Verteidigung

Wieder dahoam

Es waren zwei stürmische und (teil)erfolgreiche Verhandlungstage vor einer Bayerischen Wirtschaftsstrafkammer. Gestern Abend sind die drei Strafverteidiger mit der Lufthansa aus München in Berlin gelandet. Unmittelbar nach dem Bodenkontakt wurden die Passagiere freundlich von der Crew begrüßt:

Willkommen auf dem Flughafen Tegel und zurück im Geltungsbereich der StPO. Bitte bleiben Sie noch so lange angeschnallt …

Nächste Woche geht die Fortbildung im bayerischen Strafprozeßrecht dann weiter.

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Ungenießbares Revisionsgeschwätz

153685_web_R_by_Manfred Rose_pixelio.deWenn der Antrag der Verteidigung und das Urteil sich nicht decken, ist die Enttäuschung des Verurteilten und seines Verteidigers ohne Frage groß. Dies gilt ganz besonders, wenn es um Knast oder nicht Knast geht.

Wie sollte ein Verteidiger mit dieser Enttäuschung nun umgehen? Eine Möglichkeit besteht darin, seinem Ärger Luft zu machen und quasi unmittelbar nach der Verkündung des Urteils die Revision anzukündigen.

Die Alternative? Schweigen. Schlicht das Ende der Instanz auf sich wirken lassen. Und zur Ruhe kommen. Neben der Vermeidung von Fehlern, die bei emotionsgeladenen Spontanäußerungen eher nicht auszuschließen sind, hat das Abwarten weitere Vorteile.

Die Staatsanwaltschaft weiß nicht, was der Verurteilte vorhat. Sie wird auch nicht durch das öffentlichkeitswirksame Muskelspiel der Verteidigung provoziert, ihrerseits Revision einzulegen. Und das ist im Rahmen eines Rechtsmittelverfahren essentiell.

Wenn nämlich (auch) die Staatsanwaltschaft das Urteil mit der Revision angreift, ist der Deckel nach oben offen. Wenn nur und ausschließlich der Verurteilte zum Rechtsmittel greift, darf das Ende nicht noch dicker kommen, als es schon ist.

Auch wenn Staatsanwälte sich nicht provozieren lassen (dürften, eigentlich), weiß man nie, was in den Köpfen der Verfolgungsorgane vorgeht. Die Verteidigung kann also in aller Ruhe abwarten, ob sich auf jener Seite irgendwas bewegt.

Ein, zwei Tage vor Ablauf der Rechtsmittelfrist sorgt ein Anruf auf der Geschäftsstelle des Gerichts für Klarheit: Entweder liegt die Rechtsmittelschrift der Staatsanwaltschaft dort auf Tisch oder eben nicht.

Erst dann ist der richtige Moment gekommen, in dem sich der Verurteilte und sein Vertediger entscheiden sollten. Hat die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel eingelegt, ist es in vielen Fällen sinnvoll, sich anzuschließen, um den Deckel nach unten offen zu halten.

Entscheidet sich die Verteidigung dafür, das Urteil nun anzugreifen, hindert den Verteidiger niemand daran, die Rechtsmittelfrist bis zu letzten Stunde auszunutzen. Was spricht dagegen, kurz vor 24 Uhr am Tage des Fristablaufs ein Fax ans Gericht zu schicken? Nichts, jedenfalls nicht in einer gut organisierten Strafverteidiger-Kanzlei.

Und was spricht dafür? Man provoziert keine eigentlich unprovozierbaren Staatsanwälte, an besagtem oberen Deckel herumzuhantieren.

Und es gibt noch einen Grund. Weiß der Verurteilte, daß weder der Staatsanwalt noch er selbst sich gegen die Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteil wehren, kann er einen Rechtsmittelverzicht erklären (völlig egal, ob der nun wirksam ist oder nicht). Diese Erklärung sollte dann eben nicht nur ein Einzeiler sein, sondern könnte durchaus ein Rückblick auf das Verfahren und das Urteil werfen, getragen von Einsicht und Reue.

Das dient zum einen dem Ansehen bei den laienjuristischen Medienfuzzis auf der Galerie. Aber viel wichtiger ist der Eindruck, der bei denjenigen entstehen wird, die den Verlauf der Vollstreckung der Freiheitsstrafe begleiten. Über den den dicken Daumen gepeilt: Je früher die Einsicht in eigenes Fehlverhalten dokumentiert ist, desto früher setzen Vollzugslockerungen ein.

Es spricht jedenfalls nichts, aber auch rein gar nichts dafür, sich nach der Urteilsverkündung in die Karten schauen zu lassen. Der Kenner genießt überlegt und schweigt.

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Bild: Manfred Rose / pixelio.de

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Abgehörte Telefonate mit Verteidigern sind zu löschen

BGH bestätigt Pflicht zur unverzüglichen Löschung aufgezeichneter Telefonate zwischen Verteidigern und Beschuldigten

Es ist schon erstaunlich, daß erst der Bundesgerichtshof (BGH) der Staatsanwaltschaft mitteilen muß, daß Verteidigergespräche nicht überwacht werden dürfen. Auch nicht zufällig oder versehentlich.

In der Mitteilung Nr. 46/2014 berichtete die Pressestelle des BGH am 7. März 2014 darüber, daß Bundesgerichtshof die Pflicht zur unverzüglichen Löschung aufgezeichneter Telefonate zwischen Verteidigern und Beschuldigten bestätigt hat.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Beschwerde des Generalbundesanwalts gegen einen Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs als unbegründet verworfen, in dem dieser festgestellt hat, dass die Ermittlungsbehörden es rechtswidrig unterlassen haben, die automatisch gefertigte Aufzeichnung zweier Telefonate unverzüglich zu löschen, die ein Rechtsanwalt zur Anbahnung eines Mandatsverhältnisses geführt hatte. Entgegen anderslautender Berichte in Presse, Funk und Fernsehen waren diese Aufzeichnungen allerdings nicht bei einer gezielten Abhörmaßnahme gegen den Rechtsanwalt angefallen. Vielmehr stammten sie aus einer vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs angeordneten Überwachung des Telefonanschlusses eines Beschuldigten, gegen den der Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland führt. Auf diesem Anschluss hatte der Rechtsanwalt angerufen, um dem Beschuldigten seine Dienste als Verteidiger anzubieten. Dieses Angebot hatte der Beschuldigte später angenommen.

Der 3. Strafsenat hat nunmehr die Auffassung des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs bestätigt, dass der Rechtsanwalt berechtigt ist, das Zeugnis über den Inhalt der beiden Telefonate zu verweigern, obwohl diese nur der Anbahnung des Mandatsverhältnisses mit dem Beschuldigten dienten. Nach der bestehenden Gesetzeslage waren die von ihnen im Rahmen der Überwachung des Telefonanschlusses des Beschuldigten automatisch gefertigten Aufzeichnungen daher unverzüglich zu löschen. Sie durften insbesondere auch nicht zum Zwecke der späteren gerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Anordnung und Vollzug der Überwachungsmaßnahme weiter aufbewahrt werden.

Beschluss vom 18. Februar 2014 – StB 8/13 (PDF)

Einen bemerkenswerten Satz möchte ich aus dieser Entscheidung hervorheben

Derjenige, der Vertrauen sucht, muss, um dieses Vertrauen aufbauen zu können, im Vorfeld sicher sein, dass sämtliche vom Berufsausübenden in seiner Funktion gewonnenen Erkenntnisse unabhängig von der Bewertung durch Dritte dem Zeugnisverweigerungsrecht unterfallen.

Aber das kann ein Generalbundesanwalt nicht von alleine wissen. Sowas muß man ihm sagen. Das hat der BGH ja nun erledigt.

Und bis das auch bei den Ermittlern auf den unteren Behördenfluren angekommen ist, warne ich meine Mandanten davon, mit mir zu offen am Telefon zu sprechen.

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Enttäuschter Journalist, enttäuschter Leser

In einer Diskussion über den Inhalt eines Beitrags der Strafakte zum Komplex Teldafax, wird eine altbekannte Enttäuschung offenbar, die strafprozessualen Laien nicht selten widerfährt.

Es geht um die oft verächtlich als „Budenzauber“ bezeichnete Anträge der Verteidigung zu Beginn eines Mammutverfahrens. Wenn so ein Antrag dann einmal – aus Sicht des Antragstellers – erfolgreich ist, sind

Handelsblatt-Redakteure, die seit 2010 in die­sem Fall re­cher­chie­ren,

selbstredend enttäuscht, weil der große show down vor dem Strafrichter, dem sie entgegen gefiebert haben, erst einmal verschoben wird.

Was war passiert?

Der Strafprozess gegen ehemalige Topmanager des insolventen Billigstromanbieters Teldafax muss neu aufgerollt werden. Die Richter der zuständigen Wirtschaftsstrafkammer 7a am Bonner Landgericht gaben am Freitag den Besetzungsrügen der Verteidiger statt und setzten das Verfahren schon am zweiten Verhandlungstag aus.

berichtete das Handelsblatt. Diesen Bericht begleitete der der Twitterer und Handelsblattredakteur Sönke Iwersen mit einem Kurzkommentar:

Besetzungsrüge00

Vier lange Jahre mit harter Arbeit führten angesichts dieses Bremsmanövers zu langen Gesichtern in der Handelsblattredaktion (der offenbar der Hype um eine ehemaligen Inkasso-Anwalts nicht unbekannt zu sein scheint. ;-)).

Nun folgt das, was angesichts der gewohnten Qualität des Handelsblatts für den kundigen Leser enttäuschend ist:

Besetzungsrüge02

Herr Iwersen unterliegt einem klassischen Irrtum: Strafverteidiger haben nicht die Aufgabe zu verhindern, daß die von Journalisten ermittelte „Schuld“ ans Licht kommt. Wir Advokaten müssen ganz besonders gut aufpassen, daß Ermittlungen und Verfahren, die einem Urteil vorangehen, den Regeln entsprechen, die konstitutiv für unseren Rechtsstaat sind. Ich rede jetzt nicht von der Pressefreiheit, sondern von einem rechtsstaatlichen Strafverfahren.

Schlechthin konstituierend für einen fairen Strafprozeß ist die richtige Besetzung des Gerichts. Nicht ohne Grund steht ganz oben auf dem Treppchen der absoluten Revisionsgründe die „nicht vorschriftsmäßige Besetzung“ des Gerichts, § 338 Ziffer 1 StPO.

Diese Verfahrensvorschrift hat ihren Anker im Art. 101 Abs. 1 GG, der vor knapp 65 Jahren im allerersten Band des Bundesgesetzblatts auf der allerersten Seite (BGBl. I S. 1) veröffentlicht wurde.

Besetzungsrüge03Die Autoren, die diesen sehr übersichtlichen Absatz in unsere Verfassung formuliert haben, waren nachhaltig beeindruckt von den 12 Jahren, die das Tausendjährige Reich bestanden hat (zur gefälligen Lektüre – lesen bitte! – über die Rolle der Justiz im 3. Reich sei der Artikel von Richard Schmid in der ZEIT aus dem Jahr 1965 empfohlen).

Wer sich auch nur am Rande mit der Rolle der Justiz in den Jahren 1933 bis 1945 beschäftigt hat, wer auch nur ahnt, welchem Einfluß und Druck die Richter in der damaligen Zeit ausgesetzt waren und wer auch nur teilweise die Konsequenzen erinnert, die aus dieser Willkür entstanden sind, muß sich im Klaren sein: Zu einer unabhängigen Justiz gehören unabhängige Strafverteidiger, die zumindest darauf aufmerksam machen können, wenn mit der Justiz mal wieder was schiefläuft (ob sie es am bösen Ende wieder gerade rücken können, steht wiederum auf einem anderen Blatt).

Ich erinnere an dieser Stelle nur ganz oberflächlich an den Volksgerichtshof, an die Sondergerichte, an die „Standgerichte der inneren Front“, an die Nacht und Nebel-Justiz, an die Militärgerichte … und und und.

Vielleicht wird vor diesem Hintergrund deutlich, warum bei einem entsprechend sensibilisierten oder auch nur sonst erfahrenen Strafverteidiger eine gelbe Lampe angeht, wenn er den Geschäftsplan vom Landgericht Bonn studiert und dort von der Einrichtung einer Hilfsstrafkammer erfährt, vor der „sein“ Prozeß stattfinden soll. Es gehört zur Pflicht eines gewissenhaft und verantwortungsvoll arbeitenden Strafverteidigers, in jedem Fall die korrekte Besetzung des Gerichts zu prüfen. Und wenn er auch nur den leisesten Zweifel hat, muß er ihn artikulieren.

Es hat wilde Zeiten gegeben, in denen Innenminister Strafverteidiger das damalige (liberale) Prozeßrecht sehr extensiv genutzt haben, um ihre Mandanten zu verteidigen. Damit war der Gesetzgeber nicht einverstanden, deswegen hat er – insbesondere vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit den Strafprozessen gegen die Rote Armee Fraktion – einige Beschränkungen in das aktuelle (restriktive) Prozeßrecht eingeführt.

Solche Beschränkungen bzw. Ergänzungen erkennt man leicht an den „Buchstabenparagraphen“, wie beispielsweise der § 222b StPO einer ist.

Ist die Besetzung des Gerichts […] mitgeteilt worden, so kann der Einwand, daß das Gericht vorschriftswidrig besetzt sei, nur bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache in der Hauptverhandlung geltend gemacht werden.

… heißt es. Es soll u.a. verhindert werden, daß Verteidiger die Fehlbesetzung erkennen, aber erst einmal schweigen, um nach 150 Hauptverhandlungsterminen und Urteilsverkündung dann in der Revision die Besetzungsrüge zu erheben. Wir erinnern uns: Die nicht vorschriftsmäßig Besetzung eines Gerichts führt zwingend zur Aufhebung des Urteils, § 338 StPO.

Das sind also die Hintergründe für die Besetzungsrüge zu Beginn eines Verfahrens. Einem Verteidiger zu unterstellen, er wolle damit das Verfahren verzögern, die Verurteilung eines „extrem schuldigen“ (eieiei!) Angeklagten verhindern und die Ermittlungsarbeit engagierter Journalisten zunichte zu machen, zeugt nicht gerade von einem aufgeklärten Verhältnis zum rechtsstaatlichen Strafverfahren.

Recht ist nicht, was dem Volke nützt!

BTW:
Das sehr diffizile Problem mit der Unschuldsvermutung und die Zusammenhänge mit den Erfahrungen aus dem 3. Reich erkläre ich Herrn Iwersen gern mal bei einem Caffè in unserer Kanzlei.

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Bild: Wikimedia

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Observation statt Auskunft

Der Beschuldigte ist Unternehmer. Gleichwohl findet man ihn weder in den gelben Seiten, noch in einem sonstigen Telefonbuch. Das ist dann mißlich, wenn man wissen will, mit wem er sich wann und über was unterhält.

Da die Staatsanwaltschaft also nicht bei der Auskunft anrufen kann, um eine Telefonnummer in den Antrag auf Überwachung der Telekommunikation schreiben zu können, muß sie hinter dem Unternehmer herlaufen.

Observation

Wie man sieht, nützt es erst einmal wenig, auf die Anmeldung eines Telefons im eigenen Namen zu verzichten. Der einfachste Verzicht, der gegen Telekommunikationsüberwachung hilft, ist der auf Telekommunikation.

Es gibt dann einen zweistufigen Beschluß oder eben zwei hintereinander liegende Beschlüsse, je nach Geschmacke des Ermittlungsrichters:

Erstmal die Observation:

.. wird gemäß §§ 163 f, 162 Absatz 1 Satz 1 Strafprozessordnung die Observation des Beschuldigten Wilhelm Brause, wohnhaft 10999 Berlin, Paul-Lincke-Ufer 42-43, beginnend ab dem 28. Juli 2013 um 0.00 Uhr bis zum 17. August 2013 um 0.00 Uhr angeordnet.

Und dann gleich hinterher die Inbetriebnahme des IMSI-Catchers:

… wird gemäß §§ 100 i Absatz 1 i. V. m. 100 b Absatz 1 Satz 1 Strafprozessordnung betreffend den Beschuldigten Wilhelm Brause die Ermittlung der Gerätenummer des von ihm genutzten Mobilfunkendgerätes und der Kartennummer der darin verwendeten Karte durch technische Mittel, beginnend ab dem 28. Juli 2013 um 0.00 Uhr bis zum 17. August 2013 um 0.00 Uhr, angeordnet

Und wenn die notwendigen Daten dann bekannt sind, gibt es die Nummer drei:

… wird gemaß §§ 100 a, 100b Absatz 1, 162 Absatz 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 7 TKÜV (Telekommunikations-Überwachungsverordnung) betreffend den Mobilanschluss Vorwahl und Rufnummer: 017*-3********, Anschlussinhaber: Wilhelm Brause, 10999 Berlin, Paul-Lincke-Ufer 42-43, zur Erforschung des Sachverhalts die Überwachung und Aufzeichnung des gesamten Fernmeldeverkehrs, der von dem vorgenannten Anschluss ausgeht oder für diesen bestimmt ist, oder der statt dessen zu technischen Speichereinrichtungen geleitet wird oder der aus solchen Speichereinrichtungen abgerufen wird für die Dauer von drei Monaten, beginnend ab dem 30. Juli 2013 um 0.00 Uhr bis zum 29. Oktober 2013 um 24.00 Uhr, angeordnet.

Außerdem wird der Betreiber des betroffenen Telefonnetzes angewiesen, innerhalb des durch die Anordnung bestimmten Zeitraums als Teil der durch die zu überwachende Kennung bezeichneten Telekommunikation auch die sich aus § 7 Absatz 1 TKÜ bei ihm vorhandenen Daten bereitzustellen.

Was dann folgt, ist Routine und führt in der Beweisaufnahme zu stundenlangen Hörspielen. Und zur Suche nach der Nadel im Beschlußhaufen.

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Verurteilungsbegleiter

Ein Überraschungs-Fax vom Haftrichter: Er hat mich zum Pflichtverteidiger bestellt. Mein neuer Mandant ist beim Klauen eines abgeschlossenen Fahrrades erwischt worden. Versuchter Diebstahl im besonders schweren Fall, §§ 242, 243 Abs. 1 Ziff. 2 StGB iVm §§ 22, 23 StGB, und das unter den wachsamen Augen zweier Polizeibeamter.

An sich wäre das kein ausreichender Grund für einen Untersuchungshaftbefehl. Allerdings hat der Mandant keinen festen Wohnsitz in Deutschland. Das hingegen reicht in Berlin für die Untersuchungshaft: Der Ausländer als personifizierte Fluchtgefahr sozusagen. Auch wenn er – wie hier – keine Vorstrafen hat. Der Haftbefehl wurde vollstreckt und der Mandant in eine Zelle der Moabiter Untersuchungshaftanstalt gesperrt.

Man – d.h. der Verteidiger – kann sich nun auf die Hinterbeine stellen und mit allerlei Rechtsprechung zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz argumentieren. Das hilft vielleicht der Rechtsfortbildung weiter. Nicht aber dem in seiner Zelle schmorenden Mandanten.

Also Wahl des praktikablen Wegs

Step One:
Zunächst mal der Antrag auf mündliche Haftprüfung und Akteneinsicht. Dieser Haftprüfungsantrag ist der ultimativer Beschleuniger. Und zwar wegen des § 118 Abs. 5 StPO. Diese dort festgeschriebene 2-Wochen-Frist bringt Schwung in die Bude der Ermittler. Denn bekommt der Verteidiger bis zum Haftprüfungstermin die Akte nicht, hat der Haftrichter ein massives Problem mit der Aufrechterhaltung des Haftbefehls.

Step Two:
Und dann der Anruf beim Staatsanwalt, der in diesem Fall aber auch nicht von gestern war, er kannte das ultimative Gegenmittel: Sofortige Fertigstellung der Anklageschrift. Das war in diesem Fall kein Problem, weil der Sachverhalt mehr als eindeutig war. Und dann ab mit der Anklage und der Ermittlungsakte zum Amtsrichter. Das genau war das Ziel meines Anrufes.

Step Three:
Der arme Richter muß nun zusehen, wie er mit der 2-Wochen-Frist klarkommt. Deswegen ruft er beim Verteidiger an, wenn er – wie in diesem Fall – erfahren genug ist. Vereinbarung eines Hauptverhandlungstermins innerhalb von 5 Tagen (Freitag bis Mittwoch, also inklusive Wochende und Freitagnachmittag), sofortige Zustellung von Anklage und Ladung unter Verzicht auf die Einhaltung aller Fristen, nachdem der Verteidiger den Haftprüfungsantrag zurück genommen hat.

Step Four:
Im Termin wird die Anklage verlesen, der Mandant erklärt über seinen Verteidiger ein „schlankes“ Geständnis, der Staatsanwalt beantragt eine Freiheitsstrafe von 4 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Der Verteidiger schließt sich den überzeugenden Worten des Staatsanwalts an und beantragt nur die Aufhebung des Haftbefehls.

Step Five:
Das Gericht verkündet das Urteil, 4 Monate zur Bewährung, erklärt auuuuuuuusführlich die Folgen einer etwaigen weiteren Straftat während der Bewährungszeit, hebt dann erst den Haftbefehl auf. Der Mandant wird noch im Saal aus der Haft entlassen.

Wenn ich jetzt so zurück blicke, ist das der klassische Fall einer schieren Verurteilungsbegleitung. Im Haftbefehl standen quasi schon die Urteilsgründe. Der Spielraum einer Verteidigung war so gut wie nicht vorhanden. Ziel konnte also nur sein, so schnell wie möglich zu einem Urteil zu kommen. Richtig wohl ist mir bei so einem Verfahren nicht. Aus dogmatischen Gründen. Aber mit Dogmen wäre dem inhaftierten Mandanten nicht geholfen.

Finish:
Alle sind zufrieden: Der Fahrradfahrer hat sein Fahrrad behalten, die Polizeibeamten haben ein Erfolgserlebnis, der Staatsanwalt eine erledigte Akte, der Richter ein Urteil mit einer zweizeiligen Begründung, der Angeklagte hat nach knapp 2 Wochen Haft seine Freiheit zurück und der Verteidiger hat einen dankbaren Mandanten.

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Notwendige Verteidigung wegen notwendiger Akteneinsicht

Gottfried Gluffke hat mich mit seiner Verteidigung in der Berufungsinstanz beauftragt. In der ersten Instanz ist er verurteilt worden. Der Vorwurf war eine gefährliche Körperverletzung.

Gluffke hat die ihm zur Last gelegte Tat bestritten. Und er hat sich gedacht, weil er unschuldig ist, brauche er auch keinen Verteidiger. Das hat der Richter am Amtsgericht ganz ähnlich gesehen, aber nur in Hinblick auf den Verteidiger, nicht in Bezug auf die Unschuld.

Erwartungsgemäß sieht der Gluffke anders, deswegen auch die Berufung. Ich habe mich beim Gericht für ihn gemeldet und beantragt, mich zu seinem Pflichtverteidiger zu bestellen. Aus meiner Antrags-Begründung:

Bereits in der ersten Instanz hätte Herrn Gottfried Gluffke ein Pflichtverteidiger bestellt werden müssen, weil es sich vorliegend um einen Fall der notwendigen Verteidigung handelt.

Es sind hier mehrer Zeugen anzuhören, die in sich widersprüchliche Angaben gemacht haben und deren Aussagen sich untereinander widersprechen. Der Mitangeklagte war verteidigt. Die Sachlage war ohne Aktenkenntnis für Herrn Gluffke nicht überschaubar, so daß er auf eine durch einen Verteidiger vermittelte Akteneinsicht angewiesen war und ist.

Daran hat sich im Grunde auch in der Rechtsmittelinstanz nichts geändert. Es ist damit zu rechnen, daß der (frühere) Mitangeklagte mit einem Zeugenbeistand vor Gericht erscheinen wird. Es ist zu erwarten, daß die Zeugen weitere Varianten des Vorgangs schildern.

Zudem muß Herrn Gluffke ermöglicht werden, die Aussagekonstanz anhand der Vernehmungs- und Sitzungsprotokolle prüfen zu können, weshalb ihm die Akteneinsicht mittels eines Verteidigers gewährt werden muß, der ihm den Akteninhalt erläutert.

Zudem ist eher wahrscheinlich, daß ein Sachverständigengutachten zur Frage der Schuldfähigkeit notwendig werden wird.

Ergänzen sollte ich vielleicht noch, daß der Mitangeklagte (Wilhelm Brause, wer sonst? ;-) ) in der ersten Instanz geständig war und das Urteil für ihn rechtskräftig geworden ist.

LG Berlin Beschluss vom 04.02.2014, 581 Ns 13_13

Nun reagiert das Gericht und gibt meinem Antrag – für mich einigermaßen überraschend – statt:

Zwar stellt sich die Rechtslage nicht als schwierig dar. Doch ist die Sachlage als schwierig zu bewerten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass umfassende Akteneinsicht zur sachdienlichen Verteidigung mit Blick auf die Angaben der Belastungszeugen notwendig ist.

Eine knappe, aber durchaus zutreffende Entscheidung des Landgerichts: LG Berlin, Beschluß vom 04.02.2014, 581 Ns 13/13 (PDF).

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Der kleine Unterschied

Nach dem Unterschied der beiden Steuerhinterziehungfällen Uli Hoeneß und Alice Schwarzer (in zeitlicher Reihenfolge der Veröffentlichungen ;-) ) fragt der Kollege Ralf Möbius in einem Blogbeitrag:

Tatsächlich hat es die oberste deutsche Feministin geschafft, eine strafbefreiende Selbstanzeige wegen der Hinterziehung von Steuern für ein Schweizer Konto zu erstatten, was unser – in der Regel allwissender – Uli im Rahmen seiner Transaktionen in der Schweiz offenbar nicht geschafft hat.

Ich bin mit ziemlich sicher, daß es nicht diese Frau Schwarzer war, der es gelungen ist, die Straf- und Bußgeldstelle dazu zu bewegen, das gegen sie eingeleitete Strafverfahren wegen vorsätzlicher Steuerhinterziehung wieder einzustellen. Sie hatte nur das Händchen, einen kompetenten Berater zu engagieren. Oder einfach nur Glück.

Anders sieht es bei Herrn Hoeneß aus: Er scheint sich auf einen Kumpel verlassen zu haben, der ihn auch in seinen mietrechtlichen Angelegenheiten vertreten hat. Und damit ist er eben auf die Nase gefallen.

Der Unterschied zwischen den Fällen Schwarzer und Hoeneß besteht in der Wahl des Strafverteidigers. Der eine hat’s eben drauf, der andere nicht.

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Drei Milliarden Argumente

Es wurden DNA-Muster in einer Spur mit der Bezeichnung 120122-0355-024828 S003.4R festgestellt. Eines der beiden Muster stammt vom Geschädigten. Die Person, der das andere Muster zuzuordnen ist, wurde gesucht.

Dem Sachverständigen war aufgegeben herauszufinden, ob die „Person 11-BA984-2“ der Spurenleger gewesen sein könnte. Oder ein Dritter, von dem bisher wenig bis nichts bekannt ist.

Der DNA-Gutachter bildet zwei Hypothesen, und vergleicht bei beiden die Wahrscheinlichkeit, ob die „Person 11-BA984-2“ der Spurenleger war oder der unbekannte Dritte:

Zweipersonenszenario

Ich fürchte, der „Person 11-BA984-2“ fehlen jetzt etwa drei Milliarden Argumente dafür, daß sie nicht derjenige ist, für die die Anklageschrift sie hält.

Das kommt dabei raus, wenn der Verteidiger Fragen stellt, ohne zu wissen, wie die Antwort lautet. Oder wenn er das glaubt, das man ihm – nach ausfüüüüüüüührlicher Belehrung – hoch und heilig geschworen hat: Nämlich, daß die Antwort niemals nie nicht so lauten könne, wie sie jetzt lautet.

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Presseerklärung zur Strafverteidigung in der Türkei

Ich gebe hier die gemeinsame Pressemitteilung vom 26.12.2013 der

wieder.

Strafverteidigung wird in der Türkei weiter kriminalisiert

Am 24.12.2013 hat in Silivri bei Istanbul das sogenannte ÇHD-Verfahren gegen 22 Anwältinnen und Anwälte begonnen. Es handelt sich neben dem sogenannten KCK Anwält_innenprozess mit 46 Angeklagten und dem Prozess gegen 10 Vorstandsmitglieder der Istanbuler Anwaltskammer um den dritten Massenprozess gegen Anwält_innen in Istanbul. Die Anwält_innen sind alle Mitglieder der Zeitgenössischen Juristenvereinigung (ÇHD), einer Mitgliedsorganisation der EJDM, einer europäischen Juristenvereinigung, die sich für Menschenrechte einsetzt.

Aus Deutschland waren Vertreter_innen der EJDM, des RAV und der VDJ anwesend, die das Verfahren als Teil einer internationalen Delegation von Berufsverbänden u.a. aus Italien, Belgien, den Niederlanden, Spanien, Frankreich, Österreich und der Schweiz beobachteten. Die Angeklagten waren an der Strafverteidigung von angeblichen DHKP-C Mitgliedern beteiligt, einer Organisation, die als Terrororganisation eingestuft wird. Ihnen wird Mitgliedschaft bzw. Leitung dieser Organisation vorgeworfen. 9 von ihnen befinden sich seit dem 18. Januar 2013 in Untersuchungshaft.

Am ersten Verhandlungstag waren ca. 500 türkische Rechtsanwält_innen anwesend, die gemeinsam aus Solidarität die Verteidigung aller Angeklagten übernommen haben. Darunter befanden sich u.a. der Präsident des Dachverbandes der türkischen Anwaltskammern sowie mehrere Kammerpräsidenten. Weitere Kammervorsitzende haben als Beobachter
teilgenommen.

Die türkische Anwaltschaft bringt damit ihren Widerstand gegen den Angriff auf ihre Unabhängigkeit zum Ausdruck.

Die Anklagevorwürfe beziehen sich in weiten Teilen auf die rechtsanwaltliche Tätigkeit der Angeklagten. So wird Ihnen beispielsweise vorgeworfen, dass sie ihren Mandant_innen geraten haben, ihr verfassungsmäßiges Recht zu schweigen wahrzunehmen. Die gemeinsame Annahme und Bearbeitung von Mandaten wird als Beleg für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation bewertet. Dem ÇHD Vorsitzenden Selçuk Kozagaçli wird angelastet, er habe den Vorsitzenden der DHKP-C trotz Kenntnis von dessen Funktion verteidigt.

Nach der auszugsweisen und damit wertenden Verlesung der Anklageschrift durch das Gericht gaben die Angeklagten eine Stellungnahme ab.

In seiner sechsstündigen Verteidigungsrede trug Selçuk Koza?açl? u.a. vor, dass ihm die Teilnahme an Beerdigungen von Mandanten als Ausdruck der Mitgliedschaft in der DHKP-C zum Vorwurf gemacht wurde. Immer wieder betonte er, dass die anderen Angeklagten und er nur ihren Beruf ausgeübt hätten.

Der Vorsitzende der VDJ, Dieter Hummel kündigte in diesem Zusammenhang an, dass Selçuk Kozagaçli in seiner Eigenschaft als ÇHD Vorsitzender am 17. Mai 2014 in Berlin der Hans-Litten-Preis verliehen werde. Damit soll die mutige Haltung der ÇHD-Kolleg_innen gewürdigt werden.

Thomas Schmidt, der Generalsekretär der EJDM, erklärte: „Mit dem Prozess und der schon fast 1 Jahr andauernden Inhaftierung des ÇHD Vorsitzenden und weiterer Vorstandsmitglieder soll der ganze ÇHD kriminalisiert und weitere regierungskritische Arbeit verhindert werden.“

EJDM, RAV und VDJ fordern die sofortige Beendigung des Verfahrens und damit die Freilassung der inhaftierten Kolleginnen und Kollegen.

Der Kollege Rechtsanwalt Dieter Hummel steht in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. (VDJ) für Rückfragen zur Verfügung.

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