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Verletzt, aber nicht befangen

Es ist traurig, daß die Unternehmen, die für die Ausübung der 4. Gewalt – der Pressefreiheit – zuständig sind, es nicht auf die Reihe bekommen, Journalisten zu beschäftigen (zu finanzieren), die auch etwas von dem verstehen, was sie dem Volk vermitteln sollen. So ein Satz, wie dieser hier:

Den Antrag eines Verteidigers, der die Unterbrechung des Verfahrens wegen Befangenheit bei der Kammer forderte, lehnte das Gericht ab.

zeigt, wie eine qualitativ hochwertige Berichterstattung nicht aussehen sollte.

Ich hatte die Unterbrechung des Verfahrens beantragt, um die Fahrkarten der Passagiere des Richterkarussells kontrollieren zu können. Diesem Antrag wurde entsprochen, ich hatte mit dem Gericht eine Einigung über das „Wie“ und „Wann“ der Fahrkartenkontrolle gefunden.

Die Besorgnis der Befangenheit der fünf Richter hatte mein Mandant zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht. Weil ihm ein paar Details nicht bekannt waren. Nach diesen Details hatte ich die Richter gefragt. In Form eines Antrags auf Auskunft.

Den Angeklagten in diesem Verfahren vor dem Landgericht Hamburg wird vorgeworfen, sie hätten massenhaft Internet-Nutzer in so genannte „Vertragsfallen“ gelockt und ihnen Rechnungen, später Mahnungen geschickt. Die Medien berichten von 70.000 Fällen. Die Staatsanwaltschaft hat diese Zahl anhand der sichergestellten Datenbanken ermittelt und den Medien stolz präsentiert. (Was noch nicht bedeutet, daß die Zahl auch wirklich stimmen muß. Dazu später noch ein paar Worte.)

Es ist bekannt, daß die Angeklagten nicht die einzigen sind, die solche Post verschickt haben. Über die Republik und das Internet verteilt sind weitere Rechnungsversender unterwegs gewesen. Nicht bekannt ist die Anzahl der versandten Rechnungen insgesamt. Man könnte es schätzen, aber auch nur grob. Das überlasse ich gern anderen.

Ich bin der Ansicht, vor diesem Hintergrund ist es nicht abwegig zu beantragen, die Richter mögen mitteilen,

ob sie/er oder eine ihrer/seiner in § 52 Abs. 1 StPO bezeichneten Angehörigen, eine Zahlungsaufforderung, Mahnung oder ähnliches erhalten hat,

und zwar entweder von einem der Betreiber der „angeklagten“ Angebote. Oder von einem der zahlreichen „Mitbewerber“ in diesem Marktsegment.

Natürlich findet der Staatsanwalt sofort den wunden Punkt meines Auskunftsantrags: Ein Angeklagter hat auf so eine Auskunft keinen Anspruch. Da hat er Recht.

Aber: Mit diesem – unzulässigen, aber nicht verbotenen – Antrag habe ich den Stachel ins Fleisch gesetzt. Denn er gibt insbesondere den beiden Schöffen Anlaß, genau darüber nachzudenken. Von den Berufsrichtern erwartet ich das auch ohne einen solchen Anschubser.

Erinnert sich nun ein Schöffe daran, solche Post erhalten zu haben, ist er verpflichtet, das unaufgefordert mitzuteilen. So jedenfalls der Gedanke, der hinter § 22 StPO steht. Darüber wird die Vorsitzende Richterin die beiden Laienrichter belehrt haben.

Mein Schuß ins Blaue hat ins Schwarze getroffen: In der näheren Verwandtschaft eines der beiden Schöffen hat es einen „Rechnungsempfänger“ gegeben.

Der Umstand, daß die Medien bisher noch nichts von einem Platzen des Prozesses berichtet haben, gibt Auskunft über die Entscheidung des Gerichts:

Eine Befangenheit sei nur dann zu besorgen, wenn der Angeklagte bei verständiger Würdigung davon ausgehen könne, daß dies ausnahmsweise einen besonders schwerwiegenden Eindruck hinterlassen habe. Dies könne bei gewichtigen Straftaten gegen Individualrechtsgüter oder bei Vermögensdelikten, die geeignet sind, eine Existenzgefährdung oder einen Vermögensverlust großen Ausmaßes nach sich zu ziehen, möglicherweise der Fall sein. Ein etwaiger Betrugsversuch, der sich auf einen Vermögensvorteil im unteren dreistelligen Bereich beziehe, vermöge jedoch nicht die Unparteilichkeit oder Unvoreingenommenheit eines Richters oder Schöffen zu beeinträchtigen.

Nun ja. Es gibt in der praktisch angewandten Rechtswissenschaft kein „Richtig“ oder „Falsch“. Sondern nur „Vertretbar“ oder „Unvertretbar“. Nur im Ausnahmefall kommt eine weitere Variante ins Spiel, die heißt: „Abwegig“.

Wie diese Sache einst abschließend beurteilt wird, wird dann wohl eine andere Instanz zu entscheiden haben.

Erst-Veröffentlichung dieses Beitrags am 19.12.2011 im law blog, in dem der Autor als „Aushilfsblogger“ und Urlaubsvertreter des Düsseldorfer Kollegen Udo Vetter geschrieben hat.

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