Verteidigung

Opportun in die Verjährung

Meinem Mandanten wurde eine gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Laut Anklage soll er gemeinsam mit einem Mitangeklagten am 14.02.2010 einen anderen mit einer Bierflasche körperlich mißhandelt haben.

Beide Beschuldigte haben zur Sache nicht ausgesagt, sondern sich durch Schweigen verteidigt. Auch schon im Ermittlungsverfahren, nachdem sie zwei Tage nach dem Vorfall von Zeugen angeblich wiedererkannt wurden. Einfach mal nichts gesagt, außer ihren Namen.

Bei den beiden Gerichtsterminen waren alle Beteiligten anwesend. Nur der Geschädigte erschien nicht. Zweimal nicht. Seit dem 03.02.2012 dümpelte das Verfahren also vor sich hin. Nun habe ich dann nochmal vorsichtig beim Gericht nachgefragt, was denn los sei. Drei Tage später bekam ich die folgende Antwort:

Opportunitätsprinzip

Also als Verteidiger bin ich ja nun der allerletzte, der gegen diese Art des Totmachens einer Akte nichtsetwas einzuwenden habe. Aber das mit dem Legalitätsprinzip und der Pflicht der Justiz, Straftaten zu verfolgen, habe ich in der Juristenschule noch anders gelernt.

Nun, dann warte ich eben noch ein Weilchen, bis ich dann beantragen kann, das Verfahren wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung einzustellen.

Übungsfrage an die versammelten Jurastudenten: Wann hätte mein Antrag Aussicht auf Erfolg?

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Üble Falle im Strafbefehlsverfahren

499549_web_R_by_www.haushaltstipps.net_tipps_pixelio.deDas Strafbefehlsverfahren ist eine geeignete Möglichkeit, eine Strafsache weitestgehend geräuschlos und zügig zu beenden. In vielen Fällen, in denen eine Verurteilung nicht zu verhindern ist, kann der Strafbefehl ein akzeptables Verteidigungsziel sein. Auch für die Justiz – Gericht und Staatsanwaltschaft – bietet sich dieses Verfahren zur effektiven Erhöhung der Erledigtenzahlen an. Daß der Angeklagte (und sein Verteidiger) aber auch richtig böse auf die Nase fallen kann, zeigt eine jüngere Entscheidung des Berliner Kammergerichts (Beschl. v. 12.9.2014 – 3 Ws 484/14).

Ein Strafbefehl hat in den meisten Fällen die Aufgabe, eine Gerichtsverhandlung zu vermeiden. Wenn das seitens des Angeklagten nicht erwünscht ist, kann er Einspruch einlegen, dann findet die Verhandlung eben statt. Da er aber durch den Einspruch sein Schweigerecht nicht verliert, ist seine Anwesenheit im Hauptverhandlungstermin entbehrlich; der Angeklagte kann sich durch seinen Verteidiger vertreten lassen, § 411 II StPO.

In dem entschiedenen Fall hat das Amtsgericht wegen eines Verkehrsvergehens einen Strafbefehl (Geldstrafe: 30 Tagessätze, 2 Monate Fahrverbot) erlassen. Dagegen legte der Angeklagte Einspruch ein. Das Richter terminierte und – ACHTUNG: Gelbe Lampe! – ordnete das persönliche Erscheinen an.

Darf Der Das (I.)?
Ja, der darf das, § 236 StPO! Aber muß der Angeklagte dann auch erscheinen? Wenn man § 411 II StPO so liest: Eigentlich nicht. Das Kammergericht meint: Doch! Und formuliert das so:

Der Anordnung stand nicht entgegen, dass der Angekl. sich in der Hauptverhandlung nach § 411 Absatz II StPO durch einen mit einer schriftlichen Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten ließ. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens setzt zunächst voraus, dass die Anwesenheit des Angekl. in der Hauptverhandlung einen Beitrag zur Sachverhaltsaufklärung erwarten lässt; sie steht im Ermessen des Richters, wobei die berechtigten Interessen des Angekl. und das Interesse an möglichst vollständiger Sachaufklärung gegeneinander abzuwägen sind und auch die Bedeutung der Sache ins Gewicht fällt. Der Anordnung steht nicht entgegen, dass der Angekl. nicht zur Sache aussagen muss, selbst wenn er bereits mitgeteilt hat, er werde zur Sache keine Angaben machen. (1)

Soweit, so schlecht. Und nun passierte folgendes:

Der Angeklagte blieb dem Hauptverhandlungstermin trotz dieser Anordnung fern. Er ließ sich aber durch seinen Verteidiger vertreten. Nach Aufruf der Sache erlies der Richter einen Haftbefehl.

Darf Der Das (II.)?
Ja, der darf das, sagt das Kammergericht, auch wenn dem Strafbefehlsverfahren die Verhaftung des Angeklagten strukturell fremd sei und nicht einen Selbstzweck, nämlich die Ahndung eines ungehorsamen Angeklagten, erfüllen soll.

Denn in dem konkret entschiedenen Fall ging es um die erforderliche Identifizierung des Angeklagten durch einen Zeugen. Es war also eine Gegenüberstellung im Gerichtssaal beabsichtigt, so daß die Wahrheitsfindung in Abwesenheit des Angeklagten nicht ohne Einbußen erfolgen konnte. Sagte das Kammergericht.

Gemeinheiten und Hinweise für die Verteidigung
Der Beschluß nach § 236 StPO, mit dem das persönlichen Erscheinen angeordnet wird, ist vom Angeklagten nicht mit einer Beschwerde angreifbar, § 305 StPO.

Gleichwohl werde ich darauf achten, daß das Gericht diesen Beschluß sauber begründet. Entsteht der Eindruck, daß das Gericht mit diesem Beschluß den Angeklagten zur Rücknahme des Einspruchs gegen den Strafbefehl „anregen“ möchte, werde ich meinen Mandanten zunächst über das stumpfe Schwert eines Ablehnungsgesuch informieren.

Das Gericht muß die häßlichen Konsequenzen – den Sitzungshaftbefehl nach § 230 II StPO – in dem Beschluß oder in der Ladung ankündigen. Unterbleibt ein solcher Hinweis, ist die Gefahr der Vollstreckung Haftbefehls sehr gering. Denn den Haftbefehl kann man wiederum mit allerlei Rechtsmitteln angreifen.

Erfolgt eine solche Belehrung, werde ich meinem Mandanten nicht dazu raten, dem Termin fernzubleiben. Denn nach Aufruf der Sache gibt es im Falle des Nichterscheinens keine Notbremse mehr: Der Einspruch kann dann nur noch mit Zustimmung des Staatsanwalts zurück genommen werden, § 303 StPO. Und in dessen Hände möchte ich meinen Mandanten nicht ausliefern, zumal (in Berlin) nie vorhergesehen werden kann, um welchen Staatsanwalt es sich handelt.

Gemeinheiten und Hinweise für das Gericht
Wenn ein Richter sich die Arbeit vom Hals halten will, hat er es mit ein paar ausreichend geschickt angelegten Textbausteinen recht einfach:

  1. das persönlichen Erscheinen anordnen
  2. den Beschluß irgendwie begründen, daß es sich nicht sofort nach Schikane anhört
  3. auf die Folgen eines unentschuldigten Fernbleibens in der Ladung hinweisen

Und – schwupps – wird der südwestdeutsche Angeklagte die Rücknahme seines Einspruchs nach Nordostdeutschland faxen, weil er keine 1.000 km durch den Rechtsstaat reisen möchte, um sich der Unabhängigkeit eines Richters am Amtsgericht auszusetzen.

Obiter dictum
Das Argument, den Angeklagten (das ist der einzige Beteiligte, der keine Robe trägt) im Gerichtssaal einem Zeugen gegenüber zu stellen, sei zur Wahrheitsfindung erforderlich und rechtfertige einen Haftbefehl, hat schon was. Echt.

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(1): Die umfangreichen Rechtsprechungs- und Literarturzitate, mit denen diese Argumente untersetzt werden, habe ich ausgelassen, gleichwohl sind diese (für den Profi) unbedingt nachlesenswert.

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Ein Auftrag an die Verteidiger

Es hat einen Verteidigerwechsel gegeben. Der Mandant erteilt seinem neuen Verteidiger diese Weisungen:

Wir waren in der Vergangenheit dann stark, wenn wir der Kammer gegenüber selbstbewußt aufgetreten sind, zum Beispiel mit den Befangenheitsanträgen. Wir wurden immer dann kalt erwischt, wenn wir Druck weggenommen haben und freundlich waren. Damit muß es vorbei sein … Ich rufe Sie zur Schlacht – aber sie muß geordnet sein …

Ich bin, wie Sie wissen, unschuldig, und wir müssen nicht mit Freundlichkeit bei der Kammer um Gnade winseln. Wenn die Kammer verurteilungswillig ist und bleibt, möchte ich, daß wir mit allem gekämpft haben, was zur Verfügung steht …

SchloßInkaufnahme der Gefahr einer harten Verurteilung anstatt mit feuchtem Blick um eine milden Strafe zu betteln; so wird der angeklagte (und später freigesprochene) Mandant zitiert.

Warum eine streitige Hauptverhandlung dazu notwendig und geeignet ist, das verloren gegangene Vertrauen in die Richter wiederherzustellen, beschreibt Rechtsanwalt Justizrat Prof. Dr. Franz Salditt, Neuwied, in der aktuellen StraFo 2015, 1-8 (nachzulesen auch bei Juris).

Angeklagte, die unschuldig sind oder, weil der Zweifelssatz das verlangt, für unschuldig gehalten werden müssen, haben ein Recht darauf, konsequent verteidigt zu werden.

In dem höchst lesenswerten Aufsatz reklamiert Salditt „die anschwellende Flut der Absprachen„, die er als Indiz dafür wertet, daß die „realexistierende Strafjustiz“ den Anforderungen des klassischen Strafprozesses nicht (mehr) genügt. Mit Salditt vermisse auch ich:

Zeugenvernehmungen, die ohne Tendenz ergebnisoffen stattfinden; Achtung von Unschuldsvermutung und Zweifelssatz; Bereitschaft, einer Stellungnahme des Angeklagten zuzuhören; Gelassenheit und Distanz; stille Freude am Freispruch, mit dem fundamentale Rechte bekräftigt werden.

Statt ein faires Verfahren zu gewährleisten, bekommt der Angeklagte ein Angebot, das er nicht ablehnen kann: Lieber ein falsches Geständnis und eine milde (Bewährungs-)Strafe, als erhobenen Hauptes in den Streit im Vertrauen darauf, daß es eine faire Auseinandersetzung wird?

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Verfassungswidrige Durchsuchung einer Strafverteidigerkanzlei

473361_web_R_B_by_Jürgen Grüneisl_pixelio.deDie Bayern mal wieder. In einer Strafsache vor dem Amtsgericht München zitierte der Verteidiger eines Arztes aus Patientenunterlagen. Dieses Material hatte der Arzt erst zusammen und dann seinem Verteidiger zur Verfügung gestellt.

Jene Patientenkarteikarten – ausschließlich in der Hand des Verteidigers – weckten die in § 244 II StPO geregelte Neugier des Amtsrichters. Der Verteidiger wollte sein Material aber nicht herausgeben. Das wiederum ließ sich der bayerische Strafrichter nicht bieten, er ordnete die Durchsuchung der Strafverteidigerkanzlei und die Beschlagnahme dieser Unterlagen an.

Weder der Arzt, und schonmal gar nicht der Verteidiger waren davon begeistert, daß hier Unterlagen der Verteidigung beschlagnahmt wurden. Sie zogen erst – erfolglos – durch die Instanzen der Bayerngerichte und schließlich vor das Bundesverfassungsgericht, das ihrer Verfassungsbeschwerde stattgab (BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 6.11.2014 – 2 BvR 2928/10).

Abenteuerlich waren die Begründungen des AG und des LG München, die die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktion für rechtens hielten: Die vom Arzt abgetippten Patientenunterlagen seien kein geschütztes Material der Verteidigung. Es sei nicht davon auszugehen, dass sich das Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Verteidiger gerade auf diese Unterlagen beziehe. Auch die handschriftlichen Originalaufzeichnungen (mit einer
detallierten Beschreibung des Behandlungsablaufs aus seiner Sicht), die der Arzt für seinen Verteidiger erläuternd auf das Papier geschrieben hatte, unterlägen nicht dem Vertrauensschutz.

Und überhaupt, meinte das im Beschwerdeverfahren angehörte Bayerische Staatsministerium, gäbe es auch sonst nichts an der Aktion zu beanstanden.

Denn entscheidend sei, ob ein Beschuldigter Aufzeichnungen erkennbar zum Zweck der Verteidigung angefertigt habe. Dies sei hier nicht der Fall. Die Leseabschriften der Patientenkarteikarten seien „nicht ersichtlich“ für den Verteidiger bestimmt gewesen. Für einen Außenstehenden sei nicht erkennbar gewesen, dass es sich um „spezielle Verteidigungsunterlagen“ gehandelt habe.

Ich rufe nochmal in Erinnerung: Beschlagnahmt wurden diese Unterlagen quasi auf dem Schreibtisch des Verteidigers. Trotzdem behaupten diese bayerischen Volljuristen, sie seien „nicht ersichtlich für den Verteidiger bestimmt“?

Diesem Unsinn traten die Verfassungsrichter deutlich entgegen:

Die Durchsuchungsmaßnahme sei

offensichtlich ungeeignet und daher unverhältnismäßig.

Denn die Karteikarten unterlägen dem Schutz der § 97 StPO und § 160a I 2 StPO; Erkenntnisse daraus dürften im Rahmen der Beweisaufnahme ohnehin nicht verwendet werden.

Weiter heißt es in dem Beschluß:

Bei diesem Vorgehen besteht die Gefahr, dass der Schutz des Vertrauensverhältnisses infolge der Sichtung sämtlicher Verteidigungsunterlagen ins Leere läuft. Dies gilt umso mehr, wenn – wie hier – trotz der besonderen Sensibilität einer Durchsuchung beim Strafverteidiger keine umfassende Angemessenheitsprüfung unter Berücksichtigung der Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses zwischen Strafverteidiger und Mandant erfolgt.

Da es den Bayern bis 2014 noch nicht bekannt war, wiederholte das BVerfG das, was ich seinerzeit als Student an der Philipps-Universität Marburg aus der Entscheidung des BGH vom 09.04.1986 (3 StR 551/85) längst gelernt hatte:

Aus dem rechtsstaatlichen Gebot, dem Beschuldigten jederzeit die Möglichkeit einer geordneten und effektiven Verteidigung zu geben, ergibt sich, dass Unterlagen, die ein Beschuldigter erkennbar zu seiner Verteidigung in dem gegen ihn laufenden Strafverfahren anfertigt, weder beschlagnahmt, noch gegen seinen Widerspruch verwertet werden dürfen.

So erfreulich, wie diese Entscheidung ist: Sie erging im November 2014. Der rechtswidrige Übergriff des Amtsrichters erfolgte im Juli 2010. Was aus dem Arzt (und dem Verteidiger) bzw. aus dem Strafverfahren wurde, ist der Entscheidung des Verfassungsgerichts nicht zu entnehmen. Auch ohne Akten- und Sachverhaltskenntnis wird für einem Unbeteiligten aber der nachhaltige Schaden deutlich, den die bayerischen Instanz-Richter in Bezug auf das Vertrauen des Bürgers in ein rechtsstaatliches Verfahren angerichtet hat. Freistaat statt Rechtsstaat?

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Bild: © Jürgen Grüneisl / pixelio.de

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Befangen – das erste Mal?

648654_web_R_by_Ingo Büsing_pixelio.deIch mußte für den Mandanten die Notbremse ziehen, nachdem der Richter reichlich übermütig wurde. Mit dem Ablehnungsgesuch bekam ich den Zug erst einmal zum Stehen.

Den Eindruck, den ich bereits beim Verlesen des Antrags gewonnen hatte, bestätigte der Richter dann wenig später. Bisher sei er noch nie (!) abgelehnt worden, das kenne er gar nicht und wie geht es jetzt denn weiter? Ich räume ein, am Amtsgericht sind Ablehnungsgesuche eher die Ausnahme; das ist eigentlich das Besteck für die Verhandlung vor einer großen Strafkammer beim Landgericht. Aber diese Reaktion wunderte mich ja nun doch, zumal ich den Richter am Amtsgericht schon seit langen Jahren kenne.

Gestern rief mich der Richter an, der über diesen „Befangenheitsantrag“ zu entscheiden hatte. Er käme mit einem meiner Anträge nicht so richtig klar.

Die Anträge nach § 33 Abs. 3 StPO und gem. § 24 Abs. 3 Satz 2 StPO gehören zum Standardrepertoire. Auch den weiteren Antrag,

… den zur Entscheidung über dieses Gesuch berufenen Personen, soweit sie nicht ohnehin als Berufsrichter mit der Sache befaßt sind, die gesamte Verfahrensakte zur Verfügung zu stellen …

kennen die (abgelehnten) Richter. Aber der hier läßt sie regelmäßig stutzen:

Es wird schließlich beantragt, eine Ablehnungsverhandlung stattfinden zu lassen und erst nach mündlicher Verhand-lung zu entscheiden.

Mir wird häufig entgegen gehalten, eine solche mündliche Verhandlung sieht das Prozeßrecht nicht vor. „Ja, und?“ frage ich dann zurück, „aber die StPO untersagt eine solche Verhandlung auch nicht.“ Mit der sinngemäßen Begründung „Was der Bauer nicht kennt, ißt er nicht!“ wird dieser Antrag dann zurück gewiesen.

Ein verpaßte Gelegenheit, wie ich meine. Die Chance, nach einer Richterablehnung – die im „Erfolgs“-Fall offenbar einer der beiden SuperGAUe für einen Richter wäre – mit übler Luft angereicherte Atmosphäre wieder zu bereinigen, wird ohne Not vergeben. Man könnte sich an einen Tisch setzen und – durch den (oder die) für das Ablehnungsverfahren zuständigen Richter moderiert – den Anlaß des Gesuches erörtern; anschließend trennt man sich (hoffentlich) in Frieden und genießt die gute Luft im Gerichtssaal.

Die StPO sieht frische Luft jedoch nicht vor; statt dessen bleibt’s beim Muff von 1.000 Jahren und die Krähen ziehen an dem längeren Ende des Hebels. Bis zum nächsten Mal, wenn der Angeklagte und seine Verteidiger wieder einen Klimmzug an der Notbremse machen.

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Bild: Ingo Büsing / pixelio.de

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Quod licet Ermittlungsbehörde …

Rudolf_von_Jhering_Büste_von_Ferdinand_Hartzer_1888Es ist schon bemerkenswert:

Wenn ein Verteidiger in einer Revisionsschrift zum Kammergericht oder zum Bundesgerichtshof nicht jede kleinste fieselige Formvorschrift genauestens beachtet, wird ihm (bzw. seinem Mandanten) das Rechtsmittel um die Ohren gehauen: Unzulässig, unbegründet. Und das meist auch noch „offensichtlich“.

Wenn allerdings eine Ermittlungsbehörde sehenden Auges eine Formvorschrift umgeht, hat das keine (in Worten: NULL) Konsequenzen:

Ein Verstoß der Ermittlungsbehörden gegen die Dokumentations- und Begründungspflicht im Falle der Anordnung einer Blutentnahme unter der Annahme von Gefahr im Verzuge nach § 81a Abs. 2 StPO begründet kein Beweisverwertungsverbot.

KG, Beschluss vom 09.10.2014 – 3 Ws (B) 507/14 – 122 Ss 147/14 (PDF)

Wenn „die“ wenigstens ehrlich wären, dann würden sie die Formvorschriften entweder gleich aufheben oder zumindest als bloße Höflichkeits-Empfehlungen kennzeichnen.

Damit dieser Klassiker nicht wieder in Vergessenheit gerät, sei er ein weiteres Mal hier zitiert:

Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit. Denn die Form hält der Verlockung der Freiheit zur Zügellosigkeit das Gegengewicht, sie lenkt die Freiheitssubstanz in feste Bahnen, daß sie sich nicht zerstreue, verlaufe, sie kräftigt sie nach innen, schützt sie nach außen. Feste Formen sind die Schule der Zucht und Ordnung und damit der Freiheit selber und eine Schutzwehr gegen äußere Angriffe, – sie lassen sich nur brechen, nicht biegen.

Rudolf von Jhering (* 22. August 1818, † 17. September 1892)

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Bild: via Wikipedia

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Tupperparty beim Bundesgerichtshof

dosWenn die Ermittlungsbehörden morgens früh in der Wohnung stehen, um nach Beweismitteln zu suchen, haben die Wohnungsinhaber in vielen Fällen wieder Platz in den Regalen.

Die Ermittler nehmen nämlich gern alles mit, was irgendwie danach aussehen könnte, daß es vielleicht unter Umständen irgendwann einmal nützlich sein könnte.

Und wenn dann das Verfahren nach langen Jahren rechtskräftig abgeschlossen ist, vergammelt das mitunter recht wertvolle Zeug in den Asservatenkammern. Eben weil es vergessen wurde. Von der Staatsanwaltschaft, vom Gericht und manchmal auch von den (ehemaligen) Besitzern.

In einem fränkischen Fall hat sich die Ehefrau noch recht gut daran erinnert, daß es da mal eine Tupperdose gegeben hat, die einen verhältnismäßig interessanten Inhalt hatte. Auf diesen Inhalt kam es ihr an. Der Justiz aber auch. Deswegen stritt man darum. Und über diesen Streit berichtet die Pressestelle des Bundesgerichtshofs in der Mitteilung Nr. 167/14 vom 14.11.2014:

Rückgabe von Beweismitteln nach Ende des Strafverfahrens

Der V. Zivilsenat [Hört! Hört! crh] des Bundesgerichtshofs hat sich heute mit der Frage befasst, an wen die Rückgabe von Beweismitteln zu erfolgen hat, die im Rahmen eines gegen einen Ehegatten gerichteten Strafverfahrens in der gemeinsamen Wohnung der Eheleute beschlagnahmt wurden.

Im Januar 2007 ließ die Staatsanwaltschaft im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen den Ehemann der Klägerin wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz die Wohnung der Eheleute durchsuchen. Dabei wurden in der Küche – versteckt in einer Kunststoffdose – 42.300 € in bar gefunden. Das Geld wurde als Beweismittel sichergestellt, beschlagnahmt und auf ein Konto der Landesjustizkasse eingezahlt. Der Ehemann wurde zu einer Haftstrafe von dreizehn Jahren verurteilt. Dabei wurde der sogenannte Wertersatzverfall in Höhe von 30.500 € angeordnet. Die Staatsanwaltschaft erklärte hinsichtlich des sichergestellten Betrags die Aufrechnung mit den Verfahrenskosten des Strafverfahrens und dem Wertersatzverfall. Die Klägerin behauptet jedoch, nicht ihr Mann, sondern sie sei Eigentümerin des Geldes gewesen. Es habe sich um Arbeitslohn gehandelt, den sie in der Ehewohnung versteckt habe, weil sie aufgrund ihrer Lebensgeschichte kein Vertrauen zu Banken habe. Die Hälfte des Geldes hat die Klägerin zurückerhalten. Ihre Klage auf Zahlung der verbleibenden 21.150 € hat das Landgericht abgewiesen; die Berufung zum Oberlandesgericht war erfolglos. Das Oberlandesgericht hat nicht feststellen können, ob das Geld dem Ehemann oder der Ehefrau gehörte, war aber der Meinung, der Zahlungsanspruch gegen die Staatskasse könne aufgeteilt werden und die Klägerin habe den ihr zustehenden hälftigen Anteil bereits erhalten.

Der Bundesgerichtshof hat das Urteil auf die Revision der Klägerin hin aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Dabei hat er sich von den folgenden Erwägungen leiten lassen:

Die Beschlagnahme endete mit Abschluss des Strafverfahrens. Das Geld muss zurückgegeben bzw. Wertersatz geleistet werden, weil es (nur) als mögliches Beweismittel beschlagnahmt wurde; weder ist in dem Strafurteil der Verfall angeordnet worden – was den Nachweis vorausgesetzt hätte, dass das Geld aus den Straftaten herrührte – noch ist eine Pfändung des Geldes aufgrund eines dinglichen Arrests nach der Strafprozessordnung erfolgt. Die Rückgabe nach dem Ende einer förmlichen Beschlagnahme zu Beweiszwecken stellt eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden dar. Nach dem Restitutionsgedanken muss der Zustand wiederhergestellt werden, der vor der Beschlagnahme bestand; daher muss der Gegenstand grundsätzlich an den letzten Gewahrsamsinhaber zurückgegeben werden. Zwar wird bei der gegen einen Ehegatten gerichteten Zwangsvollstreckung gemäß § 1362 BGB* zugunsten der Gläubiger vermutet, dass die im Besitz eines Ehegatten oder beider Ehegatten befindlichen beweglichen Sachen dem Schuldner gehören. Diese Bestimmung bezieht sich aber nicht auf eine strafprozessuale Beschlagnahme zu Beweiszwecken, weil es insoweit unerheblich ist, in wessen Eigentum das Beweismittel steht. Im Grundsatz ist es nicht die Aufgabe des Strafverfahrens, die Eigentums- und Besitzverhältnisse an Sachen, die für die Zwecke des Verfahrens vorübergehend in amtlichen Gewahrsam gebracht worden sind, unter den Beteiligten zu regeln. Danach wäre den Eheleuten der Mitgewahrsam – der im Zeitpunkt der Beschlagnahme bestand – wieder einzuräumen, wenn die Geldscheine noch vorhanden wären. Da das beschlagnahmte Bargeld auf ein Konto eingezahlt worden ist, haben sie nunmehr einen entsprechenden Zahlungsanspruch.

Weil der im Zeitpunkt der Beschlagnahme bestehende Zustand wiederherzustellen ist, kann der Schuldner nicht nach seinem Belieben an einen der Gläubiger leisten oder die Leistung aufteilen. Vielmehr kann auch die Zahlung nur an die Eheleute gemeinsam erfolgen. Die Aufteilung im Innenverhältnis ist allein deren Sache. Infolgedessen ist die Aufrechnung der Staatsanwaltschaft mit den nur von dem Ehemann geschuldeten Verfahrenskosten des Strafverfahrens und dem Wertersatzverfall erfolglos, weil es an der erforderlichen Gegenseitigkeit der Ansprüche fehlt.

Der Senat kann nicht selbst in der Sache entscheiden, weil die Klägerin bislang Zahlung an sich verlangt hat. Sie muss daher noch Gelegenheit erhalten, entweder Zahlung an sich und ihren Ehemann zu beantragen oder eine Erklärung ihres Ehemannes beizubringen, wonach dieser keine Ansprüche an dem Geld erhebt.

Eine schönes Urteil des 5. Zivilsenats (V ZR 90/13), das für die Verteidigung nach rechtskräftigem Abschluß vieler Strafverfahrens von nicht unerheblicher Bedeutung sein kann. In der Regel tatsächlich erst nach Rechtskraft; nicht, daß die Staatsanwaltschaft dann doch noch auf die Idee kommt, in ihrem Schlußvortrag die Anordnung des Verfalls zu beantragen. Diese recht komplizierten Maßnahmen mit ihrem intensiven Geruch nach Zivilrecht werden nämlich gern auch mal schlicht vergessen; aber hoffentlich nicht vom Verteidiger.

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Akteneinsicht – die Hoffnung stirbt zuletzt

297450_web_R_K_B_by_Jerzy_pixelio.deDas Gericht hat mir die Anklageschrift im Juli 2014 zugestellt. Damit begann für meinen Mandanten das Zwischenverfahren, in dem nicht mehr die Staatsanwaltschaft auf den Akten sitzt, sondern die Strafkammer.

Vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen mit der Aktenführung der Staatsanwaltschaft und dem Unvermögen, die Verteidigung mit den notwenigen Informationen zu versorgen, hatte ich die Hoffung: Es kann nur besser werden.

Diese Hoffnung habe ich am 4. September 2014 in einen Akteneinsichtsantrag gegossen, den ich an das Landgericht geschickt habe. Seitdem habe ich noch ein paar Mal an diesen Antrag erinnert. Nun steht der Start des Verfahrens fest: Am 5. Dezember 2014 soll es losgehen. Akteneinsicht hat mir das Gericht bisher noch nicht gewährt.

Jetzt aber hat es geklappt. Jedenfalls teilweise. Auf meine Bitte: „Ich will alles!“ bekam ich ebenso knapp die Antwort: „Sie kriegen aber nicht alles!“. Nun, diese Diskussion haben auch schon andere Verteidiger mit anderen Gerichten geführt, das sieht nun jedoch nach einer Fortsetzung beim 5. Senat aus.

Aber quasi als Vorschuß auf den § 147 StPO gewährt man mir Einsicht in 34 Bände der aus mehr als 100 Bänden (die genaue Anzahl werde ich hiermit ermitteln können) der Akte. Und weil das Gericht es sehr eilig hat – schließlich beginnt das Verfahren ja in 2 Wochen – müssen die geschätzt 14.000 Blatt auch schnell – binnen dreier Tage – wieder zurück zum Gericht:

Akteneinsicht für 3 Tage

Das sieht irgendwie nicht danach aus, als wenn das Gericht darauf aus ist, einen konfliktfreien Start in eine entspannte und umfangreiche Beweisaufnahme zu planen.

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Bild: Jerzy / pixelio.de

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Keine Zahnbürste wegen Saalverhaftung

81658_web_R_K_by_Paul-Georg Meister_pixelio.deEs ist so ziemlich das Härteste, was einem Angeklagten und seinem Verteidiger in einer Wirtschaftsstrafsache passieren kann.

Der Mandant kommt artig zu allen Terminen, voll der Hoffnung, daß es am Ende gut für ihn ausgeht. Keine Frage, der Verteidiger ist Berufsoptimist, er prognostiziert – je nach Charakter mehr oder minder vorsichtig warnend – eine relativ rosige Zukunft.

Am Ende der Beweisweisaufnahme beantragt der Staatsanwalt eine Freiheitsstrafe, die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Der Verteidiger plädiert und beantragt wie mit dem Mandanten absprochen den Freispruch.

Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück und verkündet später das Urteil, das dem Antrag des Staatsanwalts nahezu entspricht. Das gibt schon das erste Mal richtig weiche Knie beim Angeklagten und Enttäuschung beim Verteidiger.

Wenn dann aber nach ellenlanger mündlicher Urteilsverkündung auch noch ein Beschluß ergeht, der die Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr anordnet, und dieser Beschluß dann sofort vollstreckt wird, bleibt dem Angeklagten noch nicht einmal Zeit, sich eine Zahnbürste zu besorgen.

Genau das ist heute dem ehemalige Arcandor-Chef passiert, berichtet Zeit Online:

Der frühere Top-Manager M* ist wegen Untreue und Steuerhinterziehung zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Wegen Fluchtgefahr musste er direkt in U-Haft.

Ich kann nicht beurteilen, ob das Gericht da richtige Entscheidungen getroffen hat. So oder so, es wird für Herrn M* kein schönes Wochenende und eine elend lange Zeit bis zum Haftprüfungstermin in der kommenden Woche. Ohne Zahnbürste. Dafür bedauere ich ihn.

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Bild: Paul-Georg Meister / pixelio.de

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Die Rolle der Schöffen im Strafverfahren

694687_web_R_by_Petra Dirscherl_pixelio.deIm Laufe der Jahr lernt man als Strafverteidiger die Funktion der Schöffen zu schätzen. Anfangs meiner Karriere habe ich sie schlicht ignoriert. Das hat sich schlagartig geändert, als sie einmal in einer Jugendstrafsache den Vorsitzenden Richter überstimmt hatten, mit dem der Staatsanwalt und ich uns über das Strafmaß geeinigt hatten. Seitdem habe ich sie ernst genommen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Später hatte ich es schonmal mit Schöffen zu tun, die eingeschlafen sind. Oder die einen gnadenlosen olfaktorischen Angriff auf die Rechte der Verfahrensbeteiligten fuhren. Schön war auch die Besetzungsrüge, die ich spontan erhoben und mit dem Restalkoholspiegel des Schöffen erfolgreich begründen konnte. Aber im Großen und Ganzen habe ich stets einen guten Draht zu den Laienrichtern.

Eine neue Variante in dem Stück „Was beim Landgericht Berlin schief gehen kann, geht auch schief.“ gab es in der vergangenen Woche. Nach einem zähen Kampf um die Terminierung der Berufungsverhandlung waren alle pünktlich um 13 Uhr erschienen: Die Vorsitzende Richterin, die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft, die Protokollführerin, die Wachtmeisterin, der Mitverteidiger aus Freiburg, der Mandant aus Frankreich und selbstredend meine Wenigkeit.

Wer fehlte? Beide Schöffen!

Das konnte weder an dem Bahnstreik liegen, auch Restalkohol erschien eher unwahrscheinlich. Nach einer kurzen Wartezeit erklärte die Vorsitzende, daß sie „die ordnungsgemäße Ladung der Schöffen nicht nachweisen“ könne. Übersetzt heißt das: Die Schöffen wurden überhaupt nicht geladen … aus welchen Gründen auch immer.

Der Vorschlag der Richterin: Beginn der Hauptverhandlung um 15:30 Uhr, bis dahin sollten Ersatzschöffen „beschafft“ worden sein. Das führte zu heftigem Protest bei den beiden aus dem Westen zugereisten Beteiligten. Und bei mir zu einem Stirnrunzeln wegen der Frage nach dem gesetzlichen Richter.

Die Chance nutzend habe ich dann die Geschichte von dem Oberstaatsanwalt erzählt, der sich als Weihnachtsmann verkleidet hatte. Anders formuliert: Wir haben den (schon schriftlich vorbereiteten) Antrag angekündigt, die Berufung der Staatsanwaltschaft als unzulässig zu verwerfen, weil nicht nachgewiesen ist, daß sie rechtzeitig eingegangen ist. Das führte zum Stirnrunzeln auf der Richter- und auf der Bank der Staatsanwaltschaft.

Es hat dann noch ein wenig gedauert und man hat sich in einem freundlichen Gespräch darüber geeinigt, daß man jetzt besser in Frieden auseinander gehen sollte, damit nicht noch mehr schief geht. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Berufung zurück genommen und der Mandant seine. Damit war das Urteil der ersten Instanz rechtskräftig und alle waren zufrieden.

Ich freue mich immer wieder gern über die wichtige Rolle der Schöffen in Strafverfahren.

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Bild: Petra Dirscherl / pixelio.de

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