Verteidigung

Vorbereitung des Schlußvortrags für die Schöffen

Es ist nicht immer einfach, nach einer sechsstündigen Beweisaufnahme jedes Detail noch im Kopf zu haben, wenn die Beweisaufnahme geschlossen wurde. In der Regel reicht aber die Zeit, in der der Sitzungunsvertreter der Staatsanwaltschaft plädiert, für die Vorbereitung.

In diesem Fall hatte der nämlich genug damit zu tun, für die 74 Einsatzstrafen jeweils das Strafmaß ins Protokoll zu diktieren, aus denen er dann einen Antrag auf die Gesamtstrafe gebastelt hat. Das Brainstorming für den Schlußvortrag der Verteidigung sah dann so aus:

Plädoyer

Das war die Grundlage für einen guten Halbstünder, den ich besonders in die Richtung der Schöffen geschickt habe. Mit Erfolg: Die Strafe wurde entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft dann doch noch mal ganz knapp zur Bewährung ausgesetzt. Vielleicht weil diesmal die Schöffen den Vorsitzenden überzeugt haben. Und nicht wie sonst oft andersherum.

Und irgendwann werde ich mal daran denken, meine Plädoyers aufzuzeichnen, damit ich sie wie Heinrich Hannover (Die Republik vor Gericht 1954-1974. Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts sponsored link) nach dem Ende meiner aktiven Zeit als Verteidiger in einem Hörbuch verwursten kann.

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Problematische Freundschaft?

friends-iconUnter meinen Facebook-„Freunden“ befinden sich auch einige Richter. Über einen kleinen Zwischenfall mit einem solchen „Freund“ hatte ich hier berichtet.

Ein Ermittlungsrichter kommentierte den Beitrag auszugsweise so:

Ist es für Strafverteidiger im Verhältnis zu ihren Mandanten von Vorteil, darauf verweisen zu können, mit dem Richter „befreundet“ zu sein (nach dem Motto: Schau doch mal, wir sind so dicke, da kann Dir gar nichts passieren), oder führt das nicht vielleicht doch zu Misstrauen (nach dem Motto: Tut der wirklich alles für mich, oder möchte der im Zweifelsfall doch lieber das gute persönliche Verhältnis nicht gefährden)?

Diese Frage nach dem persönlichen Verhältnis zwischen Richter und Verteidiger beschränkt sich nicht auf die sozialen Netzwerke, sondern betrifft auch das „richtige Leben“.

Die beiden Pole, die der kommentierende Ermittlungsrichter darstellt, existieren tatsächlich. Für mich wird das Problem beispielsweise immer dann virulent, wenn ich als Hauptstadtbewohner vor einem „Dorfgericht“ zusammen mit einem dort ansässigen Kollegen verteidige, wobei jeder seinen eigenen Mandanten vertritt. Dann wird die Sache deutlich.

Der gerichtsbekannte Kollege hat den erheblichen Vorteil, daß er die Marotten, Vorlieben und Gewohnheiten des Richters kennt und seine Verteidigung darauf ausrichten kann. Er hat die Möglichkeit, den Richter beiseite zu nehmen und vielleicht sogar abends in der Kneipe den Termin „vorzubereiten“. Das fehlt mir als auswärtiger Verteidiger.

Demgegenüber muß ich aber nicht befürchten, mich bis zum St. Nimmerleinstag bei dem Richter am Amtsgericht Oberhinterdüsterwald unbeliebt zu machen und in der Dorfkneipe vom Honoratioren-Stammtisch verwiesen zu werden, wenn ich mal mit dem Kopf durch die Wand gegangen bin. Einen Schmusekurs kann ich fahren, ich muß es aber nicht. Ich bleibe flexibler und fahre nicht auf Schienen durch’s Verfahren.

Aber auch hier in der Großstadt gibt es … sagen wir mal … gewisse Näheverhältnisse zwischen gewissen Richtern und gewissen Verteidigern. Letztere sieht man dann häufiger als Pflichtverteidiger in den Verfahren dieser Richter.

Aber auch ohne den Verdacht der Kungelei ist die Trennung zwischen Beruf und Freizeit manchmal ein Balanceakt. Zum Beispiel dann, wenn Verteidiger und Haftrichter nach dem gemeinsamen Frühsport morgens um 7 Uhr im Fitness-Center nackt nebeneinander unter der Dusche stehen und sich dann um 10 Uhr im Gericht über die Frage einer Haftverschonung streiten müssen.

Es gibt eigentlich keine eindeutige Antwort auf die Ausgangsfrage, sondern nur den Standard: Es kommt drauf an. Und zwar auf den Menschen, auf die Persönlichkeit der Beteiligten.

Noch ein Fall aus der Praxis: Nicht jeder Richter wählt sich als Pflichtverteidiger einen bequemen „Verurteilungsbegleiter“. In einer konfliktreichen Wirtschaftsstrafsache hat mein Mandant mit meiner Hilfe und nach einem Heidentheater den Vorsitzenden Richter wegen Besorgnis der Befangenheit erfolgreich abgelehnt. Nur wenige Wochen später hat dieser Richter bei mir angefragt, ob er mich in einer neuen Sache zum Pflichtverteidiger bestellen soll.

Also: In einigen Fällen ist der gute Draht zwischen Richter und Verteidiger von Vorteil, in anderen Fällen eher nicht. Entscheidend ist die Professionalität, mit der die Beteiligten ihren Beruf ausüben und mit der sie ihre unterschiedlichen Aufgaben erledigen.

Einen habbich noch: Nach etwa 15 Minuten gegenseitiger Anschreierei im Gerichtssaal hat mich der Vorsitzende auf dem Weg zur Cafeteria über die Qualität des dortigen Espresso informiert. Dienst ist Dienst, und Caffè ist Caffè.

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Aufmerksames Kammergericht

Die Mandantin hatte mich erst in der Berufungsinstanz mit ihrer Verteidigung beauftragt. Erstinstanzlich war sie zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Den Auftrag, den sie mir erteilte, lautete: Strafaussetzung zur Bewährung. Dieses Ziel hatten wir vor dem Landgericht dann auch erreicht. Zum Mißfallen der Staatsanwaltschaft. Die erhob gegen das Berufungsurteil die Revision zum Kammergericht.

Nach dem üblichen Austausch der Begründungen und Erwiderungen erhielt ich in den vergangen Tagen eine Ladung zur Revisionshauptverhandlung vom und im Kammergericht. Und mit gleicher Post – zu meiner Überraschung, weil ich keinen entsprechenden Antrag gestellt hatte – diese Bestellung:

Revisionverteidiger

Das war bisher so nicht üblich. Aber jetzt – und da ist das Kammergericht auf dem allerneusten Stand. Heute, am 6.10.2014, hat die Pressestelle des Bundesgerichtshofs die folgende Pressemitteilung herausgegeben:

In Hauptverhandlungen vor den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs über Revisionen von Angeklagten, Staatsanwaltschaften oder Nebenklägern ist es bisher üblich, auch dann zu verhandeln wenn der Angeklagte – der nur in seltenen Ausnahmefällen persönlich an der Hauptverhandlungen teilnimmt – nicht durch einen Verteidiger seiner Wahl vertreten ist. Pflichtverteidiger für die Revisionshauptverhandlung müssen nach dem Wortlaut des Gesetzes nur auf Antrag bestellt werden. Wenn ein solcher Antrag nicht gestellt wird und ein Wahlverteidiger zur Hauptverhandlung nicht erscheint, wurde bisher in den meisten Fällen ohne jede Beteiligung des Angeklagten verhandelt. Diese Praxis ist nach Ansicht des 2. Strafsenats mit der Regelung des Art. 6 Abs. 3 Buchstabe c der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht vereinbar, die jedem Beschuldigten das Recht garantiert, sich selbst zu verteidigen oder durch einen Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen oder den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist.

Der Vorsitzende des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs hat deshalb durch eine Verfügung vom 25. September 2014 entschieden, dass in allen Hauptverhandlungen vor dem Revisionsgericht, wenn der Wahlverteidiger des Angeklagten nicht erscheint oder dies ankündigt, er zum Pflichtverteidiger zu bestellen ist. Für den Verteidiger stellt diese Bestellung – mit einer gegebenenfalls geringeren als der bei Mandatserteilung vereinbarten Vergütung – unter Umständen ein Sonderopfer dar, das er hinnehmen muss. Der Angeklagte seinerseits kann auf eine Verteidigung in der Hauptverhandlung über die Revision, welche das einzige Rechtsmittel gegen erstinstanzliche Urteile mit besonders gravierenden Rechtsfolgen darstellt, nicht – etwa aus Kostengründen – verzichten.

BGH; 2. Strafsenat, Verfügung vom 25. September 2014 – 2 StR 163/14

Das Kammergericht scheint wohl über die aktuellen Entwicklungen in Karlsruhe informiert gewesen zu sein. Das ist ganz besonders löblich, weil hier der 2. Senat entschieden hat, obwohl nicht dieser, sondern „nur“ der 5. Senat des BGH für die Entscheidungen aus Berlin zuständig ist.

Na denn, schauen wir uns das mal an, was das Kammergericht dem Pflichtverteidiger zu den Strafmaß-Argumenten der Staatsanwaltschaft zu sagen hat.

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Falsche Belehrung – ein Klassiker

Eine Belehrung, wie man sie häufiger findet, die aber – sagen wir’s mal höflich – nicht de lege artis ist:

Nichtverstanden

Selbstverständlich hat das personifizierte Beschuldigte-Zeugen-Durcheinander es nicht verstanden, was der Kriminale ihm da untergeschoben hat. Denn hätte er es verstanden, dann hätte er sich nicht auf 21 Seiten ausquetschen lassen.

Wie eine saubere Beschuldigten-Belehrung auszusehen hat, kann man (auch dieser Vortäuschungsbeamte) in einem Blogbeitrag aus dem Jahr 2010 nachlesen. Und wie man sich als Zeuge gegenüber einem Vernehmungsbeamten verhält, wenn man vorher schon genau weiß, was hinterher dabei rauskommt, wenn man den Mund nicht halten kann, ist eigentlich auch hinreichend bekannt. Und wenn schon der Polizeibeamte nicht mehr genau weiß, wen er denn da vor sich hat – Zeuge oder Beschuldigter, gibt es eigentlich nur einen richtigen Satz:

Ich möchte dazu jetzt nichts sagen, sondern ich möchte erst einmal mit einem Verteidiger darüber sprechen!

Ein gut ausgebildeter und sauber arbeitender Polizeibeamte packt dann das Zeug zusammen und fertig. Weil er weiß, daß alles andere zur Unverwertbarkeit der Aussage führen kann und bei engagierter Verteidigung auch führen wird. Verbeamtete Roßtäuscher müssen sich spätere Kritik gefallen lassen. Das mache ich dann aber nicht mehr höflich.

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Schülerlotsen im Knast

515551_web_R_K_B_by_Martin Berk_pixelio.deUnser Mandant wurde rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. In Anbetracht der Ausgangserwartung der Staatsanwaltschaft von dicht an die neun Jahre zumindest ein geringer Teilerfolg. Damit muß der Mandant nun leben.

Er wurde „heimatnah“ in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) nach Westdeutschland verlegt. Einer der Mitverteidiger hat ihn dort kürzlich besucht. Er berichtete, daß sich unser Mandant zwischenzeitlich schon ganz gut eingerichtet und mit seiner Situation einigermaßen arrangiert habe. Dazu beigetragen hat ganz besonders, daß er einen Job bekommen hat, der ihn die meiste Zeit des Tages beschäftigt.

Ein weiterer Grund dafür, daß es ihm nicht allzu schlecht geht, ist auch der Vergleich mit den Mitgefangenen. Der Kollege berichtet:

Die meisten Häftlinge haben wohl ein „LL“ (Lebenslange Haft). Er gilt mit seinen fünfeinhalb Jahren als „Schülerlotse“.

Der Vergleich mit denjenigen, denen es schlechter geht als einem selbst, ist auch den Menschen zu empfehlen, die keine Freiheitsstrafe absitzen müssen, sondern sich über Arbeitsüberlastung, laute Musik oder schlechtes Wetter beschweren.

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Bild: Martin Berk / pixelio.de

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Umfangstrafsache mit Streisand-Effekt

Bekanntlich sind Wirtschaftsstrafsache nichts für Verteidger, die eine Akten-Allergie haben. Nur in wenigen – glücklichen – Fällen besteht die Ermittlungsakte aus nur einem Band; beispielsweise die üblichen eBay-Sachen sind meist in nur filmdünnen Bändchen zusammen gefaßt. Ein ausgewachsenes Strafverfahren vor der Wirtschaftsstrafkammer, in dem es um’s große Geld geht, sieht dann in der Regel eher so aus.

Aber auch für alltäglichen Kleinigkeiten, in denen es noch nicht einmal um’s kleine Geld, sondern um das gesellschaftliche Miteinander geht, reicht manchmal der Platz zwischen zwei Aktendeckeln nicht aus.

uebel

Diese Aktendeckel beinhalten das Material, welches sich in konzentrierter Form in dem erstinstanzlichen, achtseitigen Urteils wiederfindet:

uebel

Ein Ehrkränkungsdelikt, das im vorliegenden Fall nach Ansicht des Amtsgerichts auch die hohe Hürde des § 192 StGB genommen haben soll. Ein interessanter Fall, mit dem sich nun das Landgericht in der Berufungsinstanz noch einmal beschäftigen muß.

Auch ohne bereits an dieser Stelle schon tiefer in die Akten geschaut zu haben: Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß d. angeblich Geschädigte der angeklagten Üblen Nachrede nicht begeistert sein wird, wenn die Frage nach dem Wahrheitsbeweis nun noch einmal in einer öffentlichen Hauptverhandlung diskutiert wird. Es wird sich dann auch ein weiteres Mal die Frage stellen, ob die Verbreitung der Wahrheit einen Beleidigungs-Charakter haben kann. Und ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, wegen der gekränken Ehre auf andere Weise Satisfaktion zu verlangen.

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Fleißarbeit, Preisfrage und Stimmungsaufheller

Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat vorgesorgt. Die Beschäftigung über die langen Wintertage scheint gesichert zu sein:

Anklage

Die Anklageschrift wurde vor ein paar Tagen zugestellt. Erheiternd ist der Hinweis des Gerichts:

Anklagezustellung

Mal eben in drei Wochen einen Pack Altpapier durcharbeiten, um eine profunde Stellungnahme abgeben zu können. Na klar, machen wir. Selbstverständlich.

Nun die Preisfrage:

  • Wieviel Seiten umfaßt die Anklage?

Wer bis heute Abend 24:00 Uhr am nächsten dran ist, dem schicke ich eine Tafel Schokolade.

Mitverteidiger und Angeklagte sowie Staatsanwälte und Richter aus Potsdam sind von dem Spielchen ausgeschlossen; denen bringe ich die Schokolade zur Verhandlung mit. Das beruhigt die Nerven:

Ungesüßtes Kakaopulver enthält 1 bis 3 Prozent Theobromin, das chemisch dem Koffein ähnlich ist. Es wirkt auf den Organismus mild und dauerhaft anregend und leicht stimmungsaufhellend. […] Weitere Inhaltsstoffe, die in Zusammenhang mit der stimmungsaufhellenden Wirkung von Schokolade gebracht werden, sind unter anderem das molekulare Grundskelett des Amphetamins Phenylethylamin, die Serotonin-Vorstufe Tryptophan, ein natürliches Antidepressivum, und das Cannabinoid Anandamid.

sagt Wikipedia. Ich kann mir gut vorstellen, daß Schokolade in größeren Mengen bei dem einen oder anderen Prozeßbeteiligten noch notwendig werden wird. 8-)

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Systembedingter Wahnsinn

647973_web_R_B_by_Wolfgang Pfensig_pixelio.deVor gut zehn Jahren war der Mandant in Neukölln unterwegs. Nachts. Mit einer Messingstange in der Hand. Und mit wirren Stimmen im Kopf.

Nachdem er – den Stimmen folgend – das Inventar der Eckkneipe zerlegt hatte, wurde in einem Sicherungsverfahren die Unterbringung in der Psychiatrie angeordnet.

Das sind Verfahren, die wünscht sich kein Verteidiger. Denn der Mandant ist der einzige, der die Ansicht vertritt, daß er wachen Geistes ist und alle anderen – der Verteidiger eingeschlossen – eigentlich in die Klapse müßten. Die Aufgabe des Verteidiger besteht dann in der Mitwirkung an seiner Einweisung (§ 63 StGB). Das tut der Verteidigerseele nicht gut.

Bereits nach relativ kurzer Zeit zeigte der Mandant allerdings erste Anzeichen einer Krankheitseinsicht, die Therapien hatten positive Wirkungen. Es folgten sukzessive weitere Fortschritte.

Knappe zehn Jahre später wurde die Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt. Dem Mandanten wurden eine Bibliothek voll Auflagen gemacht. Unter anderem sollte er seine Medikamente nach Weisung seiner Behandler einnehmen. Und sich regelmäßigen Blut- und Urinkontrollen unterziehen.

Der Mandant bezog eine Wohnung und wurde an der langen Leine von Sozialarbeitern, Bewährungshelfern und Klinikpersonal gehalten. Das erste Jahr lief blendend, seine Gesundheit stabilisierte sich. Er nahm wieder am Leben teil.

Anfang März dieses Jahres verschlechterte sich sein Zustand und zwar ziemlich rapide. Diesmal war es keine Messingstange. Aber eine Haustür, ein paar Autospiegel und einige Polizeibeamte trugen Spuren davon, die nicht von einem bestimmungsgemäßen Einsatz zeugten.

Im Rahmen einer Krisenintervention (§ 67h StGB) wurde er wieder der Klinik überantwortet, die sich nun drei Monate lang darum bemüht, den Mann wieder auf die Füße zu stellen. Dann wird man weiter sehen.

Was war passiert?

Es waren einige Ursachen, die zusammen kamen, für die der Mandant nur sehr begrenzt verantwortlich war.

Die Klinik hat wegen knapper Personalressourcen die Frequenz der Kontrollen herabgesetzt: Blut und Urin wurden nur noch alle vier Wochen probiert.

Am Ende des Geldes war noch viel Monat übrig. Und für seine Medikamente, die er in der Apotheke bekam, mußte er eine Zuzahlung leisten, die er alsbald nicht mehr hatte.

Das Wirtschaften mit Geld gehört nicht zum Therapie- und Lernprogramm einer Psychiatrie. Und der Bewährungshelfer hatte auch reichlich andere Sachen zu tun, als sich wöchentlich mit dem Mandanten über das Geld zu unterhalten.

Der Mandant tat das Naheliegende: Er verschob den Einkauf und verzichtete folglich zeitweise auf die Einnahme seiner Medizin. Das fiel nicht auf, weil die Kontrollen eben nicht eng genug gesteckt waren. Jeweils kurz vor der nächsten Kontrolle kaufte er sich die Medikamente und die Behandlungspause blieb eine zu lange Zeit lang unentdeckt.

Es gibt eine weitere Ursache, die ebenfalls in diesem Kranken-Kassen-System begründet ist. Die Apotheken sind gehalten, die preislich günstigsten Tabletten an den Mann zu bringen, wenn sie denn die selben Wirkstoffe wie die verordneten Medikamente haben. Hört sich gut an. Ist in der Praxis aber brandgefährlich.

Psychiater wissen, daß nicht immer das drin ist, was drauf steht auf den Packungen. Und bei dem Zeug, was man den psychisch kranken Menschen verschreibt, kommt es auf jedes einzelne Molekül an. Fehlt eins, wird die Wirkung ganz oder teilweise verfehlt. Also schluckt der Mandant eine weniger wirksame, placedoide Medizin.

Zusätzlich gibt es noch die Nebenwirkungen (massive Gewichtszunahme, dösiger Kopf …) und ein wenig Übermut kommt auch noch hinzu (mir geht’s doch gut, warum soll ich das Zeug noch schlucken?) und Marihuana ist vereinzelt auch in Griffweite.

Und schon beginnt die wilde Fahrt in den Wahnsinn.

Das ließe sich verhindern. Wenn man die Kontrollen enger steckt, auf die Zuzahlungen verzichtet und die Tabletten ausgibt, die ihm der Arzt verschrieben hat. Wenn man dann noch die Sozialarbeiter anständig bezahlen würde, müßte mein Mandant jetzt nicht darum bangen, daß er weitere 10 Jahren in die Klapsmühle gesteckt wird.

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Bild: Wolfgang Pfensig / pixelio.de

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Rundreisefieber

276045_web_R_K_by_Peter Reinäcker_pixelio.deGottfried Gluffke hatte – wie gestern hier berichtet – einen Termin bei einem Haftrichter an einem kleinen Amtsgericht in Norddeutschland. Mit seinen Katzen am Pool unter der südeuropäischen Sonne liegend, wartete er auf seine Auslieferung. Ich habe ihm ziemlich genau erklärt, wie das Ganze von Statten gehen wird.

Er hatte noch eine gute Woche Zeit, seine Klamotten zu packen, um dann am Freitag bei der Flughafenpolizei auf der Matte zu stehen. Ein freundlicher Uniformierter würde dann die Bordkarten überreichen und ihn in den Flieger nach Deutschland begleiten.

Und ich habe ihm eine Alternative aufgezeigt:

Statt am Freitag zum Flughafen zu fahren, bietet sich an, zwei oder drei Tage vorher mit dem Zug nach Norddeutschland zu fahren. Ich könnte seine Ankunft dem Staatsanwalt und dem Richter ankündigen und mit ihm dann gemeinsam zur Haftbefehlsverkündung schreiten.

Die Tatvorwürfe für sich genommen würden eine Untersuchungshaft kaum rechtfertigen. Und daß eben keine Fluchtgefahr besteht, hätte er dann durch sein „freiwilliges“ Erscheinen bestens glaubhaft gemacht. Das sollte eigentlich reichen für eine Haftverschonung.

Aber nein, das war nicht sein Ding. Gottfried hat eine richterliche Weisung erhalten – wenn auch nur telefonisch durch einen ausländischen Rechtsanwalt – und der dürfe man sich ja als guter Deutscher nicht widersetzen. Punkt und aus!

Und so ging’s dann weiter:

Gluffke trottete wie befohlen am Freitagvormittag zum Flughafen und bestieg einen Flieger, der ihn erst einmal – nein, nicht nach Hamburg – nach München transportierte. Dort wurde er von freundlichen Polizeibeamten mit einem fröhlichen „Grüß Gott!“ in Empfang genommen. In gutem Glauben, daß er nun auf kürzestem Weg aus Bayern nach Norddeutschland gekarrt würde, rief er mich noch abends aus dem Freistaat an. Den Zahn mußte ich ihm aber leider ziehen.

Daß, was dem armen Gluffke jetzt bevorstand, wünscht man seinem ärgsten Feind nicht.

Verschubung“ heißt die Überschrift über das nun folgende Kapitel.

Gluffke wird erst einmal von Freitag bis Montag vor Ort frisch gehalten. Und erst dann geht es los. Aber nicht auf direktem Weg nach Norddeutschland. Gluffke wird eine Rundreise durch die Republik machen, um dann 10 Tage später (also am übernächsten Donnerstag) die Ansage zu hören: „Sie haben Ihr Ziel erreicht!“.

Und weil es so unglaublich ist, zitiere ich noch einmal den Kollegen Andreas Mroß aus Lübeck, der die (Tor-)Tour beispielhaft beschrieb:

Die Person wird in eine Kabine eingesperrt. Die Kabine befindet sich eingebaut in einem Bus. Die Fahrt wird mehrere Stunden dauern. In Stehhöhe dieser Kabine ist ein Sehschlitz angebracht. Die Milchglasscheibe lässt sich nicht öffnen. Die Person kann die Außenwelt nicht sehen. Eine Frischluftzufuhr von außen gibt es nicht. Ebenso wenig ist der Raum klimatisiert. An sonnigen Tagen wird es in der Kabine unerträglich heiß. Die Grundfläche der Kabine beträgt weniger als einen halben Quadratmeter. Die Person erreicht irgendwann am Tag ein Zwischenziel. Sie wird nun in einen spärlichst eingerichteten Haftraum verbracht. Nichts persönliches ist vorhanden. Den Rest des Tages bleibt sie unter Verschluss. Findet die Weiterfahrt erst am übernächsten Tag statt, mag die Person am Folgetag an einem einstündigen Hofgang teilnehmen dürfen. Eine Kontaktmöglichkeit zur Familie, zu Angehörigen oder zum Verteidiger gibt es in dieser Zeit nicht. Die Behandlung kann zwei Wochen oder länger dauern.

Ich bin mir ganz sicher, daß Gluffke sich, wenn er denn das Ziel noch einigermaßen lebend erreicht hat, heftigst Gedanken darüber machen wird, wie er sich künftig gegenüber richter- und behördlichen Anordnungen zu verhalten hat und welchen Wert er dem Rat seines Verteidiger beimessen sollte.

Einen Trost werde ich aber für ihn haben: Das, was er auf dem Schub erlebt hat, wird sich beim Strafmaß deutlich bemerkbar machen. Hoffentlich.

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Bild: Peter Reinäcker / pixelio.de

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Von der Hollywoodschaukel in die Auslieferungszelle

636811_web_R_by_H.D.Volz_pixelio.deDer Anruf aus einem sonnigen Urlaubsland erreichte mich am Sonntag. Gottfried Gluffke war empört: Schon am Freitag hatte ihn die Landespolizei von der Hollywood-Schaukel am Pool geholt. Er wurde über zwei, drei Stationen, die Gottfried mir in nicht zitierfähigen Eigenschaftsworten beschrieb, in die 400 km entfernte Hauptstadt gebracht.

In der Landessprache, die Gluffke ausschließlich aus seinen Restaurantbesuchen kannte, teilte der Richter ihm am Sonntagmorgen mit, daß er aufgrund eines Europäischen Haftbefehls festgenommen wurde. Ein Haftrichter in einer norddeutschen Kleinstadt möchte ihn sehen. Deswegen stünde nun seine Auslieferung bevor.

Mit viel Glück (und einigem guten Zureden durch einen einheimischen Rechtsanwalt, den ich organisieren konnte) wurde Gluffke von der Haft bis zur Auslieferung verschont. Und mit 20 Euro in der Tasche an die frische Luft gesetzt. Ich weiß noch nicht, wie es ihm gelungen ist, mit diesem Barvermögen wieder zurück an seinen Pool zu kommen. Aber am Montag rief er mich von dort aus wieder an.

Dem Haftverschonungsbeschluß – so würde das in der ausländischen Sprache formulierte Ding jedenfalls bei uns heißen – war zu entnehmen, daß Gluffke sich alle zwei Tage „beim zuständigen Richter“ melden solle. Das ist leichter gesagt, als getan. Denn die Zuständigkeiten von Richtern unter der südlichen Sonne sind nicht so ohne Weiteres erkennbar. Außerdem stand die Hollywoodschaukel etwa 2 Stunden Fahrt über holprige Pisten vom nächsten Richtertisch entfernt. Und ob der „zuständig“ ist … daran hatte ich so meine Zweifel.

Ich habe Gottfried kurzerhand zur lokalen Polizeidienststelle dirigiert. Das klappte dann auch. Er wurde freundlich von einem Uniformierten begrüßt, der ihm bestätigte: „Alles wird gut!“

Am Donnerstag rief der einheimische Kollege meinen Mandanten an und teilte ihm mit, daß die Auslieferung in 8 Tagen, also am übernächsten Freitag stattfinden wird. Gluffke soll sich um 12 Uhr bei der Polizei am Flughafen der Hauptstadt melden.

Gluffke machte dicken Backen und fragte mich, was er denn jetzt mit seinen Katzen machen solle …


Teil 2 der Geschichte folgt morgen.

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Bild: H.D.Volz / pixelio.de

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