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Unzulässig: Legendierende Kontrollen

618812_web_R_by_Arno Bachert_pixelio.deNicht überall, wo „Verkehrskontrolle“ drauf steht, ist auch „Verkehrskontrolle“ drin.

Es geht um die Frage der Zulässigkeit einer aktiven Täuschung eines Verdächtigen über den Anlaß der Ermittlungsmaßnahme. Die Problematik wird deutlich an folgender Fallkonstellation:

Die Ermittlungsbehörden beobachten seit längerer Zeit eine Gruppierung, die des Handels mit Betäubungsmitteln im großem Stile verdächtigt wird. Während einer Telefonüberwachung erhalten die Beamten Informationen darüber, daß drei Tage später in einem PKW eine „nicht geringe Menge“ Kokain aus Westdeutschland nach Berlin transportiert werden soll. Der Focus der Ermittler richtet sich aber nicht (nur) auf diesen Transport, sondern in der Hauptsache auf die (vermuteten) Strukturen, die hinter dieser Kurierfahrt stecken.

Um zu verhindern, daß die Organisatoren der Fahrt erfahren, daß man ihnen auf der Spur ist, fangen die Drogenfahnder an zu tricksen. Bei einem Tankstop lassen sie die Luft aus einem Reifen des Kurierfahrzeugs und gaben bei der Autobahnpolizei einen Wunschzettel ab: Die Schutzmänner sollten doch mal eine „allgemeine Verkehrskontrolle“ an dem havarierten Auto durchführen.

In der Ermittlungsakte findet sich dann später der Einleitungsvermerk der Unifomierten:

Im Rahmen einer Routinekontrolle fanden wir in der Reserveradmulde des Kofferraums …

Die Entdeckung soll also als Zufallsfund durchgehen, um die Zusammenhänge mit den Ermittlungen gegen die „Organisierte Kriminalität“ zu verschleiern.

Es stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit einer solchen „Maßnahme“, die für den kundigen Strafverteidiger im weiteren Verlauf des Verfahrens den Gedanken an die Durchsetzung eines Beweisverwertungsverbotes aufkommen lassen muß. Denn der Erforschung der materiellen Wahrheit durch die Beweiserhebung im Ermittlungsverfahren sind durch das formelle Recht Grenzen gesetzt.

An dieser Stelle paßt es mal wieder, das Zitat von Rudolf von Ihering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, 2. Teil, Abteilung 2, S. 471. (wiedergefunden bei Rechtsanwalt Andreas Jede):

Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit. Denn die Form hält der Verlockung der Freiheit zur Zügellosigkeit das Gegengewicht, sie lenkt die Freiheitssubstanz in feste Bahnen, daß sie sich nicht zerstreue, verlaufe, sie kräftigt sie nach innen, schützt sie nach außen. Feste Formen sind die Schule der Zucht und Ordnung und damit der Freiheit selber und eine Schutzwehr gegen äußere Angriffe, – sie lassen sich nur brechen, nicht biegen.

Diese Form schreibt nun mal vor, daß Durchsuchungen von Kraftfahrzeugen grundsätzlich dem Richtervorbehalt unterliegen. Eine Eilbedürftigkeit, die es ausnahmsweise gestattet, auch ohne richterlichen Beschluß zu durchsuchen, gab es in dem Beispielfall nicht. Es ist und bleibt eine heimliche Ermittlungsmaßnahme, durch die die Betroffenen getäuscht wurden.

Die Aktion ist auch nicht unter Hinweis auf einzelne in der Strafprozessordnung ausdrücklich und gesondert geregelte heimliche Ermittlungsmaßnahmen zu rechtfertigen. Die Berufung auf das Bedürfnis einer „effizienten Strafverfolgung“ – also das der-Zweck-heiligt-die-Mittel-Prinzip – ist angesichts der Intensität des Eingriffs (Art. 6 Abs. 1 EMRK!) nicht zulässig. Die alleinige Anwendung des Gefahrenabwehrrechts (Verkehrskontrolle) ist nicht möglich, wenn ein Straftatverdacht (Verstoß gegen BtMG) bereits vor der polizeilichen Maßnahme besteht und sodann zielgerichtet zu Zwecken der Strafverfolgung (Beweiserhebung) in die Grundrechte des Betroffenen eingegriffen wird.

Diese Täuschungen durch Ermittlungsbehörden werden höflich umschrieben mit dem Begriff der „legendierenden Kontrollen“. Unzulässig sind sie trotzdem.

Nachlesen kann man das Ganze in BGH 4 StR 436/09 – Urteil vom 11. Februar 2010, und in einem Aufsatz von Wolfgang Müller (Leitender Oberstaatsanwalt, Celle) und Richter Dr.Sebastian Römer (Richter, Hannover) in der NStZ 2012, 543.

Bild: Arno Bachert / pixelio.de

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