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Mitgefangen, mitgehangen! Auch bei der Revision

Ein besonderes Leckerli für jemanden, der am Rechtsstaat zweifeln möchte, bietet die sogenannte Revisionserstreckung, die in § 357 StPO geregelt ist.

Eine überschaubare Konstellation aus dem Wirtschafts- und Steuerstrafrecht:

Wilhelm Brause und Bulli Bullmann werden einer mittäterschaftlich begangenen Steuerhinterziehung, Insolvenzverschleppung usw. angeklagt und Mitte 2016 von der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts verurteilt.

Brause bekommt eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten, die ohne Auflagen zur Bewährung ausgesetzt wird; die Bewährungszeit setzt das Gericht auf zwei Jahre fest. Hintergrund für die Strafmilde war sein Geständnis. Er verzichtet auf sein Rechtsmittel und zählt die Tage in Hinblick auf § 56g Abs. 1 StGB und § 6 Abs. 2 GmbHG.

Bullmann hingegen stellt sich auf die Hinterbeine und wird zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 4 Monaten verurteilt. Er wehrt sich gegen das Urteil mit der Revision und zwar mit Erfolg: Der Bundesgerichtshof hebt sein Urteil Anfang 2019 (für die mitlesenden Juristen: wegen eines Sachmangels, der Bullmann und Brause betrifft.) auf und verweist die Sache zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurück.

So, nun bitte nochmal den § 357 StPO lesen, und dabei aufpassen, dass der Kopf vom Schütteln nicht vom Hals abgetrennt wird.

Diese Vorschrift aus dem Revisionsrecht hat zur Folge, dass das 2016er Urteil gegen Brause de facto null und nichtig ist, obwohl er es gewünscht hat, damit zufrieden war und – jetzt kommt’s – eigentlich schon längst hätte vergessen werden können: Denn ohne den Revisionserfolg von Bullmann wäre jetzt auch die Bewährungszeit abgelaufen und die Strafe erlassen worden.

Nun wird erneut gegen Bullmann und Brause verhandelt werden müssen. Am Ende steht voraussichtlich dann eine erneute Verurteilung des Brause, ein erneuter Beginn der Bewährungszeit, ein erneuter Beginn des Laufs der Tilgungsfristen im Bundeszentralregister und – was hier ernsthaft wehtut – ein erneuter Beginn der Frist des § 6 Abs. 2 GmbHG. Allerdings auch nur dann, wenn die erneute Entscheidung des Landgerichts nicht erneut vom Bundesgerichtshof aufgehoben wird und dann das Verfahren gegen Brause erneuterneut beginnnt …

So kann’s kommen.

Die Möglichkeit, das Verfahren gegen Brause abzutrennen und nach § 153 StPO oder § 153a StPO einzustellen, kann man als Verteidiger zwar anregen; einen Anspruch darauf, dass das Gericht und die Staatsanwaltschaft Brause endlich laufen lassen, hat er allerdings nicht.

Immerhin: Es kann für Brause im zweiten Durchgang nicht schlimmer werden.

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Bild (CC0): dgilbert / via Pixabay

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