Bitumenvergußstreifen und Pflichten der Straßenbehörde
Teerwürste sind keine Lebensmittel, sondern sog. Bitumenvergußstreifen, die vielerorts zur Reparatur brüchiger Straßenbeläge verwendet werden. Dies ist eine schnelle und preisgünstige Methode, eine einigermaßen ebene Fahrbahn (wieder-)herzustellen. Dies kann durchaus zur Falle für Motorradfahrer werden, wie der folgende Fall zeigt:
Graf Gottfried von Gluffke kommt von der Sonntagsfahrt frühzeitig zurück nach Berlin. Es hat zu regnen begonnen und als Sonntagsfahrer hat man natürlich kein entsprechendes Equipment für Regenfahrten. Langsam und vorsichtig fährt er das Schöneberger Ufer entlang, als die rot werdende Ampel ihn zum leichten Bremsen veranlaßt. Gluffke hat den Bremshebel noch gar nicht richtig angefaßt, als er den Soft-Chopper aus der Froschperspektive vor sich herrutschen sieht. Die spätere Besichtigung der Fahrbahndecke brachte die Ursache zutage: Bitumenvergußstreifen, bis zu 30 cm breit, mitten auf der Fahrbahn.
Es stellt sich die Frage, ob für einen solcherart verursachten Unfall jemand haftbar zu machen ist. Für den Zustand einer Straße verantwortlich ist der sog. Träger der Straßenbaulast. Wer dies im Einzelfall ist, muß häufig mühsam ermittelt werden, da dies von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt ist. Meist hilft aber ein schlichter Telefonanruf bei der Gemeinde-, Kreis- oder Landesverwaltung.
Der Straßenbaulastträger ist verpflichtet, nach seiner Leistungsfähigkeit die Straßen in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis und den Erfordernissen der öffentlichen Sicherheit genügenden Zustand zu bauen, zu unterhalten, zu erweitern oder sonst zu verbessern. Reicht die Leistungsfähigkeit des Trägers nicht dazu, diesen Verpflichtungen nachzukommen, hat er durch Verkehrszeichen auf die Gefahren hinzuweisen. Dies bedeutet, daß der Träger ‚ernsthafte Gefahrenquellen‚, die sich aus dem Zustand einer Straße ergeben, zu beseitigen hat.
Und damit liegt das Problem auf der Hand: Denn sind Teerwürste ‚ernsthafte Gefahrenquellen‘? Für Mehrspurfahrzeuge kann die Gefahr in aller Regel vernachlässigt werden. Für uns Motorradfahrer entscheidet diese Art Straßenbelag mitunter über den Grad der Schräglage. Das tückische an den Bitumenvergüssen ist, daß man sie bei regennasser Fahrbahn kaum erkennt und sie insbesondere bei Nässe extrem rutschelig sind. Bei trockener Straße und kalter Witterung haben die Streifen hingegen kaum Einflüsse auf das Fahrverhalten. Sie verflüssigen sich jedoch bei erhöhter Temperatur, zum Beispiel unter Sonneneinwirkung. So ist der Verlust der Reibung zwischen Reifen und Straße nahezu zwangsläufig, wenn ein Motorrad in Schräglage und in Längsrichtung auf einen solchen Bitumenbrei trifft.
Die Behörde kann sich nun nicht auf den Standpunkt zurückziehen und sagen, die Moppedfahrer seien in der Minderheit, sollen sie doch selbst auf sich aufpassen. Das Berliner Straßengesetz (§ 7 Abs. II) fordert: „…sind Belange … der im Straßenverkehr besonders gefährdeten Personen zu berücksichtigen.“ Es kommt also auch auf Einzelinteressen an. Sind also die Träger der Straßenbaulast dazu verpflichtet, bereits vorhandene Bitumenvergußstreifen zu beseitigen und es zu unterlassen, weitere zu verlegen? Problematisch ist die – finanzielle – Leistungsfähigkeit der Länder, Kreise und Gemeinden. Können sie die Gefahren aufgrund knapper Haushaltsmittel nicht beseitigen, sind sie jedoch nach dem Wortlaut der Vorschriften verpflichtet, wenigstens Warnschilder aufzustellen.
Doch dieses unterlassen sie meist auch noch, wiederum mit dem Argument, das koste zuviel Geld. Im Ergebnis bedeutet dies: Es gibt für uns extrem gefährliche Fahrbahnoberflächen, vor denen nicht gewarnt wird. Man muß sich fragen, ob dies nun ein glatter Verstoß gegen geschriebenes Recht ist? An dieser Stelle kommt nun die Gattung ‚motorradfahrender Mensch‚ ins Spiel. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß sich der Straßenbenutzer, also auch der Motorradfahrer, den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen und die Straße so hinnehmen muß, wie sie sich ihm erkennbar darbietet. Daher ist es in erster Linie auch Sache des Verkehrsteilnehmers, bei zweckgerechter Benutzung der Straße und Anwendung der gebotenen Aufmerksamkeit etwaige Schäden, hier: Stürze, selbst abzuwenden. Von den Verkehrsteilnehmern wird in schwierigen Verkehrslagen sogar eine gesteigerte Aufmerksamkeit erwartet.
Was dies übertragen auf uns Kradfahrer bedeutet, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Kommt nun ein Zweiradler auf einer mit Bitumen geflickten Straße zu Fall, muß der Träger der Straßenbaulast also nur dann für den Schaden haften, wenn sich vorausschauend die naheliegende Möglichkeit ergeben hat, daß die Gefahrenlage von dem Verkehrsteilnehmer trotz Anwendung der gebotenen Eigensorgfalt nicht beherrscht werden kann. Der Gesichtspunkt der Eigenverantwortung der Verkehrsteilnehmer hat auch Bedeutung für die Notwendigkeit der Aufstellung von Warn- und Hinweiszeichen. Denn es entspricht ebenfalls bereits allgemeiner Auffassung, daß sich die Notwendigkeit der Aufstellung eines Gefahrenzeichens nach der Vorhersehbarkeit der Gefahr für den durchschnittlich sorgfältigen Verkehrsteilnehmer richtet.
Bewegt sich der Mopedfahrer auf einer sauberen, glatten und nicht geflickten Straße und begegnet er urplötzlich hinter einer Kurve diesen Teerwürsten, dürfte wohl eine Haftung des Straßenbaulastträgers in Betracht kommen. Ist andererseits die Straße ersichtlich in einem mit Bitumen ausgebesserten Zustand, kann sich der Mopedfahrer nicht beschweren, wenn er auf einem von hunderten dieser Flicken ausrutscht. So jedenfalls die einschlägige Rechtsprechung. Selbst bei einem ‚Überraschungs-Flicken‘ bleibt es nicht aus, daß man sich Gedanken machen muß, ob nicht ein gewisses Mitverschulden des Kraftradfahrers vorliegt.
Nun könnte man ja auf die Idee kommen, daß man den Straßenbaubehörden nahelegt, die Flickerei mit dem Bitumen zu unterlassen. Zumal es mittlerweile wirtschaftlich vertretbaren Alternativen gibt. Einen durchsetzbaren Anspruch haben wir Mopedfahrer in dieser Beziehung jedoch leider nicht. Maximal wird auch in diesen Fällen ein Warnschild aufgestellt und damit den Anforderungen der Gesetze entsprochen. Im schlimmsten Fall wird die Straße dann eben für Mopeds gesperrt.
Der alten Windgesichtern gut bekannte Motorradjournalist Klacks (Ernst Leverkus) hat einmal gesagt: Vor allem, was lang und schwarz ist, sollten wir uns in Acht nehmen. Recht hat er gehabt.