Regelmäßig trifft den motorisierten
Verkehrsteilnehmer nicht das festgesetzte Bußgeld - dessen
Höhe ist hier in Deutschland im Vergleich zu den Nachbarstaaten
verhältnismäßig gering.
Die Verhängung eines ein- bis dreimonatigen
Fahrverbotes schmerzt den Kraftfahrer oft deutlich mehr. Deswegen
werde ich auch sehr oft danach gefragt, unter welchen Voraussetzungen
ein Absehen vom Fahrverbot möglich ist.
Ich möchte nachfolgend eine Übersicht
liefern, bei welchen Kriterien überhaupt eine Chance besteht,
einem Fahrverbot zu entgehen.
Geschwindigkeitsüberschreitung
Diese Ordnungswidrigkeit ist in der Praxis die
häufigste. Vom Fahrverbot wird in diesem Zusammenhang nur selten
abgesehen, wenn nicht weitere Kriterien hinzutreten.
Einzelfall
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Fahrverbot?
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Erhebliche Überschreitung der Geschwindigkeit
innerorts, allerdings ohne Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer
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Ja, die fehlende Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer
stellt den Regelfall dar.
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Erhebliche Überschreitung (120 statt erlaubter
80 km/h) der Geschwindigkeit nachts auf der BAB im
Bau-stellenbereich, in dem nicht gearbei-tet wurde, geringe
Verkehrsdichte
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Ja, aber Reduzierung der Länge des Regelfahrverbotes
von drei auf zwei Monate
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Rotlichtverstoß
Insbesondere bei einem Rotlichtverstoß
bestehen jedoch oftmals im Einzelfall gute Aussichten, das Fahrverbot
zu vermeiden.
Einzelfall
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Fahrverbot?
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Busspurbenutzung und dabei Umgehung
des für die allgemeine Fahrbahn geltenden Rotlichts; Rotlichtdauer
länger als eine Sekunde.
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Nein, kein qualifizierter Rotlichtverstoß
nach Nr. 132.2 BKatV, wenn eine abstrakte Gefährdung des Querverkehrs
und von Fußgängern ausgeschlossen ist.
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Linksabbieger wird auf Grund momentaner Unaufmerksamkeit
vom anfahrenden Geradeausverkehr mitgezogen.
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Nein, da in diesen Fällen nicht unbedingt Rücksichts-,
Verantwortungslosigkeit oder grobe Nachlässigkeit unterstellt
werden kann.
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Keine oder schlechte
Sicht auf die (rote) Ampel durch Sonnenblendung. |
Ja, gerade
diese Fälle erfordern erhöhte Aufmerksamkeit. |
Eingeschränkte Aufmerksamkeit
aufgrund starker emotionaler Bewegung durch Todesfall
in der Familie und zusätzlich mangelnde Vertrautheit
mit erst seit einer Woche gefahrenen Pkw. |
Nein
Aber: Das Fahren mit einem "neuen" Fahrzeug
entschuldigt einen Rotlichtverstoß in der Regel alleine nicht
(BayObLG NZV 01, 135)
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Augenblicksversagen
Einzelfall
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Augenblicksversagen?
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Geschwindigkeitsüberschreitung: Das Bestehen der
Geschwindigkeitsbe-grenzung ist auch für einen Ortsunkundigen
klar erkennbar (z.B. durch geschlossene Bebauung).
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Nein
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Ablenkung durch Telefonieren beim Fahren.
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Nein, die Unaufmerksamkeit ist fast zwangsläufig;
hier geht die Rechtsprechung sogar von Vorsatz aus, seitdem
das Telefonieren beim Fahren ausdrücklich verboten ist.
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Übersehen
des Beginns einer Tempo 30-Zone - festgestellte Geschwindigkeit:
69 km/h. |
Nein, da bereits das übliche Limit von 50 km/h
innerorts deutlich überschritten wird.
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Fahrer meint irrtümlich,
die Beschränkung auf 30 km/h sei aufgehoben; zusätzlich:
der Fahrer ist durch Streit mit seinen Kindern im Fahrzeug abgelenkt. |
Nein |
Rotlichtverstoß:
Fahrer erkennt erst kurz vor der Kreuzung, daß er sich
falsch eingeordnet hatte. Er wechselt die Fahrspur und
übersieht das rote Licht. |
Nein, da
gerade in dieser Situation besondere Sorgfaltspflichten bestehen.
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Geschwindigkeitsüberschreitung:
Das Verkehrsschild steht nur auf der rechten Straßenseite;
der Fahrer übersieht es, weil er ein anderes Fahrzeug überholt. |
Ja |
Erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts
auf dem Weg zum Krankenhaus: Fahrer ist durch seine in den
Wehen liegenden Ehefrau abgelenkt
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Ja |
Hausarzt
überschreitet auf dem Weg zu einem Notfallpatienten die
zulässige Höchstgeschwindigkeit |
Ggf. ja, es kommt auf die die Umstände des Einzelfalls
an.
Vorsicht: Das Gericht könnte dabei auch von vorsätzlichem
Handeln ausgehen.
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Erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts unmittelbar
nach Beginn der Fahrt; Fahrer ist kurz zuvor Geschehenes emotional
"völlig derangiert".
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Ja |
Absehen vom Fahrverbot aus beruflichen Gründen?
In diesem Zusammenhang sind eine unüberschaubare
Anzahl von Einzelfallentscheidungen ergangen. Nachfolgend ein paar
Beispiele dazu:
Einzelfall
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Fahrverbot?
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Fahrer ist angestellter Kurier mit eigenem Transporter
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Ja, wenn es sich um die 3. Geschwindigkeitsüber- schreitung
innerhalb kurzer Zeit handelte
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Fahrer ist als selbständiger Subunternehmer für
einen Kurierdienst tätig
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Nein, wenn das Fahrverbot wegen sehr schlechter wirtschaftlicher
Verhältnisse weder in einen Urlaub gelegt noch einen Fahrer
eingestellt werden kann.
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Fahrer ist selbständiger Handelsvertreter und
liefert die Ware selbst an seine Kunden aus.
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Nein, wenn der Fahrer keine Eintagungen im Verkehrszentralregister
hat und zusätzlich das Limit nur knapp oberhalb der Fahrverbots-Grenze
des BKatV überschritten wurde.
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Fahrer ist freier
Sachverständiger, seine eigene Kfz-Werkstatt inklusive
mehrerer Arbeitsplätze wären durch ein Fahrverbot
gefährdet |
Nein, da ein Fahrverbot zur Existenzbedrohung führen
würde. Dies wäre unverhältnismäßig.
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Freiberufler
mit Praxis auf dem Lande |
Nein, denn
allein die berufliche Nutzung des Pkw reicht nicht für
das Absehen vom Fahrverbot. |
Selbständiger
Rechtsanwalt :-) |
Nein, wenn er dreimal pro Woche seine frühere,
schwer erreichbare Kanzlei aufsuchen muß, seit der Tat
mehr als 14 Monate verstrichen waren und der Anwalt freiwillig
an einer verkehrspsychologischer Beratung teilgenommen hat.
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Ingenieur,
der auswärtige Baustellen aufzusuchen hat. |
Ja, er kann einen Aushilfsfahrer einstellen; notfalls muß
er dafür auch einen Kredit aufnehmen.
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Absehen vom Fahrverbot bei einem Verstoß
gegen § 24a StVG (Fahren mit einer BAK von mehr als 0,5 Promille
)
Wenn es bei Geschwindigkeistüberschreitungen
schon schwierig ist, ein Absehen vom Fahrverbot zu erreichen: beim
Fahren unter Alkohol- oder Betäubungsmitteleinfluß scheint
dies in der Praxis nahezu ausgeschlossen zu sein.
Einzelfall
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Fahrverbot?
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Berufskraftfahrer, dem der Verlust des Arbeitsplatzes
droht
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Ja, berufliche Gründe reichen allein nicht, wenn das
Fahrverbot in den Jahresurlaub gelegt oder das Führen
des Betriebs-LKW vom Fahrverbot ausgenommen werden können.
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Oberarzt mit Rufbereitschaft, der binnen einer Stunde
vom Wohnort zur Klinik fahren muß, die 80 km entrernt
von einander liegen.
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Nein, da außerdem noch pflegebedürftiger
Angehöriger versorgt werden mußte und zwischen
Tat und Urteil nahezu 24 Monate lagen.
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Absehen vom Fahrverbot wegen langen Zeitablaufs
zwischen Tat und Urteil
Grundsätzlich muß wohl ein Zeitraum von
mehr zwei Jahren verstrichen sein, damit allein wegen Zeitablaufes
vom Fahrverbot abgesehen werden kann. Allerdings darf es in der
Zwischenzeit nicht zu einer erneuten Verkehrsordnungswidrigkeit
gekommen sein. Und: Der Betroffene darf die Verfahrensverzögerung
nicht selbst zu vertreten haben.
Absehen vom Fahrverbot aus sonstigen Gründen
Zusätzlich zu den vorgenannten Punkten können
neben den sonstigen Gründen "berufliche" und/oder persönliche Umstände
vorgetragen werden, um ein Fahrverbot zu verhindern.
Beispiele dazu nachfolgend:
Einzelfall
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Fahrverbot?
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Fahrer ist auf Fahrerlaubnis angewiesen:
fehlende Anbindung des Wohnorts an öffentliche
Verkehrsmittel und dadurch keine rechtzeitige Bewerbungsgespräche
und keine Außendiensttätigkeit möglich
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Nein: gegen Verdoppelung der Geldbuße (AG Ludwigsburg).
Ja: keine unzumutbare Härte, wenn das Fahrverbot nur
generell den Erhalt des neuen Arbeitsplatzes verhindert (OLG
Frankfurt).
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Geschwindigkeitsüberschreitung zur Nachtzeit
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Ja, da "beharrliche" Verletzung der Pflichten
eines Kfz-Führers.
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Teilnahme an einem
Aufbauseminar |
Ja, da Aufbauseminar
und Fahrverbot einen nicht vergleichbaren Zweck haben. |
Das Fahrverbot hat wiederholt Bahnfahrten von mehr als
drei Stunden zur Folge, bei der zusätzlich noch umfangreiches
Material transportiert werden muß.
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Ja, solche
Konsequenzen sind beabsichtigt. |
Geschwindigkeitsüberschreitung
von 45 km/h auf BAB, keine Eintragung im Verkehrszentralregister,
Fahrer zu 70 % schwerbehindert |
Ganz ausnahmsweise
einmal nein. |
Zusammenfassung
Es erscheint mir leichter zu sein, ein eingeseiftes
Schwein am Schwanz zu fassen, als in den Routinefällen vor
dem Amtsgericht eine Abweichung von der Regel zu erreichen.
Versuchen sollte man es gleichwohl, zumal die
Rechtsmittelgerichte genau überprüfen, ob das Amtsgericht
bei der Verhängung des Regelfahrverbotes das Recht korrekt
angewandt hat.
Dies ist für den Richter am Amtsgericht
mit einigen Mühen verbunden. Er muß beispielsweise in
den Urteilsgründen erkennen lassen, daß er sich der Möglichkeit
bewußt war, trotz Annahme eines Regelfalls vom Fahrverbot
allein unter Erhöhung der Geldbuße absehen zu können. Es müssen
ferner Feststellungen zu den persönlichen und beruflichen Verhältnissen
im Urteil zu finden sein, damit erkennbar ist, daß das Fahrverbot
keine unverhältnismäßige Reaktion auf die Tat darstellt
Entspricht das Urteil diesen und anderen Anforderungen
nicht, wird das Rechtsmittelgericht auf die Beschwerde des Verurteilten
hin das Urteil aufheben und den Fall an eine andere Abteilund des
Amtsgerichts zurückgeben. Das mögen viele Richter überhaupt
nicht. :-)
Allerdings muß der Verteidiger aufpassen,
daß der Richter nicht plötzlich von einem vorsätzlichen
Verstoß ausgeht, und dann das Bußgeld erhöht und
die Dauer des Fahrverbotes verlängert.
Sofern Sie weitere Fragen zu diesem Thema haben,
stehe ich Ihnen gern zur Verfügung.
Rechtsanwalt Carsten R. Hoenig
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