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Ein wahrlich abschreckendes Urteil

9530_web_R_K_B_by_Kurt Michel_pixelio.dePolizeibeamte mit Steinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern zu bewerfen, ist gleich aus mehreren Gründen nicht sinnvoll.

Zum einen trifft man in aller Regel den Falschen. Die Entscheidung, eine Demonstration zu begleiten und aufzupassen, daß die Spielregeln zumindest einigermaßen eingehalten werden, trifft nicht der Mann im protektorenbewehrten Grünzeug, sondern ein anderer, regelmäßig irgendein Schlipsträger. Auch konkrete Einsatzbefehle lassen sich stets auf graubeanzugten, blaubehemdeten Schreibtischtäter zurückführen.

Zum anderen gefährden die eingangs beschriebenen Exzesse genau das, was die Exzentriker für sich selbst in Anspruch nehmen wollen. Die Freiheit zum Demonstrieren und Protestieren. Diesem Freiheitsrecht wohnt es inne, daß es laut und deutlich werden muß. Denn die Wahrnehmung dieses Rechts soll ja etwas bewirken. Sicher, es gibt auch den leisen Protest, aber wir leben nicht mehr in der Zeit eines Mahatma Gandhi. Und dumme Nazis pellen sich ein Ei auf Kerzlein und Blümchen. Da muß man schon mal deutlicher werden. Aber der Stein- und Flaschenwurf ist das andere Extrem, das dazu führen kann, daß demnächst maximal Leserbriefe an ein Gemeindeblatt erlaubt werden.

Zusammengefaßt: Der Zorn auf „die Bullenschweine“ ist also kennzeichnend für Menschen, die von der Wand bis zur Tapete denken. Zumindest zeitweise.

Denn und trotzdem: Es ist der Zorn derjenigen, die noch über ein gewisses Maß an Vertrauen in das Funktionieren des Rechtsstaats haben. Wenn ich mir Monate später vor Gericht die Randalierer der „Kreuzberger Maifestspiele“ anschaue, dann sind das in aller Regel ganz vernünftige Kerlchen, die meist alkoholbedingt ein vorübergehendes Problem mit ihrem Testosteron- und Adrenalinspiegel hatten. Das läßt sich dann recht schnell und mit einfachen Mitteln wieder gerade rücken. Und das wissen die Landfriedensbrecher auch. Selbst sie vertrauen darauf, daß sie ein rechtsstaatliches Verfahren erwartet, in dessen Rahmen sie eine mehr oder minder passende Quittung verpaßt bekommen.

Für wesentlich gefährlicher als diese Polizeiabsperrungsdurchbrecher halte ich aber Straf-„Richter“ und Staats-„Anwälte“, die prinzipiell nichts anderes tun, als diejenigen, die sie verurteilen ohne ein Urteil, das auf legalem(!) Wege zustande gekommen ist, in den Knast schicken wollen. Wenn das zutrifft, was man über diese Dresdner Juristen in der Robe von Richtern und Staatsanwälten berichtet (was ich eigentlich gar nicht glauben möchte), dann ist in dem Gerichtssaal des kulturellen Zentrums Sachsen etwas ganz Ungeheuerliches passiert.

Nach dem Willen eines Juristen in Richterrobe im Zusammenwirken mit einem ebensolchen in Staatsanwaltsrobe und unter Beteiligung zweier Laien im Schöffenamt soll ein 36 Jahre alter, nicht vorbestrafter Familienvater für 22 Monate hinter Gitter. Medien- und Prozeßberichten zufolge soll es allenfalls ein paar dünne Indizien dafür gegeben haben, daß er die ihm zur Last gelegten Taten begangen haben könnte. Es gab aber Beweismittel, die das Gegenteil belegten.

Über die Zurechnungsklausel des § 25 II StGB – „Was andere getan haben, müssen Sie sich mit anrechnen lassen!“ – wird der Berliner quasi dafür in Haftung genommen, daß er in Dresden von einem Grundrecht Gebrauch gemacht hat, das – so habe ich es an der Uni gelernt – schlechthin konstituierend ist für unseren Rechtsstaat. Vielleicht war das diesen beiden furchtbaren Juristen scheißegal, Hauptsache sie hatten jemandem, dem sie die Randale ans Zeug flicken konnten.

Hey, was ist da los in Dresden?! Reichlich Strafverfahren gegen (Demonstrations-)Teilnehmer endeten im Nirvana, weil die von der Polizei erhobenen Tatvorwürfe nicht nachweisbar waren. Verfahren wegen angeblicher „Rädelsführerschaft“ aus den Jahren 2011 mußten eingestellt werden, weil die Beweise fehlten. Trotz rechtswidriger polizeilichen Durchsuchungsmaßnahmen und anderer zweifelhafter Ermittlungsmethoden. So wurden zum Beispiel die Datensammlungen mittels Funkzellenabfrage vom Datenschutzbeauftragten als rechtwidrig eingestuft. Packt man sich also jetzt einen, den man für das alles „hängen“ will?

Ja, vielleicht ist „Hängen“ eine etwas übertriebene Formulierung. Aber wie bitte will man es beschreiben, wenn ein sogenannter Richter einem Angeklagten eine „ungünstige Sozialprognose“ attestiert, weil er von einem weiteren Grundrecht Gebrauch gemacht hat: Sich nämlich durch Schweigen zu verteidigen? Eine solche Begründung für die Verweigerung einer Strafaussetzung zur Bewährung für einen „Ersttäter“ (wenn Tim H. denn überhaupt ein Täter war) trauen sich selbst Jurastudenten im zweiten Semester nicht mehr zu liefern. So etwas ist nicht einfach nur grottenschlechtes juristisches Handwerk. Wenn man hinter dieser (Teil-)Entscheidung einen bösen Willen vermuten möchte, liegt man sicherlich nicht völlig daneben.

Das – nicht rechtskräftige und aufgehoben werdende – Urteil des Schöffengerichts Dresden ist das, was jene beiden Juristen wohl bezweckt haben: Abschreckend, aber irgendwie anders. Es ist nur sehr schwer nachvollziehbar, wie sich solche Menschen vor dem Hintergrund ihre Eide, die sie auf unsere Verfassung geschworen haben, morgens früh die Bartstoppeln aus dem Gesicht rasieren können, ohne tot umzufallen bei dem Anblick, den sie dabei ertragen müssen.

Weitere – sachlichere – Informationen über diesen Vorfall von Rechtsanwalt Reiner Pohlen, im Spiegel und beim Grundrechtekommitee. Und die Sächsische Zeitung traut sich gar, Roß und Reiter beim Namen zu nennen.

http://www.sz-online.de/nachrichten/aufwiegler-muss-ins-gefaengnis-2487132.html

Bild: Kurt Michel / pixelio.de

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