Haftung ohne Verschulden? Es gibt (Un-)Fälle, da ist man sich hundertprozentig sicher, daß man nicht „Schuld“ hat – aber der gegnerische Versicherer will den entstandenen Schaden dennoch nicht vollständig erstatten. Statt dessen wird behauptet, der Geschädigte müsse sich die Betriebsgefahr seines eigenen Fahrzeuges anrechnen lassen.
Jeder hat in dem Umfang für einen Schaden einzustehen, für den er haftungsrechtlich verantwortlich ist.
1. Verschulden
Die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit ergibt sich zunächst aus dem Verschulden. Derjenige der den Verkehrsunfall schuldhaft verursacht hat, muß den dadurch entstandenen Schaden ersetzen.
Beispiel:
- Der Fahrer eines LKW unterschreitet leicht fahrlässig den vorgeschrieben seitlichen Abstand und streift ein ordnungsgemäß am Fahrbahnrand geparkten PKW.
Eine Haftungsverteilung (Haftungsquote) kann sich ergeben, wenn jeden der beiden Beteiligten eine Mitschuld trifft. Wenn jeder Beteiligte also mitschuldig ist an dem eingetretenen Schaden, kommt es zur Mithaftung.
Beispiel:
- Der eine Fahrer beachtet seine Wartepflicht nicht, der andere Fahrer fährt mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit.
In diesem Fall wird wohl jeder der beiden Unfallbeteiligten zu 50 % haften müssen. Die hat dann zur Konsequenz, daß jeder Geschädigte nur die Hälfte seines Schadens vom anderen ersetzt bekommt.
2. Betriebsgefahr
Abgesehen von einer möglichen Mithaftung durch eigenes Mitverschulden kann sich eine Mithaftung auch über die sog. Betriebsgefahr ergeben. Als Betriebsgefahr bezeichnet man die Gefahr, die vom Betrieb eines Fahrzeuges ausgeht.
In § 7 Straßenverkehrsgesetz (StVG) hat der Gesetzgeber festgelegt, daß der Halter eines Fahrzeuges für einen Schaden, der mit einem Kraftfahrzeug verursacht wird, automatisch einzustehen hat und zwar, ohne daß ihn ein Verschulden am Zustandekommen des Unfalls treffen muß. Nach § 18 Abs. 1 StVG gilt dies auch für den Fahrer des Wagens.
Die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeuges begründet also eine Haftung des Fahrers und des Halters (und damit auch der Versicherung des Halters) für einen eingetretenen Schaden, ohne das ein Verschulden des Fahrers feststeht.
Beispiel:
- Obwohl der Motorradfahrer sich vollständig korrekt verhalten hat, kommt er wegen plötzlicher Straßenglätte unverschuldet zu Fall und sein Motorrad rutscht in einen parkenden PKW.
Den Schaden am PKW muß der Versicherer des Motorrades wegen der Betriebsgefahr, die sich hier realisiert hat, vollständig ersetzen.
Etwas anders gilt nur, wenn Fahrer und Halter sicher nachweisen können, daß der eingetretene Unfall für sie schlicht unvermeidbar war, wenn also nachgewiesen wird, daß auch der Sicherste aller Fahrer beim besten Willen überhaupt keine Chance mehr hatte, noch zu reagieren.
Gelingt dieser Nachweis aber nicht, haftet der Fahrer auch ohne eigenes Verschulden für die Folgen des Unfalls, und zwar anteilig mit der Quote der Betriebsgefahr seines Fahrzeuges.
Beispiel:
- In einem Wohngebiet stürzt der Motorradfahrer, der mit angepaßter Geschwindigkeit um eine Kurve gefahren ist, weil plötzlich und unerwartet große Mengen Rollsplitt auf der Straße liegen. Wieder rutscht das Motorrad gegen ein parkendes Auto.
In diesem Fall hat sich die Betriebsgefahr des Motorrades nicht realisiert. Der Schaden am PKW ist nicht von dem Motorradfahrer bzw. -halter zu ersetzen (sondern wohl von demjenigen, der für den Rollsplitt verantwortlich ist).
Interessant wird die Sache dann, wenn – wie im Normalfall – mehrere Fahrzeuge an einem Unfall beteiligt sind. Dann kann es sein, daß den Unfall nur einer der beiden verschuldet hat, der andere jedoch aus der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs mithaftet, weil er den Unfall hätte vermeiden können.
Beispiel:
- An einer „Rechts-vor-links“- Kreuzung sah der Vorfahrtsberechtigte den Wartepflichtigen an die Kreuzung herannahen. Er hätte durch eigenes Abbremsen und Verzicht auf die Vorfahrt den Unfall vermeiden können. In diesem Falle hat zwar der Vorfahrtsverletzer den Unfall allein verschuldet. Der Fahrer des anderen Fahrzeugs haftet aber aus der Betriebsgefahr mit.
Diese Mithaftung bemißt die Rechtsprechung im konkreten Falle mit 20% bis 30 %, so daß der Vorfahrtsberechtigte tatsächlich nur 70% bis 80% seines Schadens ersetzt bekommt.
Stoßen zwei gleichartige Fahrzeuge zusammen und kann später nicht mehr eindeutig geklärt werden, wer an dem Unfall schuld ist, dann wird der Schaden zwischen beiden 50 : 50 geteilt, weil die Betriebsgefahr beider gleich hoch ist.
Beispiel:
- Zwei PKW fahren nebeneinander her, es kann nicht mehr festgestellt werden, wer in wessen Spur geraten ist.
3. Konsequenz
Es gibt also Fälle, in denen man „nicht Schuld hat“ an dem Unfall und trotzdem nicht alles ersetzt bekommt.
Und dann gibt es auch noch Fälle, in denen man sowohl keine Schuld hat, sich aber auch die Betriebsgefahr nicht realisiert hat. Aber: Es gelingt dem Geschädigten nicht, den Beweis zu führen, daß der Unfall für ihn unvermeidbar ist.
Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn weder Unfall- bzw. Bremsspuren, noch Zeugen zur Verfügung stehen. Auch dann wird der Geschädigte einen Teil (20 % bis 30 %) seines Schadens selbst tragen müssen.