Punkterabatt in Flensburg nach Besuch von Aufbauseminaren.
Im Verkehrszentralregister (VZR) wird mit deutscher Gründlichkeit, Konsequenz und Unbestechlichkeit die Disziplinierung der Verkehrsteilnehmer verwaltet. Kommt es zu wiederholten Verstößen gegen Verkehrsrecht, droht der Ausschluß aus der Gemeinschaft der Motorisierten und ÖPNV ist wieder angesagt.
Nun muß man aber nicht die aufsteigende Linie des Kontostands anstarren wie ein Kaninchen die Schlange. Es gibt da durchaus sinnvolle Mittel, dem Boom in Flensburg entgegen zu treten. Sicher: Das einfachste wäre, sich hartnäckig regelkonform zu verhalten. Aber dieser Rat nützt meist genau so wenig, wie die Empfehlung an einen Übergewichtigen, weniger zu essen, um das Idealgewicht zu erreichen. Bewegung ist angesagt!
Der Fall: Wilhelm Brause, ständig auf der Suche nach verschärftem Horror, hat’s mal wieder übertrieben. Innerorts 29 km/h zuviel und keine Chance im Rechtsmittel bedeuten: 3 Flens. Brause weiß, daß er den Ärger darüber nicht einfach runterschlucken soll, sonst gibt’s Magengeschwüre. Er läßt den Dampf auf seinem Mopped ab, nimmt die Eröffnungshaltung eines Sumoringers ein und startet hoch erhobenen Vorderrades durch – obwohl die Laterne an der Kreuzung schon längere Zeit „Rot“ zeigte. Der modernen Technik sei Dank kann dieser qualifizierte Rotlichtverstoß detaillgenau dokumentiert werden: Weitere 3 Eintragungen ins VZR.
Nach einem Monat Schwarzfahren mit der BVG nimmt Brause seinen Führerschein wieder entgegen – und die Mahnung des freundlichen Polizisten, es nun langsamer angehen zu lassen. Wilhelm lächelt beschwichtigend mild, besteigt die 150-Einspritzer-PS, schaltete den knocking-on-heavens-door-Modus ein und hinterläßt einen 30 m langen tiefschwarzen Strich auf dem Asphalt.
Machen wir’s kurz: Insgesamt 9 Tüpfelchen zieren fortan die Karteikarte des Herrn Brause. Dies fordert die freundlichen Damen und Herren aus dem Referat Fahrerlaubnisse beim Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) dann doch heraus. Dort beginnt ein zartes Pflänzchen zu wachsen: Der Zweifel an der Geeignetheit Brauses zum Führen von Kraftfahrzeugen.
Er bekommt von Post vom LABO: Die gelbe Karte im gelben Umschlag. Man teilt ihm mit, nun sei es bald soweit, ihn zu einem Aufbauseminar zu schicken oder ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen.
Und nun? Die Lösung findet sich im Straßenverkehrsgesetz (StVG) und in der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) . § 4 Abs. 4 StVG verteilt Nachlaß: Solange das Konto bis zu 13 Punkte aufweist, kann ein Fahrerlaubnisinhaber freiwillig an einem Aufbauseminar teilnehmen. Dafür gibt’s Abzüge – und zwar 4 Punkte; wenn der Sammler über maximal 8 Flens verfügt, aber nur 2 Bonuspunkte, wenn der Verkehrsrowdie bereits 9 bis 13 Punkte hat.
Die Gutschrift erhält man allerdings nur einmal in fünf Jahren. Es wäre auch zu schön, wenn Brause das Seminar dreimal besucht und dann einen Kontostand von Null damit erreichen könnte. Dem jetzt noch übrig gebliebenen, nahe liegenden Gedanken hat der Gesetzgeber ebenfalls die Tür vor der Nase zugeschlagen: Wer ein Seminar besucht, weil er zwei Flens im VZR hat, kommt trotzdem nur auf Null und erhält nicht etwa 2 Freischüsse. Weniger als Null gibt’s nicht! Die Aufbauseminare werden regelmäßig von etablierten Fahrschulen veranstaltet. Die FeV schreibt in § 35 dabei vor, daß solche Menschen wie Brause in vier Sitzungen von jeweils 135 Minuten Dauer aufgebaut werden sollen. Zusätzlich findet zwischen der ersten und zweiten Sitzung eine Fahrprobe statt.
Brause muß also dem Fahrlehrer zeigen, wie er gewöhnlich mit dem Mopped durchs Winkelwerk scheucht, damit in dem Seminar auch genügend Gesprächsstoff vorhanden ist. Hat Brause dann alles über sich ergehen lassen, gibt’s die Rabattmarke in Form einer Teilnahmebescheinigung, die er dann beim LABO einreichen sollte, damit die Gutschrift in Flensburg erfolgt. Ziel dieser Seminare ist es, die Einstellung zum Verhalten im Straßenverkehr zu ändern, das Risikobewußtsein zu fördern und die Gefahrenerkennung zu verbessern (§ 35 Abs. 2 S. 3 FeV).
Natürlich sind solche Nachhilfekurse nicht für lau zu bekommen. Um die 300,00 Euro muß der Seminarteilnehmer auf die Fahrschultheke legen.
Was bedeutet es aber, wenn der Verkehrsteilnehmer nun mehr als 13 Punkte hat? Zunächst einmal weist dies darauf hin, daß er schlecht oder gar nicht anwaltich beraten wurde. Andererseits wird er dann aber auch nicht mehr vor die Frage gestellt, ob er sich freiwillig auf die Schulbank setzen soll – die Fahrerlaubnisbehörde ordnet dann den Besuch des Aufbauseminars schlicht an. Ein Nichtbefolgen dieser Anordnung führt zwangsläufig zum Entzug der Fahrerlaubnis. Eine Gemeinheit gibt’s in diesem Zusammenhang noch oben drauf: Punkterabatt erhält der Nachhilfeschüler bei mehr als 13 Punkten dann nicht mehr. Es sei denn, er läßt sich – wiederum freiwillig, aber zusätzlich – in einer Einzelintervention verkehrspsychologisch beraten. Dies ist die allerletzte Möglichkeit des chronischen Verkehrssünders, aktiv zu werden und die drohende Entziehung der Fahrerlaubnis zu vermeiden.
Für eine verkehrspsychologische Beratung fallen bei der auf dieses Gebiet spezialisierten Psychologen wischen 300,00 bis 350,00 Euro an. Der Klient erhält anschließend die bekannte Rabattmarke, die zur Reduzierung um zwei Flens führen wird.
Insgesamt gesehen hat Brause in seinem Fall noch alle Karten in der Hand. Wenn die Geschichten mit den Seminaren und Beratungen auch einigen finanziellen Aufwand bedeuten, sind sie immer noch preiswerter als die Anstrengungen, die notwendig werden, um die Fahrerlaubnis nach Entzug wieder zu bekommen. Dafür werden dann zwischen 1.000,00 und 2.000,00 Euro fällig.
Die preiswertestes Variante allerdings, die zudem auch noch zur Tilgung aller Eintragungen führt, besteht in schlichtem Wohlverhalten. Kommen zu den 9 Punkten, die Brause gesammelt hat, innerhalb von 2 Jahren nach Rechtskraft der letzten Eintragung keine neuen Punkte hinzu, stellen die Flensburger das Konto Brauses wieder auf Null.
Dazu noch folgender Hinweis: Punkte werden erst eingetragen, wenn die behördliche oder gerichtliche Entscheidung, mit der sie verhängt wurden, rechtskräftig werden. Verhindert man z.B. durch Rechtsmittel den Eintritt der Rechtskraft, kann man je nach Frequenz der Verkehrsverstöße erreichen, daß die Voreintragungen gelöscht werden, bevor die neuen einzutragen sind. Dabei wird man jedoch auf anwaltliche Hilfe angewiesen sein.
Es erscheint also durchaus sinnvoll, allein aus Kostengründen darauf zu verzichten, gegen die Vorschriften des Straßenverkehrsrechts zu verstoßen. Wenn dies allerdings der einzige Grund ist, vorsichtig zu fahren, ist der Mensch zwar zu bedauern; aber was soll’s – den anderen Verkehrsteilnehmern schadet es bestimmt nicht.