (z.B weil ein Sachverständigengutachten das entsprechend bestätigt), daß der Beschuldigte schuldunfähig (§ 20 StGB) ist, darf er nicht angeklagt werden. Für diese Fälle hat sich der Gesetzgeber das Sicherungsverfahren (§ 413 StPO) ausgedacht. Ziel des Verfahrens in dann nicht mehr die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, sondern zu einer Unterbringung.
Der „Vorteil“ einer Freiheitsstrafe besteht darin, daß der Verurteilte jeden Tag anhand der verbleibenden Kalenderblätter abzählen kann, wann er (spätestens) entlassen werden muß. Einen solchen Kalender hat der Sicherungsverwahrte nicht. Er sitzt mit open end hinter Schloß und Riegel. Keine guten Aussichten, auch wenn Schloß und Riegel rosa angemalt sind.
In der vergangenen Woche war es nun soweit. Der Psychiater kam in seinem Gutachten gemeinsam mit den behandelnden Ärzten zu dem Ergebnis, daß von dem ehemaligen Schwertkämpfer wohl keine Gefahr mehr ausgeht. Das ist die zentrale Voraussetzung für die Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung.
Der Mandant wird nun aus der Obhut der Klinik und in eine betreute Wohngemeinschaft in die Vor-Selbständigkeit entlassen. Auf Bewährung zwar noch, aber immerhin.
Der Mandant freut sich über diese – seine – Entwicklung. Und ist dankbar.
Schwert-Bild: UWe / pixelio.de
Betten-Bild: Kai Niemeyer / pixelio.de
Berliner Strafverteidiger: Presseerklärung
Die Vereinigung Berliner Strafverteidiger e.V. hat heute folgende Presseerklärung veröffentlicht:
Presseerklärung zur Kritik der Vereinigung Berliner Staatsanwälte an der Praxis zum offenen Strafvollzug
Der Senator für Justiz sieht sich durch eine Stellungnahme der Vereinigung Berliner Staatsanwälte veranlasst, die Praxis der Zulassung zum offenen Vollzug zu überprüfen. Der Senator sollte sich nicht beirren lassen, denn diese Stellungnahme ist in weiten Zügen rechtlich unzutreffend, populistisch und setzt die Vollzugsverantwortlichen unzutreffend herab.
Der Strafvollzug dient primär der Befähigung des Strafgefangenen, künftig ein straffreies Leben zu führen. Allein so erlangen Strafe und Strafvollzug eine verfassungsgemäße Legitimation. Den gesetzlichen Vorgaben folgend hat dies möglichst nah am „normalen“ Leben zu geschehen. Familiäre und andere positive soziale Bindungen sollen aufrecht erhalten bleiben.
Der offene Vollzug in Berlin entspricht dem Strafvollzugsgesetz und ist ein Erfolgsmodell, welches von diversen Bundesländern nachempfunden wird.
Selbstverständlich wird vor der Aufnahme in den offenen Vollzug durch erfahrenes und geschultes Personal eingehend geprüft, ob eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr vorliegt. Als Prüfungsgrundlage dienen insbesondere das Urteil, Sachverständigengutachten und ausführliche Explorationsgespräche mit den Inhaftierten unter Hinzuziehung erfahrener Psychologen – und nicht wie von der Vereinigung Berliner Staatsanwälte behauptet, regelmäßig allein auf Angaben „der – zumeist anwaltich vertretenen – Verurteilten, deren Validierung schwerlich möglich ist“. Insbesondere die niedrige Missbrauchzahl von weniger als einem von 1.000 Verurteilten widerlegt das Argument der Vereinigung Berliner Staatsanwälte.
Der Vorstand
Anm.: Hervorhebungen und Verlinkungen durch mich.
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